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s-Rr. 30. — In« ISS«. — Verlag von Alexanüer Wiede. Lhenmtttz ., «etblatt zu: General-Arrzetger, Chemnitz, und zu: Sächsrsester Landbote. Kettenlast und Dornenpfad Folgt als Strafe böicr That. Schamund Reue,GramundNoth Folgt derSchnld bis i» den Tod. Weife wägend soll allzeit Walten die Gerechtigkeit- Unschuld, die sich selbst vertraut, > Frieden, Ordnung, Schutz Hat auf festen Grund gebaut. ! Giebt uns des Gesetze- Wort- Der verhängnitzvolle Zopf. Eine dumpfe, gewitterschwüle Atmosphäre lagerte über dem ehelichen Schlafgemache, in dem Herr Hausbesitzer Gotthard N. in D. sich noch, von unruhigen Träumen gequält, auf seinem weichen Pfühl hin und her wälzte, während seine liebende Gattin Wilhelmine — gewöhnlich Minchen genannt — bereits den Federn entstiegen war und unfrisirt, blos mit Nachtjacke, Ueberrock und Segeltuchlatschcn bekleidet, nervös im Nebenzimmer heruinrnmorte. Das Ungeheuer von Mann war gestern Abend oder vielmehr heut früh wieder einmal erst um drei Uhr nach Hause gekommen, drum mcmorirte die schwer gekränkte Hausfrau eben die Gardinenpredigt, mit der sie ihm beim Erwachen in's Gewissen reden wollte, denn als er sich beim Morgendämmern in's Bett geworfen, da hatte ec nicht mehr die Fähigkeit gehabt, auf ein vernünftiges Wort zu hören, sondern war schwer wie ein Mehlsack in's Bette gesunken und halte gleich angesangen, neroenerschütternd zu schnarchen. Während sie jetzt seine unordentlich ab- geworfencn Kleider über einen Stuhl legte, um sic dem Hausmädchen zum Reinigen hinauszugeben, machte sie mit ingrimmigem Kopfschütleln die Bemerkung, daß er wieder stark im Zickzack die Stiege heraufgcwankt sein müsse, da er mit seinem Rocke den halben Putz des Treppenhauses abgescheuert habe. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Wie sie die Taschen auslecrtc, stieß ihre Hand in der Hinteren Tasche des Gehrocks auf einen weichen schmiegsamen Gegenstand, der sich kühl und fettig anfühlte. Sie zog daran und förderte einen schönen blonden Damenzopf zu Tage, ein wahres Prachtstück, das wohl seine fünfzehn Mark gekostet haben konnte. Ein Schrei der Entrüstung entfloh ihrem Munde, und wüthend schleuderte sw das Ding auf den Tisch- Also so weit war es schon mit ihm gekommen! Ein Mann von fünfzig Jahren, der längst Großvater sein könnte, wenn Lieschen, ihr einziges Töchterchen nicht so wählerisch wäre. Nein, das war zu arg. das forderte eine exemplarische Bestrafung. Sie »ahm sich vor, ihn für's erste mit stummer Verachtung zu strafen und nicht einmal der üblichen Gardinenpredigt zu würdigen, bis sie >en Zusammenhang des sauberen Geheimnisses erkundet haben würde. Dann aber sollte er nichts zu lachen haben. Gegen elf Uhr fand der Sünder, nachdem er sich zuvor eine geschlagene halbe Stunde lang gähnend gereckt und gestreckt hatte, endlich den Weg aus dem Bette. Er sah zwar sehr übernächtig aus, und der Katzen jammer schaute ihm mit seinem ganzen Elend aus den trüben Augen, aber er nahm sich zusammen und begab sich festen Schrittes in's Speisezimmer, um das Frühstück, vor dem ihm eigentlich graute, wenigstens zu markiren. Bon seiner liebenden Gattin war keine Spur zu sehen, was ihn sehr in Erstaunen versetzt hätte, wenn er überhaupt im Stande gewesen wäre, einen Gedanken zu fassen. Auf dem Frühstückstisch» der nur für ihn noch gedeckt geblieben war» fand er neben seiner Tasse, zu einem schönen Bogen gerundet, einen Zopf liegen. Darob erfaßte ihn ein solcher Ekel, daß er sofort zu würgen begann, und wüthend stampfte er mit dem Fuße auf