Volltext Seite (XML)
27. Jahrgang. Donnerstag, den 13. December 1900. Nr. 288. Redaction und Expedition: Bahnstratze 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Pfg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. sik Hchnslm-kriiWü, MrlLWitz, AMff, Lugau, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken, Meinsdorf Jnsertionsgebühren: die funfgespalt^ 12 Pfg-, Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg-, " Rabatt. Reclame 25 Pfg. Bei mehrmaliger Korm, WS»»»» — Bekanntmachung Elektrische Bahn betr. Zum Zwecke der Feststellung des der projektirten elektrischen Bahn zu über lastenden Güterverkehrs soll Freitag, den 14. Dezember 1W0, Abends 8 Uhr ,^n. im Gasthof zum Lamm in Oberlungwitz eine Besprechung Alle Interessenten ans Hohenstein-Ernstthal werden hierzu emgelaven. I. A. vr. Polster, Bürgermeister. TagevgesKichte. Deutsches Reich. Berlin, 12. Dezember. Reichstag. Die erste Berathung des Etats pro 1901 wird fortgesetzt. — Abg. Bebel (soz.): Zu der rückläufigen Bewegung unserer Finanzen habe das chinesische Abenteuer den ersten Anstoß gegeben. Dagegen müßen wir Verwahr ung eiulegen, daß die traurige Finanzlage durch das Anwachsen der Ausgaben für die Jnvaliditäts- und Altersversicherung mit verschuldet sei. Die Parteien, die zur Sparsamkeit mahnten, hätten bisher eine wahre Bewilligungswuth bethätigt. Graf Limburg wolle namentlich an Postbauten sparen; aber gerade das seien Kulturausgaben, die seine Freunde viel lieber be willigten, als Kasernen, Schiffe und Zuchthäuser. Müller-Fulda sei jetzt schon so weit, daß er im äußersten Nothsall die Bundesstaaten heranziehen wolle. Gerade Müller habe Alles mit bewilligt, er sei also der erste Attentäter und verdiene, zuerst gehängt zu werden. .(Heiterkeit.) Die Ausgaben für militärische und Marinezwecke verschlingen in dem neuen Etat 1032 Mill. Mk. gegen nur 502 Mill. Mk. im Jahre 1890. Wenn ein Anderer in solcher Weise wirth- schaftete, so würde man ihn einen ganz liederlichen Kerl nennen. Und wer trage an Alledem die Haupt schuld? Das Centrum. (Heiterkeit.) Er fange an, vor den Nationalliberalen Respekt zu bekommen, denn so hätten diese nicht gewirthschaftet, als sie noch ausschlag gebend waren. Unter der Aegide des Ceutrums sei auch das Budgetrecht stückweise verloren gegangen. Das Centrum sei zum Schleppenträger der Regierung geworden. Auch die Weltpolitik verdanken wir dem Centrum. Gleich die erste Phase dieser Weltpolitik, China, habe uns ein großes Debatte gebracht. Dem, was der Reichskanzler gestern bezüglich Transvaals gesagt, hätten seine Freunde ausnahmsweise einmal fast Wort für Wort zustimmen können, aber man sollte doch nicht das Telegramm vergessen, das seiner Zeit anläßlich des Jameson-Auszugs nach Transvaal ge richtet worden sei. Seine Freunde verurtheillen frei lich die Raubpolitik Englands und seine Kriegsführung durchaus und sie verurtheilen auch, daß Krüger nicht einmal empfangen worden sei, denn das müsse auf die Buren den Eindruck der Treulosigkeit machen und unsere auswärtige Politik der Sympathie anderer Völker entfremden. Schrieb doch die Amsterdamer- Zeitung „Die Deutschen fürchten Gott und ihre Groß mutter." Mit diesem Zickzack in dn auswärtigen Politik wetteifere ein Zickzackkurs in unserer Kolonial politik, ein ewiger Wechsel der Beamten. Daß bei einer solchen Gesammtpolitik immer neue Steuern nöthig werden, sei begreiflich, ebenso, daß alle Die, welche dabei einen Fischzug zu machen glaubten, nament lich für eine Zollerhöhung seien. Unsere Handelsver tragsstaaten, Rußland und andere, würden sich solche Zollerhöhungen auf Getreide rc. aber nicht gefallen lassen, ohne sich dafür zu revanchiren. Redner fragt dann bezüglich der 12 000 Mk.