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Mp- Zweites Blatt. wch« MM ThmM, NO», Sitdeckh« Nd die llMMM. Anrlsökall für die Kgl. KmtshMptmannschaft zu "Meißen, das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. 92. Freitag, den 16. November 1888. Auf sicherer Fährte. Criminal-Roman von Emilie Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Newman setzte sich an den Tisch, auf welchen der Pfarrer ein sehr einfaches Schreibzeug setzte, und zog aus seinem dicken Portefeuille einen zusammengefaltenen Bogen, den er sorgfältig auseinanderstrich und vor sich hinlegte. Dann nahm er die Feder zur Hand, blickte den Toni auf- munternd an und sprach: „Nun erzählt mal recht deutlich und ausführlich, was Ihr an jenem Tage von dem Absturz der fremden Dams gesehen habt, mein braver Toni! Haltet Euch streng an die Wahrheit, nicht mehr und nicht minder, es soll Euer Schaden nicht sein. „Will der Herr denn Alles aufschreibcn?" fragte Toni bestürzt. „Es muß sein," bestätigte der Pfarrer, „erzähle, wie Du's mir an- vertraut hast, mein Sohn!" „Nun, — ich halt' an jenem Tag eine Bestellung nach St. Leon hardt, um eine Tour nach Sölden zu bereden, und nahm einen andern Weg, Hochwürden kennen den Gemssteig, der viel gesahrvoller, aber hernach eher hinabführt. An einer Stell' schaut man gerad' auf die Gewässer und auf den Absturz, von wo's nach Phelders hinauffengeht. Da sah ich die beiden Fremden, den jungen Herrn mit der Dam', die sein'Mutter sein mochte. Er wollt' ein Blümlein pflücken, wie's mir schien, und bcugt^sich alleweil hinunter, wo dann das armet Weibsbild sich arg »er schrickt und ihn zurückzich.n will. Zn demselbigen Augenblick, ich stehe wie angenagelt und denk' mir nichts Böses, schnellt der junge Herr, es war ein schlimmer, mein' ich, jäh zurück und giebt dem armen Weibsbild einen Stoß in die Seiten, daß sie grausam aufschreit und hinabfliegt in die Tiefen. Da schrei ich auf und lauf' wie dalket davon, aber in St. Leonhardt wußten sie noch nicks von der Geschicht'. — Ich mein', daß ich's lieber bei mir behalten und hernacher dem Herrn Pfarrer erzählen thu — und ging mit der Herrschaft nach Phelders zurück, von wo sie einen andern Weg nach dem Oetzferner nehmen wollten. Da hab' ich's Hochwürden geschwind erzählt, daß ich's von der <Leel' los wurde, und dacht', es wär' Alles gut damit. — Es soll doch nicht nach Jnsbruck hinauf zum Gericht gehen, lieber Herr?" setzte Toni ängstlich hinzu. Newman hatte während der Erzählung geschrieben und dieselbe mit einer erstaunlichen Schnelligkeit und Gedächtnißkraft zu Protokoll gebracht. Ohne auf die Frage des geängstigten Gebirgsbewohners zu achten", schrieb er noch eine Weile sort und überreichte den Bogen alsdann dem Pfarrer mit der Bitte, das Geschriebene durchzulesen. Dieser kam der Aufforderung nach. „Sie haben ein erstaunliches Auffassungs-Talent," sagte er, als er bis zum Schluß gelesen, „das kommt mir gerade wie ein Wunder vor." „Uebung, Hochwürden, läßt sich Alles erlernen," erwiderte Newman, „wollen Sie nun die Güte haben, dieses Protokoll zu unterzeichnen, ebenso Toni — er kann doch schreiben?" „Ei, freilich, er ist kein Künstler darin, aber man kann's doch lesen. „Das ist genug. — Also zuerst, Freund Toni, setzt hier Euren Namen hin, recht groß und deutlich." Toni sah den Pfarrer an, als dieser nickte, ergriff er die Feder und schrieb mit großen ungelenkigen Zügen den Namen: