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ilsdmfferTageblatt XI für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Wilsdruff- Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt* Sonnabend, den 20 April 1929 Postscheck: Dresden 2640 Anzeigenpreis: die 8 gespaltene Raumzelle 20 Rpfg., die 4 gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reichs« Pfennig, die 3gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile 1 Reichsmark. Nachweijungsgebühr 20 Aeichspsennige. Dor- geschriedeneErscheinungs. —, . - tage und Platzv^rschriften werden nach Möglichkeit Fernsprecher: Ami Wilsdruff Nr. 6 berücksichtigt. Auzeigen- annabmebis - orm.10Ukr. -- Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermitteltenAnzeigen übernehmen wir keine Garantie. I^derRabatlanspr. ch er acht, wenn der Betrag durch Klage eingezo^en werden muß oder derAuftraggeberin Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts- gerrchts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrenlamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nr. 92 — 88 Jahrgang Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, -WÄMS- W-ch-ribl-« für Wi «-SFD«: Das letzte Hemd. Der Shylock Europas. — Unsinnige Ansprüche. — Zehn Peitschenhiebe. Es ist nicht in Paris gefallen, das Wort von dem letzten Hemd, das man einem Volke ausziehen wolle, um seine eigenen Bedürfnisse um jeden Preis, auch um den Preis des europäischen Friedens und der europäischen Kultur zu befriedigen. Nein, in der Unterhaus debatte dieser Tage mit ihrer großen Auseinander setzung zwischen der gegenwärtigen, der konservativen Regierung und den Anwärtern für ihre Nachfolgerschaft von der Arbeiterpartei, die aus den bevorstehenden Mai wahlen als Siegerin hervorzugehen hofft, wurde den Macdonald-Leuten von einem Redner der Rechten vor gehalten, man könne gegenüber den früheren Bundes genossen, den Franzosen und den Italienern, nicht gut die Bezahlung der Kriegsschulden auf Heller und Pfennig ver langen, wenn man ihnen nicht das letzte Hemd oder das sprichwörtliche Pfund Fleisch bis zum letzten Gramm abnehmen und sich damit sozusagen zum ShylockEu- ropas machen wolle. Also müsse es schon bei den Schuldennachlässen bleiben, die in der grundlegenden Valfour-Note zugestanden wurden, gleichviel, ob die Mai- fahlen wieder den Konservativen oder der regierungs- lusterncn Arbeiterpartei die Mehrheit bringen würden. Kann sein, daß mit diesem in ungewöhnlich heftigen Aus drücken geführten Meinungsstreit von der einen wie von der anderen Seite mehr innenpolitische, auf Wahlpropa ganda gerichtete Absichten verfolgt wurden als ernsthafte Anstrengungen auf anderweitige Verteilung der Kriegs lasten innerhalb der Völker der ehemaligen Entente. In England wird es wohl in keinem Falle ohne nachhaltigen Eindruck bleiben, daß der Vertreter der Arbeiterpartei bei dieser Gelegenheit sich zu dem Grundsatz bekannte, er könne es mit seinem Gewissen als Engländer nicht vereinbaren, daß das Land biszum Weißbluten» usgesogen Az LZugu„stx„ Ländern, die viel wohlhabender seien Aber von diesem Wort bis zu der - daß das blühende Frankreich und ib/e alerchfalls wieder stark erholte Italien rüae ^uriÄ^ an England ohne nennenswerte Ab- ^""en ein weiter Weg, und selbst wenn sich die Wahlhoffnungcn der Arbeiterpartei soweit erfüllen sollten, daß sie für sich ganz allein, ohne Anlehnung an ine Liberalen des Herrn Lloyd George, die neue Regierung zu bilden vermöchte, würde Herr Macdonald es sich noch sehr gründlich überlegen, ob er die guten Beziehungen zu Herrn Poincarö, der, wie man weiß, in Geldsachen höchst ungemütlich sein kann, durch Wicderaufmachung alter Schuldcnrechnungen einer neuen Belastungsprobe aussetzen soll und darf. * Das alles aber sind Sorgen, die mehr oder weniger künstlich geschaffen wurden, im Ansschluß an überhitzte parlamentarische Wortgefechte, die für gewöhnlich nur vor übergehende Aufregungen zu erzeugen vermögen. Daß man dagegen inParis drauf und dran