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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönnmerntienS-Preis 22 j Sildergr. sj Tb>r.) vierieiiShriich. Z Tblr. sur da« ganze I.,hr, ohne Erhöhung, i» allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung (in Perlm hei Neil u. Eomv., Iäoelgrake Nr. 2b). so wie ron allen Königl. Post Aemikrn, angenvnunrn. tter a t u r dcs uslnnd c s. 120. Berlin, Dienstag den 7. Oktober 1845. Frankreich. Neue französische Dichter. Brizeur. Nach der großen literarischen Bewegung während der Restauration trat mit der Julirevolution in Frankreich eine neue Generation von Dichtern zu Tage, welche, wenngleich weniger kampflustig als ihre ältere Schwester, trotzdem einen nicht geringen Beitrag zum literarischen Rcichthumc des Landes geliefert hat. Die interessanteste Gestalt dieser Gruppe ist unstreitig Brizeur, der Verfasser der „Marie" und der „Bretagner". Diese Werke Haden einen großen Beifall bei Literaten und Männern von Fach gesunden und fangen an, selbst unter dem größeren Publikum, trotz ihrer Original,lät und cigen- thümlichen Färbung, sich zu verbreiten. Man kann nämlich Brizeur die seltene Gabe einer schöpferischen Inspiration in einer Sphäre der Dichlkunst, derPastoralpoesie, nicht versagen, in welcher die Franzosen bisher nichts Tüchtiges geleistet haben (dloS einige Eklogen Bonsard's und die Idyllen Andre Chenier'S, welche indessen nur reine Nachahmungen des AlterthumS sind, möchten hiervon eine Ausnahme bilden). Diese Lücke in der französtschen Literatur hat nun die Erscheinung „Marien's" ausgefüllt; an die Stelle ter prunkvollen Mythologie des 16. Jahrhunderts und der affektirtcn Abgeschmackt heit des I8ten ist die naive Wahrheit der Volksscenen getreten. Ein leiser Funke des Idealismus nebst einem wahrhaft tiefen innigen Gefühl Ler Natur belebt und verschönert die getreue Darstellung der Sitten, Sprache und Ideen des Landvolkes. Ueberhaupt muß man Brizeur zum Ruhme nachsagen, daß er öfters den englischen Realismus mit dem deutschen Idealismus in einen schönen Einklang zu bringen gewußt hat. Die Sucht nach etwas Erceptio- nellem, welche man oft mit Recht der neu romantischen Schule Frankreichs vorgeworfen hat, kömmt nicht zum Vorschein . Alles ist rein menschlich und der Wirklichkeit entsprechend. Der Fortschritt ist bedeutend, aber der Styl, in welchem er geschehen ist, verdient noch mehr unsere Aufmerksamkeit, ja Bewunderung, insofern er wenig Nebenbuhler in der französischen Sprache hat. Der Vorzug, der gleich in die Augen fällt, ist die außerordentliche Leichtigkeit und Geschmeidigkeit, mit welcher die Verse aus der reinsten Quelle der Inspiration hcrvorströmen; kein Anschein von Mühe und Arbeit ist zu spüren; der Versbau ist reich und kunst voll, der Reim vollkommen, so daß man unwillkürlich an die bekannte Strophe Boileau'S an Moliore erinnert wird; „Luxvi^ue moi, kollert', oü tu trouv"; I» rime In der That, unter der naivsten Einfachheit verbirgt sich eine große Geschick- lichkeit und Kunst, welche den Inhalt mit einer verführerisch eleganten Form bekleidet und die Frucht der klassischen Studien und der Vorliebe deS Verfassers ist. Brizeur hat nämlich mehrere Jahre in Italien zugebrachi; hier faßte er, verliebt in die griechisch-römische Kunst, den Plan, den Gegen ständen des alltäglichen Lebens die Hülle der schönen antiken Form zu ver leihen. Sein kühner Styl scheut nicht die rohen einfachen Bezeichnungen der gemeinsten, trivialsten Gegenstände des Landlebens, welche noch vor kurzem der Schrecken des einseitigen französischen Klassizismus waren. In der That, Brizeur scheint für die französische Sprache und Literatur das geleistet zu Haden, was Goethe's Herrmann und Dorothea in