-Affäre den Staats sekretär, an welchem Tage derselbe von der Einnahme der 12 000 Mk. Kenntniß erlangt habe und wie dieses Geld verwendet worden sei. Weiter fragte er den Staatssekretär Grafen Posadowsky, was er nach Ein blick in den bekannten Brief des Herrn Laeisz, Vor sitzenden der Seeberufsgenossenschaft, gethan habe, ob die Unterzeichner dieses Briefes mit Schimpf und Schande davongejagt worden seien, ferner, wie es komme, daß Elsfleth, der den Ausspruch gethau habe: „Schiff ver loren, Mannschaft leider gerettet", im Vorstande jener Berufsgenossenschaft habe sitzen können. Redner pro- testirt unter Empfehlung des Milizsystems gegen die vom Grafen Limburg gewünschte Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit und fragt den Kriegs minister, ob es denn mit unserer Neutralität vereinbar sei, daß die Firma Ehrhardt in Düsseldorf und Eise nach gegenwärtig Geschütze an England liefere. Frei lich habe ja auch Krupp an China geliefert und fei dafür zum Geheimrath in einem Augenblick gemacht worden, da unsere Leute von Krupp'schen Kanonen erschossen würden. Weiter frage er, was an den Mit- theilungen über ein neues von einem Norweger er fundenes Geschützsystem Wahres sei. Unzulässig sei, daß das Marineamt oder der Kaiser Gelder vom Flottenverein für den Bau von Kononenbooten an nähmen. Das sei eine Umgehung des Budgetrechts, ein sie volo, me jubao. Einer derartigen Wirthschaft müsse der Reichstag ein Ende machen. Die sozialen und kulturellen Aufgaben würden im Reiche über all hintangesetzt, die bürgerliche Gesellschaft sei mit ihrem Latein zu Ende. Meine Herren, Sie arbeiten nur für uns, unser Weizen blüht. Staatssekretär Graf Posadowsky: Ich bin Herrn Bebel geradezu dankbar dafür, daß er die sogenannte 12000- Mk.-Affaire nochmals zur Sprache gebracht hat. Gleich viel. ob ich davon gewußt oder nicht, ich trage die Ver antwortung dafür. Das sogenannte ZuchthauSgesrtz war ein Gesetz zu Gunsten der Arbeiter. Die 12 000 Mk. sind zur Verbreitung stenographischen amtlichen Materials verwendet worden. Auf das Zustandekommen des Ge setzes konnte überhaupt nicht hingewirkt werden, denn wer die erste Lesung verfolgt hatte, wußte, daß das Gesetz nicht zu Stande kommen würde. Es handelte sich nur darum, die Masten über den eigentlichen Zweck des Ge setzes aufzuklären und die Aufregung der Masten zu schlichten. Es mag unzweckmäßig und politisch inopportun ge wesen sein, das Geld auf solche Weise zu beschaffen: aber darüber hat sich ja der Herr Reichskanzler gelegent lich der Interpellation ausgesprochen. Der Drucktosten fonds des Reichsamt des Innern hätte ja benützt werden können, es mag dies durch eine gewisse bureau- kratische Aengstlichkeit verhindert worden sein. (Ge lächter links.) An den Centralverband bat man sich deshalb gewandt, weil er ein großes Jmeresse daran hatte (Lachen links), daß die Massen durch amtliches Material aufgeklärt wurden. Der betreffende Beamte hat übrigens die höchsten sozialpolitischen Verdienste. (Lachen links.) Der Staatssekretär geht sodann auf den Brief des Verstorbenen Rheders Laeisz ein. Diesem unvorsichtigen Briefe gegenüber sei er selbst in einer schwierigen Loge, da Laeisz sich nicht mehr er klären könne. Die Mitunterzeichner des Briefes hätten zwar ihre Unterschrift gegeben, woraus aber noch nicht die Nothwendigkeit