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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001123020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900112302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900112302
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-23
-
Monat
1900-11
-
Jahr
1900
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Sie geben beredtes, ja überwältigendes Zeugniß davon, Laß die Sympathie der Völker, welche den Heldenkampf der Boercn um die Freiheit ihres Landes über ein Iabr lang mit einer Antheilnahme verfolgt baden, als handle cs sich um die eigene Sache, noch nichts von ihrer ursprünglichen Herzlich keit eingebüßt hat. Die Willkommensrufe „Hock die Boeren! Hoch Krüger!" haben einen millionenfachen Widerhall ge funden in Europa sowohl — mit Aufnahme natürlich des siegreichen Albion <— wie in den Gestaden Amerikas, und namentlich in Deutschland ist Wohl nicht einer, welcher Partei er auch angeboren möge, der dem greisen, ehrwürdigen Boeren- oberhaupte nicht im Geiste fest die Hand brückt, obwohl Krüger, oder vielmehr gerade weil er als Besiegter, mit dem Abzeichen der Trauer um sein armes, von den Fängen des NaubgeierS zer fleischtes Volk kommt. Mit aufrichtigeren Gesinnungen, mit größerer Bewunderung als diese gestürzte Größe ist Wohl kaum je ein Sieger im Ruhmeskranz empfangen worden, denn aller Welt ist eS ja offenkundig, daß der moralische Sieg auf Seite der unterlegenen Boercn ist, und daß England vor dem Richter stuhle der Bölkerinoral als der Geschlagene steht. Es ist die unausbleibliche Neaction des NcchtSgefühIs der öffentlichen Meinung auf beide Hemisphären, welche in den nicht enden wollenden Willkommensgrüßen in der französischen Hafenstadt zum AuSvruck gelangt. Aber — mit tiefem Schmerz müssen wir eS eingesteheu — es ist Loch ein aussichtsloser Gang, den der Transvaalpräsident in seinen alten Tagen antritt, um die verlorene Sache seiner Boeren noch in letzter Stunde zu retten. Mehr als pla tonische Theilnabme wird cr nirgends finden, wenn auch sein Glaube an den endlichen Sieg der gerechten Sache noch so stark und felsenfest ist. Aus seinen Erwiderungen auf die verschiedenen Ansprachen geht hervor, daß er der Welt den documentarischen Beweis dafür liefern will, wie Großbritannien eS war, daS die Boerenrepubliken durch jahrzehnte lange Gewaltthaten und Intriguen gereizt und zum Aeußer- sten getrieben hat, wie die Republiken also gar nicht anders konnten, als zum Schwerte zu greisen. Damit hofft er Ein druck auf die Massen zu machen und damit wieder einen Druck auf die Regierungen auSzuüben, daß sie sich Loch end lich entschließen, die gerechte Sache Transvaals und des Oranjestaates einem internationalen Schiedsgericht zu unter stellen und so ihre Unabhängigkeit zu retten. Allein die politische Constellation ist im Augenblick und noch auf lange hinaus eine solche, daß die Cabiuette nicht im Entferntesten daran denken tonnen, England in den Arm zu fallen, wie es s. Zt. mit Japan geschehen ist, das die schon für sicher gehaltene Beute wieder Herausgeber, mußte. Jetzt gilt eS, das gewaltige, gefahrvolle chinesische Problem zu lösen; dem können die Großmächte sich untev keinen Umständen entziehen, und da Gefahr im Berzuge ist, haben sie dort im fernen Osten, wo noch größere Interessen als in Südafrika auf dem Spiele stehen, alle Hände voll zu thun. In erster Linie aber muß Alles vermieden werden, waö das so mühevoll zu Stande gebrachte Concert der Mächte sprengen oder auch nur stören könnte. DaS aber würde der Fall sein, wenn England sich gezwungen sähe, über die Frucht seines Sieges ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. ES würde darin eine unfreundliche Haltung der übrigen Mächte erblicken und sicher auf Revanche sinnen. So wird denn, wenn