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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020423022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902042302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902042302
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-23
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 80.—, mit Postbeförderung >6 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige» sind stets an dle Spedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. v<« Kriegsschauplätze. Zwar hat Lord Kitchener den Doerrn den nachgesuchtcn Waffenstillstand „aus militärischen Gründen" nicht gewähren können, aber er wird den Führern die Möglichkeit bieten, sich mit den CommandoS zu berathen und es bedeutet dies in gewisser Hinsicht nichts anderes, als eine Suspension der Streitigkeiten. Kitchener hat sich nicht binden wollen und beide Parteien haben freie Hand zu fechten, aber es ist eine natürliche Folge der Situation, daß die Streitigkeiten eine Weile ruben werden, wie ja auch wirklich in letzter Zeit eS schon der Fall gewesen ist mit Ausnahme der Operationen Ian Hamilton'S, die begonnen waren und nicht gut unter brochen werden konnten, ohne den Erfolg der Arbeit von Wochen einzubüßen. Es liegt viel zu sehr im Interesse der Briten, die Boeren eine Werle in Ruhe zu lassen, damit sie in Ruhe berathen und abstimmen können. Der „Standard" erklärt zwar „Die beste Conversatious- metbode mit den Boeren ist militärischer Druck", aber man darf nicht vergessen, daß dies Blatt seiner Zeit Rathschläge ertheilte, deren übertrieben eifrige Befolgung die Greuel, wie sie von den Buschveldt-Carabiniers verübt wurden, zeitigte und eS steht zu hoffen, daß Lord Kitchener sich nicht zu solcher „Conversationsmetbode" hergeben wird. Die Theilnehmer an der Conferenz von Pretoria haben die Hauptstadt am Freitag verlassen und sind jetzt auf dem Wege zu ihren Leuten, escortirt von britischem Militär. Zwar ist kein osficieller Waffenstillstand geschlossen, aber dies EScortiren der Delegirten und der Wunsch, sie mit ihren Kommandos zusammenzubringen, folgert in sich selbst ein Ruhen der Unternehmungen. Leicht mag es sein, daß sich drei Wochen als noch zu kurz Herausstellen, um die Ansicht der Boeren über Niederlegen der Waffen einzuholen. Schalk Burger und Lucas Meyer werden voraussichtlich die ersten sein, die ihre Leute treffen. Sie kamen aus der Nachbarschaft von Lydenburg, nördlich von der Delagoa-Bahn, wo es im Allgemeinen seit mehr denn einem Jahre verhält- nißmäßig still gewesen ist. Die Boeren dort haben die britischen Colonnen nach Möglichkeit gemieden uud sie scheinen nur bemüht gewesen zu sein, die Transvaal-Regierung gegen Ueberraschungen und Aufheben durch britische Colonnen zu schützen. General Ben Biljoen war mit dieser Ausgabe betraut, ebe er gefangen genommen wurde. Schalk Burger und seine Begleiter werden ihre Leute in Höhlen und unzu gänglichen Bergklüften zu suchen haben an Stellen, die ihnen bekannt sind, und so ist ihre Aufgabe verhältniß- mäßig leicht. Botha wird eS schwerer haben, mit seinen Leuten zu berathen. Er begiebt sich nach dem Vryheid- District in der südöstlichen Ecke deS Transvaal. Sein Heim war in der Nähe, und ebenso wie de Wet und Delarey ist er stets wieder auf seinen Heimaths-District zurückgekommen. Bruce Hamilton hat seinen Leuten letzthin wenig Ruhe ge lassen, und er mag sie nur schwer