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krscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- u. Festtage. Bezugspreis: Vierteljahr!. 1 Mk. 5« Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 8858. Bei außerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer litt Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit üuedäruckerei» betlaktion «na LerdMrsteller Dresden, Pillniher Straße 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf» berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. RedaktionS-Spreckistunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Amt I. Nr. 1586. Nv. 158. Katholiken: Heinrich Kais. Mittwoch, dkN 1 O. Juli 1 903. Protestanten: Apostel-Teil. Ä. AkhvAMIH. Eine Friedensliga. Schöne Worte des protestantischen Stadtpfarrers Schiller in Nürnberg, worin er znr Förderung des kon fessionellen Friedens anffordert, haben wir unlängst unseren Lesern mitgeteilt. Dieser Mahnung stimmen alle deutschen Katholiken mit Freuden zu. Bei allen Freunden des konfessionellen Friedens wird der Herr Stadtpfarrer durch Gründung einer Friedensliga den lebhaftesten Beifall finden. Wir können nur dringend wünschen, das; er bei recht vielen seiner Amtsbrüder Gehör und Nachahmung finden möge, und zweifeln nicht im Mindesten daran, das; ernstliche Anzeichen einer friedlichen Bewegung im Protestantismus, die allerdings noch nicht durch das Ans' treten einer einzelnen Persönlichkeit bewiese i wird, ein entsprechendes Echo auch ans katholischer Seite wecken werden. Ein jeder ehrliche Beurteiler wird zugeben müssen, das; man im katholischen Lagcr ohnehin sich im großen und ganzen durchaus auf die notwendigste A bwehr gegen die Angriffe ans unsere Konfession beschränkt hat, vereinzelte Ans- schreitnngen haben keinen allgemeinen Anklang gefunden, mußten sich vielmehr den schärfsten Tadel gerade von den berufenen Organen des deutschen Katholizismus, den kirch lichen sowohl wie den politischen, gefallen lassen. Wenn es nur ans Protestantischer Seite ebenso wäre! Wenn doch auch dort die gleiche Neigung allgemein bestünde, die weiße Fahne des Friedens mit Freuden zu begrüßen! Leider scheint es aber, als wäre dem Herrn Pfarrer Schiller die Nolle eines Rufers in der Wüste zugedacht. Tenn nicht die Friedensmahner, sondern die Nufer im Streite führen gegenwärtig das große Wort. Wie gern würden wir der friedeheischenden Wirksam keit der Freunde des Friedens und einer zu gründenden Liga einen größeren Erfolg in Aussicht stellen! Doch wir sind überzeugt, daß von Herrn Schillers Amtsbrüdern mindestens !>0 Prozent ihm jede Mitarbeit versagen würden. Teils fühlen sie sich nicht stark genug, gegen den Strom zu schwimmen, teils schwimmen sie mit dem Strom selbst, weil sie von der tteberzengnng getragen sind, daß bei dem voll ständigen Anfgeben einer gemeinsamen dogmatischen Grund- läge des Protestantismus der Kampf gegen Nom das einzige sei, wobei sie die Einheit der Kirche zu betonen in der Lage sind. Selbst die von Herrn Pfarrer Schiller vorgeschlagene i Friedensliga würde sich wehren müssen gegen die eigenen Brüder. Da sie nur einen kleinen Teil des Protestantismus umfassen würde, so wären die Katholiken genötigt, sich vor wie nach gegen die kriegerischgesinnte Mehrheit der protestantischen Prediger, gegen die liberalen Politiker x. zu verteidigen. ES erfüllt uns trotzdem mit Befriedigung und Freude, wenn hier und da ein Mahnwort an die erhitzten Gemüter Nach geschiedener Lhe. Ein Sittenbild aus dem bentigcn Frankreich. Von Eomtesse de Beaurepaire. — Deutsch von Helene Krembs. «2-V it-ortsetuiii^i — lNachdruck verlwleu.