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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrcinumcrationS'Preis 22^ Silbergr. Lhlr.) vierteljährlich, 3 Lhlr. sur das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. W agazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägcrstraße Rr. 28), so wie von allen König!. Pest , Kemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. .1/ 139. Berlin, Donnerstag den 20. November 1845. Spanien. Charaktcrzüge der heutigen Spanier. I. Falscher Stolz bei Durstigkeit. — Arbeitscheu. Spanien galt lange Zeit als ein räthselhaftcö, seltsames und wunder- haftcS Land für das übrige Europa. Begeisterte Schriftsteller haben es, in ihrem verzeihlichen Enthusiasmus, für das Vaterland der reinen Romantik auögcgcbcn, wahren» Männer von strengeren Ansichten cs als den Boden ver schrieen, der nur Einwohner von unheilbarem Verderben trägt. Es ist nicht unsere Absicht, schiedsrichterlich mit dem bekannten Aussprache: „die Wahr heit liegt in der Mitte", zwischen diese entgegengesetzten Meinungen zu treten, sondern wir gestehen, daß uns das Problem eines National-Charakters zu lösen nicht eine so leichte Unternehmung scheint, und am wenigsten das des Charakters der Spanier.. Gewiß ein witziger, beredter und geistreicher Schrift steller mag bei solchem Gegenstände glänzend erscheinen, er mag mit Erfolg Gemeinplätze sammeln, mag schlagende Bilder zeigen, die durch blendende Farben beleuchtet sind, ja er mag selbst gelegentlich originelle Bemerkungen vortragcn, eö wird bei allem diesen der Schlüssel zum Gegenstände noch nicht passen. Für jetzt mag es genügen, aus den neuesten Reiscbeschreibern einige Betrach tungen zusammenzustclleu, die fähig find, dem gegenwärtigen Zustande Spaniens Juteresie zu verleihen, und die eö uns möglich machen, einige Vermuthnngen über dessen zukünftige Bestimmung zu bilden. Man hört gewöhnlich versichern, der Spanier scp stolz, und Personen, die tiefes Nachdenken nicht zur Hauptaufgabe machen, sind gleich geneigt, den Begriff von Stolz mit dem Begriffe von Seelengröße für identisch zu halten. Allein cs giebt keinen größeren Jrrthum. Der Stolz des Spaniers entspringt aus einem stumpfsinnigen Mißverständnisse seines eigenen WerthcS. Unfähig, einc richtige Vergleichung zwischen sich und seinem Nachbarn anzustellen, ent blößt von Keuntniß der Zeit und der Verhältnisse, in der Meinung stehend, daß alle Welt gleich ihm sich noch unbeweglich innerhalb der guten alten Zeit erhalten habe, zieht er aus dieser Unfähigkeit und Unkenntnis) die Mittel zur Bildung eines anmaßenden Hochmuths. Allein welches sind die Bedingungen des spanischen Stolzes) In welchen Erscheinungen des Landes liegen die Gründe eines so hervorstechenden Selbst gefühls) Ist der Spanier etwa darauf stolz, daß er, was Bildung und Staatswesen betrifft, allen europäischen Völkern gegenüber in Rückstand ist) Etwa weil er keine geordnete Regierung, keine moderne Literatur, keine Kunst, keinen Handel, keine Industrie hat? Oder etwa, daß selbst seine sonst so mächtige Kirche niedergerissen ist) Nach unserem Dafürhalten sollten solche Erscheinungen die Demuth, nicht den Stolz fördern, die Demuth, in welcher Hoffnung für die Zukunft liegt. Wenn für Spanien der Tag der Wieder geburt kommen soll, so muß die Uebcrzeugung vorausgehen, daß die Nationen das ärndtcn, was sie säen, und daß Unwissenheit, Trägheit und Hochmuth