auffinden. Delarey's Leute im westlichen Transvaal sind von Ian Hamilton in Athem gehalten worden und die letzten Gefechte von Boschbult, Rooival und Schweizer-Reneke Haden die Auflösung in kleine und kleinste Abteilungen zur Nothwendig- keil gemacht. Stejn und de Wet haben es am schwierigsten, denn nach den großen Treiben gegen de Wet sind seine Mannen weit zerstreut worben. Da aber die Boeren gezeigt haben, daß sie sich erstaunlich schnell concentriren tonnen und daß sie sehr rasch Nachricht von dem haben, was sich auf dem weiten Kriegsschauplätze ereignet, da zudem die britischen Colonnen sie am Sammeln nicht hindern werden, ist es leicht möglich, daß wir bald an verschiedenen Punkten bedeutende Ab- theilungen wieder zusammengezogen sehen werden. Am Liebenberg und am Wilge-Flusse wird de Wet seine Tapferen wohl am zahlreichsten finden und zwar auck in nur ihm und seinen Anhängern bekannten Höhten und Felseneinsamkeiten. In der Capcolonie ist General French lebbast thätig gewesen und dort hat Malan wohl das stärkste Commando von etwa 100 Mann zusammen. Einen eigenen Vertreter haben diese Abtheilungen nicht bei der Conferenz gehabt. Alles in Allem haben die Engländer eine gute Gelegen heit, festzustellen, wie viel Streiter der Boeren ihnen noch gegenüberstehen und ihr großes, fünfzigfach überlegenes Heer beschäftigen. Die Boeren werden nicht verhindern können, daß Spione ihre Zusammenkünfte bewachen und den Briten Nachrichten über die Zahl der Männer zutragen, die an den Abstimmungen Theil genommen haben. * London, 23. April. (Telegramm.) Wie die amtliche Verlustliste angiebt, find am 20. April in einem Gefechte bei Ficksburg 2 Officiere und 3 Mann gefallen, sowie 3 Osficiere nud 19 Mann verwundet worden. * Johannesburg, 21. April. Der Obercommissar Miln er ist nach Capstadt abgereist. * Utrecht, 22. April. Tas „Reuter'iche Bureau" erfährt, nicht Präsident Steijn, sondern Präsident Krüger habe dem Magistrat von Berlin 500 sür die Opfer der Wetter katastrophe übersandt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. April. Wenn man den Nachruf, den gestern im Reichstage der Präsident dem verstorbenen Fürsten Reuß ä. L widmete, mit der Ansprache vergleicht, in der er kürzlich der Trauer deS Hauses um den verstorbenen Centrumssübrer vr. Lieber Ausdruck zu geben meinte, so muß man zu dem Schluffe kommen, daß Gras Ballestrem Vorzüge der Geburt sebr gering einschatzl. Und vergleicht man den Nachruf mit dem Urtheile der „Kreuzzeitung" über die Verdienste des zweiundzwanzigsten Heinrich von Reuß ä. L. um bas Reich, so wird man anerkennen müssen, daß der klerikale Präsident von einem deutschen Fürsten mehr verlangt, als bas führende Organ der preußischen Hochconservativen. Schmeichelhaft ist das für die Letzteren nicht. Dem sehr kühlen und formellen Nachrufe folgte die Fortsetzung der ersten Berathung deS Gesetzes über den Gerichtsstand der Presse; die zweite soll im Plenum erfolgen und wird hoffentlich trotz der mancherlei Ausstellungen, welche die leisten der gestrigen Redner an der Vorlage machten, mit Annahme des im Wesentlichen unveränderten Entwurfes enden. Daß die verbündeten Negierungen nicht gesonnen sind, wesentlichen Abänderungen zuzustimmen, hat Staats sekretär vr. Nieberding schon vorgestern betont; zum Uebeisluffe erklären heute die „Berl. Polit. Nachr.": „Wenn im Reichstage bei der Generaldebatte über den Gesetz, entwurs, betreffend den