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MKMU zm AWen NMilml, 117. zu Nr. 4 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: RegierungSrat Brauße in Dresden. (Fortsetzung der 78. Sitzung von Sonnabend, den 2«. De» zember.) Abg. Mütter (Leipzigs tSoz.) (Fortsetzung): Wir haben alles getan, um die Unannehmlichkeit des Belagerungszustandes zu erleichtern. Wir haben nicht auf die proletarische Treue gerechnet. Wir sind im Gegenteil davon überzeugt, das; wir aus Anerkennung für das, was wir für das Prolctaritat getan haben, nicht rechnen können. Das ist nicht nur in Sachsen, sondern im ganzen Reiche so. Ich will nur einen kleinen Beitrag zu der proletarischen Treue geben. Ich mache auf folgende Notiz im „Vorwärts" aufmerksam. (Zuruf bei den Kom.: Den Schwindel haben wir schon gelesen!) In Görlitz wurde jüngst bei kommunistischen Parteimitgliedern Haussuchung gehalten, wobei erhebliche Warenvorräte und sehr kompromittierliches schriftliches Material zum Vorschein kamen. Dies hatte die Verhaftung von etwa 30 Kommunisten zur Folge. Die Angehörigen der Verhasteten wandten sich mit flehentlichen Bittgesuchen an den sozial demokratischen Abgeordneten für Görlitz, den Genossen Buchwitz, er möchte sich doch für deren Freilassung verwenden. Den jammernden Beschwörungen, namentlich der Frauen,, konnte sich Genosse Buch witz nicht entziehen, er unternahm verschiedene Reisen nach Breslau und Berlin und erreichte durch eifrigste Bemühung endlich, daß der bei weitem grösste Teil der Verhafteten in Freiheit gesetzt würde. Soweit schön und gut! Aber vielleicht interessiert es doch, zu erfahren, daß bei einem der Verhafteten eine genaue Anweisung für den Fall des bewaff neten Aufstandes gefunden worden war. In dieser Anweisung hieß es: „Beim Ausbruch des Aufstandes sind die sozialdemokratischen Abgeordneten Taubadcl und Buchwitz sofort zu beseitigen." (Hört, hört!) Wir brauchen keine kommunistische Hetze. Wir brauchen keine Spitzelberichte. Wir wissen, daß ähnliche Anweisungen auch in Sachsen bestehen. Mit diesen wenigen Bemerkungen wollte ich die Ausführungen des Herrn Abg. Böttcher auf das richtige sachliche Maß zurückführen. (Sehr gut! bei den Soz.) Abg Böttcher (Kom.) (Schlußwort): Der Herr Abg Müller hat betont, cs sei notwendig gewesen, daß die Kommunistische Partei in Sachsen eine Attacke gegen die Sozialdemokratie reitet, weil die Kommunistische Partei kaput >ei und eine neue Moskauer Spritze sie zusammenzuleimen versuche. Wer in seiner Partei den Wurm w irn Leibe hat (Lachen bei den Soz.), der soll einer anderen Partei das nicht vorwersen. (Zurufe bei den Kom.) Es ist also absolut abwegig, die Verlegen heit der Sozialdemokratischen Partei in der jetzigen Situation und die politische Unfähigkeit der Sozial demokratie in der jetzigen Regierungskrise verdecken zu wollen durch Vorspiegelung von Bruch und Krach der Kommunistischen Partei. Die Kommunistische Partei ist weder in der Spaltung begriffen, noch bedarf sie irgend welcher politischer Manöver, um sich zu festigen und zu konsolidieren. Die Kommunisten sind innerlich stark und gefestigt (Lachen), und die kommunistische Bewegung in Deutschland hat an innerer Kraft nur gewonnen, seit dem sie durch die Militärdiktatur verboten ist. (Sebr richtig! bei den Kom.) Ich wünschte der säch- fischen Sozialdemokratischen Partei so viel innere