Krüger vergeblich an der und jener Thür angeklopft hat, nichts Anderes übrig bleiben, als daß die Boeren, wie er angeküudiat hat, bis zum Tode kämpfen, so daß England die beiden Republiken nicht eher auf seinen Colonialbesitz überschreiben kann, als bis der letzte Boer, die letzte Boerenfrau mit der Waffe in der Hand gefallen ist. Schon nach dem Zusammenbruch bei Machadodorp hat Krüger eine ähnliche Aeußerung gethan. Man bat sie in England nicht für baare Münze genommen; jetzt, wo Krüger sie im Namen seines Volkes vor aller Welt feierlich wiederholt, wird man in London nicht anders können, als sich auf einen noch sehr lang dauernden mühseligen und blutigen Vernicktungökampf einzurichten. Das ist daS neue, sehr bedeutungsvolle politische Moment bei der Ankunft Krüger'S. Wir lassen nun die heute Vormittag eingelansenen neuesten Telegramme folgen, denen wir eins voraussckicken, daS zu wiederholen ist, da es nicht in der Gesammtauflage des heutigen Morgenblattes enthalten ist: * Marseille, 22. November. PräsidentKrüger dankte vom Balcon des Hotels aus der Menge in einer kurzen Ansprache sür den warmen, ihm bereiteten Empfang. Darauf zog cr sich zur Beralhung mit den hier weilenden Vertretern Transvaals uud des Oranjefreistaates zurück. Nachmittags sollen Empfänge bei Krüger statlfinden. Während der Fahrt Les Präsidenten und seiner Be- »leiter durch die Stadt wurden einige Engländer, die auf einem Balcon standen und sich weigerten, auch auf die Zurufe der Menge hin, den Hut abzunehmcn, ja sogar Kupfermünzen herunterwarfen, fo lange von der Menschenmenge ausgepfifsen und verhöhnt, bis sie vom Balcon verschwanden. * Marskillr, 22. November. Präsident Krüger empfing heute Nachmittag 2 Uhr den Maire von Marseille, Flaissiöres, der ihm die theilnehmenden Gefühle der Stadtbevölkerung für die Boeren und ihr Unglück aussprach und Len iPunsch daran knüpfte, daß die Transvaalfrage eine gerechte Lösung finden möge. Präsident Krüger dankte ihm und bemerkte, er vertraue auf Gott und sein gutes Recht. Sodann überreichte ihm der Maire zahlreiche Adressen. — Ter Maire hat die Feststellung und strenge Verfolgung der Personen angeordnet, welche heute Mittag den Zwischenfall bei der Borüberfahrt des Präsidenten an einem Hotel der Rue Cannebiöre hervorriesen. * Marseille, 22. November. Ter Prüsect stattete dem Präsi denten Krüger einen Besuch ab. Die Unterredung trug cinrn sehr herzlichen Charakter. Nach derselben begann der Empfang der verschiedenen Abordnungen. Vor dem Hotel war den ganzen Nachmittag über eine große Volksmenge versammelt, welche dem Präsidenten Huldigungen darbrachte. * Marseille, 22. November. Bei dem Empfange, den Präsident Krüger im Hotel abhielt, überreichte der Vorsitzende des Marseiller Empsangsausschusses, Thourel, dem Präsidenten einen Kunstgegenstand als Erinnerungszeichen und sagte in seiner An sprache, rin Krieg zur Befriedigung der Begier und der Interessen sei ein Verbrechen gegen die Menschheit, ein Krieg aber zur Vertheidigung von Haus und Herd sei gerechtfertigt und rühmlich. Präsident Krüger antwortete, die Boeren kämpften für Haus und Herd, und dankte dem französischen Volke, dessen Sympathien weniger ihm, als der Sache der Boeren gälten, die eine Sache der Gerechtigkeit und Freiheit sei. Die Sache der Boeren sei weder zu Ende, noch unent wirrbar. (Lebhafter Beifall.) Darauf wurden dem Präsidenten die übrigen Abordnungen vorgestellt, darunter das niederländisch-südafrikanische Comitv und die Vertreter der Gesellschaft pensionirter Ossiciere des Landheeres und der Marine. Henry Howes sprach als Vertreter der französischen Presse, die ohne Unterschied ihrer politischen Anschauung sür die heilige und würdige Sache ringe- treten sei. Hieraus erschienen zahlreiche Abgesandte, die ihre Be- wunderung für den