fliegenden Gerichtsstand der periodischen Presse, erheblich über die Vorlage der Verbündeten Regierungen hinausgehende Wünsche geäußert und entsprechende Anträge in Aussicht gestellt sind, so wird nicht außer Betracht ge lassen werden dürfen, daß man bei Verfolgung dieses Weges ernstlich Gefahr läuft, ein positive- Ergebniß zu ver eiteln. Es wäre eine völlige Verkennung der wirklichen Lage der Dinge, wenn man sich von Seiten jener Kritiker der Vorlage der Hoffnung hingeben sollte, durch Beschlüsse des Reichstag- die Verbündeten Regierungen zur Zustimmung zu Gesetze-vorschriften bewegen zu können, welche sie sachlich als nicht gerechtfertigt und unzweckmäßig erachten, denn die Berbüudeten Regierungen be- finden sich in dem vorliegenden Falle uicht in der Lage des Fordernden, sondern in der günstigen Position Desjenigen, welcher Wünschen deS anderen FactorS der Gesetzgebung entgegen, kommt und daher in der Lage ist, die Bedingungen zu formu- liren, unter denen er diese« Entgegenkommen bethätigen zu können glaubt. Mit dieser Lage der Dinge werden alle Diejenigen rechnen müssen, welche den Klagen der Presse über den fliegenden Gerichtsstand abzuhelsen gesonnen sind, und sie werden dem- zufolge auch darauf verzichten müssen, an den Bedingungen zu rütteln, von deren Erfüllung die Verbündeten Regierungen die Beseitigung des jetzigen RechtszustandeS abhängig machen zu müssen glauben. Dies gilt insbesondere von den Bestim- mungen, welche den Privattlägern gegen Beleidigungen mittels der Presse das Recht beimessen wollen, die Klage auch an ihrem Wohnorte zu erheben. Dieser Theil der Vorlage bildet rin erhebliches Glied derselben, und es ist nicht im Eutferntesten darauf zu rechnen, daß eine Vorlage, in welcher diese Bestimmung gestrichen wäre, die Zustimmung der Ber- kündeten Regierungen finden könnte." DasSchaumweinsteuergesetz wurde in zweiter Lesung nach den Vorschlägen der Commission angenommen. Trotz der Herabsetzung der Steuer von 60 (nach dem Regierungs vorschlage) auf 50 I erklärte der Staatssekretär deS ReichS- schatzamtS die Commissionsbeschlüffe für annehmbar; der Ertrag werde sich danach auf 4*/r Millionen berechnen. Auch mit dem veränderten Controlsystem könne sich die Finanzvcrwaltunz absinden, man dürfe sich aller dings nicht wundern, wenn in der ersten Zeit auS der Anwendung des Markensystems einige Curiosa sich entwickeln sollten. Den von verschiedenen Seilen wieder geäußerleo Besorgnissen in Betreff der luxemburgischen Concurrenz wurde von einem Vertreter des Auswärtigen Amts mit der Mittbeilung begegnet, eS sei Aussicht auf eine Einigung mit der luxemburgischen Regierung dahin vorhanden, daß für Luxemburg ein dem deutschen entsprechendes Gesetz erlassen werde. Gegen die Schoumweinsteuer stimmten die Socialdemokraten; der Abg. Wurm begründete diese durchaus nicht überraschende Stellungnahme etwa in dem Sinne, daß man mit der Steuer, weil sie nicht nach dem Werthe bemessen werbe, daS Sect- gläschen des armen Mannes vertheuere. Auf der heutigen Tagesordnung steht die Verordnung betreffs der gewerblichen Kinderarbeit; erst ans ihre Berathung soll die dritte Lesung der SeemannSordnung folgen. Der kürzlich von uns seinem wesentlichen Inhalte nach mitgetheille Hirtenbrief des Bischois Lacroix von Mon tier« über die politische Haltung der katholischen Geistlich keit bat der deutschen Centrumspresse bittere Ver legenheit bereitet. Und das mit Recht. Die