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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000505023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900050502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900050502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-05
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
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Neclamen unter dem Redactionsstrich (4g— spaltens 50^, vor den Familiennachrichtrn (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preit- verzrichnitz. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Veilagc» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Poslbesörderung 70.—. Annahmeschlvb für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedttts» zu richten. Druck und Verlag von E. Polj in Leipzig 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. E Leipzig, 5. Mai. Wenn die <- > >>c, welche die Budgetcommission des Reichstags zu Leu Flvttendcckungs an trägen Müller- Fulda und Bassermann theils schon gefaßt bat, theils noch fassen wird, im Plenum zu eben so langen Debatten Anlaß geben, wie die Beschlüsse, die zur Unfallversicherungs novelle von der betr. Commission gefaßt worden sind, so kommt der Spätherbst, wenn nicht der Winter herbei, bevor man mit der Frage, wie die kosten für die vom Centrum rcducirte Flottenverstärkung gedeckt werden sollen, völlig im Reinen ist. Die zweite Plenarberathung der Unfallversiche rungsnovelle hat am Mittwoch begonnen, ist vorgestern und gestern weiter geführt worden und hat doch noch nickt weiter geführt als bis zur Erledigung des tz 7u der Gewerbe- Unfallversicherungs-Borlage, die lll Paragraphen umfaßt und überdies nur einen Theil der Novelle bildet. Und dabei war ursprünglich für gestern wegen der Empfangsfeierlich keiten in der Reichshauptstadt der Ausfall der Sitzung be absichtigt gewesen, aber wieder aufgegeben worden, weil der Präsident bei dem Schneckengange der Debatte keinen Tag entbehren mochte. Aber der gute Wille des Präsidenten, die Berathung zu fördern, scheiterte wie an den vorbergcgangenen Tagen an dem Eifer der socialdemokratiscken Abgeordneten, Abänderungsanträge über Abänderungsanträge zu stellen und langatbmig zu begründen, darunter auch solche, au deren An nahme schlechterdings nicht zu denken war. Bei der mangel haften Besetzung deS Hauses mußte es sich das gefallen lassen, denn Anträge ans Schluß der Debatte hätten jedenfalls Anträge auf Auszählung des Hauses und Fest stellung der Beschlußunfähigkeit zur Folge gehabt. Ueber- dics mag sich unter den anwesenden Mitgliedern der bürgerlichen Parteien Wohl der eine und der andere befunden haben, der sich bewußt war, gelegentlich ebenso wie die socialdemokratischen Herren aussichtslose Abänderungsanträge nur deshalb gestellt und befürwortet zu haben, um seinen Wählern zu imponiren. Aus die einzelnen der social demokratischen Anträge hier einzugebeu, würde ebenso zwecklos sein, wie eine Erörterung der gefaßten Beschlüsse. Diese werden wir nach Beendigung der Plenarberathung ebenso im Zusammenhänge mittheilen, wie wir kürzlich die Commissioiiöbeschlüsse über die Gewerbe-Unfallversichcrungs- vorlage übersichtlich zusammengcstellt haben. Wann dies möglich sein wird, ist schlechterdings nicht abzuseben. Ueberbaupt hat der Gang, den seit einigen Tagen Plenar- und CommissionSbcrathungen genommen haben, allen Ver- muthunzen über die Dauer der Tagung den Boden entzogen. Wenn die Nede davon gewesen ist, der Reichstag werde gleich dem preußischen Landtage seine Session noch vor dem Pfingst- fcste schließen können, so liegt die Grundlosigkeit dieser An nahme jetzt offen zu Tage — eS müßte denn sein, daß die verbündeten Regierungen auf die Durchberathung der Unfall versicherungsnovelle verzichteten. Dazu aber werden sie sich schwerlich entschließen. In einem Artikel des anarchistischen Blattes „Neues Leben" ist von „geistigen