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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrünumerationS-Preis 22 z Silbergr. THIr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Literatur- Blatt in Berlin in der Erpedition der Mg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 37. Berlin, Freitag den 12. Mai 1843. Frankreich. Die Marquise von Sevign«. Eine Englische Schrift „Frau von Sevign« und ihre Zeitgenossen" sucht den Geist dieser Königin des Briefstyls wieder zu uns heraufzubeschwörcn. Das Bild, welches sie uns von ihr entwirft, ist ziemlich matt nnd ungenau, und doch erfreut eS uns, die altbekannten Gestalten, die durch ihre Briefe un sterblich geworden sind, wieder um uns zu sehen. Wir erblicken die Marquise, wie sie Cölestin Nantcuil nach dem Leben gezeichnet hat, mit ihren ungleichen Augen, mit den blonden, sich kräuselnden Haaren, die sich üppig um ihren Kopf schlingen, mit den etwas dicken, doch frischen, lächelnden Lippen, der stumpfbrciten Rase und den nicht allzu geistvollen Zügen um Mund und Kinn. So sitzt sic vor unS in ihrem Kabinet, in dem sammtenen Großstuhl, an dem massiven Schreibtisch mit seinen gewundenen Füßen von Ebenholz ; balv jedoch folgen wir ihr in den hcllcrlcuchteten Saal, wir hören bei den Pausen der Musik, wie die weitfaltigen Gewänder sie umrauschen, wir bewundern die Perlenschnüre im Haar und um den Hals, die Diamanten an den Fingern und vor Allem die unbeschreibliche Grazie, mit der sie die Menuett tanzt; darauf sitzen wir neben ihr im Gesellschaftszimmer, wir erfreuen uns der Lebendigkeit, mit der sie zu den verschiedenartigsten Gegenständen überspringt; wir hören, wie sie bald durch eine unerwartete Wendung des Gesprächs, durch einen geistvollen Blitz die Unterhaltung unterbricht, indem die Anwe senden gewissermaßen erschreckt stutzen, bald durch eine neue Kühnheit sie zu noch lebhafterem Flusse der Unterhaltung fortreißt; endlich schauen wir ihr zu, wie sie beim Mondschein über die feuchten, frisch duftenden Wiesen und durch die Wälder eilt, und bei Allem, was sie thut, in der Kirche wie beim Tanze, in der schattigen Einsamkeit des Waldes wie beim rauschenden Feste, denkt sie nur an ihren Abgott, an ihr angcbetcteS Kind, das ihr Hoffen, ihre Lust und ihr Leid war und auch der Grund ihres Ruhmes wurde. Wir ver suchen, von dem Leben der Frau von Sövignö einen vollständigeren Abriß zu geben, als er sich in der Englischen Schrift findet. Es ist wahrscheinlich, doch nicht ausgemacht, daß Maria von Rabutin Chantal, in dem alten Stammschloß ihres Hauses, mitten in Burgund, am S. Februar 1627 geboren wurde. Ihr Vater, CclsuS Benignus Baron von Chantal und Bourbilly, gehörte der älteren Linie der RabutinS an und war ein Vetter des berühmten Grafen von Buffy; ihre Mutter, Marie de CoulangeS, stammte aus einer Familie, die bereits eine Heilige zu ihren Vor fahren zählte, die Johanna Franziska Frömpot, Stifterin des Ordens Mariä Heimsuchung, die mit Bewilligung des Papstes Benedikt XIV. von ihrem Orden heilig gesprochen und später von Clemens XI V. kanonisirt wurde. Der Vater der Frau von Sevignö zeichnete sich bereits durch eine gewisse Origina lität des Geistes und durch eine Schärfe des Witzes aus, die besonders fremde Anmaßung und Hohlheit zu züchtigen liebte, und die sich in den Briefen seiner