Deutschland realisirt hat ; ja ein Vorzug Brizeur's ist cs, noch ganz und gar ein einfacher Dorfbewohner und plumper Bauer zu seyn, während Goethe in Herrmann und Dorothea eher ein Darsteller und Kenner des Landlebens als ein wirklich einfacher Land- mann ist. „Marie", Brizeur'S erstes Werk, welches schon I83l erschienen, ist keine eigentliche Idylle im vollen Sinn des Wortes, eine wirkliche Handlung ist, wenn auch nicht entwickelt, so doch angedentet in 12 Hauptstücken, welche den Namen einer jungen Bäuerin, Marie, führen; eine große Anzahl anderer Stücke von geringerer Ausdehnung vervollständigen eine Handlung, welche mehr in der Seele deS Dichters als in der Außenwelt vorgeht. Alle äußere» Fakta werden nämlich bloS, als der Vergangenheit «»gehörend, erwähnt und ins Gedächtuiß znrückgerufen, weil sie eine intellektuelle Entwickelung hervor gebracht oder doch befördert haben; der wahrhafte Gegenstand deS Gedichtes ist die geistige Innerlichkeit des Dichters mit ihren verschiedenen Stufen und Phasen. Zur Unterstützung dieser Behauptung führe ich einige Strophen Seite 33 bis 34 an: Wir sehen iin Gedichte ein reines sanftes Liebesverhättmß aus der ersten Schwelle deS Jünglingsalters. Diese anmuthigc Liede schwebt zwischen der Wirklichkeit und dem Ideal, wird leicht abgebrochen, ohne deshalb im Herzen irgend eine Bitterkeit später zurückzulassen; ihr Andenken vielmehr behält fort während einen unbeschreiblich großen Reiz, wenngleich mit leiser melancholischer Färbung. Ein Zug ist besonders hervorzuhebeu. Der verliebte Ib,(ihrige Zögling des DorfpfarrerS ist in Paris gewesen; hier hat das rasch und leicht beweg, licht Walten der Civiliiatio» seine einfache Natur mooifizirt, ja tief erschüttert. Daher erscheint ihm bei seiner Rückkehr ins Vaterland AUeS in einem ver schiedenen Lichte; sanfte Klagen über diese Veränderung ertönen aus seiner Brust. Die junge Bäuerin ist Gattin und Mutter geworden; Achtung iritt au die Stelle der reizenden Leidenschaft, welche früher sein Herz erfreute; ja er, der die Frucht des Baumes der Weisheit in der Hauptstadt der Kultur ge kostet, fühlt nur zu sehr, daß die einfache Erjstenz Marien s ihm nicht mehr genügen kann. Die Reize und Genüsse der Vergangenheit erscheinen ihm bald in düsterer Gestalt, bald in einem verklärten Lichte, ohne daß er sic icooch wieder in die Wirklichkeit des Lebens aufzuwecke» strebt. Ein leiser Zweifel über die Anmuth so glücklich verlebter Tage tritt im Rückblick auf die Ver gangenheit zu Tage sS. 3ä): ou lex troulilai«k«t - il« an85»i vntre eliirte. et, l'eimui <lu prexeut fait-il votre beaute?" Dieser so eben erwähnte Charakter deS Werkes ist ein Zeichen unserer Zeit, man sieht, daß der Dichter keineswcges der allgemeinen Ansteckung entgangen ist; wenn er auch nicht mit Vorliebe bei den moralischen Leiden unseres Zeit alters verweilt, so habe» doch auch ihm die heftigen sozialen Erschütterungen das Gepräge des Schmerzes und der Melancholie aufgedrückt. In seinem so eben erschienenen neueren Gedichte „lex liretuux" ist dagegen merkwürdiger Weise alle Spur einer moralischen Verwirrung verwischt; der Dichter ist ganz und gar ein einfacher derber Bretagner des lä. Jahrhunderts geworden; er nimmt keine Notiz von den vcrhänguißvollen Ereignissen unserer Zeit. Dieser Umstand ist ein Beweis großer Charakterstärke, ja ein einziges Phänomen in unseren Tagen, und weist dem Dichter eine cigenthümliche Stelle in der heutigen Literatur an. Zum Schlüsse citire ich noch einige Verse, welche einen tiefen Natursmn im Dichter enthüllen („Marie" S. 61): „1l ext «08 eautcux, I> Mil olmre krakitrrik! plus terrsiu taugeuL, )»li>8 «l'ime äprv monturr««'; rle trixt-ex laukliorx vomme nvx au Iiuxarä, L. von Güldenstubbe.