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Nr. 120 Sonntag den 27. Mai 1900 Redaction und Expedition: Bahnstrasrc 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. des Tages außerhalb des Bettes zu. Die Nacht ver lief ohne Störungen. — Der am 26. Februar d. I. von dem hiesigen Königl. Schwurgericht wegen Mordes zum Tode verurtheilte Arbeiter Paul Theodor Ludwig aus Wachwitz ist von Sr. Mas. König Albert zu Zuchthausstrafe begnadigt worden. Lndwig hat am 1. Juni vorigen Jahres in seiner damaligen Wohnung auf der hiesige« Altenbergerstraße seine 20jährige Ehe frau uud sein 9 Wochen altes Kind durch Erwürgen getödtet und hierauf die Wohnung in Brand gesteckt. Der Mörder wurde heute von der Begnadigung in Kenntniß gesetzt. Polenz. Ein bedauerlicher Unglücksfall, dem diu junges Menschenleben zum Ovfer gefallen ist, ereignete sich hier am vergangenen Montag. Der Gemeindevor stand Adam hatte sich zur Verrichtung der ländliche:! Arbeiten von dem Gäasehändler Hempel ein Pferd ge liehen. Bevor er es jedoch in Arbeit nahm, schickte er es mit dem Pscrdejungeu in die Schmiede, um es be schlagen zu lassen. Hier wurde das Pferd aber scheu und ging durch. Es rannte bis in den Stall des Guts besitzers Scheiblich, drehte sich einige Male darin herum und schlug nach hinten aus, dabei traf es den Pferde jungen, welcher es wieder einfangen wollte, so unglück lich an die Schläfe, daß er zufammenbrach und bald darauf seinen Geist aufgab. Demi tz. Ein Mitglied des Turnvereins zu Demitz- Tbumitz ist von den. herben Geschick betroffen worden, infolge Influenza vollständig erblindet zu sein. Um den bedauernswerthen, erst 29 Jahre alten Mann nicht mit seiner Familie in größte Noth kommen zu lassen, ist jetzt im ganzen 14. Turukreis (Königreich Sachsen) eine Geld- sammlung cingeleitet worden. Jnsertionsgebühren: die fünfgespaltene Cm 12 Pfg , Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg-, T" ^batt. Reclame 25 Pfg. Bei mehrmaliger A sg^ Porm. Annahme der Inserate für die folgende ' erbeten. 10 Uhr. Größere Anzeigen Abends vorher — OeEchss und G-rchsischsL,. Hohenstein-Ernsttbal, den 26. Mai. — Nächsten Montag von Vormittags 9 Uh- ab wird m der Hausflur des hiesigen Nathskellere das Fleisch einer Kuh, welche mit Tubercnlose behaftet ist als minderwerthig in rohem Zustande verpfändet. — Von Zeit zu Zeit taucheu innerhalb einzelner Erwerbszweige Wünsche auf Befreiung voll der Jn- valldltatsversicherungspW auf. Es ist bekannt, daß PMer m verschiedenen landwirthschaftlichen Kreisen solche Wünsche existirten, es folgten ihnen die Hand werker und neuerdings regt sich ein ähnliches Ver langen in den Kreisen der kaufmännischen Angestellten Diesen Wünschen liegt vielfach der Gedanke zu' Grunde, daß gerade für die betreffenden Kreise die Vortheile der Versicherung sich nicht den von ihnen geleisteten Beiträgen entsprechend gestalten. Es darf als ziemlich sicher angesehen werden, daß diejenigen Kreise, welche einmal der Jnvaliditäts- und Altersversicherungspflicht unterworfen sind, aus derselben nicht wieder ausge schieden werden. Allen denjenigen Handlungsgehilfen, welche nach Erlangung emes entsprechenden Gehaltes auf Grund des Gesetzes aus der Versicherungspflicht ausscheiden, kann nur gerathen werden, von der ihnen gegebenen Berechtigung der Weiterversicherung Ge brauch zu machen. Sie werden damit einmal für ihre Zukunft sorgen und sodann der Vortbeile, auf welche sie gemäß ihren früher gezahlten Beiträgen Anspruch haben, nicht verlustig gehen. — Mittheilung aus dem Hauptburrau der König lichen Generaldirektion der Sächsischen Staatseisen bahnen. Zur Erleichterung des Besuches der vom 7. bis 12. Juui d. Js. in Posen stattfindenden Wander ausstellung der Deutschen Landwirthschafts-Gesellschaft erhalten die in der Zeit vom 6. bis 12. Juni d. Js. gelösten