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,^E"' 29. Jahrgang, Freitag, dm 23. Mai 1902. Redaction und Expedition: Bahnstraße 3 (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Ätvzeiger Hohenstein-Ernstthal. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Pfg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. fit Wkiqtm-ßnisllMl, MrlilWitz, GMsrs, Lugau, Wüsteilbrand, Urspmng, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langellberg, Falken, Meinsdorf u. s> ^ Jns.rtionsg.bühren: die fünsgefp-lt-ne Psa, Nr. 116 TKtzssgAschschte. Deutsches Reich. — Der Deutsche Bureuhilfsbund sieht sich ge- nöthigt, folgenden Protest, den der Vorstand beschlossen hat, der Oeffentlichkeit zu unterbreiten: Auf sein Er suchen um die Erlaubnis eine Ambulanz in das Buren lager zu senden, erfolgte feiten« der englischen Negierung eine Ablehnung mit der Begründung, daß im Fall der Genehmigung auch andere Mackie sofort dieselbe Ver günstigung verlangen würden. Es wird speziell darauf verwiesen, daß auch eine holländische Eingabe abschlägig beschieden sei. Jetzt erfahren wir zu unserem gerechten Erstaunen, daß die holländische Eingabe abgelehnt wurde mit der Begründung, daß auch das deutsche Ansuchen zurückgewiesen werden mußte. Wir versagen e« uns, mit den zutreffenden Worten ein Verfahren zu bezeichnen, daß nicht die Ablehnung einer Vergünstigung sondern die Versagung eines Rechtes an deutsche Samariter be gründet mit der Ablehnung, die an holländische Menschen freunde ergangen sei, und wiederum diese Ablehnung der holländischen Ansuchen zurückführt auf die Ablehnung der deutschen Dienste. Das doppelzüngige Verhalten der englischen Regierung wird den deutschen Burenhilfs bund nur zu erneuter LiebeSthätigkeit anspornen, zumal die Wahrscheinlichkeit des Friedensschluffe« sich vermindert, die Gewißheit aber sich verstärkt hat, daß die Noth und das Elend in den beiden südafrikanischen Republiken gerade dann am stärksten in die Erscheinung treten werden, wenn der Krieg sein Ende gesunden hat. — Neber die Katastrophe auf den Kleinen Antillen wird noch berichtet: Der Correspondent des „Bureau Lassan" auf St. Vincent ist 50 Meilen weit durch das verheerte Gebiet geritten und giebt von dem, was er gesehen hat, folgende Schilderung: Das Land ist in eine 18 Zoll tiefe Decke von Asche undSteinen ge hüllt, unter der die gesammte Ernte und alles Grün begraben liegt. Am schlimmsten ist die Verwüstung im Nordosten der Insel. Sechs gesonderte Lavaströme er- gosseu sich aus dem Krater und verbrannten die Dörfer Wallibou und Richmond. Eine hundert Fuß tiefe Schlucht, aus welcher der Nabacca-Fluß entspringt, ist bis zum Rande au-gefüllt. Von den beiden Dörfern, die dicht zusammenliegen, ist Wallibou gesunken, während Rich mond sich gehoben hat. Man hat für dieses Phänomen keine Erklärung. Die Dörfer Nabacca und Lot Fourteen sind gänzlich dahin, Orange Hill, Tourama, Mount, Bentick, Lang und Bypark sind theilweise zerstört. Die Zahl der Getödteten beträgt 1700. Im Gegensatz zu St. Pierre, wo die Verunglückten durch giftige Gase erstickt wurden, sind die auf St. Vincent ums Leben Gekommenen meist durch heißen Sand lödtlich verbrannt oder vom Blitze erschlagen worden. Die Todten werden an den Stellen begraben, wo die Beerdigungsmann, schäften sie finden. Längs der Landstraßen aus Feldern und Hügeln, überall wohin die Erschreckten flüchteten, reihen sich Gräber. Ueber 1300 Leichen sind bereits begraben worden. Dreihundert Verunglückte sind jetzt im Hospital zu Kingstown; 100 sind nach Georgetown geschafft worden. In einem kleinen Raume, der als Spital dient, sind 36 Patienten untergebracht. Sie liegen auf den Fußboden, da Betten nicht vorhanden sind, ebenso fehlt es an allem Norhwendigen. Zwei Lampen verbreiten in dem Zimmer nur spärliches Licht. Zwei andere Räume