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WmM für Wilsdruff Tharandt, Mn, Menlthn nnd die Umgegenden. —— Imlsbltül für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. 2üntsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Lorstrentamt zu Tharandt. Erscheint. Wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich t Mk. 30 Pf., durch dw Post bezogen 1 Mk. 55 Pfg. — Einzelne Nummern 10 Pfg. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags vis spätestens Mittag 12 Uhr angenommen. — I n se r t i o n s pr e i s 10 Pfg. pro dreigespaltcne Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 93. Sonnabend, den 3. November 1894. Bekanntmachung eingegangener Gesetze im Monat Oktober 1894. ReichsgesetzblaU. Nr. 40. (2199) Beiordnung, betreffend die Einberufung des Reichstags. S. 525. Dieser Eingang liegt 14 Tage lang zu Jedermanns Einsicht hier aus. Wilsdruff, am 1. November 1894. Der Stadt rath. Licker, Brgmstr. genwärtig im 75. Lebensjahre, trotz dieses hohen Alters hat huldigte Hohenlohe bislang einem maßvollen liberalen, weshalb ihm unsere Mittelparteien mit ganz besonderem Vertrauen ent gegenkommen. Daß Fürst Hohenlohe Bayer und Katholik ist, dürste ihm in seiner jetzigen Laufbahn wohl nur zu statten kommen. Er ist am 31. März 1819 geboren, steht also ge Herrscher mit der Politik ihres Vorgängers an der Krone brechen. Zuweilen geschickt das ja auch, aber doch mehr in inneren Fragen; nach außen hin, wo Krieg und Frieden auf dem Spiele steht, verfährt selbst der leidenschaftliche junge Thronerbe mit „ einer gewissen Vorsicht. Er kann ja allerdings auch hier die sich der Fürst aber eine bewunderungswerthe geistige und kör- Politik seines Landes auf falsche Bahnen leiten, aberden Schaden davon hat dann das eigene Land zu tragen, nicht das Ausland und bis zur Provozirung eines Krieges gelangt eine derartige Politik in heutiger Zeit nur schwer. Im vorliegenden Falle halten wir das für ganz besonders unwahrjcheinlich. Als der jetzt dahingeschiedene Zar Thronfolger war, galt er in weiten Kreisen für einen Deutschenhasser, der sofort zum Kriege drängen würde, sobald er zur Regierung gelange. Trotzdem war die Annahme falsch. Bei dem künftigen Zaren ist von Deutschen haß weit weniger die Rede; weshalb sollte man von ihm be fürchten müssen, was sein Vater nicht gethan hat, weil alle Interessen Rußlands es widerrathen. Es ist demnach nur die innere Politik Rußlands, für die bei dem Thronwechsel ein großer Umschwung in Aussicht steht, der, wenn der neue Zar die Kraft hat, ihn durchruführen, zum Wohle des großen Reiches und zur Beschwichtigung der unzufriedenen Elemente führen wird. Zar Alexander m Vor wenigen Tagen noch lauteten die Nachrichten aus Livadia so hoffnungsvoll, daß man die gefürchtete Katastrophe auf lange Zeit hinausgerückt glauben, ja sogar eine allmähliche Genesung des hohen Patienten in den Bereich der Wahrschein lichkeit ziehen durfte. Schon sprach man von einer persönlichen Betheiligung des Zaren an der für den 9. November in Aus sicht genommenen Feier der Vermählung des Thronfolgers, da trafen am Montag völlig unerwartet Nachrichten ein von einer wesentlichen Verschlechterung in dem Befinden des hohen Pa tienten und nun meldet der Telegraph, daß der Herrscher aller Reußen Kaiser Alexander m am Donnerstag, den ff« November, nachmittag Z'^UYrseimn Leiden erlegen ist. Mit lebhaftem Mitgefühl wird diese Kunde