ehrwürdigen Greis und das tapscre Volk der Boeren, sowie ihren Wünschen für den Erfolg der Schritte Kcüger's Ausdruck gaben. Unter den Abgesandten befand sich auch der protestantische Pastor Früh, der Schwager des Obersten Villebois-Mareuil, der im Transvaal-Kriege gefallen ist. Nachher empfing Krüger den Präsidenten des Pariser Municipalrathes Gröbeauval, der Namens der Stadt Paris den Präsidenten Krüger einlud, das Rathhaus zu Paris zu besuchen. Ter Präsident Krüger antwortete, er bitte, seine Antwort bis zu dem Augenblicke ver schieben zn dürfen, wo er in seiner Eigenschaft als Staats oberhaupt seinen Pflichten gegenüber dem Oberhaupte des französischen Staates genügt habe. Ta Krüger sehr ermüdet schien, beschränkte man sich weiterhin darauf ihn im Vorbeigehen zu begrüßen. Deshalb ging dec Empfang der übrigen Delegationen, darunter derjenigen aller großen Städte Frankreichs, der militärischen Gesellschaften und der Patriotenliga, rasch vor sich. Marseiller Kinder überreichten ihm Blumensträuße. Ta Krüger sich in seine Gemächer zurückziehen wollte, wurde der Empfang gegen 6 Uhr beendet. "Marseille, 22. November. Präsident Krüger richtet an den Präsivcntc» Londet folgende Depesche: „Indem ich ans Sem gastlichen Boden Frankreichs lande, ist meine erste Handlung, das mürdigc Oberhaupt der französische«» Acpnblik zu begrüßen nnd Ihnen Sie Be zeugung meiner Dankbarkeit für Sie Beweise ocs Interesses zn übermitteln, Sic Ihre Negierung nnd Saü Land mir gegeben haben." " Paris, 22. November. Tas „Zourual" schreibt, Sa England Sie Anncctirttiig Ser beide» NepnbUken bisher Sen Mächten nicht notificirt habe, so have Vie Negicrnng beschlossen, Sen Präsidenten Krüger mit Sc» einem incogn ito rcisenScn Ltaatsches gebührende» Ehren zn empfangen. PräsiScnt Lonbet werbe Krüger, falls Vieser cs wünsche, im Elhs^e empfangen uuv seinen Besuch erwiScru. Krügcr'S Persönlichkeit schildert ein Marseiller Telegramm deS „Berl. Tagebl." wie folgt: Krüger'S PorlrätS, die von ihm veröffentlicht sind, sind wenig ähnlich. Er trägt einen dicken dunkelgrauen Winter mantel, ans dem Kopf einen Cylinderbut, der mit grobem Flor umwickelt ist. Er stützt sich leicht auf einen gelben Nohrstock. Der weiße Bart ist ziemlich lang, das breite Gesicht gcröthet, auf der dicken Nase sitzt eine Brille. Als Krüger grüßend den Hut abnahm, sielen die Weißen Haare besonders auf. Die Haare wehten im Winde, hinten sielen sie auf den Rockkragen hinab. Krüger siebt weniger bäuerlich, störrisch und weit gutmülhiger und großväterlicher aus, als auf den Bildern.... Ich glaube, daß Alle, die den Präsidenten Krüger gesehen, von seiner Persön lichkeit einen tiefen Eindruck empfangen baden. Die Persönlichkeit erscheint zugleich bedeutend und ungemein sympathisch; sie ist bedeutender und auch weit sympathischer als nach den Bildern scheinen konnte, die aus diesem Mann gewöhnlich einen trotzigen, etwas borstigen Mann machen. Er erscheint auch so klug, daß man annebmen darf, der Contrast, der das Charakteristische des Empfanges war, müsse ihm aus gefallen sein. Der Enthusiasmus der Bevölkerung war groß artig und überwältigend. Die sogenannten ofsiciellen Begrüßungen waren farblos und schäbig, kein Ver treter der Negierung war zur Stelle, kein Militär bildete Spalier. So konnte Krüger schon im ersten Augenblick die Haltung des nicht ofsiciellen Europa und die Haltung des ofsiciellen erkennen. Lonvon, 22. November. Lord Roberts telegraphirt aus Johannesburg: Sonntag stürzte ich mit dem Pferde und erlitt einige Quetschungen. Ich thue Dienst und hoffe in einigen Tagen wieder wohlauf zu sein. (Wiederholt.