römische Kirche bat bis auf den heutigen Tag eS für ratbsam erachtet, daß in Italien selbst eine kirchenpolitische KampfeSpartei nicht ins Leben gerufen würbe. Abseits vom politischen TageS- streite widmet sich der KleruS in Italien der seelsorgerischen Aufgabe, die ihm von oben gestellt ist, und vermeidet eS mit aller Sorgfalt, den Einfluß auf das Volksleben, der ihm doch in Erfüllung dieser Aufgabe reichlich zu Gebote steht, in politischem Sinne gebrauchen zu wollen. In Frankreich giebt es zwar eine römisch-kirchliche KampfeS- paitei, aber sie ist im Laufe der Zeit mehr und mebr ent waffnet worden, und in dem Wahlkampf in Frankreich, der am nächsten Sonntag zu Ende geht, hat man die klerikale Partei fast schon soweit gebracht, daß sie Gewehr bei Fuß nehmen mußte, waS in der Folge nicht mebr und nicht weniger bedeutet, als die Abkehr vom politischen Tageskampfe, den Rückzug auf die in Italien von jeher eingenommene, bedingungslos neutrale Stellung. „Im gegenwärtigen Augen blicke" — so verkündet bekanntlich der Bischof Lacroix — „soll daS Programm der französischen Priester darin bestehen, treu und offen Republikaner zu sein, jedoch Republikaner ohne Beisatz . . . nach dem Wahlkampfe darf der Priester weder den Siegern noch den Besiegten zu gezählt werden können". Dann ist es um so wehr an der Zeit, zu untersuchen, mit welcher Berechtigung und mit welchem Endziel die Organisation einer kirchenpolitische» KampfeSpartei auf deutschem Boden aufrechterbalten wird, als ja doch Italien nach dem übereinstimmenden Urtheile der Ultramontanen der Kirche den empfindlichsten Schlag ver setzt bat, indem eS die weltliche Machtstellung deS Papstes beseitigte, und als Frankreich durch seipe Gesetz gebung über daS Vereins- und Ordenswesen im vorigen Jahre einen „Culturkampf" begonnen bat, der nach dem übereinstimmenden Urtheile derselben Ultramontanen weitaus schärfere Formen angenommen hat, als seiner Zeit der in Deutschland geführte. Das führende Organ der deutschen Ultramontanen geht über diese Frage behutsam hinweg. Ein Pariser Brief, der in der „Germania" veröffentlicht wird, constatirt nur, daß das Vorgehen des Bischofs Lacroix und das gleichartige Vorgehen des Bischofs Re non großes Auf sehen erregt haben. Im Uebrigeu beschäftigt sich der Brief nur damit, daß der erstere Bischof dem KleruS auch jede Mitarbeit an der Presse untersagt hat, und legt hiergegen Verwahrung ein. Die „Germania" selbst berührt da« wichtige Thema von ihrem redactionellen Standpuncte auö weder so noch so. Wir möchten ihr aber dazu hiermit doch Ver anlassung gegeben haben. Nicht als ob wir nun etwa Bescheid haben möchten wegen der schonungsvollen, ja bedingungslos hingebenden Haltung der beiden Bischöfe gegenüber der Republik und ihren Einrichtungen. DaS wissen wir selber und lassen eS gelten, daß die Kirche jeglichen Bekenntnisses verpflichtet ist, mit der gegebenen SlaalSform sich abzufinden, daß sie in der Monarchie wie in der Republik kirchliches Leben gleichermaßen zu pflegen in der Lage sein wird, wenn sie nur dem Staate gegenüber die Grenzen respectirt, die dieser im Interesse eine« einheitlichen und gesunden staatlichen Lebens sür seine Aufsicht und seinen Einfluß beanspruchen muß. Aber darauf möchten wir Antwort haben, warum eS in Deutschland nach wie vor geboten sein soll, durch eine kirchenpolitische KampfeSpartei jene Grenzen der staatlichen HoheilSrechte zu bestreiten, sie