sind in ähnlichem Zustande. Neben dem Spital ist eine Tischlerwerkstälte, in der Särge ge zimmert werden. Durch das Vorderfenster können die Patienten sehen, wie die Kästen zusammengeschlagen werden, in denen sie liegen sollen. — Sehr interessant war zum Theil ein Vortrag, den der Amerikaforscher Dr. E. Deckert in der „Urania" in Berlin über die Antillen hielt. Danach ist das westindische Meer in normalen Zeiten das sanfteste oller Tropenmeere; Kolum bus verglich es mit dem Guadalquivir in Spanien. Es sino hier drei Arten von Inseln zu unterscheiden. Auf den Bahama-Jnseln, denen Korallenriffe vorgelagert sind, finden selten Erdbeben statt. Sehr häufig werden dagegen die westlich von St. Thomas gelegenen Karai- bischen Inseln von Erdbeben heimgesucht, doch sind hier keine Vulkane, so daß von Lava nichts zu fürchten ist. Von St. Christophen südlich erstreckt sich eine dritte Inselgruppe von vulkanischem Charakter. Es scheint, als ob die Katastrophe dieses Monats sich seit Jahren angckündigt hat, denn auf Montserrat verging seit 1896 kein Tag ohne Erdstoß, mancher Tag brachte deren bis hundert. Im Jahre 1897 fielen auf Guadeloupe zahl reiche Menschenleben einem Erdbeben zum Opfer. Martinique, die Perle der Kleinen Antillen, hat auch sonst viel unter den Unbilden der Natur zu leiden. Furchtbare Regengüsse schädigen ost die Plantagen und reißen sebst Ortschaften weg; 1891 hat ein Orkan im Orte Morne Rouge 400 Menschenleben vernichtet und einen Schaden von 72 Millionen Francs angerichtet. Der Mont Peloe, d. b. kahler Berg, gab zuletzt 1792 und 1851 Spuren vulkanischer Thätigkeit, die allerdings nicht stark waren, zu erkennen. — Die evangelischen Arbeitervereine haben ihren Vereinslag in Düffeldorf eröffnet. In der ge schlossenen Sitzung der Gesammtaurschuffes rsi es zu heftigem Meinungsaustausch über den Pfarrer Naumann gekommen, den ein großer Theil der vertretenen Ver eine nicht wieder in den Vorstand wählen will, während die süddeutschen Vereine für Naumann sind. Das Er gebniß des Streites ist noch im Schooß de« Ausschuffes verborgen. An dem öffentlichen Begrüßungsabend am Dienstag waren 200 Theilnehmer vereint. Es sprachen meist Pastoren, darunter der bekannte Lic. Weber aus München-Gladbach, ein Assessor hieß die Versammlung im Namen des Oberbürgermeisters von Düffeldorf will kommen. — Die Zahl derZuchthausgefangenen in Deutsch land belief sich im Jahre 1900 auf 22 577 gegen 23 486 1899 und 31616 im Jahre 1882. Es war damit die niedrigste Ziffer seit 1869 erreicht. Was das be deuten will, ist zu ermessen, wenn man berücksichtigt, eine wie große Volksvermehrung inzwischen eingetreten ist. Der absolute Rückgang der Zahl der Zuchthaus gefangenen schließt demgemäß einen nach ungleich stärkeren relativen Rückgang im Vergleich zur Volks zahl in sich. — Aus Peking wird gemeldet: Die Gesandten haben beschlossen, die auf die Entschädigungssumme ein gegangenen Theilzah'ungen vorläufig zu vertheilen. Sie beschloßen ferner, den Bankiersausschuß aufzufordern, dem Taotai von Schanghai mttzutheilen, daß seine An sicht, die Entschädigungssumme sei in Silber zahlbar, unhaltbar sei. Der Generalinspecteur der Zölle Robert Hart trat seiner Ansicht bei. Die Bankiers haben kürz lich den Taotai ersucht, sie davon zu benachrichtigen, welchen Fortschritt die Einziehung der Entschädigungs summe mache. Bei diesem Zwischenfall ist zu bedenken, daß der Generalinspecteur der chinesischen Seezölle, Robert Hart, zwar einen europäischen Namen trägt und noch englischer Staatsangehöriger ist, daß aber seine „Ansichten" für uns keinerlei Bedeutung mehr haben. Denn der Mann steht in chinesischen Diensten und hat durch sein bisherige« Verhalten genügend bewiesen, daß er keine Beziehungen mehr zu seiner Vergangenheit als Europäer unterhält. In jesuitischen Kniffen und in der dialectischen