ist, dcmdeut - schcn Volke wirklich das letzte Hemd vom Leibe zu ziehen, das scheint weder den britischen Konservativen noch ihren Widersachern von der Arbeiter partei den geringsten Kummer zu bereiten. Allerdings, wir waren ihre Kriegsgegner, und sie hatten es wahrhaftig nicht leicht, uns nach vier Jahren harten Ringens so ziem lich auf der ganzen Erdkugel unterzukriegen. Aber für dieses Unglück haben wir nun nachgerade, von allem anderen abgesehen, mit 40 bis 50 Milliarden Tribut leistungen an unsere ehemaligen Feinde schwer genug ge büßt, und wenn wir uns jetzt dagegen auflehnen, für weitere 37 oder gar 58 Jahre noch einmal 40 oder 50 oder 60 Milliarden zu zahlen, so sollte ein so realpolisch, so nüchtern »nd so geschäftstüchtig veranlagtes Volk wie das englische für diese völlig selbstverständliche Haltung doch wenigstens einiges Verständnis aufbringen. Aber nein, es zeigt sich wieder, daß keine Brücke hinübernihrt von unserem Beharren auf dem, was nur irgendwie noch recht und billig ist, zu den unsinnigen Ansprüchen unserer Gläubiger, und man wird nun wohl endgültig auf allen Seiten die Erkenntnis akzeptieren müssen, daß weder die Politiker noch die Wirtschafts- und Finanzsachverständigen der Nationen die Kluft wieder schließen können, die der Weltkrieg zwischen den Völkern der alten Erde nun einmal aufgerissen hat. Ein trauriger Abschluß vielwöchentlicher ernster Bemühungen, in der Tat, aber ein Ergebnis, an dem, wie es scheint, nun nichts mehr zu ändern'ist. Falls nicht noch im allerletzten Augenblick von Amerika her ein erlösendes Wort gesprochen wird. Aber wird gerade Herr Hoover, der neue Präsident, Dollaropfer bringen wollen und können, damit Frankreich und England an ihrer verblendeten Politik weiter festhalten? Man soll nicht auf Wunder hoffen, am allerwenigsten in der Politik. Sorgen ganz anderer Art beschäftigen augenblicklich das ferne Südafrika. Einem britischen Farmer, der einen Schwarzen wegen Bedrohung einer weißen Frau z u Tode geprügelt hatte, sind dafür vom Richter sieben Jahre Zuchthaus und zehn Peitschenhiebe zu diktiert worden. Darüber unter allen Weißen des Landes ein furchtbarer Entrüstungssturm, und nachdem die Regie rung bereits die Vollziehung der Prügelstrafe ange ordnet hatte, ist unmittelbar vor Ausführung dieses De- Auf dem toten Punkt Wirrwarr in Paris. Neue Verhandlungsgrundlage gesucht. „Die Reparationskonfcrcnz befindet sich auf dem toten Punkt," so wird die Lage in Paris von der eng lischen Presse bezeichnet. Man kann diese Feststellungen deutscherseits bestätigen, im Gegensatz zur französischen Auffassung, daß die Konferenz bereits in die Luft ge flogen sei. Den Anlatz hierzu bot eine Meldung der offi ziösen französischen Havas-Agcntur, die voreilig und mit grotzer Gehässigkeit gegen Deutschland zu berichten wusste, datz die Reparationskonfcrcnz in die Brüche gegangen sei und datz die deutschen Vertreter nicht mehr an de» Arbeiten der Konferenz teilnehmen würden. Diese ten denziöse französische Meldung wurde etwas später von deutscher Seite dahin berichtigt, datz von einem Abbruch der Verhandlungen keine Rede sein könne und datz die Meldung der Havas-Agcntur völlig irreführend sei. Die Deutschen werden auch weiterhin an den Sitzungen der Reparationskonferenz teilnehmen. Was war geschehen? Der' Unterausschuß, dem die Denkschriften über die Zahlungen Deutschlands zur Durchberatung überwiesen worden waren, konnte zu keiner Einigung kommen, da Dr. Schacht sich nicht bcreit- finden ließ, die von ihm in Vorschlag gebrachten Jahres zahlungen in Höhe von 1650 Millionen Mark zu erhöhen; es sei denn, daß irgendwelche Anregungen gegeben werden könnten, die eine Erhöhung der derzeitigen deutschen Leistung und Zahlungsfähigkeit herbeizuführen geeignet seien. Von französischer Seite wurden diese deutschen Forderungen dahin gedeutet, daß Dr. Schacht sich hiermit auf politisches Gebiet begeben habe, daß er den Korridor beseitigt wissen wollte und koloniale