Waffen" des Anarchismus die Rede; auch wird gesagt, daß die Auarchisten zur Gewaltthat und Revolution nicht anreizen, fick vielmehr die Aufgabe stellen, „die große Masse zum Selbstdenken zu bilden". Welcher Art diese geistigen Waffen sind, was die Anarchisten unter dem Verzicht auf das Anreizen zu Gewaltthaten ver stehen und mit welchen Mitteln sie die große Masse zum I Selbstdenken heranbilden, das gebt aus einem anderen Artikel I derselben Nummer auf das klarste hervor. Zn den, letzteren, Artikel nämlich wird an die Pariser Weltausstellung u. A. wie folgt angeknüpst: „Die ganze capitalistifche Welt wird in Paris Revue halten. . . Die Herren Capitalisten und andere Protzenritter werden mit den Erzeugnissen ihrer Lohnsclaven prahlen und Medaillen einheimsen; dem Arbeiter aber, dem Schöpfer aller Kunstwerke und Vroducte, wird man vielleicht den Lohn beschneiden. Der Unternehmer wird den hohen Herrschasten seine ausgestellten Gegenstände zeigen, — er selbst versteht natürlich von deren Erzeugung nicht einmal einen blaue» Dunst. . . . Die ausgestapelten Reichthümer sind nur der Beweis einer unerhörten Ausbeutung. Paris ist der Zusammenkunftsort einer internationalen Gauner- und Diebesbande, die sich mit dem gestohlenen Gut vieler Menschen brüstet. Während das Capitalistenthum Orgien feiert.., wird der internationale Congreß der Revolutionäre tagen. Ihre Worte sollen eine Mahnung sein, daß die gegenwärtige Gesellschaft an einem Abgründe steht und einem Sodom entgegengeht. . . Und die Welt wird erfahren, daß es noch viele Revolutionäre giebt und daß der Anarchismus mehr denn je sein Haupt erhoben hat. Vom Congreß wird vielstimmig der be geisterte Ruf „vivo l'.luarcckio" in die Welt entsandt werden und er wird für die in der Ausstellung versammelte internationale Schwindlerbande bedeuten: ,Mene Tekell." Hiernach scheint die Weltausstellung zum Ausgangs punkt einer besonders lebhaften anarchistischen Propaganda gemacht werden zu sollen. Da aber die Anarchisten in Deutschland dem „Congreß der Revolutionäre" bisher nur wenig Interesse entgegenbringen, werden „geistige Waffen" von der Art der vorstehenden Hetzerei verwendet, um die „Genossen" zu der mit Gcldopfcrn verbundenen Theilnahme aufzustacheln! Die Führer der französischen Locialdcmokratic glauben sich ihres Triumphes bei den bevorstehenden Gemeinde- rathSwahlen schon so sicher, daß sie das Zusammengehen mit irgendwelcher bürgerlichen Partei, und wäre diese radikal bis zum Aeußcrsten, perhorreSciren und von sich selbst auö die Bedingungen jestsetzen, unter denen allein eine Wahl- candidatur als socialbrmokrakiscke gelten darf. Diese Bedingungen sind in einem Erlaß, den die Umsturz blätter übereinstimmend veröffentlichen, des Näheren dargelegt. Danach muß sich jeder Mandatsbewerber, der auf sociaidemokratische Stimmen reslectirt, auf folgende Formel verpflichten: „Internationale Verständigung und internatio nales Vorgehen der Arbeiter, politische und wirthschast- licke Organisation des Proletariats als Classenpartei zur Eroberung der Mackt und Socialisirung der Pro ductions- und Tauschmittel, d. b. Umwandlung der eapita- listischen Gesellschaft in eine collectivistische oder commu- nistische." Hieraus ist zu schließen, daß die Grundzüze der Organisation des famosen socialdemokratischen Zukunfts staates in dem Internationalismus und CollectivismuS bestehen werden, wobei sich die Urheber dieser Kundgebung auch weiter nickt geniren, in den Nahmen der Mittel, den sie sich behufs Erreichung des Endziels bedienen wollen, auch die Gewalt aufzunehmen — XU. wenn es ihnen erst gelungen sein wird, sich in den Besitz derselben zu setzen, was ebenfalls wieder durch eine gewaltsame Umwälzung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bewerkstelligt werden kann. Daß das Actionsprogramm der französischen Socialdemokratie sogar den Hauvtnachdruck auf die Anwendung von Gewalt legt, hat die Genesis und