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ZGMiiM Tageblait Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. «nnahme von Inseraten für die nächster- I-einende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 80 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und di« Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern S Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 28. Marz 1883. KS. "Waldenburg, 27. März 1883. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Reichsanzeiger veröffentlich! folgenden Erlaß des Kaisers: „Wiederum habe ich durch Gottes Gnade ein neues Lebensjahr begonnen und wiederum hat daraus die Nation Veranlassung genommen, mir ihre Segenswünsche in ungewöhnlich zahlreichen Zuschriften und in mannigfaltigster Kundgebung darzubringen. Adressen und Telegramme, dichterische und sonstige künstlerische Gaben, Blumenspenden und Angebinde der verschiedensten Art sind mir von Stadt- und Landgemeinden, Corporationen, Vereinen und Festversammlungen und einzelnen Personen innerhalb und außerhalb des deutschen Reiches, selbst aus fernen Welttheilen in reicher Fülle zuge gangen. Diese Spenden, welche sämmtlich das Gepräge lauterer Liebe und Anhänglichkeit tragen, haben mich iwf bewegt. Ihre Durchsicht, wie die Wahrnehmung, daß wo Deutsche wohnen, mein Geburtstag zu einem vaterländischen Feste benutzt wurde, Hal mir das ebenso wohlthuende wie er- muthigende Gefühl gewährt, daß mein unnachlassen- des Bestreben, den umfassenden Pflichten meiner Würde für das thätige Wachsthum der Wohlfahrt meines Volkes Genüge zu lhun, in den Herzen meiner Deutschen Wiede», hall findet. Voll freudiger Befriedigung über die liebevollen Aufmerksamkeiten, wodurch diese Zeit mir zu einer herzerhebenden Feier geweiht worden, muß ich dem Gedanken, Jedem Glückwünschenden besonders zu erwidern als unaus führbar eutsagen, vielmehr meine Zuflucht dazu nehmen, öffentlich meinen wärmsten Dank auszu sprechen." Der Kaiser litt in den letzten Tagen an einem leichten Schnupfen, doch hat sich sein Befinden be reits so weit gebessert, daß er am zweiten Oster feiertag gegen 11 Uhr vormittags den Besuch des Kronprinzen empfangen, gegen 2 Uhr aufstehen und bis zum Abend außerhalb des Bettes ver bringen konnte. Als General v. Stosch 1871 zum Chef der Admiralität ernannt ward, zählte unsere Flotte 3 Panzerfregatten mit 55 Kanonen und alles zusammen gerechnet 48 Schiffe mit 380 Kanonen. Jetzt, nach 11jähriger Amtsführung, besteht die deutsche Flotte aus 7 Panzerfregatten mit 85 Geschützen und zu sammen 108 Kriegsschiffen mit 518 Kanonen und 12,122 Mann Besatzung. Stosch hat den 1874 von ihm vorgelegten erweiterten Flottengründungö- plan nahezu ausgeführt. Die Marine ist erstarkt und man kann es ihr daher nicht verdenken, daß sie sich nach Selbstständigkeit sehnt und es vorge- zogen hätte, einen Seemann an ihre Spitze gestellt zu sehen. Die Ernennung eines Jnfanteriegenerals zum Marineminister hat namentlich in Kiel Auf regung hervorgebracht, und schon vernimmt man, daß Vice-Admiral Batsch, den Stosch selbst zu seinem Nachfolger gewünscht haben soll, um drei Monate Urlaub, oder wie Andere wollen, um seine Entlastung ringekommen sei. Für die einflußreichste Person nach dem Reichskanzler gilt jetzt der Chef des Mililär- cabinets General v. Albedyll, und so wird er viel leicht auch auf die Beförderungen in der Marine »ächt ganz ohne Einfluß sein. Viceadmiral Batsch, der ebenfalls sein Entlas- magsgesuch eingereicht hatte, welches vom Kaiser aber nicht genehmigt wurde, bleibt nunmehr auf seinem Posten. Er hält es für seine Pflicht, den A'aeren Kameraden von der Marine durch sein verbleiben das Beispiel unverbrüchlicher Disciplin »u geben. ^e „Nat.