einfachen Personenzug- und Schnellzugfahr karten I., II. und III. Klaffe nach Posen über sächsische Strecken Giltigkeit zur freien Rückfahrt nach der Ab gangsstation bis zum 15. Juni einschließlich unter der Voraussetzung, daß der Besuch der Ausstellung durch Abstempelung der Fahrkarte bescheinigt ist. Wird mangels durchgehender Fahrkarten nach Posen die Lösung mehrerer Fahrkarten erforderlich, so erhalten die einfachen Personenzugs- oder Schnellzugsfahrkarten für die anschließenden vorliegenden Strecken, wenn sie abgestempelt sind, dieselbe Giltigkeit wie die Fahr karte nach Posen. Die Reisenden haben auf der Hin fahrt den Zug- oder Bahnsteigfchaffnern von dem be absichtigten Besuch der Ausstellung Mittheilung zu mache« und darauf bedacht zu sei«, daß ihnen der Fahrtausweis nicht abgenommen wird. Auf den Hin- und Rückweg ist je eine Fahrtunterbrechung gegen Bescheinigung durch den Stationsbeamlen gestattet, die Rückfahrt muß bis zum 15. Juni mitternachts be ende: sein. Kinder im Alter bis zu 10 Jahren ge nießen die tarifmäßigen Vergünstigungen, Freigepäck wird nicht gewährt, für Benutzung von O- und U- Zügen ist der tarifmäßige Zuschlag zu entrichten. — Ueber das Vermögen des Rathsbauinspektors Richard Blum in Leipzig, der sich wegen Wechsel- fälschunq in Haft befindet, ist das Concursverfahren eröffnet worden. Bei seinen Machenschaften handelt es sich nicht um amtliche Gelder, gleichwohl liegt aber ein Mißbrauch seiner amtlichen Stellung vor. Blum borgte hauptsächlich Gewerbetreibende an, die daraus rechneten, durch seine Befürwortung städtische Arbeiten übertragen zu erhalten. . -> Dresden, 25. Mai. Nach den heute aus Sibyllenort eingegangenen Nachrichten schreitet die Besserung im Befinde» Sr. Maß des Königs regel mäßig fort und bringt derselbe seit heute einige Stunden Gerichtsverhandlungen. ß Zwickau, 23. Mai. Schwurgericht. Ein wegen seiner Gewaltthätigkeit äußerst gefährlicher Mensch hatte heute die Anklagebank inne. Er wurde in Ketten gefesselt aus dem Untersuchungsgefängniß in den Verhandlungssaal geführt und bewies sogar noch hier, daß er keineswegs geneigt sei, sich ruhig den Verhandlungen über ihn zu fügen, indem er sich ganz entschieden sträubte, die Anklagebank zu betreten. Er mußte deshalb von zwei Gerichtsdienern mit Gewalt auf den für ihn bestimmten Platz gebracht werden. Dies Vorkommniß gab auch dem Gerichtshöfe Ver anlassung, einen Beschluß zu fassen, wonach dem An geklagten auch während der Verhandlung die Fesseln nicht abzunehmen seien. Diese rabiate Person ist der am 16. Februar 1865 in Schleifreisen bei Roda in Altenburg geborene, vielfach schwer vorbestrafte frühere Dienstknecht und Kutscher Louis Richard Wenzel, der nach seinen eigenen Angaben auch mehrfach als Artist und Kunstreiter in einem Cirkus thätig gewesen ist. Wenzel hat ein außerordentlich bewegtes Leben hinter sich und ist zweifellos eine für immer verlorene Existenz. Heute hatte er sich wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und versuchten Todtschlags zu verant worten. Anfang Juli 1898 ist W. aus dem Zucht- hauje zu Moabit bei Berlin, woselbst er eine Zucht hausstrafe von mehr als 11 Jahren zu verbüßen hatte, nach Verbüßung von 10'/, Jahren entsprungen und hat sich seit dieser Zeit in den verschiedenen Gegenden Deutschlands, Diebstähle und Betrügereien verübend, unter falschen Namen Herumgetrieben. Aus diesem Grunde schweben auch gegen ihn bei einer Anzahl Be hörden Strafverfahren, deren Aburtheilung er noch harrt. Nur von den Landgerichten Naumburg und Weimar ist er mittlerweile wegen dort verübter Dieb stähle zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurtheilt worden. Einen erneuten Beweis seiner Gefährlichkeit Eglich Nachmittna"^ Ausnahme der Sonn- und Festtage 2 1 Echimt ago Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten - Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Pfq incl der illustrirten Sonntagsbeilage. 