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VoigÜäMliitr Aiytigcr. 8iekemliMch8zigster Jahrgang. Verantwortliche Nedaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen > : j-.' . Dieses Blatt erscheint wöchentlich dreimal, und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher Abonnementsprei-, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die bis Mittags 12 Uhr eingchen, werden in die TagS darauf erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen ' sinden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene CorpuS-Zeile berechnet. Donnerstag. ROO« 28. August 1836. ' —' I . ... —— — 7H'i- - . i-—1^-!.^- Brodfabriken. Ocffttttliche Blätter haben schon mehrfach berichtet, daß nicht nur iu Frankreich, sondern auch in Deutschland, namentlich in Stuttgart, Berlin und neuerlich auch in Leipzig und Zwickau großartige Brodfabriken errichtet worden sind oder werden, so daß wir eS für Schuldigkeit halten, unsern Lesern gegenüber diese Zeiterscheinung zu besprechen. Die nächste Veranlassung dazu hat ohne Zweifel die lange anhaltende Thenerung, welche auch eine Menge öffentlicher Spciseanstalten hcrvorrief, gegeben. Wie die Noth Mutter so mancher heilsamen Erfindung und Einrichtung geworden ist, so wird sie vielleicht auch in Bezug auf die Brodbereitung die Menschheit einen tüchtigen Schritt vorwärts bringen. Die meisten Zweige der Gewerbthatigkeit haben in den letzten Jahr zehnten Riesenfortschritte gemacht. Wer hatte vor 20 Jahren geglaubt, daß die Kosten, einen ganzen Ballen roher Baumwolle in 150 Ellen Cattun zu verwandeln, bis auf 5 Thlr. herabgebracht werden könnten? Nur die Brodbereitung, der allererste, allerwichtigste Gewerbszweig, die wesentliche Grundlage unserer Nahrung, ist allerdings zurückgeblieben. Heute noch, trotz aller mächtigen Fortschritte der Mechanik, nimmt die Ge treideähre denselben langsamen und kostspieligen Weg ihrer Umwande lung in Brod vom Felde bis zum Dreschflegel, zur Mühle und zurück, zum Backtrog, zum AuSknctcn durch Menschenhände bis.in und aus dem Ofen, wie vor 20 und mehr Jahren. Nach den Getrcidepreifen vom Ende Oc tober 1855 verursachte in Paris eine Quantität (100 Kilogramme oder 2. Centner) Getreide im Werth von 12 Thlr. 16 Ngr. nicht weniger als 3 Thlr. 7 Ngr. Umwan delungskostcn in Brod, mithm mnßte die andcrthalbstündige Arbeit von ein Paar Mühlsteinen und die zweistündige Arbeit eines Backerburschen mit mehr als 25 Procent Kosten bezahlt wer den, während zu derselben Zeit die Erzeugnngskosten einer gleichen Quantität Brod in der großen Brodfabrik einer Pariser Wohlthätigkeits- anstalt sich auf nur 1 Thlr. 2 Ngr. beliefen. War cs da ein Wunder, daß die großen Brodfabriken das Brod bedeutend billiger (100 Kilogramme 4 Franks oder 1 Thlr. 2 Ngr. billiger) verkaufen konnten? Was folgt daraus? Daß große Brodfabriken das Brod billiger Herstellen können, weil sie geringere ErzeugungSkosten haben. Zur Er richtung großer Brodfabriken gehört aber eine Vereinigung deS Mül le rgewerbeö mit der Bäckerei. In Frankreich besteht diese Verei nigung bereits in den Brodfabriken zu Lyon, Lille rc.; in Leipzig wird die Platzmann'sche Kunstmühle mit der neuen Brodfabrik vereinigt, in Zwickau tritt auch noch eine Brauerei in großem Maßstabe hinzu. (Zu einer Dampf mühle mit einer Maschine von 35 Pferdekraft und vier amerikanischen Mahlgängen, wird die Bäckerei mit 3 Maschincnöfen und die Brauerei auf 10,000 Eimer kommen.) Außer der Vereinigung des Müller- und DäckergewcrbeS verlangt aber eine Brodfabrik in größerem Maßstabe noch die Benutzung und An wendung der neuesten Erfindungen und Maschinen zum Reinigen de6 Getreides, zum Mahlen des Getreides selbst, zum Kneten des Teiges, (Knetmaschine und mechanischer Backtrog) die Errichtung v erbesserter Back ö fe n u. s. w. Auf der Pariser Industrieausstellung waren eine Menge Apparate oder Maschinen für jede einzelne dieser Ma nipulationen ausgestellt. So z. B. hatte ein Hr. Mourot eine Maschine ausgestellt, welche mit einer Pfcrdekraft in einer Stunde 16 Hektoliter (15 Dresdner Scheffel) reinigte und 1100 Franken (300 Thlr.) kostete. — Ein Hr. Fournevron hatte eine Turbine ausgestellt, welche 40 Paar Mühlsteine in Bewegung setzt. Der Backtrog von Roland, schon sehr verbreitet in Spanien, in der Schweiz, in Nordamerika, Frank reich rc., im Preise von 200—400 Thlr., war ebenfalls daselbst ausgestellt. Mit Hilfe desselben können auf einmal 150 — 300 Kilogramme (etwa 3 bis 6 Zollcentncr) Mehl geknetet und zubereitet werden. Endlich hatte ein Hr. Carville einen Backofen ausgestellt, der nach den von der Academie der Wissenschaften angestellten Proben nicht nur sehr beträcht liche Ersparuugen au Brennmaterial, sondern auch mit unverhältnismäßig weniger Geldkosten eine Vermehrung der Broderzeugung erzielte. Wie schon erwähnt, verbreiten sich in Frankreich rc. die Brodfabriken mit Macht. Die Gesellschaft „Roland" hat allein seit 3 Jahren 157 Etablissements für maschinenmäßige Brodfabrikation mit Ofen und Back trog errichtet. Seit dem November 1855, kurz nach dem Schlnsse der Ausstellung, hat sich in Paris die Gesellschaft: ,Meun«riv ot doulLvAvriv rvuuie«" mit einem Capital von 10 Mill. Franks zur Brodfabrikation mittelst mechanischer Backtröge, in den Vorstädten St. Martin und St. DeniS aber eine große Centralbäckerei gebildet, die beide ohne Mischung jedes vicrpfündige Brod von reinem Weizen 10 Pfennige unter der Taxe ge ben konnten. Die von den Gebrüdern Volker in Stuttgart am 6. Nov. v. I. errichtete Brodfabrik liefert in 45 Minuten 500 Pfund, in 24 Stun den 16,000 Pfund Brod, das Pfund einen Kreuzer unter der Taxe?) Die Berliner Brodfabrik, an deren Spitze die Herren Camphausen, Botsigkrc. stehn, arbeitet mit einem Capitale von 300,000 Thlr. und ist hauptsächlich bestimmt, Roggcnbrod zu liefern. Neber die Brodfabriken zu Magdeburg, Hildesheim rc. fehlen uns nähere Notizen. DaS Alles ist recht sehr schön, wird Jedermann sagen, und sehr zu wünschen, daß überall billigeres Brod hergestellt werde, aber waS soll da aus deu Bäckern werden? Diese Frage vermögen wir ebett so wenig genügend zu beantworten, als eine andere: „Gestatten die Gcwerbsgesctze die Errichtung solcher Brodfabriken?" Wir glauben indeß, wie in der Neuzeit das Fabrikwesen die alten Innungen und ihre Rechte fast durchgehends durchlöchert hat, so wird auch Vas Backergewerbe sich dieses Eluflusses auf die Dauer nicht erwehren könnest. ^Beweis dafür sind eben die überall herauswachsenden Brodfabriken, welche "nach dem in Nr. 97 von unö gegebenen amtlichen Artikel aus Dresden vom 15. August auch unsere hohe StaatSregicruug begünstigen zu wollen scheint, falls die Backer die ihnen gewährten Vorthcile zu stark benutzen. *) Interessant ist die innere Einrichtung dieser Fabrik. AuS dem geräumigen, reichlich mit Mehlsäcken auSgeslattetcn Mehlmagazin gebt ein großer Trichter hinunter in die Bäckerei, durch welchen das Mehl direct in die Knetmaschine hinabgcschüttet wird. Diese Knetmaschine ist ein eiserner, zwei Ellen langer Backtrog, der fünf Centner Teig ' faßt und in welchem sich eiserne Fangarme so hcrumdrehen, daß sie den Teig in ange messenen Portionen glattsauber an den Wänden hinweg nehmen, würgen, Hinabdrücken, wieder aufnehmen und so gründlich und rasch durcheinander kneten, daß cs eine Lust ist, zuzusebcn, ohne daß der geringste, die Masse verunreinigende Gegenstand hincinfallen könnte. Ist die Knetmaschine mit ihrer Arbeit fertig, so legt sie sich auf die Seite und leert ihren Inhalt in die hölzernen viereckigen Mulden aus, die mit einem Finger-- druck auf Nädern herangcrollt werden. Bon hier au§ wird das Brod in Formen gc- bralt und in einen der drei kolossalen Backöfen geschoben, welche Tag und Nacht nicht kalt werden. Um auch jede Unreinheit des Wassers, wie (AypS rc. zu beseitigen, wird das Wasser zum Teig gekocht; eS wird in Röhren durch die heiße Höhlung des Back ofens hindurch geleitet, wodurch es in 5 Minuten zum Sieden kommt. Die Knetma schine, die bleö eine halbe Pfcrdekraft zu ihrer Bewegung bedarf, ist dazu eingerichtet, mit Dampf getrieben zu werden ; vorläufig genügt die Kraft cineS ManncS, der ein Nad treibt, sie in Bewegung zu setzen.