in ganz Eu ropa ausgenommen werden, denn ein an inneren Stürmen reiches, fast freudloses Leben ist hier zu Ende gegangen, ein edleS Herz hat zu schlagen aufgehört, das unter den uner quicklichsten Verhältnissen leiden mußte, unter Verhältnissen, die kein Herrscher aus der Welt schaffen konnte, well sie aus dem Werdegang des Volkes resultirten. Die Sorgen und Beängstigungen dieses Monarchen gingen weit über die Kräfte eines Menschen. Seitdem er durch den entsetzlichen Tod seines Vaters Herrscher aller Reußen wurde, bat er vielleicht keine Stunde dem sicheren Behagen sich hingeben dürfen, dessen sich der letzte seiner Unterthanen erfreute; kein Wunder, wenn die fortgesetzte Gemüthserschütterung schließtich auch die Kraft einer so starken Natur vernichtete. Nun ist er „der Sorgen los, der Furcht und jedes ängstlichen Gefühls." Am Todtenbette versammelt sich die kaiserliche Familie, versammeln sich die Brüder und Kinder und zum Großfürsten - Thronfolger gesellt sich die Prinzessin Alix von Hessen, seine Braut, die in wahrlich schwerer Stunde berufen ist, den schwersten Schritt ihres Lebens zu thun. Mag er ibr, ihrem einstigen und ihrem jetzigen Vaterlande zum Segen gereichen! — In schwerer Stunde hat Kaiser Alexander mit diesem Leben abge schlossen und die Zügel sind ihm entglitten, gerade zu einem Zeitpunkte, in dem es mehr als je noth zu thun schien, sie sicheren Griffes festzuhalten. Nicht minder groß als die ungeheuchelte menschliche Theil- nahme, welche dem Trauerfalle allenthalben entgegengebracht werden dürfte, ist ohne Zweifel das politische Interesse, das sich an den Tod des Zaren knüft. Kaiser Alexander war vor allen! Russe mit dem Molto: Rußland für die Russen; er stand per sönlich allen Aspirationen, die man der Politik Rußlands in Europa zuschrieb, kühl gegenüber. Allerdings war er zu sehr Realpolitiker, als daß er das französische Entgegenkommen unter dem Drucke, der Rußland durch den Dreibund auferlegt ist, nicht „zur Herstellung des europäischen Gleichgewichts" acceptirt baden sollte. Aber darin lag umsoweniger ein deutsch- und friedensfeindliche Tendenz, als man in Berlin die Aufgabe, sich mit Rußland gleich gut zu stellen wie mit Oesterreich und da durch eine zweite Sehne auf dem Bogen zu haben, als „zu komplizirt" abgelehnt hatte. Wir sind überzeugt, daß selbst bei kühlster Temperatur der persönlichen Beziehungen des Zaren zum Kaiser Wilhelm II. und bei mancher Antipathie der beiden so verschiedenen Naturen der Zar sich niemals, weder von Frank reich, noch von der national-russischen Propaganda, auf einen Weg hätteDdrängen lassen der einen Krieg mit Deutschland zu führen drohte. Welche Veränderungen das Hinscheiden des Zaren zur Folge haben wird, ist schwer vorauszusagen. Zu ernstlichen Besorgnissen scheint uns indeß vorläufig kein Anlaß vorhanden zu sein. Wir haben kürzlich eine Schilderung des Großfürsten-Thronfolgers von unterrichteter Seite mitgetheilt; aus ihr ist in keiner Weise ein Motiv zu Befürchtungen speziell lür Deutschland zu entnehmen. Es ist das Schicksal aller Kronprinzen, daß von ihnen geglaubt wird, sie würden als Tagesgeschichte. Die so plötzlich heremgebrochene schwere Crists in den obersten Beamtenposten des Reiches nnd Preußens hat ebenso rasch wieder ihre Lösung gefunden. Wie der „Reichö- und Staatsanzeiger" in seiner Montagsnumwer hochamtlich mittheilt, ist der bisherige Statthalter von