anzuzreifen und überall zu überschreiten. Giebt e« einen anderen Grund, als den, daß in Deutschland drei Fünftel der Bevölkerung dem prot estan ti sch en Bekenntnisse angehören? Dann heraus damit. Wenn eS aber nur dieser Grund ist, wenn eS einem Staatswesen mit überwiegend protestantischer Bevölkerung nicht gestattet werden kann, dasselbe einheitliche und gesunde staatliche Leben M führen, wie dem mit fast ausschließlich katholischer Be völkerung, waS heißt dann im Sinne der deutschen Ultramon- lanen das Versprechen der — Toleranz? Feuilleton. Eva oder Anneliese? 2vs Roman von Ernst Georgy. Atachdruck rcrboikn. Warell näherte sich hastig -cm Freunde: „Sieh da, Bernd, heute bis Du inStimmung! Das gnädigsteFräulein hat einen Erfolg zu verzeichnen. So lebhaft habe ich Graf Brandau noch nie gesehen; nicht einmal nach Lect!" — „Was schert mich Weib, was schert mich Kind!" lachte Bernd eigenthümlich. — „Mir ist sehr wohl hier, schrankenlos wohl! Weißt Du, Steff, schon der alte Schiller hat es ge sagt: „Darum laßt uns heute leben, morgen können wir's nicht mehr! ^pres uujouru'bui to llülu»ze!" „Vergiß aber nicht eins, mein Junge, aprd» Iv ckslugs — les plourg!" „Laß mich, ich will!" „Nun wohl, ich schweige, George Dandin!" — „Dieser Herr ist wohl Ihr Pollux?" fragte die Waskakin. „Ja, meine Gnädige, doch heute bin ich Mephisto: Ich will, nein, ich lasse das Böse zu, um Gutes zu schaffen!" Alle Gäste, auch die Karten ¬ spieler, erhoben sich und traten in das Zimmer ein oder postirten sich an den Thiiren, um dem Gesänge zu lauschen. Feodora stand unter dem Kronleuchter neben dem Flügel. Das Licht spielte mit den silbernen Flitter» deS gestickten Rankenwcrkes, welches da» leichte blaue Gaze kleid bedeckte. Die Taille deS Kleide» war aus blauem, türkisfarbenem Sammet, um den Ausschnitt zogen sich weiße Rosen, in denen Brillanten funkelten. Eine silber- bordtrte Cröpeboa bedeckte die noch jugendliche Magerkeit des schlanken Halse» und wallte bi» zu den gleichfalls be stickten Schuhen, die mit Brillantagrasfen gehalten wurden. — Auf allgemeines Bitten begann die Künstlerin ihren Gesang mit russischen Volksliedern und Balladen. — Sie stand regungslos da, nur der leichte Stoff zitterte um sie her, und da» Licht erweckte buntstrahlende spielende Reflexe auf ihren Juwelen. Bernd lauschte, gegen die Wand gelehnt, den schwer- müthigcn Weisen. So schön die weiche Stimme auch war, er konnte den gutturalen Tönen, der anscheinenden Ein förmigkeit der Melodie keine großen Reize abgewinnen. Die Musik interessirte ihn zwar; aber sie packte ihn nicht. Vielleicht lag eS daran, daß er den Wortlaut nicht verstand. — Nach jedem Lied brachen die Umstehenden in jubelnden Beifall auS, riefen „dis" und klatschten mit den Händen oder stampften mit den Füßen auf den Boden. — Feodora warf einen Blick auf ihn. Sie fühlte, daß sie noch nicht gewirkt hatte. Eilig glitt sie zu ihrem Begleiter, beugte sich zu ihm hinab nnd flüsterte ihm etwas zu. Er präludtrte Btzet's prickelndes Carmenlied: „Die Liebe vom Zigeuncrstamm n. s. w." Eine völlig Andere schien Feodora jetzt. Mit raffinirter Koketterie nnd vibrirend vor Leidenschaft sang sie nicht nur, sondern spielte. Ihr schlanker Körper folgte geschmeidig mit katzenartiger Grazie jeder Jnnenregung. Sobald die Worte: „Und wenn ich liebe, nimm Dich in Acht!" kamen, bohrten sich ihre Blicke in Bernd's Augen fest. Ihre rothen Lippen lächelten