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. November. Eine der unangenehmsten Folgen der Zerrissenheit der deutschen Wählerschaft in eine Menge von Parteien und Gruppen ist die Sucht der parlamentarischen Vertreter aller dieser Gebilde und Gebildchen, sich bei jeder „großen Gelegenheit" im Reichstage bören zu lassen. ES würde ja dem Vertreter selbst des zwerghaflestcn Grüppchens von seinen Wählern nicht verziehen, wenn er solche Gelegenheit versäumte, sich bemerkbar zu machen. Und je geringer sein Einsluß auf die Abstimmung ist, um so tiefer empfindet er die moralische Verpflichtung, wenigstens seine Stellungnahme zu „markiren". Endlose Ausdehnung der Debatten und der Tagungen, Zeitverfchwendung, langweiliger Verlauf der Sitzungen und infolge dessen häufige Beschlußunfähigkeit und immer tieferes Sinken des Ansehens Les Reichstages sind unausbleibliche Consequcnzen jener Zerrissenheit und des Nevebedürfnisses aller Größen selbst der kleinsten Theile. Auch der gestrige überflüssige dritte Tag der Chinadebatte war lediglich eine Folge deS Nebenflusses an Parteien und Gruppen, und die übrigen Folgen dieses Ucbels werden nicht auSbleiben, wenn nicht entweder der Seniorenconvent, der ja vom Grafen Ballestrem wieder anerkannt ist, ein Einsehen hat und auf die Ein schränkung der Debatten binwirkt, oder wie in früherer, besserer Zeit ein „NeichSschlnßmacher" für seine Schluß anträge genügende Nnlerstützung findet. WaS gestern der süddeutsche Demokrat Payer über die „Herabdrückung" des BundeSralhö vorbrachte, war widerlegt, bevor Graf Lerchen feld cs widerlegte; daß die Polen von der Regierung das gleiche Eintreten sä'. das „Völkerrecht" in der Provinz Posen wie in China verlangen, wußte man, ohne daß eS Herr v. DzielmbowSki zu sagen brauchte; der Welfe v. Holenberg hätte schweigen können, ohne daß außer seinen engsten Parteigenossen Jemand seine Erklärung vermißt hätten; daß der Bund der Landwirthe der Welt politik durchaus abgeneigt ist und jeden Rathgeber des Kaisers, der nicht im Sinne deS Bundes räth, für eine trübe Wolke ansieht, hätte Herr v. Wangen heim getrost für sich be balten können und auch das Rededuell Stöcker-Singer förderte die Lösung der Chinafrage nicht im Geringsten. Hoffentlich kommt heute die erste Lesung bald zu Ende und Fenrlletsn. zj Die Malerin. Roman von I. Marsden Sutcliffe. Nachdruck vcrdci'ii. Zwölftes Capitel. Frühling ist's geworden, und Ostern fällt spät im Jahre. Gräfin Pole hat heute Empfangstag. Halb London ist in ihren Festräumen versammelt. Sie will die Stadt schon bald ver lassen, um während der Parlamentsferien bei Lord und Lady Bruton ihren Sommeraufenthalt zu nehmen. Das steht in Verbindung mit dem Plan, ihrem Bruder die älteste Tochter des rcichsunmittelbaren Grafen Bruton, Lady Isabel Ehilde, zuzuführcn, eine Schönheit und reiche Erbin, welche soeben bei Hose vorgestellt worden ist. Isabel ist in einem französischen Kloster erzogen worden und hat dieses nach dreijährigem Aufent halt vor Kurzem verlassen. Für diese Verbindung hat Gräfin Pole so überzeugende Gründe vorzubringen gewußt, daß ihr Bruder versprechen mußte, sich an diesem Empfangstag einzu finden, um sich Lady Isabel vorstellen zu lassen. Er entsinnt sich ihrer als eines kräftigen, muthwilligen, blondhaarigen Back fisches, der sich mittlerweile wohl gleich den anderen zum ver schämt dreinschauenden Mädchen ausgeniichtert haben wird. Als sie ihres Bruders ansichtig wird, wie er sich durch das Gedränge einen Weg zu ihr bahnt, seufzt sie erleichtert auf. „Endlich! Ich hatte es schon aufgegeben, Dich heute zu sehen." „Ich konnte nicht eher kommen", entschuldigte er sich, wohl weislich verschweigend, daß ein sehr unbeständiges Glück ihn so lange beim Spiel festgehalten hatte. „Du hättest wirklich eher kommen sollen", meinte die Gräfin, „Ludy Isabel ist von Freiern förmlich umlagert. Sieh nur, wie Lord Algy sich um sie bemüht." „Ach der!" sagte Denison wegwerfend. „Sei Deiner Sach« nur nicht zu sicher." „Laß