Kraft und Initiative, wie sie die Kommunistische Partei in einer einzigen Ortsgruppe entfaltet. Noch eine Bemerkung darüber, daß die Kommunisten an dem Ausnahmezustand schuld seien! Wenn Lächer lichkeit töten könnte, dann würde Herr Müller tot zusammenbrechen müssen. Ter Ansnahmezustand ist von der Sozialdemokratie herbcigeführt worden, sie trägt die Verantwortung dafür. (Lebhafte Zurufe bei den Soz.) Auch das laute Geschrei kann nicht darüber hinwegtäuscheu. Nun die Bemerkung des Herrn Abg. Müller, Kom munisten seien an Sozialdemokraten herangetreten und hätten sie gebeten, ihnen betreffs des Belagerungs zustandes aus der Patfche zu helfen! Der Herr Abg. Müller hat dafür keine Beweise angeführt. Wenn er vielleicht meint, daß Kommunisten an den Zivilkom missar für Sachsen herangegangen sind oder an andere Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei, so haben sie weiter nichts getan, als diese Herren an ihre elemen tarste Pflicht erinnert, die sie von allein durchführen mußten, zur Durchführung deren es gar keiner bcson- deren Mahnung bedarf. Was politisch zu diesen Dingen zu sagen ist, ist das, daß ein Kommunist niemals die Hilfe der Sozialdemokratie in Anspruch genommen hat oder in Anspruch nehmen wird, um politisch die Lage der Kommunisten zu erleichtern, sondern die Sozial- demokraten sind es, die sich willig in den Dienst stellen. (Unruhe und Zurufe bei den Soz. — Gegenrufe des Abg. Granz: Ausgesprochener Idiot!) Stellv. Präsident Bünger ruft den Abg. Granz wegen dieser Äußerung zur Ordnung Abg. Böttcher (fortsahrend): Die Sozialdemokraten sind eS, die sich willig in den Dienst der Militärdiktatur stellen. — Ein NoSke, Ebert, Sollmann (Abg vr. Weigel: StinneS!), und ihre verschiedenen Polizeipräsidenten in Sachsen und im übrigen Deutschland führen die Be fehle der Militärdiktatur aus. Die Sozialdemokratie hat sich in vollem Umfang in den Dienst des weißen Terrors gestellt; sozialdemokratische Beamte, sozialdemo kratische Partei- und Regierungsfunktionäre sind es, die gleich dem weißen Terror, der Militärdiktatur, gegen die Arbeiterschaft vorgegangen sind. Tas sind un weigerliche Tatsachen, gegen die sich die Sozialdemo kratie im Wahlkampf vor der Arbeiterschaft recht fertigen muß. Tie Kommunistische Partei wird jedenfalls inner halb der Arbeiterschaft die Auflösung des Landtags mit allen Mitteln betreiben, um dem Proletariat Ge legenheit zu geben, über diesen Landtagfein Urteil zu sprechen, und wenn es diesmal der Arbeiterschaft noch nicht möglich ist, an die Stelle dieses Landtags einen Sowjet (Heiterkeit.), einen politischen Arbeiterrat für Sachsen zu setzen, so können Sie überzeugt sein, daß wir alle Kräfte anwenden werden, um über diesen toten Parlamentarismus hinaus, über diese bankrotte bürgerliche Demokratie hinaus die Diktatur des Pro- letariats und die Organe dieser Diktatur, die politischen Arbeiterräte zu schoflen. (Bravo! bei den Kom. — Lachen rechts.) Der Antrag Drucksache Nr. 643 wird gegen die Stimmen der Kommunisten dem Rechtsausschuß über wiesen. (Schluß der Sitzung 3 Uhr 14 Minuten nachmittags.) 