grausam, die weißen Zähne blitzten. — AthemloS sah er auf das wilde Geschöpf, das ihn jetzt be- zauberte. Seine Pulse klopften, sein Blut stürmte durch die Adern. Das Interesse für sie überwog jetzt die innere Ab neigung. Feodora ging von Arie zu Arie, sich selbst auflösend in der Wonne ihres Könnens. Sie vergaß die Welt um sich und sang nur noch für Brandau, der momentan ihre Wünsche reizte. Endlich geboten ihre Eltern Einhalt, weil sie bemerkten, daß ihre Gäste aufmerksam wurden. Frau Mamünow hegte wohl die geheime Hoffnung, den reichen, jungen Grasen unter den Freiern um die Hand ihrer Tochter zu sehen. AIS Bernd fragte, ob Feodora auch Schubert und Lchumann'sche Lieder singe, beschloß sie so fort, noch einige Monate in Berlin zu bleiben. Die junge Sängerin sollte bet Jenny Meier noch die deutschen Lieder, von deren Schönheit sie gehört, studiren. — Die Doctorin WaSkakin hatte den begeisterten Warell in das Neben zimmer geführt und verwickelte ihn jetzt in ein Gespräch. — Nach der russisch zwanglosen Art überließ man jedem Gaste, daS zu thun, was ihm gerade beliebte. Die Gäste rauchten, plauderten wieder und setzten sich zum Spiel nieder. So waren Bernd und Feodora fast unbeobachtet. Sie lag ermüdet und tiefathmend in einem Sessel hingegossen, den Kopf mit den brennenden, halb geschloffenen Augen, den durstig geöffneten Lippen auf die Lehne zurückgelchnt. Bon unten herauf trafen ihn ihre Blicke. Er stand dicht bet ihr. Bor ihm wogte und brandete ein Nebel. Plötzlich neigte er sich über sie und packte ihren Arm mit schmerz haftem Druck. „Run habe ich Ihnen gefallen?" fragte sie leise. Er blieb stumm. „Und wenn ich liebe, nimm Dich in Acht!" summte sie wie im Traume. „Wann kann ich Sie allein sprechen oder sehen, Feodora?" stammelte er. Ein Blitzstrahl, aufleuchtender Triumph, schien ihr Gesicht zu verklären. „Nachher, ich werde es arrangiren!" murmelte sie. Dann sprang sie empor und rief ungeduldig: „Es ist spät, ich denke, wir soupiren, Maminkal" Als ob unsichtbare Geister auf diesen Befehl gewartet hätten, öffneten sich jetzt die Thürcn. Lohndiener rollten fertig gedeckte Tafeln herein. Man setzte sich, und ein opulentes Souper wurde aufgetragen. Feodora saß zwischen Warell und Brandau. Der Erstere unterhielt sich verstimmt mit seiner Nachbarin. Er merkte, daß ihm das so be- wundernswerthe Mädchen entglitt und dem Freunde als Spielzeug zufiel. Zum ersten Male kostete er die Qualen einer brennenden Eifersucht. Die Beiden aßen wenig, tranken aber desto mehr. Ihre Hände, ihre Blicke be rührten sich wie die zweier Personen, die mit sich einig waren. Nur dann nnd wann sprachen sie miteinander; aber unzusammenhängend, verworren. Noch ein Anderer betrachtete das Paar in geheimer Verzweiflung und Bitter keit. Constantin Wassiljewitsch litt furchtbar, denn er liebte die interessante Feodora seit drei Jahren. Mit ernsten Absichten war er ihr genaht; aber sie hatte ihn abgewiesen und auf später vertröstet. Jedoch er glaubte an dies „Später" — nicht; denn sobald sie die Bühnenlaufbahn ein schlug, war sie für ihn verloren. Seine Eltern würben die Heirath mit einer Sängerin nie erlauben, während sie gegen eine reiche, bürgerliche Frau wohl nicht so ange kämpft hätten. Von ihrem diesmaligen Aufenthalte in Berlin hatte er Alles erhofft. Mamänow's waren ihm, den, adligen Bewerber, nicht abgeneigt, und Feodora hoffte er zu überreden. — Nun war der schöne, viel bewunderte