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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration» - Preis 22j Silbergr. sj Tdlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese» Literatur- Blatt in Berlin in der Erpedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im -Auslände bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 3. Berlin, Freitag den 6. Januar 1843 England. Tasso und Chatterton. Die Liebe und der Wahnsinn Taffo's bilden zwei Hauptmomente in dem Leben des unsterblichen Dichters. Dem Antheil, den wir im Allgemeinen dem Schicksale genialer Menschen widmen, schließt sich in seinem Falle noch der Reiz des Geheimnisses an; Alles, was sich auf die Ursachen seiner Leiden und seiner Verfolgungen bezieht, ist in einen dichten Schleier gehüllt, der seit dritt halb Jahrhunderten nur wenig gelüftet wurde. Erst vor kurzem ist es Herrn Wilde °) gelungen, ein bedeutendes Licht auf diesen interessanten Gegenstand zu werfen, und wie es scheint, darf man auch an weiteren Aufklärungen nicht verzweifeln. Man wird vielleicht einst die Medizäischen Papiere untersuchen können, die Archive der Este werden nicht immer unzugänglich bleiben, und ein Sonnenstrahl kann am Ende sogar bis unter die staubbedeckten Schätzt des Vatikans dringen. „Der Zorn des Großherzogs rührt daher, weil ich dem Herzoge von Ferrara eröffnet habe ! Ich darf nicht Alles schreiben, aber das ist so wahr wie das Evangelium." So äußert sich Tasso gegen „den einzigen Freund, an den er noch glaubt", Scipione Gonzaga. — „Und diese Lücke", bemerkt Herr Wilde, „findet sich in der ersten Ausgabe des Briefes, welche durch den gelehrten und freimüthigcn Muratori, damaligen Bibliothekar des Herzogs von Modena, veranstaltet wurde!" Wie er sagt, enthält der Bries einen Ausdruck, dessen Wiederholung den Anstand verletzen würde! So wird zede Annäherung an die Wahrheit durch eine furchtsame Zurückhaltung ver eitelt, und wenn sich dieses in der Blüthenzeit der Muratori zutragcn konnte, so ist von dem jetzigen Verfall der Literatur in Toskana und der Lombardei noch weniger zu erwarten. ES thut uns leib, daß die Authentizität gewisser so eben in Rom entdeckten wichtigen Manuskripte so stark bezweifelt wird, daß sich keine weitere Schlüffe daraus ziehen lassen ; das Resultat der Untersuchungen des Herrn Wilde muß also für'S erste als definitiv angesehen werden. Die gangbaren Ideen über die geheimen Triebfedern, welche dem Dichter ein so herbes Schicksal bereiteten, erhalten, obgleich mau sie seit einiger Zeit zu erschüttern strebte, durch diese neuen Forschungen ihre volle Bestätigung. AuS einigen Versen einer Canzonc und aus einem Paragraphen seiner Briefe hatte man die ersten Andeutungen über den wahren Hergang der Ereig nisse entnommen. „Tasso wurde durch Engel mit einer lebenden Hölle bestraft, weil er sein Herz in seinen Gesängen ausschüttete." — „Man möchte ihn aus dein Gcfängniß von St. Anna erlösen, ohne ihn wegen der Dinge zu beun ruhigen, die er im LiebeS-Wahnsinn verübt und geschrieben." Nach diesen und ähnlichen Winken konnten Professoren noch grübeln und AbbatcS raisonniren; aus der einzigen Leonore konnten drei Geliebten werden, und die düsteren Folterqualen konnten in Ferrara sich in „die gnadenreiche Sorgfalt des Her zogs AlsonS bei der traurigen Geistes-Abwesenheit des berühinten Dichters, Signor Tasso" verwandeln, aber sie vermochten nicht die Welt in ihrem ein mal geschöpften Verdacht irre zu machen. „Wenn wir annchmen", schließt Herr Wilde, „daß seine Einkerkerung durch die zufällige oder vcrräthcrische Entdeckung seiner an die Prinzessin ge richteten Liebesgedichte verursacht wurde, so finden wir Alles erklärlich; die zeitigen Ermahnungen seiner Herrin, zu schweigen — seine Aufträge an Ron- dinclli — die „theuersten Geheimnisse sc-ies Herzens", die er seinem Freunde Gonzaga halb enthüllt — seine Anspielung auf die, deren Liebe der scinigen so wenig entsprach — seine „schwere Sünde der Verwegenheit" — die wichtigeren Entdeckungen Madalo'S — der Versuch, sein Geständniß zu erpressen — die er- bitterte Härte und ungewohnte List — die Worte und Handlungen, welche den Grimm Alfonso s noch vermehren konnten — der Befehl, sich wahnsinnig zu stellen — das „Opfer Abraham s" — das Schreibverbot — der Zorn der Prinzessinnen — die Anspielungen auf seine Liebesschuld, auf Proserpina, Jrion und die Engel, welche ihn bestraften. Durch diese Voraussetzung wird auch die freiwillige Ehelosigkeit Lconorens, die Verwerfung mehrerer ihr an gebotenen vortheilhaften Partieen und die beständige Ergebenheit Tasso's gegen den Herzog, der Härte seiner Bestrafung zum Trotze, genugsam motivirt." -j (.'oozeotuee- aus keionroiie« evoeeruiox tb« , UasoeL» aoä Impriaonmrvt »e 1>rq»»tv wovon schon in diesen