> Marzel sah sie mit wehmütigem Lächeln an und zuckte die Achseln. „Das wäre ja eigentlich mir gerechte Wiedervergeltung. Aber darum ist's mir nicht zu thun, und um Dir dies zu beweisen, will ich nun erst mit Dir zu Tische gehen und mich dann hinlegen. Laß mir gleich anstragen." Mit müden Schritten ging er ins Speisezimmer hinüber. Während deS Essens versuchte Regina es, die Unter haltung ans die stattgehabte Kammersitznng zu lenke», allein Marzel antwortete nicht. Nachdem er einige Löffel Suppe zu sich genommen, ein Stückchen Fleisch ans dem Teller zerschnitten und ein halbes Glas Wein getrunken, erhob er sich. „Fch kann nicht mehr", rief er, „es ist grausam, mich noch bier zu halten". Einige Angenblicke später schloß er sich in seinem Zimmer ein, wie es seine Frau an den vorhergehenden Tagen gemacht hatte. „Hier kann ich doch ungestört denken", sagte er zu sich selbst. Er legte sich aufs Bett, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Diese Nacht wurde eine der unruhigsten seines Lebens. Der kleine blondlockige und rotwangige Fohaun nu llte hm nicht aus dem Sinn. Er sah ihn spielen, ans seine Mutter znlaufeu, er hörte ie Küsse, die er ihr gab, und eine häßliche Empfindung heg in ilnn auf. die wie eine giftige Schlange sein Herz erwnndete. Es war doch sein Sohn, und er wollte hn nederhaben, wenn er ihn auch stehlen müßte. Aber dann lürde Gelände weinen, sie. die schon so viel geweint, nnerlei: ihr blieben ja noch Hermine und Marguerite. Nun tauchte die Erinnernng an diese auf. Warum Ulte er nicht auch die beide» Mädchen nehmen? ans den protestantischen Kreisen selbst heraus ertönt, und die Stimme des Gewissens in so manchem irregesiihrten Kämpfer weckt, wenigstens dort, wo sie nicht durch Bös willigkeit vollständig znm Schweigen gebracht ist. Mancher Protestant, der das Wort „Neligionsfrieden" hört, bricht im vorhinein den Stab darüber; mit der katholischen Kirche kann es keinen Frieden geben, das ist sein Einwand, außer sie gibt das ans, was man mit dem geschmackvollen Namen „Iesuitisinns" zu bezeichnen pflegt, was aber in der Tat Wesenseigenschaften ihres Seins sind. Tie Herren denken hierbei gleich an die Proseliitemnacherei; sie meinen, daß der Friede gleichbedeutend sei mit dem Uebergang des Protestantismus ins katholische Lager. Man meint, durch den Frieden werden Vorteile ans der Hand gegeben, die dem Katholizismus zugute kommen. Darin liegt eine große Täuschung, in die man sich ans prote stantischer Seite hineingelebt hat. Der Friede auf den: Boden der Gleichberechtigung beider Konfessionen gibt keiner einen Vorteil außer den einen, daß sich jede Konfession friedlich der eigenen Arbeit zuwenden könnte und die Hand frei bekäme, den Unglauben gemeinsam zu bekämpfen. TaS scheint aber die kriegerisch gefilmte Partei im protestantischen Lager zu befürchten. Sie macht es so. wie es gewisse Staaten getan haben und noch tun. Wenn eine innere Revolte ansznbrechen drohte, weil» mail sich nicht mehr Rat wußte, wie man der inneren Zersetzung Einhalt gebieten könne, dann schickte die Negierung die Soldaten über die Grenze, um in Feindesland einznfallen. Die errungenen Lorbeeren beschwichtigten den inneren Hader und täuschten über den Bankerott am besten hinweg. Ein solches Vn Iiniusl,,'-Spielen zeitigt dort die furchtbarsten Folgen, wo der äußere Krieg unglücklich geführt wird und die letzten Reserven an Geld und Moral herangezogen werden müssen, ohne daß eine Kräftigung des inneren Wesens als Erfolg zu verzeichnen ist. Was nützt es dem Protestantismus z. B., die Katholiken Böhmens znm Abfall zu bringen, wenn mit diesem Zuwachs weiter nichts ge wonnen ist, als Leute, die keinen christlichen Besitzstand in die neue Kirche mitbriugen, sondern