-Lib. Corr." schreibt: Von fortschritt licher Seite wird bereits angekündigt, daß die Ver- l ordnung bezüglich der Anwendung von Kampf zöllen gegen Spanien, welche dem Reichstage bei seinem Wiederzusammentritte vorzulegen ist, dort auf Angriffe zu rechnen hat, und daß es an einer- scharfen Kritik der ganzen handelspolitischen Action der deutschen Regierung nicht fehlen wird. Ohne einen Einblick in den Gang der mit Spanien ge führten Verhandlungen läßt sich ein Urtheil über die Haltung der deutschen Regierung nicht gewinnen und gegen die Anwendung eines wirksamen Kampf zolles wird sich, wenn man sich einmal im Zollkriege befindet und andere Mittel versagen, an sich nichts einwenden lassen. Ein gefährlicher und schneidiger Feind der Börse und Börsenherrschaft, Otto Glagau, sprach dieser Tage in einem Berliner Bürgerverein über das Thema: „Die Börse und der Reichstag." Der Redner entwickelte in der Einleitung seines Vor trages, wie die Börse gleich der Presse sich in den letzten Dezennien zu einer neuen Großmacht ausge bildet hade. Sie sei die erste und zugleich die be gierigste Macht gewesen, welche die großen Siege von 1866 und 1870—71 zu fructificiren verstand. Die Börse trat aus ihren bescheidenen Anfängen immer mehr heraus, occupirte zunächst für sich die Presse, und zwar besonders nach dem Jahre 1863, und verstand es dann, die weiteren Hülfskräfte in der Person von Volkswirthen sich heranzuziehen, die sie dann als ihre speciellen Vertreter, Hüter und Pfleger ins Parlament sandte. Als vor einiger Zeit ein österreichisches Blatt die Entdeckung machte, daß von den österreichischen Volksvertretern 163 als Aufsichtsräthe rc. an 81 Actiengesellschaften be- theiligt waren, da fand man hier nur allgemeine Rufe des Erstaunens; man schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, und doch war's bei uns noch schlimmer. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß in den Jahren von 1870 —1878 rund 400 preußische Abgeordnete unsere Parlamente geziert haben, die theils als Aufsichtsräthe, theils als Directoren oder Verwaltungsbeamte meyr oder weniger mit Actien- gesellschaflen in Verbindung standen. Von den Parteien waren am stärksten vertreten die National liberalen, dann folgten Freiconservative und Fort schritt und zuletzt die Deulschconservativen. Dem Centrum gehörten nur einzelne Abgeordnete an, den Socialdemokraten keiner. Redner verbreitete sich nun weiter in der Charakteristik der Börse, die er als einen Schwamm, eine Pumpe bezeichnete, die unserem wirthschaftlichen Leben das Geld aus saugt. Ihre Einkünfte übersteigen weit die Milliarden der französischen Kriegscontribution, und wehe dem, der sich heut' ihrer Herrschaft nicht willig beugen will. Sie beherrscht nicht allein unsere wirthschaft- lichen Factoren, unsere Nahrungsmittel rc., sondern hat auch große Kreise von Abgeordneten und Beam ten für sich gewonnen, ist es doch zur Genüge be kannt, welch' freundschaftliche Stellung die früheren Minister Delbrück und Camphausen der.Börse gegenüber eingenommen haben, die doch unsere wirthschaftlichen Gesetzgeber waren. Das Erstaun lichste bei der Börse aber sind ihre Privilegien. Während man sonst so gern von einem „Gleichen Recht für alle" spricht und bei jeder paffenden und unpassenden Gelegenheit das Princip der Gleichbe rechtigung proklamirt, treten diese selben Leute doch gerade nach Möglichkeit für die Sonderstellung der Börse ein. Sie haben die Börse der Staatsaufsicht entzogen, und als die Börsenfreunde zu ihrer eigent lichen