Elsaß-Lothringen, Fürst Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst zum Reichskanzler, preußischen Ministerpräsidenten und Mi nister des Auswärtigen, der seitherige Unterstaatösekretär in El- saß-Lothnngen, o. Köller, zum preußischen Minister des Innern ernannt worden, welche Ernennungen allerdings nicht mehr überraschend kommen. Zugleich theilt das offizielle Blatt die Enthebung der Grafen Caprivi und Eulenburg von ihren Aemtern und die beiden Herren hierbei gewordenen Or densauszeichnungen mit, dem Grafen Eulenburg ist das Kreuz und der Stern der Großcomthure des Hausordens von Hohen- zollern, dem Grafen Caprivi aber der Schwarze Adlerorden mit Brillanten verliehen worden. Allseitig giebt sich in der öffentlichen Meinung Deutschlands Genugthuung über diesen Ausgang der Crists kund. Dies zunächst schon deshalb, weil der unglückselige Dualismus in der Regierung Preußens und des Reiches, mit welchem so schlimme Erfahrungen gemacht worden sind, wieder beseitigt ist, hoffentlich für immer. Dann aber bekundet sich fast überall auch Zufriedenheit mit der vom Kaiser getroffenen Wahl des neuen leitenden Staatsmannes des Reichs und Preußens, denn Fürst Hohenlohe erscheint wie kaum ein zweiter unter den deutschen Staatsmännern der Gegenwart abgesehen selbstverständlich vom Fürsten Bismarck geeignet zur ersprießlichen Leitung der Reichögeschäfte und der preußischen Angelegenheiten. Er besitzt eine reiche parlamen tarische Erfahrung infolge seiner längeren Mitgliedschaft im bayerischen ReichSrathe und im deutschen Reichstage, er kann aber auch auf große Erfolge in einer ganzen Reihe hervor ragender diplomatischer und staatsmännischer Stellungen blicken. 1849 war Fürst Hohenlohe Reichsgesanbter in London und 1866—1870 leitete er als Präsident baö bayrische Ministerium, in dieser Stellung mit aller Kraft für den deutschen Einheits gedanken wirkend. Dem Zollparlamente und dem Reichstage gehörte er als erster Vizepräsident an, 1874—1885 war er der Nachfolger des Grafen v. Arnim auf dem Pariser Bot schafterposten, dazwischen verwaltete Fürst Hohenlohe in Ver tretung des erkrankten Fürsten Bismarck einige Zeit das Staats sekretanat deo Auswärtigen und die allgemeinen Geschäfte des Reichskanzler und von 1885 bis jetzt bekleidete er den Statt halterposten von Elsaß-Lothringen. In allen diesen ver schiedenen Stellungen hat Fürst Hohenlohe stets Hervorragendes und Ersprießliches geleistet, sich hierbei durch unbeugsame Energie zur rechten Zeit, durch gewandten politischen Tact und echt staatsmännischen Blick immerdar auszeichnend. Politisch perliche Frische und Rüstigkeit bewahrt, welche die hie und da gegen ihn wegen seiner vorgerückten Lebensjahre laut gewordenen Bedenken als hinfällig erscheinen lassen. Jedenfalls darf man vertrauen, daß Fürst Hohenlohe die deutsche Gesammtpolitik mit Festigkeit, Zielbewußtheit und weitschauendem Blick leiten und daß er speziell an die Lösung der seiner harrenden man- nichfachen schwierigen Aufgaben auf dem Gebiete der inneren Politik mit Entschlossenheit und Geschick Herangehen wird. Man darf gespannt sein, wie sich die Situation im Reichstag jetzt gestalten wird, nachdem das neue Moment der Reorganisation der Regierung aufgetreten ist. Wir fürchten, die Schwierigkeiten, mit diesem Reichstag zu einer Verständigung zu gelangen, sind nicht geringer geworden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Freisinnigen