nichts erzeugen als soziales Elend und politische Herabwürdigung- °) Es ist hohe Zeit, daß Spanien aufgefordert wcrde, auf seine zerrissenen Bettelkleidcr zu sehen und über den Versuch uachzudenken, an ihre Stelle etwas Anstän digeres zu setzen. Der andalusische arme Hidalgo, welcher unter seinem ab getragenen Mantel die Abwesenheit eines Rockes und anderer Kleidungsstücke verbirgt und, sich mit den schlechtesten Nahrungsmitteln zufricdengebend, glaubt, sein Blut scp hinreichende Bürgschaft für persönliche Würde; ein solcher Andalusier, sagen wir, ist der wahre Typus des unglücklichen Landes. Bcioc glauben, cs läge nichts Schimpfliches im Hungcrsterbcu, und daß im Müßig- ') Noch einem länger» Artikel der korvixu -narterlx kovivv. ") Die Borwnrsc, die unser Original hier den heutigen Spaniern macht, sind theil« übertrieben, theil« ganz unwahr, die meisten aber passen gerade besser für da« Spanien unter Philipp II. bis auf Karl IV-, als Mr da« Spanien unter Isabella II. Es ist lehr leicht und gefahrlos, auf das heutige Spanien Übel zu sprechen, und es geschieht in deutschen Blattern und Büchern auch häufiger, al« man eö verantworten konnte. Aber bei solchtm Prozesse ist e« für oberflächliche Schriftsteller begnem, da« Publikum zu täuschen, weil man seit lange gewohnt ist, die Halbinsel al« den Schauplatz der Gcsunkenheit und der Lächerlichkeit zu betrachten, wa« sie allcrting« unter den Bourbonen war, wa« sie aber seit dem Befreiungskriege zu scyn aufgehört. Daß Spanien unter den Wechselfällen der Despotie, Inquisition, Demagogie und grausamen Bürgerkriege in üii Jahren au« dem Zustande einer Provinz La Manchs in den einer Grafschaft Middlesex übergehen soll, kann nur Jemand verlangen, der den Gang der Völkernatur nicht kennt. UedrigenS kennen wir Länder, deren Regierung geordneter ist al« in Spanien, die aber dennoch ihre Industrie und Literatur mit der spanischen nicht «u messen wagen. gong wahrc Größe scp. Hier ist das Feld, worauf sich der UmwälzungSgeist mit großem Nutzen bewegen möge! Man muß den Spanier lehren, an die Gewalt der Industrie zu glauben; er muß einsehen, daß es ersprießlicher ist, zwei Kornhalme wachsen zu nmchen, wo bisher nur eines wuchs, und daß eö ein größeres Verdienst ist, die Stoffe zu Beinkleidern und Röcken zu verviel fältigen, als sich gewöhnen, mit hungrigem Magen und ohne Beinkleider und Rock herumzugehen. II. Industrie. — Schmuggelei. — Handelspolitik. — DaS junge Spanien. Einer der vorherrschenden Züge im spanischen Gcistc ist der Widerwillen gegen die Personen der Ausländer und ihre Erzeugnisse. Wir vermögen uns diesen Widerwillen zu erklären. ES iß jenes Widerstreben, welches viele Men- schon fühlen, sich mit Leuten zu vergleichen, die besser gestellt sind, oder die Frucht der eigenen Gewerdthätigkeit mit den Früchlen einer durch Zweckmäßig keit und Verbesserungen ausgezeichneteren Industrie zusammenzustellen. An dere Völker sehen den höher stehenden Sinn ihrer Nachbarn in Sachen der Gewerbe und die aufgeklärtere Kultur derselben zwar auch mit Neid, aber der Neid reizt zur Nachahmung, zum Wetteifer; dagegen kann Haß und Wi derwillen den Wetteifer nur lähmen. Vielleicht, daß Spanien sich bald seiner Unterordnung schämt und angeregt wird, die Laufbahn einer edlen Rivalität mit anderen Ländern zu betreten! So sehr aber auch der Spanier einen Abscheu vor fremden Waaren hat oder vorgiebt, so finden doch ausländische