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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönumeraiionS- Preis 22; Sgr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr für La» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man kränumerirt ans Hirse« Beiblatt der Alig. Pr. S kaatS» Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz s» wie im Aublande bei. Len WshüSbl. Post - llemler». Literatur des Auslandes. 3. Berlin, Freilag den 5. Januar 1838. «II«lM«IW England. Edinburg und der gesellige Zustand seiner Bewohner. (Nach der kevue 6e I'ari.8.) Wenn der Rcisendc von Leith aus die Hauptstadt Schottlands erblickt, so bewährt sie ihren alten Ruf einer malerischen Stadt mit ihren Hügeln, die von Baudenkmälern und Wohnhäu sern wie von Kronen geschmückt sind, ihren schonen und breiten Straßen, welche von baumrcichcn Sguärcs durchzogen werden, ihren dunkelbelaubten Bergzugen, dem schattigen Hintergründe des Gemäldes, deren Häupter in den Wimer-Moilaicn mit Schnee bedeckt sind. Dieser Gcsammtanblick Edinburgs erregt die leb hafteste Thcilnahmc des Fremden, aber nicht ohne Beimischung von Bangigkeit, wenn er auf die menschenleeren Wege blickt, die keine Spur von der Nähe einer großen Stadt, wie das wach sende Getümmel auf den Heerstraßen sonst gewöhnlich erkennen läßt, vcrraihen, auf denen nur Schweigen und Ocdc herrscht und das irrende Auge sicy ängstlich nach einem vereinzelten Fuß gänger umsieht. — Die neuen Sladttheile, welche ich noch am Tage meiner Ankunft durchzog, bestehet zwar aus regelmäßigen, freundlich gebauten, fast sämnnlich nach einem Zuschnitt ange legten Häusern, gleichen aber im Ganzen einem modernen Pom peji untcrm Vergrößcrungsglase, wegen ihrer unbeschreiblichen Verlassenheit und Einsamkeit. Mein Wirth erklärte mir auf meine Frage und meine Verwunderung, daß jcgt (im Fcbr. 1837) die Grippe mit ihren räuberischen Verheerungen diesen anscheinenden Mangel an Bevölkerung hcrbcigcf ihn hätte, und wirklich haben alle wohlhabende Familien der inficincn Stadl den Rucken gekehrt und sich auf ihre Landhäuser begeben, wo die Krankheit sic nicht weniger erreichte. Anfangs schenkte ich der Versicherung meines Wirlhes Glauben; aber in der Folge Haire ich nur zu oft Gele genheit, mich zu überzeugen, daß diese Thebaisanige Leere der Neustadl, mil sclicnen Ausnahmen, ihr stehender Typus sey, weil ihre Bcwohnerzahl in einem nichl zu verkennenden Mißverhält nisse mit der Ausdehnung und Geräumigkeit ihrer Plätze und Sguäres steht. O.ueen-S>rcet, in der ich abstieg, wird von einer Reihe ele ganter Gebäude gebildet, die der einen Sette eines unermeßlichen Squärc, der, so weil das Auge reichl, die Neustadl von Osten nach Westen durchzieh«, parallel gcbaul ist. Dieser Sguärc lheill sich in drei von Gittern umschlossene Räume, welche die Be wässerungsgraben, die Türkischen Zelic und alle sonstige Ein- richlungcn Englischer Gärten habet, und den Hausbesitzern der Straße zur Benutzung offen stehen. Queen-Street mit ihren Terrassen lheill die Neustadl in zwei völlig gleiche Theile, deren einer in Süden anstcigl bis zu den Gärten von Prince-Slrcet und dem Schlosse, und, von mehreren anderen großen regelmäßigen Straßen durchschnitten, zwölf rechtwinklige Dreiecke bildet, deren zweites, minder regelmäßig, nordwärts in Gestalt eines Halb mondes sich zu den Wiesen und dem kleinen See von Canon- Mills niedersenkl. Sowohl dieser Theil, als die Neustadt über haupt sind wegen ihrer hohen Lage der vollen Gewalt der Nord- stürme ausgesetzt, und doch ist bei dcn neuen Bauten nicht die geringste Rücksicht darauf genommen worden; die brciien Straßen und die schönen Plätze, die den schönsten Londons nicht nachstchcn, sind dem Spiel aller 32 Luftzüge der Windrose ausgesetzt. Daher ist im Winicr kein angenehmes Wohnen in Edinburg, obglcich die reichen Schollen ihre Schlösser verlassen, um diese Saison in der Hauptstadl zuzubringen; sie sind weniger empfindlich gegen Kälte und Sturm, als die Londoner gegen Nebel und Rauch. Doch in diesem Jahre war Edinburg wenig besucht, und der Anblick der verlassenen Stadl war kläglich genug. In London Hai ein Minus von dttM» Menschen wenig zu bedeuten, in Edin burg macht die Abwesenheit von etlichen hundert Fainilicn in der Neustadt schon viel aus. Vergeblich sucht man die von einer wogenden Menge schwarz getretenen Quadern Londons, wo inan sich mit dem Ellbogen Bahn breche» muß; breite saubere Trot toirs, auf denen der Tri« eines Wandelnden ein halbes Wunder ist, leere Straßen mit leeren Häusern, deren Hallen ein gutes Echo abgcbcn, und vereinsamtes Pflaster, das jeden Fußtritt ge- wisscnhafl wiederholt, geben der puritanischen Stadl das Ansehen einer