deutsche Gras auf dem Spielplätze erschienen. Und sofort batte sich die Närrin ihm zugewandt. Glaubte sie, daß Brandau sie heirathen würde oder hatte sie in Paris ihre strengen Ansichten gelockert? — Der von Natur sanfte junge Mann fühlte seit Feodora'S Gesang eine innere Wandlung sich vollziehen. Er wurde in seiner Enttäuschung und Eifer- sucht mnthig. To gelobte er sich denn, ein LtebeSverhältniß der Beiden um jeden Preis zu stören und sei es mit den härtesten Gewaltmitteln. In keinem Kall durfte Feodora Bernd näher treten, als Freundschaft e» erlaubte. Er wollte ibn hindern, über ihr wachen! — Gr! — Die Nacht war weit vorgerückt. Man tanzte in dem einen schnell ausgeräumten Gemache. Bernd hatte Feodora einen deutschen Walzer gelehrt. Mit wilder Leidenschaft hatte er sie an sich gepreßt. Der Ballabend, da er Eva in keuscher Muth in den Armen gehalten, stand vor seinem Geiste. Wieder quoll ein ungeheurer Schmerz in ihm auf, doch er wollte ihn niederzwingen und verbannte jede Er innerung an früher. — Feodora spähte, nach Luft ringend, umher, dann flüsterte sie ihm hastig zu: „Folgen Sic mir vorsichtig!" — Sie glitt durch die Paare und verschwand hinter einer Portiere. Er eilte ihr nach und stand bald vor ihr. Sie reichte ihm die Hand und flüsterte: „Bernd Julia nowitsch — sind Sie noch immer gefeit oder . . . ." Statt aller Antwort riß er sie an sich und bedeckte sie mit Küssen. Keiner sprach ein Wort. — Der Rausch war da, vergessen die Vergangenheit, die reizende Geliebte, die blinde Braut. Endlich machte sie sich frei und trat von ihm fort. „Wir müssen zu den Anderen, kommen Sie!" — Stumm nickte sie ihm zu und eilte in den Salon zurück. Nach ungefähr fünf Minuten folgte er ihr langsam nach. Neben dem Eingang standKvnstantinWassiljewitsch und sah ihm düster entgegen: „Nun, Herr Graf, haben Sie sich beim Tanzen vorhin so überangestrengt, daßSic die Einsamkeit aufsuchen mußten?" sagte er mit beißender Ironie. „Ich, wie kommen Sie auf diese Idee?" fragte Bernd etwas verlegen. „Nun, ich sah Sie vorhin mit Feodora Alcxandrowna im Tanze rasen, da ist eS doch kein Wunder, wenn Sie angegriffen sind!" meinte der Russe, ein Beben in der Stimme. „Ich glaube, Sie täuschen sich!" erwiderte Brandau hochmüthig un richtete sich auf. „Hüten Sic sich!" drohte sein Nebenbuhler jetzt todten- bleich, trotzdem er lachte. „Man soll nicht frivol damit spielen! — Menschcnglück, ja, Menschenleben hängen oft an einem einzigen Haare." Bernd blickte gekränkt auf den Sprechenden; aber seine Rede stockte auf den Lippen. Der Ausdruck von Schmerz und Haß auf dem verzogenen Gesicht packte ihn plötzlich. — „Man soll nicht frivol mit Menschenglück spielen!" hörte er innerlich noch einmal. - WaS bat er aber anders ge- than? — Hatte er uicht frivol gespielt?! Ein Schauer glitt seinen Rücken hinab. Mit ber nur ihm eigenen, überzeugen den Liebenswürdigkeit nahm er des Andern sich sträubende Rechte: „Sie haben Recht, und ich danke Ihnen für Ihren Wink!" sagte er mit Betonung. Konstantin blickte ibn zu erst betroffen an; aber der Ernst, mit dem sein Gegner ge sprochen, die Blicke desselben offenbarten mehr noch, als der Mund verrtcth. Sein Antlitz glättete sich: „Sie sind ein Ehrenmann, Graf Brandau!" „Ich baue auf Ihre Worte! ES giebt leidenschaftliche Geschöpfe, die sich von inneren Impulsen fortreißen lassen. Vielleicht zu Hand«
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