79. Sitzung. Freitag, den 4. Januar 1924. Präsident Winkler teilt bald nach 1 Uhr nachmittags mit, daß der Sitzungsbeginn von 1 Uhr auf 2 Uhr vertagt wird, und schlägt, nachdem er 2 Uhr 24 Minuten die Sitzung eröffnet hat, namens des Vorstandes vor, daß zunächst, und zwar in Verbindung mit den Notverordnungen, die entsprechenden Vorlagen Nr. 111, 112 und 113 nut be handelt werden und die Vorlage Nr. 111, Entwurf eines Gesetzes über die weitere Abänderung des Berwaltunbs- kostengesetzes vom 30. April 1906 bctr., in sofortige Schlustberatung genommen wird. (Abg. Renner s^om ): Wir widersprechen!) Ta die 10 kommunistischen Abgeordneten wider sprechen, kann die Schlußberatung nicht stattfinden. Ein weiterer Vorschlag geht dahin, die Tagesordnung in der Weise umzuändern, daß als 1. Punkt die Wahl des Ministerpräsidenten genommen wird, als 2 Punkt die Vereidigung des Ministerpräsidenten, als 3. Punkt die erste Beratung über die von der Regierung er- lassenen Notverordnungen, in Verbindung bannt die schon erwähnten Vorlagen, und als letzter Punkt die zweite Beratung über den Antrag Drucksache Nr 643, die Auslösung des Landtages betr. Abg. Beutler (Dtfchnat.) widerspricht der Änderung der Tagesordnung, weil er es für unlogisch hält, wenn eine Negierung, die die Notverordnungen nickt erlassen hat, sich über diese Notverordnungen verantworten soll. Es muß erst die alte Regierung zu diesen Notverord nungen gehört werden. (Sehr richtig! bei den Ttschnat.) Abg. Böttcher (Kom.): Ter Landtag hat in der letzten Sitzung die Tagesordnung für heute festgelegt, und darnach hat sich die heutige Landtagssitzung abzüwickeln. Mit Mehrheit wird sodann die Veränderung der Tages ordnung beschlossen. Ministerpräsident Keltisch. Meine Damen und Herren! Im Namen der Staatsregierung habe ich dem Landtag vor Eintritt in die Tagesordnung fol gende Mitteilung zu machen. Der Landesarbeitsausschuß der BSPT. Sachsens hat folgendes Schreiben an mich gerichtet: Dresden, den 3. Januar 1924. An den Herrn Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen. Die Bereinigte Sozialdemokratische Partei Sach sens, vertreten durch den unterzeichneten Landes- arbeitsausfchuß, beantragt auf Grund des Artikels 36 der sächsischen Verfassung, daß das Gesamtministerium ein Volksbegehren über die Auflösung des Landtages herbeiführt. (Zuruf bei den Deutschnationalen: Was geht uns denn das hier an?) Die Vereinigte Sozialdemokratische Partei Sachsens repräsentiert weit über ein Zehntel der Stimm berechtigten der letzten Landtagswahl. Der Landesarbeitsausschuß der BSPD. Sachsens. gez.: Arthur «rzt) - Oskar Edel j Vorsitzende. (Zuruf bei den Dcutschnationalen: WaS geht denn das uns hier an? — Abg. Kühn: Der hat ja gar keine Vorsitzenden! — Hört, hört! bei den Kommunisten. — Lachen bei einem Teil der Sozialdemokraten und bei den Demokraten.) Tas Gcsamtministerium hat auf Grund von Ar tikel 36 der Staatsversassung beschlossen, diesem An träge stattzugebcn. ES wild heute abend in der „Staat-reitung" folgende vom Gesamtministerium er lassene Veordnung veröffentlicht werden: Zulassung eines Volksbegehrens auf Auflösung des Landtages. Der Landesarbeitsausfchuß der Vereinigten So zialdemokratischen Partei Sachsens hat durch seine Vorsitzenden Arthur Arzt und OSkar Edel unter dem 3. Januar 1924 einen Antrag eingereicht, daß das Geiamtministcrium auf Grund des Artikels 36 der sächsischen Verfassung ein Volksbegehren über die Auflösung des Landtages hcrbeiführe. Tas Gesamtministerium hat beschlossen, dieses Volksbegehren auf Grund des Artikels 36 der Ver- fassung und 88 1 und 2 des Gesetzes über Volks begehren und