folge, daß sie sich die bedauer lichen Nebenbemerkungen angeeignet hätten. Jedenfalls sei der Brief von ihm an das zuständige Reichsversicher ungsamt abgegeben, und es sei nun abzuwarten, was dieses thun werde. Zum Schluß konstatirt der Staats sekretär, daß wir von Amerika nicht mehr differenzirt würden, und bittet, auf wirthschaftttch-pol ) biet nicht, wie dies Bebel gethan, Angriff gg Ex eigene Regierung zu richten, denn dem Feinde die Kricgskasse. Abg. v. Kardmff ( Der wirft dem Abg. Bebel eine Art Größenwahn Nichtempfang Krügers liege im Interests d und Krüger selbst, denn jetzt könnten nur eher zu G"> Gunsten einen freundschaftlichen Rath geben, wir durch Krüger's Empfang England gereizt hallen. Abg. Liebermann v. Sonnenberg (Ant.) spricht s Genugthuung darüber aus, daß wir wieder einen r - haftigen Reichskanzler haben (Heiterkeit), der auf Rechte des Volkes zu achten versprochen habe. Vie Zurückweisung des Präsidenten Krüger habe un Volle große Verstimmung hervorgeruseu. In den gestrigen Worten des Reichskanzlers vermisse er die Brnndmart- ung der schlechten Motive, welche den Krieg Englands gegen Transvaal veranlaßt haben. Zweifelhaft ffei es ihm, ob wir wirklich auch in dem Zwiste ganz stritte Neutralität bewahrt hätten. England habe seine Macht in unerhörter Weise mißbraucht. Auch seien von hier Waffen während des Krieges nach England gegangen. Er bitte den Kanzler um strikte Neutralität. — Die Differenz, die zwischen dem Feldmarschall Grafen Waldersee und dem amerikanischen General Chaffee wegen der von den Deutschen und Franzosen dem Pekinger Observatorium entnommenen Instrumente entstanden war, ist in befriedigender Weise beigelegt worden. Chaffee hatte in dieser Sachs an den ^ber- commandirenden ein Schreiben gerichtet, das dieser wegen des darin angeschlagenen Tones unbeantwortet zurück schickte. Der amerikanische General, der inzwischen selbst eingesehen hat, daß dieser Brief in seiner Form nicht korrekt und seinem Verhältnisse zu dem Feldmarschall nicht angemessen war, zögerte nicht, dieser Erkenntniß in loyalster Weise Ausdruck zu geben. Damit ist die An gelegenheit erledigt. — Kommissar Thiel, gegen den jetzt die Vorunter suchung eröffnet worden ist, hat nicht sowohl unter der Wucht !des gegen ihn gesammelten Belastungsmaterials als aus eigener Veranlassung zur Erleichterung seines Gewissens ein volles reumüthiges Bekenntniß seiner Schuld abgelegt. Die von ihm in Empfang genommenen Bestechungsgelder überschreiten etwas die Höhe von 7000 Mark. Thiel erklärte, daß er aus seiner Leut nantszeit Schulden in Höhe von 30 000 Mk. gehabt habe, die sehr drückend für ihn gewesen seien. Er habe sich daher in steter Geldverlegenheit befunden. Als er Kenntniß von den in der Sternberg-Affaire verausgabten erheblichen Summen erlangt, sei die Versuchung an ihn herangetreten, und er habe sich zur Lieferung von Be richten über die Maßnahmen der Kriminalpolizei bereit erklärt. Thiel ist nach Ablegung des Geständnisses um vieles ruhiger geworden, macht jedoch den Eindruck eines gebrochenen Mannes. — Zur der Ankunft des Lloyddampfers Cöln" mit den ersten aus China heimkehrenden Kämpfern, nnrd aus Wilhelmshaven folgendes berichte! Die Auflösung des am Dienstag eingetroffenen Ostasien- Transports ist bereits m vollem Gange Der rur Nordseestation gehörige Theil der Mannschaften wird soweit er seine Dienstzeit noch nicht absolvirt hat, an die Stammformatwn zurückgegeben ; die übrigen werden entlassen. Die Mannschaften de^ Ostseestätion gehen