Diänorn die Rede Ivar. Man vergleich« übrigen» di« Lebensbeschreibung Lasso'» von Karl StreSsuß. Wie Vieles sehen wir hier, das die alten Ueberlieferungen bestätigt, und wie wenig, das sie verändert oder auch nur vervollständigt! In dem, was Herr Wilde gethan, ist er jedoch auf die rechte Art zu Werke gegangen. Er hat sich standhaft auf die beiden Momente beschränkt, die er sich zur Aufgabe gewählt; auf die Liebe und den Wahnsinn Taffo's. Sind noch Materialien für eine erschöpfende Biographie des Dichters vorhanden, so möge ein anderer Verebrer Taffo's, dem die Archive zugänglich find, mit der Ausbeute fort fahren und sich mit der wunderbaren Jugend Taffo's, den Reden zu Neapel und den TheseS zu Padua beschäftigen. Auf diese Weise dürften am Ende zwei Helle Sonnenstrahlen unseren Weg erleuchten; wenn man aber den alten Grundsatz befolgt, seine Aufmerksamkeit allen Theilen des behandelten Gegen standes zuzuwendcn und keinen Theil desselben näher zu analyfiren, so wird sich das Ganze, wie immer, in die nebelhafte Dämmerung des Zweifels und der Ungewißheit verlieren. Der Dienst, den Herr Wildt dem Andenken Taffo's zu erweisen sucht, bleibt einem Dichter bisher noch vorenthalten, auf dessen Asche man weit grausamere Beschuldigungen gehäuft hat. Der Ucbergang von dem unglücklichen Tasso zu dem unglücklichen Chatterton ist leicht"). Diese streitigen Fragen in dem Leben genialer Menschen — diese sogenannten Dichterlcidcn — sind alle so eng unter sich verwandt, daß die Auslösung der einen nicht selten ein über- laschendes Licht auf die anderen verbreitet. Dem frühreifen Genie des Neapolitanischen Knaben — den Versen und der Prosa, die er in seinem siebenten Jahre im Jesuitcr-Kollegium verfaßte — können, wie schon Campbell bemerkt, in neuerer Zeit nur die Verse des Wun derkindes Chatterton zur Seite gestellt werden. Aber die Parallele läßt sich auch in anderer Hinsicht sortführen, und das vor uns liegende Buch über die Liebe und den Wahnsinn de- Jtaliäners kann in Vielem auch über den Charak ter des Engländers zum Texte dienen. So wie das ganze Argument des Herrn Wilde dahin geht, den Sänger der 6«ru8Ll«n>i»e durch einen Kommen tar über die Anfangszeilen des ersten Sonncts in den Uimc: Echi war die Lieb«, deren Macht ich sang! von der ihm schuldgegebcnen Unredlichkeit sreizusprechcn, kann man auch von dem Verfasser der Rowley-Papiere behaupten, daß er den Vorwurf der Un wahrheit, der gänzlichen Gesinnungslosigkeit nicht verdiente. Das Leben des armen Chatterton bestand nicht, wie man ihn allgemein beschuldigt, aus einer Lüge, und er ging nicht deswegen „in seinem Stolze" unter, weil er sich weigerte, dem Betrüge zu entsagen und den Pfad der Wahrheit zu be treten. Wir können, wie uns scheint, durch dieselbe Logik, die Herr Wilde auf Tasso anwcndet, zeigen, daß er jenen Pfad bereits eingeschlagen hatte, als er hülflos der Verzweiflung und dem Hungertode preisgegeben wurde. Auf diesen Punkt werden wir uns so viel als möglich beschränken. Herr Wilde bemerkt, daß sich zwar in dem Leben und den Briefen Tasso's Stellen befinden, die sich mit der ihm von seinem Freunde und Zeitgenossen Manso zugeschriebenen strengen Wahrheitsliebe kaum vereinigen lassen; eS würde indessen zu hart scyn, ibn eines eingewurzelten Hanges zur Falschheit anzuklagcn, weil er bei gewissen verhängnißvollen Ereignissen durch eine ge bieterische Nothwcndigkcit zur Verstellung gezwungen wurde. Sein erstes Ver gehen war eine bloße Unbesonnenheit ; nachdem er einige Liebesgedichte unter falschem Namen herauSgegebcn, suchte er auf Antrieb des Herzogs durch ver stellten Wahnsinn den üblen Folgen jenes Schritts auszuweichen, und seine langwierige Agonie zu St. Anna entstand nur aus dem Bestreben, diesen Fehl tritt gutzumacheu und wieder in die rechte Bahn cinzulenkeu, ohne die Wahr- heit offenbaren und seine bisherige Handlungsweise verleugnen zu müssen. Ein Gleiches läßt sich auch von Chatterton behaupten. Auch er machte ver gebliche Anstrengungen, sich aus den moralischen Fesseln zu erlösen, in welche ihn seine erste Verirrung geschmiedet hatte: widrige Umstände verhinderten ihn daran, und er ging unter, ehe cs ihm gelang, sie abzuschütteln. Man stellt ihn heutzutage einem Macpherson oder Wagcnfcld zur Seite, deren Schriften in der wohlüberlegten Absicht verfaßt wurden, das Publikum zu hintcrgehen; dieses war jedoch bei ihm durchaus nicht der Fall. Im September 1768 wurde die neue Brücke zu Bristol vollendet, und im Anfang des folgenden Monats enthielt die Hauptzeitung der Stadt eine in ') Ler neueste Beitrag zur Geschichte Cbatterton'S befindet sich in den- k>o«tic»l of l'IiowL« OliLttertou, vltli dotier« ok Kl, Ule, L Mrtorv of tl»o oootrover«^, a kelvetioa of In« lotter», Lvä Aste» eritical suä explaostor^. — drlössv