Volksentscheid vom 8. März 1921 (GBl. S. 62) zuzulassen. Weitere Bestimmungen bleiben Vorbehalten. Dresden, den 4. Januar 1924. Gesamtministerium gez. Fellifch, Ministerpräsident. (Zuruf bei den Dem.: Voriges Mal hat es länger ge dauert !) Die Regierung hielt sich für verpflichtet, dem Land tage diese Tatsache mitzuteiten. Der Landtag nimmt davon Kenntnis und tritt in die Tagesordnung ein: 1. Wahl des Ministerpräsi denten. Abg. Wirth (Soz): Im Namen meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben: Ter in Sachsen vorhandenen proletarischen Mehr heit war es infolge des Verhaltens der Kommu- nistischen Fraktion (Lachen bei den Kom.) leider nicht bcschieden, auf die Tauer eine besonders den unteren Volksschichten dienende fruchtbringende Politik zu treiben. (Vielfache Zurufe bei den Kom., darunter: Wer hat denn den Belagerungszustand verhängt? Wer hat denn die Reichswehr nach Trcsden geschickt?) Tie Hoffnungen, die weite Bolkslreife auch über die Grenzen Sachsens hinaus. . . (Andauernde Zurufe des Abg. Böttcher wie Verräter, Heuchler usw.) Präsident (unterbrechend): Ich rufe den Herrn Abg. Böttcher wegen dieser groben Beleidigungen zur Ord nung. (Absp Böttcher: Unerhört ist das, wie das fach- suche Volk belogen wird!) Abg. Wirth (fortfahrend): Tic Hoffnungen, die weite Volkskreise auch über die Grenzen Sachsens hinaus an diese proletarische Mehrheit knüpften, sind leider nicht erfüllt (Lärm und andauernde Zurufe bei den Kom.), ja zum Teil bitter enttäuscht worden (Zuruf des Abg. Böttcher.) Ein Zeitabschnitt positiver Parlamentsarbeit wurde durch die von den Kommunisten bewirkte Auflösung des Landtags im Hochsommer 1922 unterbrochen. (Abg. Siewert: Und der Verrat der Sozialdemokratie?) In schier unermeßlicher Aufopferung hat die Sozial demokratie immer wieder versucht (Lachen und lärmende Zurufe bei den Kom.: So eine Heuchelei! Damit Ihr Eure Posten behalten könnt! — Abg. Böttcher: In wessen Namen sprechen Sie denn überhaupt? Haben Sie denn etwas hinter sich?), die vorhandene proletarische Mehrheit zu positiver Gcsetzgebungsarbeit einzuftcUen. (Lärm und Zurufe bei den Kom. — Hammer des Prä sidenten.) Diesem Ziele zuliebe hat sie in selbstlosester Weise neben anderen selbst eine Anzahl fähigster Minister und altbewährter Parteiführer geopfert. (Lachen bei den Kom.), ohne daß diese Opfer einen Nutzen gebracht hätten. Tie K. P. D. will und wollte keine positive Arbeit für das Volk. (Abg. Dr. Seufert: Sebr richtig! — Abg. Renner: Ihr macht positive Arbeit für die Reaktion!) Lie hat erst vor wenigen Tagen durch den Abg. Böttcher erklären lassen, daß sie auch nach den Wahlen eine sozialdemokratische Regierung nickt unterstützen werde. (Hört, hört! bei den Dem. — Sehr richtig! bei den Kom.) Nach die er Erklärung würde eine Neuwahl, weil sie kein anderes Verhältnis der K. P. D. zur praktischen Gesetzgebungsarbeit ergeben würde, eine zwecklose Vergeudung von Geld und Zeit sein, die zweckmäßig für nutzbringende Arbeit verwendet werden können. (Abg Granz: Tas ist Arbeit für General Müller und Secckt?) Es entfällt auch damit die Möglichkeit, einem Be schluß des sozialdemokratischen Landesparteitages Rechnung zu tragen. Tic Möglichkeit, die Ent scheidung eincS neuen Landcspartcitages cinzuholen, besteht auch nicht, wenn die zwecklose Auflösung des Landtages vermieden werden soll (Zurus bei den Kom.)