der Verlauf der jüngsten großen Arbeiterausstände in einer allen Zweifel beseitigenden Klar beit erkennen lassen. Die Kehrseite dieses socialdemokratischen Programms für die bevorstehenden Gemeinderathswahlen bildet logischerweise das vuo vietis. Denn wenn die Genossen alle politische Macht, alle Productions- und Tauschmittel communisiren wollen, so bleibt für die Nicht socialdemokraten, und das sind heutigen TageS einstweilen noch die meisten Franzosen, das gähnende Nichts an Stelle ihres jetzigen Besitzes übrig — eine Aussicht, welche für die gerade in Frankreich überaus zahlreiche Classe der Klein besitzer kaum etwas Verlockendes haben dürfte. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, daß die ungeschminkte Ankündigung der letzten Ziele deö Umsturzes doch manchen Wähler in letzter Stunde zur Besinnung bringen und ihm die Neigung, für einen socialdemokratischen Mandatswerber zu stimmen, benehmen dürste. Die Großjährigkeits-Feierlichkeiten in Lertin. (D Berlin, 4. Mai. Im tönizl. Schlosse wurde Kaiser Franz Josef von der Kaiserin empfangen und in die Wilhelm'sche Wohnung geleitet. Bald nachdem der Kaiser und die Kaiserin in ihre Gemächer zurückgekebrt waren, er schien Kaiser Franz Josef beim Kaiserpaar zum Gegenbesuch. Nachher hörte Kaiser Wilhelm den Vortrag deS Staats ministers Grafen v, Bülow und erledigte bis zur Familien- FrühstückStafel Rcgierunasangelegenbeiten. Nach der Tafel unternahmen beide Kaiser eine einstündige Ausfahrt. V Berlin, 4. Mai. Heule Abend um 7»,r Uhr fand in der Bilder-Galerie des königl. Schlosses beim Kaiserpaare ein Gal ad in er statt. Hierbei führte der Kaiser von Oesterreich die Kaiserin, der Kaiser die Groß herzogin von Baden. An dem Diner nahmen sämmtliche in Berlin zu den Feierlichkeiten anwesenden fürstlichen Per sonen und Würdenträger Theil. Während der Tafel brachte der Kaiser folgenden Trinkspruch aus: Es wird Mir schwer, Worte zu finden, um Euerer Majestät Meinen Tank und den Meines Volkes darzubringen für Euerer Majestät gnädige» erneuten Besuch. Aber wenn ich auch die schönsten Worte finden und zufammensilgen wollte, so wären sie doch nicht im Stande, die Gefühle wieder zu geben, die uns heute bewegen. Worte müssen verstumme», wo der Pulsschlag eines gesammten Volkes sich fühlbar macht. Dieser Puls- und Herzschlag hat heute Euerer Majestät entgegen geschlagen, wie wohl noch nie. Der jubelnde Empfang der Berliner am heutigen Tage gilt zu nächst Euerer Majestät erhabener Person, als dem großen und weisen Herrscher. Aber Mein Volk sieht auch in Euerer Majestät den treuen Freund und Bundesgenossen Meines seligen Herrn Großvaters, Meines Herrn Vaters und Meiner selbst. Und nun sind Euere Majestät erschienen, um der vierten Generation die unschätzbare Gabe Euerer Majestät Liebe und Freundschaft anzutragen, fürwahr das herrlichste Kleinod, welches heute unter alle» Geschenken Meinem Sohne mitgegeben werden kann. Zugleich aber haben Euere Majestät durch Ihren Besuch der Welt offenbart, wie fest und sicher der Bund besteht, den Euere Majestät dereinst mit Meinem seligen Herrn Großvater und dem Herrscher de« schönen südlichen Landes Italien abgeschlossen haben. Wahr lich, dieser Bund ist nicht nur eine Uebereinkunft der Ge danken der Fürsten, sondern je mehr und mehr er bestanden hat, hat er sich tief eingrlebt in die Ueberzeugung der Völker, und wenn erst die Herzen der Völker zusammenschlagen, dann kann sie nichts mehr auseinanderreiben. Gemeinsame Interessen, gemeinsame Gefühle, gemeinsam ge tragenes Freud und Leid verbinden unsere drei Völker heute über 20 Jahre, und obwohl oft verkannt und mit Hohn und Kritik übergossen, ist es den drei Völkern gelungen, bisher den Frieden zu bewahren und als ein Hort des Friedens in aller Welt angesehen zu werden. So beugt sich denn auch heute Mein Volk dem Weisen und Aeltesten dieses Bundes. Unsere Wünscht, die sich am heutigen Tage um Euere Majestät und