Auslegung von Verträgen hat er seine chinesischen Vorbilder jedenfalls bald erreicht. — Von einem polizeilichen Mißgriff in Kiel be richten die dortigen „Neuest. Nachr." Folgende«: „Eines Nachts kam ein Schutzmann, ein erst seit Kurzem ange stellter Beamter, durch die Schloßstraße, wo vor^ einer HauSlhür ein junges Mädchen im ^p 4 Obermaaten der Marine stand, ^lr da« j» sich in's Haus begeben hatte, glaubte der Schutzmann zu hören, wie der eine Obermaat zum „Willst Du mit hinauf, oder soll ich mtt ^s genügte dem Beamten, um dem Mädchen nachz ' wegen Verdacht» der Unzucht für verhaftet z und nach dem Polizeigefängniß in der Wllhelminenstraß zu bringen. Ls auf'- Aeußerste e^ Mädchen, welches aus guter auswärtiger Famili s und zur Ausbildung in der Buchführung m Kiel wen', mußte die Nacht im Gefängniß verbleiben. Alle P I blieben unbeachtet. Am nächsten Vormittag, e» w Sonntag, wurde die Verhaftete mit dem Gesang tranrportwagen zum Polizeikommissartat am Marlins damm geführt und oberflächlich vernommen. Da Arzt zur Untersuchung nicht zur Stelle war, wurde i wieder nach dem Polizeigefäugniß transportirt, wo I bis zum Montag Vormittag verbleiben mußte. Dann holte der Transporlwagen sie wieder nach dem Ponzel- kommiffariat, von wo sie durch einen Schutzmann der Sittenpolizei nach der Straße zum Kuhfeld geführt wurde, wo der Polizeiarzt weilte. Das junge Mädchen wurde untersucht, und der Arzt stellte fest, daß es noch völlig unbescholten war. Jetzt erst wurde da« unglückliche Ge schöpf, welches während der ganzen Zeit der Verhaftung weinend in der Zelle gestanden halte, ohne Speise und Trank anzurühren, entlassen." Rußland. Petersburg, 21. Mai. Bei dem Frühstück, welche« nach der Parade in Kraßnejeffelo in dem Kaiserzelt statt- sand, brachte der Kaiser den Trinkspruch auf da« fran zösische Heer au«, au-führend, die Sympathien zwischen dem russischen und dem französischen Heere bildeten eine wirkliche Waffenbrüderschaft. Diese gewaltige Macht habe keinerweg« die Bestimmung, aggressive Absichten zu unterstützen, sondern die Aufrechterhaltung des allge meinen Friedens zu sichern. Loubet erwiderte: Die ge waltige Macht, welche beide Armeen repräsentiren, sei für niemanden eine Drohung. Rußland und Frankreich dürften darin die Garantie für die Ausübung ihrer Rechte und Schutzwehr sehen, unter welcher sie ruhig ihrer fruchtbaren Arbeit nachgehen könnten. Loubet trank auf das russische Heer. Frankreich. Paris. Die Polizei hat bestimmte Anhaltspunkte dafür, daß die Familie Humbert, welche am letzten Sonnabend im Liverpooler Adelphisaale gefrühstückt haben soll, sich am Nachmittage desselben Tage« ein schiffte. Wohin die Reise gehen sollte, ob alle Mitglieder der Familie dasselbe Schiff nahmen, da« sucht die Pariser Polizei jetzt mit Hilfe englischer Detektivs zu erforschen. Gelingt es den Hnmberts, Argentinien zu erreichen, das nicht ausliefert, so sind sie geborgen. Al« Kuriosum ist erwähnenswerth, daß Trobriant, der fran zösische Konsul in Liverpool, welcher für Martinique sammelte, sich gleichzeitig mit den Humberts im Adel- phischen Frühstückssalon befand. Die Flüchtlinge er- kannte ein Kellner, welcher in einer Zeitung deren Potographien gesehen hatte. Er machte halblaute Be- merkungen und darauf verschwand die Gesellschaft. — Die nächtlichen Einbrüche in den versiegelten Villen der Humbert« in Frankreich dauern fort. Der letzte Besuch von Dieben galt der Villa Jncelcyran; fortgetragen wurden China-Silbersachen, ob auch Dokumente ent wendet sind, konnte noch nicht festgestellt werden — Eine nette Episode aus der „Hofhaltung" der Lumberts erzählt der Schauspieler Fougöre. Dieser leitete gegen glänzendes Honorar ein Dileltanten-Theater im Salon Humbert. Das letzte von ihm inscentrte Stück war vom Hausherrn selbst verfaßt und hieß „Kaiserin". Fräulein