Tochter häufig wiederfindet. So führt man von ihm den genialen Glückwunsch an einen Finanz-Minister an, den Ludwig XIII. zum Marschall ernannt hatte: „Sie sind aus vornehmem Geschlechte, Sie haben einen schwarzen Bart, Sie sehen den König täglich. Chanta l." Der Ruf höchster Uneigennützigkeit und sittlicher Unbescholtenheit, in dem die Familien Chantal und Frömyot standen, schien ihnen ein gewisses Recht zu geben, bic Mängel verdienstloser Günstlinge aufzudeckcn. Man verehrte besonders die Familie Chantal, weil sie die strengste Tugend mit aller Fein heit der vornehmen Welt verband ; nur Bussp verleugnete durch seine Aus schweifungen, seinen Ehrgeiz und seine Jntriguen diesen Charakter; er wuchs wie ein Dorn auf dem alten Stamme, während sich Maria als lächelnde Blüthe über ihn erhob und alle seine Vorzüge wieder in sich vereinigte. Als der Baron von Chantal auf der Insel Re im Kampfe mit den Eng ländern getödtct wurde — Gregorio Leti versichert, daß er durch Cromwcll'ö Schwert fiel —, war seine alleinige Erbin noch nicht volle zwei Jahr alt. Seine Witwe überlebte ihn nur um fünf Jahr. Man erwartete nun, daß Mariens Großmutter von väterlicher Seite sie zu sich nehmen würde, allein die Matrone hatte so viel mit der Stiftung religiöser Gemeinden zu thun, daß ihr keine Zeit für die Erziehung einer verwaisten Enkelin blieb. Man überließ Maria von Rabutin daher ihren mütterlichen Anverwandten; Philipp von CoulangeS, ihr Großvater, nahm sie mit Freuden auf, doch nach vier Jahren starb auch er, und nun dreifach verwaist, wäre sie der Lieblosigkeit Fremder anheimgegeben worden, wenn nicht ihr Onkel Christoph, Abt von Livry, sich ihrer angenommen hätte. Man macht dem Abt ein wenigstens für einen Geistlichen zu großes LiebeSbedürsniß zum Vorwurf, doch war er ein vortrefflicher und ein gelehrter Mann; er wählte zur Ausbildung seiner Nichte zwei literarische Notabilitäten, Chapelain, einen schlechten Poeten, doch einen Kritiker von Geschmack und feinem Gefühl, und Menage, der um die Durchbildung der Französischen Sprache seiner Zeit große Verdienste hat. Zu jener Zeit waren der Erziehung der Mädchen sehr enge Gränzen ge zogen. Die Künste, welche sie zu lernen hatten, bestanden in Lesen, Schrei ben, Tanzen und Sticken. In der klösterlichen Erziehung kam hierzu noch ein etwas stark vorwiegender Religions-Unterricht; schwache Naturen mit einer reichen Einbildungskraft kamen durch diesen in die Gefahr der Bigotterie, doch in den meisten Fällen wirkte er gerade entgegengesetzt, indem die Mäd chen gewöhnlich, sobald sic aus dem Kloster traten, sich in der Freude, dem einförmigen und langweiligen Ceremoniendienste entronnen zu seyn, den Ge nüssen und Jntriguen der großen Welt leidenschaftlich Hingaben und das Ver säumte nachzuholen suchten. Die Erziehung im Schoße der Familien forderte auch die Kenntniß einiger Stücke der profanen Literatur; man mußte sich für die Heldinnen des Fräuleins von Scudery begeistern können, man mußte wohl auch etwas Latein lernen und vor Allem die antiken Helden bewundern, zu deren Zeichnung die guten Freunde von heule und gestern gesessen hatten, und über die sich Boileau in seinem „Dialog nach Lucian" so glücklich lustig macht: Wo ist der Franzose, den ich hergebracht habet fragt Merkur. — Hier bin ich, Herr, antwortet der Franzose; was wünschen