Anton Lechner, worauf der Pfarrer ebenfalls unterschrieb und zur Beglaubigung das Kirchensiegel hinzusetzte. „So, besten Dank, Herr Pfarrer?" sprach Newman, „das genügt. Am liebsten möchte ich noch in dieser Nacht nach Meran zurück," setzte er nachdenklich hinzu," das Wetter ist herrlich, Mondschein dazu, — wie wär'S, Toni, wenn Ihr mich nach St. Leonhardt hinabbrächtet, — mein Wagen wartet dort." „Ei ja, Herr, warum nit, mir macht der Weg nicks aus." „Ich dächte, wenn Sie mit Tagesanbruch sich aufmachtcn, lieber Herr!" wandte der Pfarrer besorgt ein. „Vielleicht liegt schon ein Telegramm für mich in Meran, Hochwürden! — Sie wissen, wie viel jetzt an der Minute hängt." „Freilich, freilich, aber die Anstrengung —" „Ach, ich hab' mich geruht und gestärkt unter Ihren gastlichen Dach, Herr Pfarrer!" fiel Newman mit einer Herzlichkeit ein, welche man ihm nicht zuzutrauen vermochte, „haben Sie tausend Dank für Alles, ich gebe Ihnen mit diesen Handschlag das Versprechen, Europa nicht zu verlassen, ohne Sie wicdergesehen zu haben. Er streckte dem würdigen Geistlichen die Rechte entgegen, in welche dieser mit wehmüthigem Lächeln die seine legte, nahm seinen Hut und den derben Gebirgsstock zur Hand und verließ mit Toni die gastliche Pfarrhütte, um die nächtliche Wanderung zu beginnen. Rascher als der Aufstieg gewesen, ging's mit dem Führer hinunter nach St. Leonhardt. Doch ob die Nacht auch zauberisch schön war in dem vom silbernen Mondlicht übergossenen Gebirge, wo im Glitzern und geheimnißvollen Rauschen der Wasserfälle eine Märchenwelt von Poesie sich barg, der realistische, durch und durch nüchtern denkende amerikanische Detektiv hatte keinen Blick dafür, sondern plauderte mit seinem Führer, indem er immer wieder auf's Neue die eingehendsten Fragen über den Absturz der Dame an ihn richtete, und ganz unbemerkt dem schlichten Ge birgsbewohner die schreckliche Situation in ein klares Licht stellte, daß Toni meinte, die grausige Geschichte müsse sich da vor seinen Augen jetzt eben wiederholen. In St. Leonhardt angekommen, belohnte Newman ihn sehr reichlich, ließ dann anspannen und fuhr nach Meran zurück. — Hier lag in der That eine Depesche für ihn, welche die wenigen Worte enthielt: „Kommen Sie sofort nach X. St". „Woll,'« sagte Newmann. „Zeit ist Geld, dachte es mir und habe die meinige gut ausgenutzt, calculire, daß er mit mir zufrieden sein wird." XVI. Ein solches Ereigniß, wie die Mord- und Gewitternacht im Lam- pert'schen Hause war auch wohl im Stande, eine Großstadt in momentane Auflegung zu versetzen, wie viel mehr nicht die stille Einwohnerschaft eines Provinzial-Städtchens, das seit undenklichen Zeiten dergleichen nicht erlebt hatte. Die „ältesten Leute" wußten sich nur eines Falles zu erinnern, wo ein Vagabund einen Handwerksgesellen draußen vor der Stadt beraubt und mit einem Federmesser in den Hals gestochen hatte, welche Wunde aber gottlob durch eine steife Binde abgcschwächt und deshalb nicht tödlich geworden war. Und ein solches Verbrechen inmitten der Stadt, wo Gottes Stimme in gewaltigen Donnerschlägen ertönte, wo seine rächende Hand im feurigen Strahl hernieder fuhr, um die Unthat sofort zu verkünden. Welcher Ruchlose konnte das Mordmesser über eine alte gebrechliche Person geschwungen, wer den jungen kräftigen Hausherrn überwältigt und halb erwürgt haben? Aus der Hauptstadt der Provinz war ein Staatsanwalt mit einem gewiegten