ihn Herzog werden und alle Schätze der Welt erwerben, Algy schlage ich »mmxr aus dem Felde." „Aber Reginald", stöhnte die Schwester, „es ist doch wirklich Zeit für Dich, zu heirathen. Urberlege Dir daS, und ich will mich verpflichten, Euch Beide zusammenzubringen, noch ehe ich im Herbst daS gastliche HauS der Bruton's verlasse." „Du hast immer gern für Andere gehandelt", entgegnete Reginald etwas hämisch, „es wird Dir daher gewiß sehr ver drießlich sein, wenn ich Dir sage, daß ich mich eigentlich gar nicht zu verheirathen wünsche." „Da Du schon öfter so etwas andeutetest, möchte ich fast glauben, daß Du verheirathet bist und nur nicht wagst, Dein Weib vor aller Welt anzuerkennen." Es war von Selina nur ein Schuß aufs Gerathewohl, aber Reginald zeigte sich sofort gefügiger. „Ist denn mit dem Vermögen Alles in Ordnung?" „Ihre Großmutter, die Markgräfin von St. Gerryan, die geizigste alte Person, welche ich je kennen gelernt habe, hat ihr Alles vermacht, was sie in ihrem langen Leben zusammenge scharrt hat." „Dann stelle mich ihr, bitte, so bald als möglich vor. Meine Schatzkammer kann einen frischen Zuschuß ganz gut brauchen." „Dessen sollte es bei Dir eigentlich nicht bedürfen", sagte Selina, mit plötzlich erwachendem Verdacht ihn anschauend. „Trotzdem ist es der Fall", entgegnete Reginald in möglichst scherzhaftem Tone. — „Wollen Sie wirklich schon gehen?" fragte Gräfin Pole den sich ihr empfehlenden Maclean. „Ich muß leider. Werden Sie mir morgen die Ehre geben?" „Gewiß, Sie dürfen uns gegen Mittag bestimmt erwarten", sagte die Gräfin zu dem Künstler, auf den sie viel hielt. Sobald Maclean fort war, rief sie: „Reginald, eine gute Idee! Lady Isabel und ich besuchen morgen einige Ateliers. Du könntest unser Cavalier sein und dann bei uns frühstücken. Gelegenheit zu einem töte-L-tete werde ich Dir schon zu ver schaffen wissen. Du mußt Algy aus dem Sattel heben, hörst Du?" Reginald lachte über diese Beschwörung seiner Schwester, sagte aber zu. KlauS verdroß eS sichtlich, als den Damen bei ihrem Eintritt inS Atelier der Baron Denison folgte, da er aus dessen Vorleben genug wußte, um ein Bekanntwerden mit ihm möglichst zu meiden. Jetzt verbot sich natürlich eine Abweisung des un willkommenen Gastes ganz von selbst, aber die ihm hingehaltene Hand Reginald's übersah Klaus absichtlich. Die Aufmerksamkeit der Besucher lenkte sich zunächst auf ein« Landschaft, welche Klaus in diesem Jahre einzuschicken beab sichtigte. Gegenstand des Bildes war der Bcn-Cruachan nach einem Sturm. Der mächtige Fuß des Berges war hinter dichten Schleiern verborgen. Ein Unweit» hatte sich scheinbar an seiner Spitze gebrochen und sich im Thale wieder um ihn zusammen geballt. Der Gipfel erglänzte im zitternd durchbrechenden Strahl der untergehenden Sonne. Wie «in noch lebender, aber von schwerem Kampfe ermatteter Riese schien er leise athmend zu schlummern, während die Wolken mit ihren langen, in den Ab gründen und Schluchten schleierartig wallenden Armen den Titanen noch nicht aus ihren Umarmungen freigeben zu wollen schienen. Nach gebührender Bewunderung dieser Landschaft wandte man sich einem noch verhüllt auf der Staffelei stehenden anderen Bilde zu. Klaus hatte der Gräfin leider schon von dieser seiner neuesten Schöpfung gesprochen, sonst hätte er sie sicher Denison's Augen nicht preisgegeben, da ihm schon das wie eine Entweihung seines Ideals vorkam. Die Damen standen zunächst in stummer Andacht davor. Klaus hatte das Beste von seinem hohen Können darangesetzt und Liebe ihn dabei begeistert. So war ein wunderbares Bild echt frauenhafter Schönheit entstanden. Vor einer solchen Helena schien es wohl begreiflich, daß Paris sie entführt und um ihren Besitz einen Riesenkampf entfacht hatte; hier fand die Leidenschaftlichkeit, mit welcher der