Sie? — Merkur: Betrachte diese Leute; kennst du sie? — Der Franzose: Vortrefflich; das sind ja alle meine lieben Nachbarn ; guten Tag, Madame Lucretia! guten Tag, Herr Brutus! guten Tag, Fräulein Clölia! guten Tag, Herr Horatius Cocles! Man weiß über die Grundsätze, welche bei der Erziehung der Frau von Sövign« befolgt wurden, nichts Bestimmteres, doch scheint man diese ver- schicdenen Bildungsweiscn bei ihr vermischt angewandt zu haben, und ihr Talent muhte das Widersprechende ausgleichen und die Lücken füllen. Als Muster für das Leben pflegte man ihre fromme Großmutter ihr vorzuhalten; doch zugleich unterrichtete sic Menage im Jtaliänischen, Spanischen und in der Geschichte der schönen Literatur, und man will wissen, daß er im Lehr- eifcr tiefer in die schönen Augen und in die schöne Seele seiner Schülerin ge blickt habe, als für seine Herzcnsruhc wünschenswcrth war; man rechnet ihn zu den ersten Verehrern der Frau von Sevigm. Das heranblühende Mädchen zeigte eine ungemeine Beweglichkeit des Geistes, eine seltene Empfänglichkeit für Eindrücke jeder Art, ein tiefes Gefühl, doch dabei ein entschiedenes Beharren auf dem einmal als gut Erkannten und Beschlossenen; bei allem diesen die höchste geistige Ruhe und stete Heiterkeit. Ihr Onkel, der Abbö von CoulangeS, glaubte etwas Ungeheures für das Glück der geliebte» Nichte gcthan zu haben, als er sie in ihrem achtzehnten Jahre an den Marquis von Sövign« oder, nach der alten Schreibung, von Sevigny verheiratete. Dieser war Feldmarschall, stammte aus altem Briti schen Adel und war mit den Familien du Quelnec, Monmorcncy, du Guesclin und Rohan verwandt. Er soll ein sehr feines, einnehmendes Wesen gehabt haben, doch eben so leichte Sitten. Er wußte den Werth seiner Frau nicht zu schätzen, wenigstens liebte er sic nicht ; „cr achtete mich", schreibt sie selbst ein mal mit einer gewissen Bitterkeit und zeigt dadurch, daß sie von wärmerer Neigung für ihn erfüllt war. Er war ihr untreu, cr gab sich den niedrigsten Ausschweifungen hin und ließ sich zuletzt im Dncll für eine epikureische Freundin tödtcn. Kurz vor dieser Katastrophe trug sich Buffy, um von den galanten Freveln seines Vetters Bortheil zu ziehen, seiner Cousine zum Rächer und Liebhaber an. Dieses Anerbieten, welches ganz den Sitten jener Zeit gemäß war, wurde mit Entschiedenheit zurückgcwiescn. Nun, da die schöne Frau Witwe war, glaubte cr leichter sein Glück machen zu können, doch seine Bestrebungen waren umsonst. Ja, sic wagte cs sogar, dcm Grafen eine Geldsumme, die cr von ihr lcihcn wollte, abzuschlagen. Jetzt war sein ganzer Haß gegen sie entflammt, und cr verfaßte die bekannte Schmähschrift, in der cr sie sowohl von Seiten des Charakters, als der Sitten und des Geistes bloßzustellcn suchte. Der Pfeil wandte sich auf ihn zurück; das cynische Buch brachte ihn selbst beim Hofe in Ungnade. Die Frau v. la Valliörc sah sich selbst darin verspottet; Ludwig XI V. rächte sie, indeni cr den Grafen auf seine Besitzungen verbannte, und der unglückliche Hofmann konnte nur durch kriechende Unterwürfigkeit und niedere Jntriguen den Widerruf dieses Befehls bewerkstelligen. Der gerechte Zorn der Frau von Sövigm- war durch das Unglück des Grafen balv entwaffnet; sie verzieh ihm Schmähungen, welche durch dic That so leicht widerlegt wurden. Die unterbrochene Korrespondenz