Detectiv gekommen, um die Untersuchung zu überwachen. DerDctectiv hatte sich als Geschäftsreisender in einem Gasthof zweiten Ranges einquartirt und saß Abends in der geräumigen Wirthsstube bei einem Schoppen Bier und einer guten Cigarre, von welcher Sorte er einem ihm gegenüber sitzenden Krämer mit schlauem Augenblinzeln prä- sentirte. „Bereise zum ersten Male Westfalen," bemerkte er dabei, probiren Sie nur die Sorte, mein Herr, famoses Kraut, echt importirte Waare, pro Mille nur 150 Mark, ein Spottpreis, können 200 Procent daran verdienen, Sie sind doch Kaufmann?" „Bin ich," erwiderte der Krämer, die dargebotene Cigarre in Brand setzend und einige langsame Züge machend, „recht gut, hm, ja, gewiß, aber mir zu theuer, bezahlt meine Kundschaft nicht, beziehe direct von Bremen, hm, ja." „Habe auch noch billigere Sorten bei guter Qualität, mir scheint aber, daß just zu einer ungelegenen Zeit nach X. gekommen bin, da kein Mensch weiter etwas hören mag, als von der famosen Mordgeschichte. Ja, ha, Ihre Stadt macht sich heraus, will Großstadt werden, wie?" Der Krämer zuckte die Achseln. „Sie sind wohl Berliner?" „Zu dienen, mit echten Spreewaffer getauft. Aber sagen Sie mal, lieber Herr, hat man denn noch immer keine Ahnung von dem Thäter? Keinen Anhaltspunkt, ob nicht gerade an jenem Tage ein Fremder sich in der Nähe der Mordstätte bemerklich gemacht hat. „Weiß nichts davon," versetzte der Krämer, „hm, ja, wäre noch schöner, so mir nichts, dir nichts jeden Fremden zu verdächtigen, fällt keinem ehr lichen Bürger ein, ist Sache der Polizei, hm, ja!" Mittlerweile hatten sich noch einige Gäste an den Tisch niedergelassen welche neugierig der Unterhaltung gefolgt waren. „Aber ich bitte Sie, mein bester Herr!" rief der Cigarren-Rcisende mit erstaunter Miene, „die Polizei ist doch nicht allwissend, wenn man's auch zuweilen glauben möchte. In einer Stadt, wo solche grausige Dinge geschehen, ist es meiner Ansicht nach die Pflicht eines jeden guten Bür gers, zur Entdeckung des Mörders nach Kräften beizutragen, und Alles, was irgendwie Bezug darauf haben könnte, zur Kenntniß der Polizei zu bringen." „Freilich, freilich," fiel einer der Zuhörer eifrig ein, „und wenn'« erlaubt ist, mitzureden —" „Ei, weshab nicht, Meister Kupferschmied!" rief der Krämer ihm wohlwollend zu, „hier kann ein jeder mitreden, hm, ja!" „Na, ja, ich will keinen verdächtigen," räusperte sich der Meister, „Gott bewahre, fällt mir nicht ein, aber mein Nachbar hier, der Schneider meister Dinkel, kann's bezeugen, daß wir kurz vor der Mordgeschichte vor meiner Thür saßen, nach Feierabend, versteht sich; erinnern Sie sich noch, Nachbar, als der junge Schwarz mit dem Fremden durch die Straße ging, wir hatten noch unsere Gedanken darüber." „Ja, ja, ich weiß," sprach Meister Dinkel mit geheimnißvoller Miene, „wir wunderten uns, wie der junge Schwarz zu der vornehmen Bekannt schaft käme, worauf Meister Remmers, der ein gut Stück von der Welt gesehen hat, meinte, es trüge Mancher Glanzstiefeln, just in feinen Klei dern stolzirten die sogenannten Hochstapler. Aber dieser Herr war ja ein Bekannter vom Herrn Notar Sauer, wissen Sie noch, Nachbar, daß wir eine Hochzeit mit einer der vielen heirathsfähigen Töchtern des Notars prophezeiten? — Der Fremde ist jawohl ein reicher Amerikaner, der sich nicht mit Mordgedanken befaßen wird." „I bewahre, wer wird so was behaupten wollen," rief der Schneider-