Ex- pansionsbestrebungen an den Tag gelegt habe. Davon kann natürlich keine Rede sein. In dem Memorandum Deutschlands, in dem be sonders finanztechnische Auseinandersetzungen enthalten sind, ist lediglich darauf hingewiesen, daß Deutschland zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen in die Lage versetzt werden muß, sich wieder eine eigene überseeische Rohstoffbasis zu schaffen, die es mit eigenen Produktions mitteln, mit eigener Währung „und unter eigener Ver antwortung entwickeln und ausbauen kann Nachdem eine Angleichsmöglichkeit zwischen den Denkschriften der Alliierten und der der deutschen Ver treter im Unterausschuß nicht möglich war, hat man die Verhandlungen abgebrochen und die Vollversammlung, die für Freitag vormittag anberaumt war, sollte darüber entscheiden, was nun weiter geschehen sollte. Größte ZuMUM i« Berliner Resier««gskreiseo Berlin, 19. April. In Berliner Regierungskreisen be fleißigt man sich angesichts der Entwicklung der Ereignisse in Paris der allergrößten Zurückhaltung. Zwar hat das Reichskabinett im Laufe des Freitags getagt und eingehend den Stand der Entwick lung der Pariser Sachverständigenlonserenz erörtert. Unter Hin weis auf den Grundsatz, daß die Sachverständigen ein unabhän giges Plenum bildeten und eine Ansichtsäuberung der Regierun gen über den Stand der Dinge nicht in Frage komme, enthält man sich jedoch jeden Kommentars. Die Vertagung der Vollsitzung von Freitag aus Montag scheint man jedoch dahin auslegen zu sollen, daß die Möglichkeit weiterer sachlicher Verhandlungen nicht völlig ausgeschlossen ist. Allerdings scheint die Pariser amtliche Agentur ein Interesse daran zu haben, es so darzustellen, daß die Ver handlungsmöglichkeiten der Sache nach restlos erschöpft seien. Ge genüber den übrigen Versuchen der politischen französischen Presse- Regie, Deutschland die Schuld an den am Donnerstag abgebroche nen Verhandlungen zuzuschieben, wird an Berliner zuständiger Stelle eindeutig festgestellt, daß in der deutschen Denkschrift und in der Aussprache von deutscher Seite weder Kolonien noch die Rück gabe von Ostgebieten gefordert worden sind. Politische Fragen find von deutscher Seite felbstverständlich in keinem Stadium der Verhandlungen angeschnitten worden. Dagegen werden es auch die Schöpfer des Versailler Diktat nicht leugnen wollen, daß sie in Versailler Bestimmungen getroffen haben, die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands ein ganz anderes Gesicht gegeben haben. Diese Tatsache konnte also, da es sich um die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands und deren Be dingungen handelte, auch nicht unbesprochen bleiben. Die von deut scher Seite gegebene Beweisführung über die deutsche Leistungs fähigkeit hat sich aber auch hier auf die Darlegung rein wi"l- seyls wenigstens noch ein Aufschub von zwei Wochen zu gebilligt worden. Die Weiße Herrschaft im Schwarzen Erd teil ist hier offenbar vor eine fchicksalsschwere Entscheidung gestellt; wir kennen den Ernst dieser Frage sehr gut aus der Zeit, da Deutschland selber noch afrikanische Kolonien besaß. Ob die sprichwörtliche Weisheit der Engländer diesmal versagen wird? Sie haben ihre politische Macht in Südafrika allerdings schon zum Teil an dieburische Bevölkerung abtreten müssen. Dr. Stz. schaftlicher Momente beschränkt und es ist der französischen Presse Vorbehalten geblieben, diese wirtschaftlichen Argumente als poli tische abzustempeln. Lonckon Ubt LurUckftaltung London, 19. April. In verantwortlichen Kreisen Lon dons wird die Lage in Paris als durchaus ernst angesehen. Es besteht aber ziemlich Einmütigkeit darüber, daß die Sachverstän digen nach so langen Besprechungen und angesichts der ungeheue ren Wichtigkeit der zur Verhandlung stehenden Fragen nicht ohne weiteres cuseinandergehen werden, nachdem sich im Anschluß an die Unterbreitung der beiderseitigen Ziffern sehr ernste Schwierig keiten ergeben haben. Ueber die wahrscheinliche Form neuer An knüpfungspunkte legt man