den Boden, denn er meinte nicht anders, als daß seine Frau ihn in ihrer Vergeßlichkeit auf diesem unpassenden Platze dcponirt habe, wobei er in seinem Jammer ganz übersah, daß Minchen braunes Haar hatte, während dieser Zopf im lichtesten Goldblond erglänzte. Zornmuthig erfaßte er das Ding am dünnen Ende und schlug damit auf den Tisch, daß das Geschirr erbebte; ein zweiter Hieb zertrümmerte die Kaffeetasse, und ein dritter traf patschend in die Butterbüchse, daß die aufdröjelnden Haare mit gelber Butler sich verkleisterten. Das war ihm schon recht, man sollte sehen, daß augenblicklich mit ihm gar nicht zu spaßen war. Dann wurde es ihm aber doch langweilig, den Zopf als Peitsche zu benutzen und damit aus leblose , empörend geduldige Gegenstände loszuschlagen. Er warf ihn aus die Erde, versetzte ihm in keinem Mißmulh noch eine» verächtlichen Tritt und begab sich dann in sein sogenanntes „Arbeitszimmer," wo er sich stöhnend auf's Sopha warf und über diq Un zugänglichkeit und Eitelkeit alles Irdischen nachzugrübeln begann. Um zwölf Uhr etwa klingelte cs draußen. Herr N. drehte sich aus seinem Schmerzenslager unwirsch um und dachte: „Hol' der Teufet alle Besuche, ich bin auf keinen Fall zu Hause." Seine Bcsorgniß schien jedoch grund los zu sein, es pochte für's Erste Niemand an seine Thür. Dennoch galt der Besuch ihm. Sein alter Freund, der Rentier Z., staub draußen im «Entree und unterhielt sich eben angelegentlich mit seiner Frau, die ihm eigenhändig die Thür geöffnet hatte. Minchen war Herrn Z. mit unverhohlenem Mißtrauen entgegengetreten und hatte ihn argwöhnisch vom Kopf bis zur Zehe an geschaut. Die Männer sind ja alle so spott schlecht, also war anzunehmen, daß dieser gestern auch a» dem schmählichen Exzeß be theiligt gewesen, als der ihrige so grob über die Stränge schlug. Aber Z. machte ein so treuherziges Gefich, und hielt ihren forschenden Blick so sicher aus, daß sie vorläufig ihre Vermuthung zurück drängte und ihn freundlich und möglichst un befangen begrüßte. Als aber die gewöhnlichen Höflichkeits- Phrasen ausgetauscht waren, drängte eS sie doch, ihm ein bischen auf den Zahn zu fühlen Wenn er auch selbst nicht dabei gewesen sein mochte, so wußte er doch vielleicht, in welche Spelunken des Lasters ihr pflichtvergessener Mann sich verirrt hatte. „Denkcn Sie nur, Herr Z." — Hub sie deshalb möglichst unbefangen an, — „mein Mann hat gestern Abend einen Zopf mit heimgebracht." „Ha ha ha! verehrte Frau, das haben wir gestern Alle; es war wieder mal ein sehr fideler Abend." „Ach, machen Sie doch keine Witze, so meine ich's ja nicht. Wenn sich's um einen solchen Zopf handelt, da mache ich leide» Gottes längst kein Aufhebens mehr. Nein, einen wirklichen falschen Zopf, wie man ihn beim Friseur kauft, hat er in seiner Rocktasche gehabt. Wer iveiß, mit welchem schlechte« Frauenzimmer er sich so intim bespaßt hat." „Ei, was Sie sagen, verehrte Frau." Herr Z. war ganz bedenklich geworden. Ihm ahnte, daß N., der am Stammtisch immer den Duckmäuser spielen wollte, wenn die Rede auf die Frauenzimmer kam, am Ende in aller Heimlichkeit einen rechten Schwerenöterstreich ausgeführt haben könnte. Das gäbe die schönste Gelegenheit, ihn ei« bischen zu foppen. Der redliche Freund heuchelt« daher derrunglücklichen Frau Theil- nahmc, stellle sich sehr entrüstet ob der ver schwiegenen Sünden seines allen Stammtisch genossen und bat sich den Zopf aus, nach dessen Besitzerin er in aller Stille zu forschen sich erboi, um die arme betrogene Fra« R. in Stand zu setzen, gegen das Frauenzimmer geeignete Maßregeln zu «greifen.