verlassenen Kirche. Die Mensche» erstaunen, sich in dieser Wüste zu sehen, und scheinen mit ihren bercdlcn Bücken, wie in anderen Ländern zur Pcstzeil, sich zu fragen, ob cs möglich sey, daß hier drei sich zusammenfinden! Oeffnel sich vollends ein Fen ster nach der Straße, dann erwartet man etwas Ungewöhnliches: „Was gicbl's oben? Was Hal man da zu sehen?" Dabci ist die Rcgelniaßigtcil der Straßen so entsetzlich, die Achnlichkcit der Häuser so geschwisterlich, daß die Einförmigkeit des Ganzen auf die Spitze getrieben ivird. Alle Häuser haben dieselbe Größe und Höhe, gleiche Balkons und Gitter, dieselbe grün oder braun gefir nißte Thür mit denselben glänzenden Lederknöpfen und Älingclschil- dcrn, die dcn Name» der Bcwohncr ncbst Stand und Gewerbe enthalte», kurz, Alles auf dieselbe Weise. Wollte ma» nach diesen Schildern urlhcilcn, so wären alle Häuser bewohnt, manche sogar hinlänglich, uiid doch sehen sic so 10dl aus, als sollicn sic inorgcn verkauft oder subhasttn werden. Mit dem Eimritl in die Georgs- Straße, welche ebenfalls die ganze Ncustadt durchzieht, wird ein Anfang von Leben sichtbar. Schöne Läden bieten sich dein Blick, und die Handelswclt wird rege; aber erst an dcr Nordbrücke zeigt sich dcr Verkehr und die Rüstigkeit einer Stadt; hier ist dcr Sitz des Lebens, das Herz von Edinburg. Aber immer bleibt Georgs-Street die prächtigste Straße der Hauptstadt; über eine halbe Stunde lang, an beiden Enden von öffentlichen Gebäude» begränzt, vo» dcr St. Georgskirche, der Bank und Scm Lord Mclvittc's-Denkmal, und in angemessenen Zwischenräumen mit dcn Bildsäulen Pitt'S und Georg'« IV. ge schmückt, kann sic mit den berühmtesten Straßen Europäischer Residenzen dcn Wettkampf eingehc». Hier prangen auch die rei chen Laden dcr Juweliere, Parfümerie- und Modewaarcn-Hand ler, die aber mehr zum Schmuck dcr Siraßcn als zum Nutzen ihrer Inhaber eingerichtet scheinen; nur die Läden dcr Buchhänd ler und Spczcrci-Kaufleute machen hiervon eine Ausnahme- Denn die Lektüre ist dem Edinburger ein Bcdürfmß wie der Hunger, und die Nahrung des Geistes wird mit nicht geringerer Gier, als die des Körpers gesucht. Die Folge von diesem allge meinen Streben nach Politur ist eine durchgreifende Bildung, die sich selbst bis auf die gewöhnlichsten Professionisten, wie Tischler und Schlosser, erstreckt, so daß man Edinburg als die endlich ge fundene Gelehrten-Republik aller und neuer Philosophen bezeich nen könnte. Nicht selten muß man voin Munde auf die Hand sehen, um den Handwcrksmann zu erkennen. Der Arbensmann, dcr mein Felleisen von Queen-Street nach Princc-Street trägt, wo ich mein neues Quartier aufschlagcn will, Hai trotz seiner weißen Schürze und Haare einen Anstand und eine Würde, die überraschend und himmelweit von jenen in Lumpen gehüllten Packträgcrn anderer Länder verschieden ist, die das ihnen anver- iraule Gul eher zu stehlen als zu bewahren die Miene haben. Mein ncuer Wirth ist seinem Handwerk nach ei» Kunst-Tischler, seinem feine» Benehme» u»d seiner ernsten Unterhaltung nach ein hoher Staatsbeamter; er macht artige Verse, spricht als Ken ner über die Balladen seines Landes, deren Sammlung er beab sichtigt, und ist Besitzer einer geschmackvollen Bibliothek. Mein neues Logis gewährt die Aussicht auf die Gärten der Prince- Street und auf das Schloß, das zwei Büchsenschüsse von meinem Fenster sich wie eine herrliche Thcalcr-Decoraiion ausmmml, und besteht aus einem Bcsuchzimmer mit Fußlcppich und damastener Wandgarmrung ncbst Schlaf-Kabinen mit Säulenbc« und ge blümten Vorhängen, welches, wie die meisten Englischen Betten, fast das halbe Zimmer cinnimmt. Das eigentliche Leben beginnt, wie schon bemerkt, um Prince- Strcct und die Nordbrückc. Hai man diese prächtige Brücke von Illit) Fuß Länge, der nicht« als ein majestätischer Strom abgeht, und welche zwei Stadie verbindet, während sie in eine dritte hinübcrgrcifl, endlich überschritten, so befindet man sich in einer anderen Stadt. Verschwunden sind die regelmäßigen und einför migen Hauser; ihre Stelle nehmen kolossale Bauwerke ein, be sonders in dcr High-Street, wo Alles sich noch in dem Zustande befindet, wie Walter Scott ihn im siebzehnten Kapitel seines Abtes uns beschreibt. Gleiches Leben ist noch, wie damals, neben anderen Sitten und Gewohnheiten; ivie damals wird vielleicht noch Flandrische Leinwand und Französische Tapisserie verkauft, aber ihren vorzüglichsten Handel treibt sic mit Spirituosen, wovon einige Dutzend Sone» im Gange sind; doch unter allen steht der verwünschte Whiskey, aus gebranntem Gerstcnwaffer und über Torf geschmortem Kanoffelfusel gebraut, bei dcn niederen Volksklasie» am meisten in Gunst. Für alle Bedürfnisse reicht der Whiskey