Herrschaft gelangten, sind sie es gerade ge wesen, die z. B. das Spielen in den Bädern auf gehoben haben, das Spielen an der Börse aber haben sie nicht allein begünstigt, sondern nach Kräf ten noch erweitert, und doch sind die Banken in den Bädern die reinen Kleinigkeiten gewesen gegenüber den Koloffalsummen an der Börse, doch hat in den Spielbanken nur jeder sein eigenes Geld verlieren können, während man an der Börse um die Wohl fahrt ganzer Volksklaffen, um die wirthschaftliche Lage der Bevölkerung spielt. Der Redner legte nun dar, wie die verschiedenen Versuche einzelner Volksvertreter und Parteien, ein Besteuerungsproject sür die Börse zur Annahme zu bringen, stets durch die zahlreichen Börsenfreunde auf der Linken ver eitelt wurden. Zum Schluß seines Vortrages be handelte Redner noch speciell den bekannten von Wedell'schen Antrag, den er nach verschiedenen Richtungen hin beleuchtete und bezeichnete unter scharfer Kritik der diesbezüglichen Reichstagsdebatten es als einen Fehler, daß seitens der Conseroativen nicht die richtigen Vertreter zur Befürwortung des Antrages designirt worden waren, während die Liberalen die tüchtigsten und berufensten Redner ins Feuer gesandt hatten. Nach der neuesten Auflage der „Moral-Statistik" von Professor v. Oettingen stieg die Zahl der Sittlichkeits-Verbrechen, welche unter allen die größte Zunahme aufzuweisen haben, in Preußen 1855 — 69 von 325 auf 925, um 1878 die Höhe von 2105 Fällen zu erreichen. In Baiern stiegen die Sittlichkeits-Verbrechen 1872 — 77 von 165 auf 580 Fälle, in dem übervölkerten Sachsen 1861—78 von 150 auf 771, darunter Verbrechen an Kindern: 16 1871 und 165 1878, eine Verzehnfachung in nerhalb 8 Jahren!! Die Zahl der Ehescheidungen in Sachsen stieg 1871—78 von 469 auf 800, da von solche in Folge Ehebruchs von 177 auf 317. Obgleich von allen Berufsarten die Vertreter der Kunst und Wissenschaft nur im Verhältniß von 2 Procent zu den Gesammt-Ehen heirathen, so liefern sie doch 3 Proc. aller betreffenden Prozesse. In München ist am Montag ein Handwerker- Delegirtentag zusammengetreten; 420 Vertreter aus 80 Orten aus allen Kreisen der Monarchie, die Rheinpfal« ausgenommen, waren anwesend. Zum ersten Vorsitzenden wurde Fabrikant Billing von München gewählt. In seiner Hauptversammlung constituirte sich der bayrische Handwerkerdelegirtentag als integrirender Bestandtheil des allgemeinen deut schen Handwerkerbundes mit dem Sitz in München, berieth ferner den vorgelegten, auf den Beschlüssen des Magdeburger Handwerkertages basirenden Sta tutenentwurf betreffs Wiedereinführung der Innun gen mit der Beitritts- und Beitragspflicht, betreffs der obligatorischen Arbeitsbücher und der Errichtung von Handwerkerkammern, der Abhaltung von Mei sterprüfungen, der Beseitigung des Hausirhandels und der Wanderlager, sowie betreffs der Regelung des SubmissionS- und Creditwesens rc. und nahm sämmlliche Paragraphen an. Nach erledigter Tages ordnung wurde die Versammlung nachmittags ge schloffen. Frankreich, Der Schriftsteller Aug. Vacquerie übermittelte dem Präsidenten Gröoy ein von Victor Hugo be fürwortetes Gnadengesuch englischer Gelehrter und Künstler für den verurtheilten Fürsten Kropotkin. Bei der am 26. d. im 20 Arrondissement von Paris stattgefundenen Stichwahl (zum Ersätze Gam- betta's) wurde der radikale Candidat Sigismund Lacroix mit 3795 Stimmen gewählt. Melivier (Opportunist) erhielt 1896 und Dumay (Collectioist) 1236 Stimmen. In einer Belleviller Wahlversammlung sprach sich am 23. d. der Gambettistenkandidat Melivier über das Programm von 1869 aus und erklärte in Betreff der damaligen Forderung allge-