Euerer Majestät erlauchtes HauS und Ihre Völker zusammenschaaren, gipfeln in noch einem anderen Punc:. Ich glaube kaum zu weit zu gehen, wenn Ich auSspreche, daß, soweit heute in deutschen Landen ein Baterherz schlägt, es Euerer Majestät in tiefer Bewegung dafür danken wird, daß Euere Majestät Meinem jungen Sohne Ihren Segen mit aus seinen Lebensweg geben wollen. Allen Gefühlen aber, die Mein Volk, Mein Hau« und Mich heute erfüllen, geben wir Ausdruck, indem wir rufen: Seine Majestät der Kaiser und König Franz Josef Hurrah! — Hurrah! — Hurrah! Der Kaiser Franz Josef erwiderte hierauf mit folgenden Worten: Von den herzlichen Worten Euerer Majestät innig bewegt, danke Ich aus vollem Herzen für den schönen Willkomm, den Euere Majestät Mir bereitet haben, und gedenke mit wärmster Erkenntlich keit des festlichen Empfanges seitens Euerer Majestät prächtiger H a u p t st a d t. Ich bin glücklich, daß eS Mir heute vergönnt ist, in Erfüllung eines lange gehegten Wunsches Euerer Majestät im Kreise der Ihre» die Hand zu drücke». Die unverbrüchliche Freundschaft, die UnS vereinig^ bildet auch ein kostbares Gut Unserer Reiche und Völker. Er weitert durch die treue Mithilfe Unseres verehrten Freun de« uud Verbündete» Sri»«« Mujestae de« Kövlo» von Italien bedeutet sie für Europa ein Bollwerk de« Friedens. Uni die Pfleg« dieses segensreichen Werkes, welches Ich mit Ihrem ruhmreichen Großvater zu begründen so glücklich war, haben Sich Euere Majestät als mannhafter Hüter eines für alle Theile gleich kostbare» Erbtheils unvergängliche Verdienste erworben. In der frohe» Zuversicht auf die Fortdauer Unserer Freundschaft erhebe Ich Mein Glas auf das Wohl Euerer Majestät, Ihrer Majestät dec Kaiserin und der königlichen Familie: Sie leben hoch! T Berlin, 4. Mai. Tic Illumination der ReichS- bauplstadt war überaus imposant. Weil der herrliche Früh- lingSabend ungewöhnlich hell war, rückte die Militärmusik de« gesammten GardecorpS, etwa 1700 Mann, etwa eine halbe Stunde später, als angesetzt war, die Linden entlang an I und posiirte sich vor dem Schlosse, auf dessen Balcon das iKaiferpaar und Franz Joseph erschienen, während die « übrigen Fürstlichkeiten von den Fenstern herniederblickten. Fritilletsn. rs Unter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Ziteimann. Nachdruck verbot«». Der Kaffee ward gebracht und mit Zucker und Sahne vor Mr. Salinas hingestellt. Er nahm die Dose, schüttete deren In halt auf das Tischtuch, und suchte, unter den Stücken umher wühlend, einige aus, die ihm bester als die anderen zu gefallen schienen. In Seelenruhe sah die Gattin dabei zu, während Harald das Blut in die Wangen stieg. Die Gesellschaft war ihm doch zu schlecht. Mit einer unsanften Bewegung erhob er sich, verbeugte sich in seiner überaus vornehm gemessenen Art, nahm seinen Hut vom Riegel und trat in die Nacht hinaus. Eine Stunde später traf er in einem Cafü der inneren Stadt den Hauslehrer wieder, der lächelnd auf ihn zukam und ihn an sprach: „Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen jetzt auch vorstelle, da sich unsere Wege wohl noch öfter kreuzen werden. Braun ist mein Name, Doctor Braun." „Don Sperber", erwiderte Harald, den Baron, von dem er in Deutschland selten Gebrauch machte, fortlaffend. Er war nicht recht einig mit sich, wie er diesem Hauslehrer begegnen sollte. Der Mensch war doch eigentlich sehr dreist! Aber er hatte ein ansprechendes, hübsches Gesicht, etwas Zuverlässiges in seinem Wesen — und es stimmte den Assessor milder, daß er wenigstens Doctor war. Künftiger Gymnasiallehrer vermuthlich. Die Leute waren ja sehr wichtig, gewiß, aber gesellschaftlich doch nicht gleichberechtigt, und er sah wirklich nicht ein, warum er sich über die Rangunterschiede Hinwegsetzen sollte, nur weil er im Aus lande war. Indessen wollte er nicht zu unhöflich sein, und lud den Doctor Braun mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. „Sie waren