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Woche«- und KachrichtMatt zugleich 8esWs-AiUM fir tzohMef, MSlitz, Lms-nf, Uskrs, 8t. Wien, Heinrichsort, Mariens« mt Rslsen. Amtsblatt für be» Stadttat r« Lichtenstein. —-——— ———— — 4V. Jahrgang. — ——— — —— Nr. 289. Sonnabend, den 13. Dezember 1890. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Gon«- «nd Festtag») abends für den folgende« Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis 1 Mark 25 Pf. — Einzelne Nummer 10 Pfennige. — Bestellungen nehme« außer der Expedition in Lichtenstein, Markt 17S, alle Kaiser!. Postaustalten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. — Inserate werden die viergespaltene Korpuszeile ober deren Raum mit 10 Pfennige« berechnet. — Annahme der Inserate täglich bis spätestens vormittag 10 Uhr. Bekanntmachung. Vom diesjährigen Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen sind das 12. Stück, und vom diesjährigen Reichs-Gesetzblatt die Nummern 31 bis mit 34 erschienen und für die nächsten 14 Tage zu jeder manns Einsicht in hiesiger Polizeiexpedition ausgelegt worden. Dieselben enthalten : ». Gesetz- und Verordnungsblatt. Nr. 68. Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 29. Juli 1890, betreffend die Gewerbegerichte vom 25. Oktober 1890. Nr. 69. Verordnung, die Enteignung von Grundeigentum eines Ladegleises nebst Ladestraße auf dem Bahnhofe Schönheide der Chemnitz-Adorfer Bahn betreffend vom 1. November 1890. Nr. 70. Verordnung, die Abtretung von Grundeigentum zur Erbauung einer schmalspurigen Eisenbahn von Wolkenstein durch das Preßnitzthal nach Jöhstadt, sowie der erforderlichen Anschlußgleise betreffend vom 5. No vember 1890. . Nr. 71. Bekanntmachung, die Eröffnung des Betriebes auf der schmalspurigen Sekundäreisenbahn Mügeln bei Pirna-Geffing-Altenberg betreffend vom 12. November 1890. Nr. 72. Bekanntmachung, die Eröffnung des Betriebes auf der schmalspurigen Privateisenbahn Zittau-Oybin mit der Zweiglinie Bertsdorf-Jonsdorf betreffend vom 15. November 1890. Nr. 73. Gesetz, die Beglaubigung von Privaturkunden betreffend vom 4. No vember 1890. Nr. 74. Verordnung zu Ausführung des Gesetzes, die Beglaubigung von Prioaturkunden betreffend vom 5. November 1890. Nr. 75. Kosteugesetz vom 5. November 1890. Nr. 76. Verordnung, das Inkrafttreten des Kostengesetzes vom 6. November 1890 betreffend vom 7. November 1890. Nr. 77. Verordnung, die Ausstellung von Urkunden über Einträge im Grund- und Hypothekenbuch betreffend vom 8. November 1890. Nr. 78. Gesetz, die Zustellung und Bestellung von Schriftstücken in Ange legenheiten der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit betreffend vom 10. No vember 1890. Nr. 79. Verordnung, die Bestellung nicht zuzustellender Schriftstücke betreffend vom 11. November 1890. Nr. 80. Bekanntmachung, die Eröffnung des Betriebes auf der normalspurigen Sekundäreisenbahn Bautzen-Königswarthe betreffend vom 27. Novem ber 1890. Nr. 81. Verordnung, die Abtretung von Grundeigentum zum Umbau der Dresdner Bahnhöfe und der Ausführung der damit zusammenhängenden neuen Bahn- und sonstigen Anlagen betreffend vom 22. Novbr. 1890. t». Reichs-Gesetzblatt. Nr. 1920. Verordnung, betreffend die Konsulargerichtsbarkeit in Samoa vom 29. Oktober 1890. Nr. 1921. Verordnung über die Inkraftsetzung des Gesetzes, die Jnvaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1890 und 25. November 1890. Nr. 1922. Verordnung, betreffend das Verfahren vor die auf Grund des Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten vom I. Dezember 1890. Nr. 1923. Verordnung, betreffend die Aufhebung des Verbots der Einfuhr von Schweinen, Schweinefleisch und Würsten dänische«, schwedischen oder norwegischen Ursprungs vom 5. Dezember 1890. Lichtenstein, am 11. Dezember 1890. Der Nat zu Lichtenstein. Fröhlich. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 11. Dezbr. 1fl4 Uhr. Am Bundesratstische: von Caprivi, von Bötticher, von Maltzahn. Die erste Etatsberatung wird fortgesetzt. Abg. Bebel (Soz.): Die Art, in welcher die Herren rechts sich gegen die Beseitigung der Lebens mittelsteuern wenden, läßt erkennen, daß auch sie merken, wie es mit ihrer Herrlichkeit zu Ende geht. Und das ist gut. Die Thatsache, daß die ländlichen Arbeiter in Schaaren nach den Städten eilen, beweist die Unrichtigkeit der Behauptung, daß die ländlichen Arbeiter und die kleinen Besitzer Nutzen von den Schutzzöllen haben. Aus dem platten Lande liegen die Verhältnisse so mißlich, daß stellenweise sogar ein Rückgang der Bevölkerung stattfindet und man es nun mit allen möglichen Mitteln versucht, die sogenannte Sachsengängerei zu bekämpfen. Die ländlichen Ar- beiterverhällnisse liegen in verschiedenen Bezirken geradezu elend. Die Gutsbesitzer geben oft für ihre Schweineställe mehr Geld aus, als für Arbeiter wohnungen. Bezahlen Sie die Leute ordentlich und behandeln Sie sie ordentlich, dann werden sie schon zu Hause bleiben. Freilich ist uns wohlbekannt, daß es nicht so leicht ist, eine sozialistische Agitation unter den ländlichen Arbeitern einzuleitcn; allein wir sammeln schon fleißig Material und Sie werden ja sehen, was wir ausrichten. Es wird uns immer zum Vorwurf gemacht, wir wollen die Religion beseitigen. Die Re ligion ist Privatsache, die Sittlichkeit ist die Hauptsache. Sie wissen ja ebenso gut, wie ich, daß auch in Kreisen, welche als streng religiös gelten, oft genug grobe Unsittlichkeiten Vorkommen. Schaffen Sie nur dort Besserung. Wir halten auf Sittlichkeit, dagegen ist z. B. bei dem weiblichen Teile der ländlichen Be völkerung in hohem Maße die Unsittlichkeit eingerissen infolge des Verhaltens der Gutsbesitzer, ihrer Beamten und der Offiziere während der Manöver. (Große Unruhe!) Ich kann nur wiederholen. Bevor Sie uns bessern wollen, denken Sie nur an sich selbst. Der Vorteil aus den Getreidezöllen, der Zucker- und der Branntweinsteuer kommt einigen wenigen Groß grundbesitzern zu Gute, in deren Besitz immer mehr und mehr kleine Grundstücke übergehen. Die indirektenSteuern werden hauptsächlich von Arbeitern aufgebracht, sie drücken schwer und haben allgemeinen Unwillen erregt. Darum müssen sie fort. Da» wissen wir auch, daß kein Staat ohne Steuern bestehen kann, aber diejenigen sollen am meisten steuern, die dem Staate den größ ten Schutz verdanken, die Besitzenden. Heute ist das nicht der Fall. Die Hoffnung auf eine Spaltung der Sozialdemokratie ist ebenso vergeblich, wie die Hoff nung auf ein gewaltsames Eingreifen unsererseits. Auch irren Sie sich, wenn Sie hoffen, daß Sie mit ihrer Armee sich auf die Dauer eine Schutzwehr gegen die Sozialdemokratie schaffen. Unsere Ideen werden in demselben Maße sich verbreiten, wie die gegen wärtige Wirtschaftspolitik sich entwickelt. Diese Ent wickelung giebt uns ohne alle Gewalt die heutige Ge sellschaft in die Hände. Abg. Windthorst (Ctr.): Man hat mir gestern wegen meiner Begünstigung der Kolonialpolitik Vor würfe gemacht. Ich bleibe aber doch bei meiner An sicht stehen. Das Deutsche Reich hat auch Pflichten in Afrika und es kann sich den Kulturaufgaben nicht ohne weiteres entziehen. Auch an meiner Gesinnung bezüglich der Alters- und Invalidenversicherung Hal sich nichts geändert. Die Vorteile, welche sie den Arbeitern bietet, sind nicht gering, und man wird