27. Jahrgang. gab Wenzel in Weimar, als er zu der dortigen Verhandlung von zwei - per dorthin gebracht worden war, Gerichte stelle sich auf eine äußerst cplchm ^-s.^jcher- Fesseln erledigt hatte und Reißaus «ahm. dingfest weise wurde er damals wieder "gnsM m gemacht. Auf seinen abenteuerlichen OM ihn in Zwickau das Geschick. H>"' „ der mehrere Tage in dein Gasthaus zum , Reichenbacherstraße anfgehalten und mit eine diensteten Kellnerin ein Verhältniß angeknupt- dnrch sein Verhalten, insbesondere durch seine ) erheblichen Geldausgaben Aufsehen erregte, M < dort wohnhafter Fuhrwerksbesitzer de« hiesigen i schutzmann Dörr aus de» Angeklagte» »usme t,a>m Dieser begab sich daraus in das genannte Gas h - und nahm den Angeklagten näher vor. Wenze ge sich als ein Schlosser Wanke aus Erfurt aus, w aber, da dies dem Kriminalschutzmanu nicht recht g - Haft erschien, auch das Aussehen des Angeklagten m der Personalbeschreibung eines von einer auswärtigen Behörde gesuchte« Schriftsetzers Lichtenstein, ubelem- stimmte, veranlaßt, mit auf das Polizeiamt zu sichen. Wenzel ist auch ruhig mitgegangen, hat aber plötzlich auf dem Mathildenweg dem Beamten einen Stoß ver setzt, daß dieser zu Falle gekommen ist, und hat da rauf die Flucht ergriffen. Dörr hat sofort die Ver folgung Wenzels ausgenommen, dieser hatte aber mittlerweile einen nicht unerhebliche« Vorsprung ge wönne«. Aus diesem Grunde hat Dörr den Slraßen- passanten wiederholt zugerusen, den Flüchtling aufzu halten, und es sind in Folge dessen auch auf der Bach straße zunächst der Maurer Thieme und später der Droschkenkutscher Bochmauu dem Augeklagten entgegen getreten, um ihn am weiteren Fliehen zu hindern. Wenzel Hal nun in beiden Fällen einen in der Ueber- ziehertasche bereit gehaltenen Revolver, den er sich be reits nach seiner Flucht aus dem Zuchlkame Moabit angeschafft hatte, gezogen und hat denselben auf seine Verfolger abgedrückt. Während bei Thieme der Schuß gar nicht losgegangen ist, da Wenzel anscheinend ver säumt hatte, die Sicherung zu lösen, ist der aus Boch mann gerichtete Schuß glücklicherweise fehlgegangen, obwohl W. nur einen Meter vor dem Gesichte Boch manns abgedrückt hatte. Da Wenzel offenbar einen weiteren Ausweg nicht fand, ist er schließlich in das Haus des Viehhändlers Hornig in der Brunnenstraße geflüchtet und hat hier auf der Treppe auf sich selbst mehrere Schüsse abgegeben und sich dadurch am Kopse schwer verletzt, so daß er damals im hiesigen Kranken hause untergebracht werden mußte, wo seine Wieder herstellung erfolgte. Der Angeklagte war heute des ihm Beigemessenen nicht abredig, nur bestritt er, die Absicht gehabt zu haben, seine Verfolger zu tödten, er will sie durch das Schießen nur von seiner weiteren Verfolgung haben zurückhalten wollen. Die Herren Geschworenen bejahten nach Schluß der Beweisauf nahme die auf Widerstand gegen die Staatsgewalt und auf versuchte vorsätzliche Tödtung des Droschken kutschers Bochmann gerichteten Schuldfragen, ver neinten dagegen die auf versuchte vorsätzliche Tödtung des Maurers Thieme gerichtete. Dem gemäß verurtheilte der Gerichtshof' den Angeklagten wegen versuchten Todtschlags in einem Falle und wegen Widerstands unter Jnwegfallstellung der von den Land gerichten Naumburg und Weimar erkannten Strafen zu 6 Jahren 6 Monaten Zuchthaus, 10 Jahren Ehren rechtsverlust und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht Auf die Zuchthausstrafe rechnete man ihm 2 Monate Unter suchungshaft an. Als Geschworene walteten ihres Amtes die Herren Privatmann Rahm aus Leubnitz, Factor und Kirchner sm Hchiisiein-ßniMü, MüillWitz, GMtts, Lugau, Wüstenbraud, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken, Meinsdorf u. s.