verletzt durch das Benehmen des Sennor Sa linas", begann der, eine Tigarette aus dem Etui nehmend, das er zuvor Harold geboten hatte. „Der Tabak ist gut, nicht wahr- Darauf verstehen sich die Herren Türken. Ja, Sie dürfen nicht den Maßstab Ihrer Gesellschaftskreise an Salinas legen!" fuhr er fort. „Der Mann hat ein tolles Abenteurerleben hinter sich, bat stch aus dem Nichts emporgearbeitet, ist «in ganzer Kerl, glauben Sie mir, trotz seiner Rowdymonieren. Umsonst ver dient man seine Millionen nicht. Und was das Beste an ihm ist: er weiß was ihm fehlt, hat Ehrfurcht vor der Bildung. Sehen Sie nur, welche Erziehung er seinen Kindern giebt! Da ist ihm keine Ausgabe zu groß. Sie sollen mehr, Besseres werden als er, das ist sein Traum." „Hm", erwiderte Harald, „die unverschämte Prahlerei dieses Zsankees ist widerwärtig." „Für mich nur ein wenig lächerlich", fiel Braun ein. „Er renommirt mit dem Erwerb seiner Millionen, weil er nichts Besseres hat, womit er renommiren könnte und doch fühlt, daß es solches in der Welt giebt. Harald schwieg überrascht durch das milde und doch freie Urtheil. „Sie scheinen ja eine sehr bevorzugte Stellung in der Familie einzunehmen", sagte er dann. „Allerdings, — fühle mich auch sehr wohl in derselben. Ich lerne Welt und Menschen kennen." „Egypten, — das ist jedenfalls ein Gewinn. Uebrigens machen ja Frau Salinas und die Kinder einen sehr günstigen Eindruck." „Sie ist eine vortreffliche Frau", rief der Andere, „und Miß Mary ahmt ihr nach." Harald hob lächelnd den Finger. „Nun, Herr Braun, wird das nicht gefährlich?" „Für wen? Für mich, oder für Miß Mary?" gab der ruhig zurück. „Für Sie Beide!" „Daß ich ein Thor wäre!" entgegnete Braun. „Und was Miß Mary anbetrifft — Sie kennen wohl die Amerikanerinnen nicht?" Am nächsten Vormittag machte Harald die übliche Rundfahrt durch Alexandria, von der er recht enttäuscht zurllckkehrte. Weder seine historischen Kenntnisse, noch sein Interesse reichten aus, ihm die große Vergangenheit der einstigen Weltstadt lebendig zu machen, Und gegenwärtig erschien ihm das ärmliche Nest nur für den Handel von Bedeutung. So fuhr er denn mit dem Nach- 'mittagszuge und nach Erlegung unzähliger „Bakschisch" an die Hotelbediensteten nach Kairo, wo er nach beinahe vierstündiger Reise Abends ankam und im „Hotel du Nil" Wohnung nahm. Als er am nächsten Morgen aus der Thür seines Zimmers trat, befand er sich auf einer Terrasse, von der er in einen herr lichen Garten hinabblickte. Eine schlanke Palme stieg kerzengrade hoch in die Lüfte empor, ihr grünes Gefieder der Sonne ent gegenstreckend, während unter niedrigen, Schatten spendenden Gebüschen große seltsame Wunderblumen, die er nie gesehen, blühten. Schlinggewächse mit üppigen, blaurothen Blüthen kletterten an den zierlichen Holzfäulen, welche die Terrasse trugen, hinauf und umkleideten die Mauern des Hauptgebäudes, das mit dem Gartenhause durch einen niedrigen Seitenflügel verbunden war. Droben vom Dache aber hob sich ein Aussichts thurm hoch in den tiefblauen Himmel hinein. Harald war es, als träume er noch. Der frischeste Frühlingsmorgen schien die Erde mit allem Zauber, der ihm zu Gebote stand, zu schmücken — und doch war's Mitte Januar, und daheim lag die Welt in Schnee begraben. Er stieg die Holztreppe in den Garten hinab, setzte sich in einen der bequemen Armstühle und erhob sich gleich wieder, um die nach dem Garten offenen eleganten Gesellschafts und Leseräumc zu betrachten, die den Seitenflügel des Hauses einnahmen. Hier war er wirklich im Orient! Niedrige Divans, grelle, bunt gestickte Vorhänge und Decken, echt türkische Teppiche auf Boden und Wänden, zierliche Holzarbeiten und Geräth- schaften empfingen ihn und entzückten sein für Luxus und Pracht empfängliches Gemüth. Und als er nun, nachdem er gefrühstückt, in die enge Gasse vor dem Hotel hinaustrat, in der die Esel treiber mit ihren Thieren bereitstanden, und Führer und Bettler ihn