Manufakturwaarcn ihren Weg nach seinem Lande in größten Massen. Aber wie finden sie ihren Weg? In der natürlichen geraden Richtung, durch Seehäfen und an Stcner-Acmtern entlang, die dazu errichtet find, zu gleicher Zeit den rechtmäßigen Kaufmann, wie den Staatshaushalt zu bereichern) O nein! dies wäre nicht die spanische Art, Gc- schäfte abzumachcn; das hieße den plumpen, närrischen und schläfrigen Weg anderer Völker cinschlagen. Spanien hat sein eigenes Handelssystem; eS hegt keine Stcuerbcamten, liebt keine Zollhäuser und überträgt seine ganze Sorg- falt auf ein Stückchen Contrebande. Die Eigenschaft, geschmuggelt zu scyn, benimmt sogar der ausländischen Waare das Herbe der Fremde und sie wird nicht weiter gehaßt. Daher rührt die Erscheinung, daß im spanischen Leben keine irgend bedeutende Hanvlung vor sich geht, bei der nicht ein Schmuggler seine Hand im Spiele hat. Der arme Bauer schmuggelt aus Noth, der Kaufmann aus Geiz, oder gar aus bloßer Freude, das Staats. Einkommen zu betrügen. Ja, man erzählt, daß die Königin selbst ihren Staatsschatz dadurch beeinträchtigt, daß fie verbotenen Putz trägt. Die ganze Ost- und Südküste, von Barcelona bis Cadir, gehört nur am Tage der Regie rung, bei Nacht aber dem Schmuggler. Man behauptet, daß 400,060 Schleich händler die Sierras umschwärmen und bei Nacht hinabsteigcn, um mit ver dächtigen Ausländern Zusammenkünfte zu halten und die Stoffe in Empfang zu nehmen, welche für Millionen bestimmt find, die gute und steuerfreie Waaren lieben. Di« scharfsinnige Politik, welche solchen Zustand der Dinge hcrbeigcsührt hat, kann man nicht anders als bewundern. Das Gouvernement braucht Geld, deshalb legt es auf fremde Waaren nicht etwa eine billige Steuer, welche das Volk zu bezahlen geneigt und im Stande wäre, sondern eine unmäßige, von der der geringste Funke von gesundem Verstände voraus wissen kann, daß fie in ihrer Unerträglichkeit niemals erlegt wird. Hierzu kommt noch die Absperrung dcr Seehäfen und alle jene Vorkehrungen, die Handels-Verbindungen mit fremden Staaten zu hindern. Dennoch thun sich die Herrschaften, welche zu Madrid mit den Zügeln dcr Regierung in den Händen fitzen, sehr viel auf diese weisen Fmanzmaßregcln zu gut, indem fie sich im voraus an der goldenen Aerndte weiden, die eine Folge ihres Systems scyn soll. Allein der Schatz ist stets leer, Beamte und Truppen bekommen keinen Gehalt und Sold, und Alles ist lahm bei dieser iberischen Staatskunst. Nichts wird dadurch bewirkt, als die Erschöpfung des Schatzes, die Vernichtung des Handels, die Lähmung der Industrie (?) und dcr Ruin der ganzen Nation. ') ') Auch hipp scheint unser Engländer in seinen Vorwürfen fiqrk zu fibertreiben. Ob e« für die einheimische Industrie besser ist, sic durch angemessene Zölle auf fremde Waaren zu schützen, oder dcr Handelsfreiheit keine Fessel anzulegen, das ist eine Frage, die in Deutschland wohl zu keiner Zeit ausführlicher und gründlicher untersucht morden ist, al« eben jetzt. Auch hier ist man zu dem Schlüsse gekommen, einigen vaterländischen Produkten Höbern Zollfchutz zu verleihen, und wenn Deutschland, dessen Fabrikwescn so viel weiter ist, al« da« spanische, aus solche Weise seine Sache wahrnimmt, so scheinen gleiche oder strengere Maßregeln in Spanien denn doch so anomal nicht. Ja, wenn man einen Rückblick auf den blühenden Zustand de« deutschen gabrikwesen« wirst, so kann man nicht umhin, diesen