sich starke Zurückhaltung auf. Wie es scheint, überwiegt aber vorläufig der Eindruck, daß man die Ver- fuche fortsetzen werde, zu einer Endregelung zu gelangen. Erst wenn sich das als unmöglich erweisen sollte, würde die Frage einer Uebergangsregelung in den Vordergrund treten. Auch heute ver tritt man die Ansicht, daß die Besprechungen voraussichtlich noch längere Zeit andauern werden und daß sicher weder auf der einen, noch aus der anderen Seite das letzte Wort gesprochen ist. Von den Abendblätter» wird in der Beurteilung der Parifer Kreise Zurückhaltung gewahrt. Der konservative „Evening Stan dard" verweist auf die außerordentlich schwierige Stellung der deutschen Abordnung. Deutschland habe ein größeres Interesse als die alliierten Mächte an einer Endregelung. Ein vollständiger Abbruch könnte leicht vernichtende Folgen für Deutschland haben. Die Verhandlungen seien vertagt. Es sei unwahrscheinlich, daß sie vollkommen fruchtlos blieben. Keke Angriffe der itnlienWn Preffe mehr ans SeMland Rom, 19. April. Die Haltung der deutschen Abordnung in Paris hat ihren Eindruck in Italien nicht verfehlt. Die Presse die noch bis vor kurzem Deutschland die Schuld an einem Abbruch oder an einer Verzögerung der Verlandlungen zuzuschreiben suchte, enthält sich wohl auf einen höheren Wink hin neuerdings jeglichen Angriffes gegen das Vorgehen Dr. Schachts. Der Vorstoß der deutschen Abordnung Hot zwar Erstaunen hcrvorgcrufen, es wird aber anerkannt, daß sie wohl überlegt gehandelt habe. Ein römi sches Matt bezeichnet die Anwtort Dr. Schachts sogar als eine po- litische Spitzenleistung. Moskau zum Scheiter« der Pariser Berhaudluugeu Kowno, 19. April. Wie aus Moskau gemeldet wird, wer den die Meldungen über das Scheitern der Pariser Verhandlun gen in Moskau mit größtem Interesse versolgt. Nach dortiger Auffassung entsprechen die Vorschläge Schachts den tatsächlichen Möglichkeiten Deutschlands, während die Methoden der fran zösischen und belgischen Sachverständigen als Erpressung hinge- siellt werden. Es sei noch nicht dagewesen, daß von einer Groß macht solche Summen verlangt wurden. Die Schuld an der Er gebnislosigkeit der Verhandlungen müsse nicht Deutschland, son dern den französischen und belgischen Sachverständigen zugejchoben werden. Sie amerikanische Negierung hofft aus eise «tue SachverUndigevkonsereiz Neuyork, 19. April. Wie aus Washington gemeldet wird, hofft die amerikanische Regierun, daß zu einen geeigneterem Zeit punkt eine neue Sachverständigenkonferenz mit besseren Aussichten zusammentreten werde. In amerikanischen Regierungskreifen ist inan durchaus nicht der Ansicht, daß der Verhandlungsahbruch starke Nachteile haben werde. Wenn man berücksichtige, daß verschiedene Meldungen von einer nervösen Stimmung spre chen, die den Kvnserenzabbruch mit herbeisührte, so könne man schon deshalb leicht zu der Ansicht gelangen, daß eine neue Kon ferenz zu einem späteren Zeitpunkt ein besseres Ergebnis haben werde. Die Anspielung aus die nervöse Stimmung ist zweifellos nicht aus Schacht gemünzt. Denn in dem Meinungsaustausch zwi schen Washington und den amerikanischen Sachverständigen ist ja gerade zum Ausdruck gekommen, daß auch die Amerikaner die Vor schläge der Alliierten sür zu hoch hielten. Die amerikanische Ne gierung vertritt die Ansicht, daß ohne eine wirklich endgültige Reparationsregelung leine ruhige wirtschaftliche Entwicklung in Europa möglich sein werde. Von Deutschland könne man nicht verlangen, daß es Tribut- zahlungcn leiste, ohne zu wissen, wie viel und wie lange. Inzwischen hat die den Alliierten freundliche amerikanische Presse ein wahres Trommelfeuer gegen Deutschland eröffnet und versucht, Schacht die ganze Verantwortung zuzuschieben. Die „Evening Post" meint, aus Schacht habe das alte Preußen ge sprochen, dessen typischer Vertreter Graf Bernstorff sei. Schacht habe sich Bernstorff zum Vorbild genommen. Der Kurs Schacht sei ein Unglück für die Welt, da er die langsame, aber stetige Er»