umdrängten, gerieth er wieder in jene Stimmung, die ihn gestern nach der Ankunft befallen. Er suchte ein paar englische Brocken zusammen, um in dieser Sprache mit dem Gesindel, das ihn höchlichst erheiterte, zu scherzen, und ging dann, alle Begleitung ablehnend, der nur wenige Schritte entfernten Muski zu, der Hauptgeschäftsstraße Kairos. Er wollte sich selbst nach dem Plane zurechtfinden. Doch fürs Erste kam er nicht weit, denn das unendlich bewegte Volksleben, das mit dem vorschreitenden Morgen von Minute zu Minute wachsende Gewühl, die wun dervolle Staffage von Moscheen, Minaretten, geschnitzten Erkern und Balconen fesselten ihn so sehr und boten seinen Augen eine solche Fülle immer wechselnder herrlicher Bilder, daß er sich nicht davon trennen konnte. Die langen Züge von be ladenen, würdevoll zwischen Wagen, Eseln und Menschen dahin schreitenden Kameelen, die bunten, prächtig ge kleideten, den Equipagen voraneilenden Sais, die Verkäufer mit ihren mannigfaltigen Maaren, die Wasserträger, die aus ihren Zirgenschläuchen flache Becher, füllten und den Vorübereilenden darreichten; die nach der Straße offenen Läden und Werkstätten, in denen man die fremdartigen bunten Gestalten sitzen, liegen, kauern und arbeiten sah, die Weiber mit den Kindern auf der Schulter, die in ihrer Vermummung Fledermäusen ähnlich waren, und die wie Schatten in dem lichten Gemälde wirkten — das war ja Alles so neu, so unendlich malerisch, interessant und schön, daß Zeit dazu gehörte, es zu betrachten. Endlich war Harald aber doch in die Rue neuve gelangt und trat nun, dem Menschenstrome folgend, in die enge Bazargasse ein, als er vor sich, wenige Schritte entfernt, die schöne Engländerin erblickte, auf dem Rücken eines Esels sich durch das Gewühl windend. Er folgte ihr, so schnell es die Menschenmassen erlaubten, und kam gerade recht, ihr aus dem Sattel zu helfen. Da er bemerkte, daß sie suchend nach einem Prellstein umschaute, hielt er die Hand hin, damit sie den Fuß darauf setze. Sie nahm ohne Weiteres seine Unterstützung an; er fühlte einen Augenblick den zierlichsten Stiefel in seiner Linken; gleich darauf aber drückte er mit der Rechten die Hand der jungen Dame, die diese ihm mit erfreutem Lächeln entgegenstreckte. „Das war aber liebenswürdig, mein Herr. Wollen Sie so gütig sein, auch meiner Freundin zu helfen?" rief sic. Nun erst bemerkte er die zweite Dame, die soeben herange ritten kam. Er überzeugte sich mit Vergnügen, daß auch sie ziemlich jung und hübsch sei, ein anmuthige kleine Person, gut gewachsen und gekleidet, der er sogleich ansah, daß sie das Reiten verstände und sich zum Husaren eignen würde. Indessen sprang sie leichtfüßig ab, kaum die Hand berührend, die er ihr bot, und rief: „Danke, Herr von Sperber!" „Aber, woher wissen Sie —" stammelte er überrascht. „O, die Welt ist rund!" antwortete sie lachend. „Daß Sie mich nicht erkennen, zeigt nur, wie — beschäftigt Sie damals waren." Ihre pointirte und absichtliche Redeweise berührte ihn un angenehm, und doch wehte es ihn daraus an wie heimathliche Luft — Berliner Luft, füglich konnte er ja Berlin auch seine Heimath nennen. „Ich muß Sie wirklich bitten, meine Gnädigste, mir zu er klären —" „Meine Freudin traf Sie in eine Gesellschaft bei den KriegSminister", mischte sich die Engländerin ein. „Aber wir versperren das Weg — Kuni, wollen Sie die ckcmke?« zahlen? Der Baron wird uns gewiß nach Hause begleiten." Er verbeugte sich zustimmend und schaute entzückt das schöne Menschenbild an, das sich so zutraulich, als sei er ein alter Be kannter, unter seinen Schutz stellte. Ihre blauen, sternklaren Augen suchten die seinen es wallte heiß in ihm empor. Nur mühsam fand er die Worte wieder. „Sie sprechen so gut deutsch'", sagte er, um nur etwas zu sagen, „das findet man selten bei Engländerinnen." „Das macht, weil ich eine Schwester an einen deutschen Offi-
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