und insbesondere das Centrum eher geneigt waren, den Grafen Caprivi möglichst zu unterstützen, um ihn in seiner Stellung zu befestigen. Auf die Freisinnigen kommt es nun freilich wenig an; sie sind zu schwach, um erheblich inS Gewicht zu fallen, und haben schließlich trotz aller gegenseitigen Sym pathieversicherungen auch gegen den Grafen Caprivi bei den wichtigsten Anlässen gestimmt. Auf das Centrum oder einen Theil desselben muß ja aber leider immer gerechnet werden, wenn im Reichstag etwas Positives zu stände kommen soll. Dem Grafen Caprivi möchlichst entgegenzukommen,, war das Centrum stets bestrebt, weil diese Partei immer befürchten mußte, er könnte einem ihr energischer entgegentretenden Nachfolger weichen müssen. Ein Staatsmann, der den Zedlitz'schen VolkS- schulentwurf warm unterstützt hatte, konnte immer beim Centrum auf einige Schonung und Rücksicht rechnen, so unzuverlässig sich auch freilich diese Stütze bei den wichtigsten Entscheidungen erwies. Fürst Hohenlohe ist wegen seiner ganzen historischen Vergangenheit und seiner Gesinnung in kirchlichen Fragen beim Ccntrum nicht beliebt. In mißtrauischer Zurückhaltung steht die Partei ihm gegenüber. Diese parlamentarischen Aussichten sind nicht erfreulich. Indessen, wir stehen noch vor so vielen ungelösten Fragen und möglichen Wendungen, daß das parla mentarische Bild bei der praktischen Arbeit doch vielleicht noch etwas freundlichere Züge annehmen könnte. Der Vorstand des Vereins deutscher Tabakfa brikanten hat sich, der „Vossischen Zeitung" nach, in einer vor kurzem abgehaltenen Besprechung mit großer Entschiedenheit dahin ausgesprochen, daß nach dem, wie bis jetzt über die neue Tabaksteuervorlage bekannt geworden sei, diese ebenso unannehm bar sei, wie die in der vorigen Tagung abgelehnte, er fordert alle Kollegen auf, in ihren Bezirken dahin zu wirken, daß die Reichs- tazsmitglieder über das Schädliche der neuen Vorlage genügend aufgeklärt werden. Berlin, 1. November. Die Wittwe des Begründers des Welthauses Rudolph Hertzog hat für die Armen in Berlin dem Oberbürgermeister Zelle die Summe von 50000 M. mit dem Ersuchen überreicht, dieselben anzunehmen und nach freiem Er messen des Magistrats ihrer Bestimmung zuzuführen. Petersburg, 1. November. Heute abend 7 Uhr 15 Minuten gaben Kanonenschüsse von der Peter-Pauls-Festung der Hauptstadt den Tod des Zaren kund. Der verewigte Kaiser kommunizirte noch heute Vormittag 10 Uhr bei vollem Bewußt sein. Hier wurde die Nachricht vom Tode des Kaisers gegen 7 Uhr in den Straßen angeschlagen. Obwohl die Nachricht nachdem letzten Bulletins nicht unerwartet kam, rief sie doch unter der Bevölkerung tiefe Bestürzung und Trauer hervor. Auf den Straßen sah man sich das Volk bei dem Verkünden der Trauerbotschaft andächtig bekreuzigen. Abends 10 Uhr fand im Gebäude des Reichsrathes in Gegenwart sämmtlicher in Petersburg anwesender Mitglieder desselben einefeierliche Seelen messe statt. Petersburg, 31. Oktober. Der „Regierungsbote" vom 31. Oktober veröffentlicht eine Mittheilung aus Livadia vom 26. d. M., in welcher die Entwickelung der Krankheit des Zaren von dem Aufenthalt in Spala an dargelegt wird. Die in Spala aufgetretenen beunruhigenden Erscheinungen schwächten sich in Livadia zunächst ab, so daß der Kaiser stehend dem Gottesdienst beiwohnen und Ausfahrten machen konnte. Später traten Symptome der Schwäche, Rückgang des Appetites und