sie auch später noch anerkennen. Die Mängel, weiche heute im sozialen Leben zu Tage treten, liegen nicht in unserer Gesellschaftsordnung, wie die Sozialdemo kratie behauptet, sondern nur in dem Mißbrauch ge sellschaftlicher Vorrechte durch Einzelne. Dem wollen wir eben durch die Sozialgesetzgebung steuern. Wir bieten den Arbeitern Positives, was bietet aber die Sozialdemokratie? Phrasen! Warum legt denn Herr Bebel keine neue Gesellschaftsordnung vor, damit Jeder sehen kann, was geschehen soll? Das Auftreten gegen die Religion verstehe ich nicht; sieht denn Herr Bebel nicht ein, daß ein Mensch, welcher nicht an Gott glaubt, zum Tier herabsinkt? Kennt denn Herr Bebel die Rohheit der Mafien nicht? Ich achte oie großen Fähigkeiten des Vorredners und bedaure sehr, daß er sich nicht auf dem Boden drs bestehenden Staatsrechts bewegen will. Er würde bei seinem Talent dann wirklich viel für die Arbeiter erreichen können. Bei der Bekämpfung der Soziale nwk atie müssen Kirche und Staat Zusammenwirken. De: Staat soll nur nicht glauben, daß er mit der Sozialdemokratie allein fertig wird, er darf namentlich keine Schulgesetze machen, wie jetzt in Preußen, welche nur die Sozial demokratie befördern würden. Sehr erfreulich war es für mich, ^u hören, daß Herr Bebel nur auf friedlichem Wege vorzugehen beabsichtigt. Aber kann er auch für seine Anhänger bürgen? Wir werden darum doch wohl einstweilen die Armee aufrecht erhalten und festigen müssen gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie. Wenn Herr Bebel ein Heilmittel gegen alle Schäden weiß, gut, so mag er es vorlegen. Ich möchte wohl sein Staatsrecht und sein Steuersystem kennen lernen. Aber heute können wir unsere Zölle noch nicht ent behren. Ich behaupte ja nicht, daß sie die Lebens mittel nicht verteuern, aber die Landwirtschaft hat sich dabei erholt, und das ist den ländlichen Ar beitern auch in reichem Maße zu Gute gekommen. Das werden die Sozialdemokraten auch bald er fahren, wenn sie nur erst mit den kleinen Leuten auf dem Lande reden. Bisher haben sie Alles nur vom Hörensagen. Daß noch manche Mißstände herrschen mögen, kann sein. Wir arbeiten ja eben an der Besserung. Abg. vr. Bamberger (freis.): Ich möchte noch einige Worte zu den Handelsvertragsverhand lungen mit Oesterreich-Ungarn bemerken. Ein deutsch-österreichischer Handelsvertrag, der Differen tialzölle einführte, würde von meiner Partei unbe dingt abgelehnt werden. Es muß ein Vertrag zu Stande kommen, wie wir in den 60er Jahren ihn öfter geschlossen haben, in welchem der Tarif ge bunden wird. Denn wichtiger, als die Höhe der Zölle ist deren Festlegung. Wie weit wir mit der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik gekommen sind, be weisen die Vorstellungen der bayerischen Regierung gegen die Viehsperre. So kann es nicht weiter gehen. Gestern ist von Herrn Frege auch wieder der Wunsch nach Einführung der Doppelwährung ausgesprochen. Herr Frege mag sich doch fragen, wer wohl noch auf deutsche Anleihen zeichnen würde, wenn er nicht die Sicherheit hätte, Zinsen und Kapital in Gold zu erhalten. Das würden recht Wenige sein. Die Stellung des Abg. Windthorst gegenüber der Kolonialpolitik hat sich völlig geändert. Er ist aus einem Saulus ein Paulus geworden. Heute gehört er zu den stärksten Kolonialschwärmern und hofft sogar auf Kolonialniederlassungen in Südwestafrika. Vielleicht verlangt Herr Windthorst auch eine Eisenbahn von der afrikanischen Ostküste nach dem Kilidmandscharo. Er würde ja die Mehr heit für sich haben, und ich bin überzeugt, die erste Lokomotive, die ins Innere Afrika's fährt, würde Windthorst heißen. (Große Heiterkeit.)