trojanische Krieg geführt wurde, ihre beredteste Erklärung. Reginald stand wie elcktrisirt vor der Staffelei. War das da auf dem Bilde nicht seine Frau, war das nicht Winfriede? Freilich nicht das junge Mädchen, als welches sie in seiner Erinnerung schwebte aus der Zeit, da er sie zu seiner Gattin machte, ebenso wenig die abgehärmte Frau, welche er traurig und zusammengefallen am Kamin in Pork verlassen hatte. Aber er mußte sich wohl täuschen, die Ähnlichkeit war ja sehr groß, aber seine Winfriede hätte sich doch wohl niemals zu solch vollendeter Schönheit entwickeln können. Denison's auffallendes Benehmen entging zwar den Damen, nicht aber dem Maler. Als Lady Pole ihre Sprache wieder gefunden hatte, wurde sie zu ihrem Schrecken gewahr, daß sie alle ihre Superlative schon vor dem anderen Bilde verschwendet hatte, doch wußte sie ihm mit einigen artigen Worten ihr Ge fallen an dem Bilde darzulegen. Als Klaus ihre Frage, ob es ein Porträt sei, bejahte, rief sie aus: „Das muß ja eine Frau von ganz märchenhafter Schönheit sein!" Beim Fortgehen blieb Denison etwas zurück und redete Klaus an: „Wir kennen uns noch nicht näher, Herr Maclean, daher werden Sie meine Frage vielleicht mißdeuten, könnten Si» mir wohl die Adresse Ihres Modells geben?" „Unter keinen Umständen", sagte Klaus sehr von oben herab. „Sie mißverstehen mich vollkommen. Meine Absichten sind durchaus ehrbare. Ich wäre glücklich, könnte ich mich mit der Dame, welch« Ihnen zu Ihrem Bild» saß, verbinden, und würde stolz darauf sein, ihr meinen ganzen Besitz zu Füßen zu legen, auf Ehre!" „Wissen Sie denn, ob mein Modell nicht verkrüppelt ist oder einen Buckel hat? Dann möchte Ihnen Ihr Ehrenwort bald leid sein. Aber Ihre Damen warten." Aergerlich über den Mißerfolg nagte Reginald an seinen Lippen, eilte aber hinunter und sprang, sich entschuldigend, rasch zu den Damen in den Wagen. „Im nächsten Atelier werden wir uns nicht lange aufhalten", sagte die Gräfin. „Es ist eine junge Künstlerin, die hervor ragend begabt sein soll, deren Besuch mir mein Mann empfohlen hat." Der Wagen hielt vor einem sehr bescheidenen Hause, und der Rittmeister besah es mit sehr mißtrauischen Blicken, drinnen aber verrieth Alles einen guten Geschmack, ja sogar einen be scheidenen Aufwand. Reginald, der als Letzter das Atelier betrat, taumelte fast zurück, als er sich plötzlich seiner Frau gegenüber befand. Die Wirkung auf Winfriede war fast noch überwältigender. Sie erbleichte und preßte ihre Hände unwillkürlich gegen den Busen, obwohl sic sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, daß ihr als Künstlerin leicht eine Begegnung mit ihrem Manne beschieden sein könnte. „Sie sind krank", rief Lady Pole besorgt. Die Ähnlichkeit der jungen Malerin mit der soeben bewunderten Helena von Troja setzte sie in Erstaunen. Angesichts des ersichtlichen Un wohlseins der Künstlerin aber unterließ sie jede hierauf bezügliche Frage. „Nein, Frau Gräfin, krank bin ich nicht", sagte Winfriede, und versuchte ihre Erregung zu unterdrücken. Mit einem be deutsamen Blick auf Reginald fuhr sie fort, „es ist ein altes Leiden, welches mich seit langer Zeit zum ersten Male wieder überfällt und auch bald wieder vorüber sein wird." Winfried« vermochte den Damen ihre Bilder zu zeigen, unter denen eines, die von Lord Pole zu Auftrag gegebene Landschaft, deren Hauptinteresse auf sich zog. Sie verweilten aber nicht lange. Am Wagen stehend, sagte die Gräfin: „Nun nach Haus, eS ist bald FrühstückSzeit, Du kommst doch mit, Reginald?" „Entschuldigen Sie mich, bitte, meine Damen, ich möchte jetzt lieber gehen, um nachher dem, waS Du mir vorsetzest, um so größere Ehre anzuthun." Damit machte er eine tkrfe Ver beugung und sah Lady Isabel vielsagend an. (Fortsetzung folgt.)
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