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SECHSTES ABONNEMENT- KONZERT IM SAALE DES GEWANDHAUSES ZU LEIPZIG DONNERSTAG, DEN 16. NOVEMBER 1905. Dirigent: Professor Arthur Nikisch. ERSTER TEIL. Ouvertüre zu »Euryanthe« von C. M. von Weber. Ariadne auf Naxos. Kantate von J. Haydn (instrumentiert von Ernst Frank), gesungen von Fräulein Johanna Kiss aus Frankfurt a. M. Theseus, mein Leben! du nicht hier? Wo floh’st du hin? Du ruhtest so süß an meiner Seite — Nein, mit falschem Schmeicheln hat nur ein Traumbild mich getäuscht. Dort im Rosenlichte naht Aurora! Das Mee~ verkündigt hoch erglühend die Ankunft des lichtbekränzten Gottes. Theseus, mein Gatte, ach du erscheinst noch nicht? Hat das Gebrüll der Löwen dieser Wälder dich zum Kampfe entflammt ? O komm, o kehre zurück! Nimmer vergilt die reichste Beute dies mein Zagen! An dem Herzen deiner Gattin, in den Armen der Treuen kühle dein wildes Heldenfeuer! Hier vergiß, daß die Erde noch Ungeheuer trägt. Nicht länger tragen kann mein zaghaft Herz die öde Stille. Schrecklicher Ahnung Flüstern hör’ ich aus den Klüften ertönen — deine Gattin erbebt, Teurer, komm, sieh meine Tränen! Teurer Gatte, ach erscheine, Bringe Ruhe in dies Herz! Sieh’, wie einsam ich hier weine, Komm und lind’re meinen Schmerz! Schaut herab, ihr guten Götter, Blickt voll Mitleid auf mich nieder, Ihr ja gabt mir Dies schwache Herz! Ach, wo weilst du? Theseus! Doch zu wem red’ ich? Meine Klagen gibt Echo nur zurück! Er bleibt entfernt, Theseus gibt mir keine Antwort; kein Lüftchen trägt zu ihm mein Seufzen, mein Rufen! Dort am Gestade hebt sich die Klippe gen Himmel! Auf ihrer Spitze entdeck’ ich ihn, wenn ihn die Täler bergen. Wohl, ich erklimme sie! — Ihr Götter! Ist’s möglich? Was muß ich sehn! Das ist das Schiff der Griechen — Ha, wie sie eilen! Theseus! — Er unter ihnen! Nein, es kann nicht sein! Und doch, er ist es! — er fliehet! — er kann mich hier verschmachten lassen! Keine Hoffnung für mich — ich bin verloren! Theseus! Ach höre mich! Ach, alles vergebens! — die Fluten, die Winde entreißen ihn auf ewig meinen Blicken! Daß mit gerechter Rache dir alle Götter folgten. Undankbarer! Mein Leben wagt’ ich, dich zu retten — Und du kannst mich verlassen! Und dein Versprechen, deine heil’gen Eide, wo sind sie? Verräter! Kannst du sie vergessen? Wohin mich wenden? Wo Mitleid finden, da Theseus mich verläßt? Mein Blut erstarret, mein Fuß, er wanket, Nacht verhüllt mein brechend Auge; dunkel wird die Nacht — bald ist’s vorüber! Die geehrten Konzertbesucher werden dringend ersucht, sofort nach dem ersten Glockenzeichen ihre Plätze einzunehmen, da unmittelbar nach dem zweiten Glockenzeichen die Türen geschlossen werden.