das Proletariat ver stärken, d. h. jene, welche bereits mit Harnack alles positiven Ehristcntnms bar sind? Fu kurzer Zeit machen sich die traurigen Folgen einer solchen Politik bemerkbar, die nur die Zersetzung rascher bewirkt, statt gesundes Blut dem Körper zuziiführen, ganz abgesehen davon, daß der Beutezug in fremdes Gebiet den Kampf heranfbeschwört und den Frieden unmöglich macht. Wer den Schatz zu würdigen weiß, der in dem Frieden zwischen den Konfessionen besteht, muß ans Liebe zum Vaterland es als seine Ausgabe betrachten, an dem Zustande kommen desselben zu arbeiten. Es fällt uns gar nicht ein. ! damit den Gedanken zu verbinden, es müßten die Bürger > aller Konfessionen wieder zurückkebren zu einem Glauben. ! Tie konfessionelle Spaltung des deutschen Volkes ist als Erbe der Reformation nun einmal eine geschichtliche Tat sache; wir müssen daher den geschaffenen Zustand er tragen. Aber da wir. Katholiken und Protestanten, doch in einem Vaterlande zusanunenwohnen müssen und wir uns nicht, wie auch der Kaiser kürzlich bemerkt haben soll, der Religion wegen gegenseitig die Köpfe einschlagen können, so sollten wir darnach trachte», die Gegensätze, die mm einmal vorhanden sind, zwar nicht zu verwische». — denn das ist unmöglich — aber doch nicht bei jeder passen den und unpassenden Gelegenheit hervorznkehren, ins bürger liche Zusammenleben zu übertragen oder ans die Spitze zu treiben. Nicht als ob jeder .Kampf zwischen den Konfessionen ansbören sollte; Kampf ist vielmehr notwendig, wo es sich um die. Ausfechtung der prinzipiellen Gegensätze handelt, also vorwiegend auf dem theologischen Gebiete, daun in der Geschichtswissenschaft x. Auch ein gesunder Wettbewerb, besonders ans dem Felde der christlichen Liebestäligkeit in sozialer Beziehung und im praktischen Kampfe gegen den Unglauben ist nicht nur vollkommen berechtigt, sondern ge radezu notwendig. Aber damit könnte und sollte man sich begnügen. Jedenfalls kann das ewige Kriegslrompeten- geschmetter, wie eS gewisse Kampfhähne in Zwickau und anderwärts sich znr besonderen Lebensaufgabe gemacht haben, das Hineintrageu des konfessionellen Gegensatzes in alle Lebensverhältnisse und die Anwendung vergifteter Waisen, wie es z. B. die größtenteils erfundenen oder gänzlich ent stellten Skaudalgeschichten einer gewissen Presse sind, keinem verständigen Menschen znr Freude gereichen. Mit solchen Kampfesnutteln wird der F-nede zerstört, weil der Angegriffene sich selbuerständlich webren muß, aber es wird auch die innere Gefahr nicht beschworen. Die lebten Reichstagswahlen in Sachsen ln ben das deutlich bewiesen, llebcrall wurde die grüne Fahne des Propheten gezeigt und direkt zum Neligionskrieg fanatunrt. Aber das Volk blieb kühl bis ans Herz hinan. Das „Hallali" der grimmen Fäger gegen die fünf Prozent Katholiken in Sachsen ver hallte machtlos; es gab sich außer einigen Zeitungsblättern niemand dazu her, um das Edelwild pelzen zu pelseu. I Das protestantische Volk hat andere Schmerzen, als das i friedliche Nebeneinanderwohnen beider Konfessionen zu ! stören. Mit der Knltnrtamvferei sollte das proleslantische Gewissen geweckt werden zum Zusammenschluß nicht gegen die Schwarzen, — die sind ja in Sachsen gar nicht ge jährlich — sondern gegen die Roten. Während die Herren Reichel, Hoensbroech G tutti ipwnti ans harmlose Kaninchen Fagd machten, brach der Wolf in die Hürde ein nnd nahm Besitz von derselben. Was hat mm ihr Schreien gegen „Rom" ihnen gegen diejenige Gefahr geholfen, die wirklich an die Fore des protestantischen Kirchtnins pocht, gegen die sozialdemokratische Hochflut? Hoffentlich „Wie bleich und traurig Hernüne anssah! Ob sie etwas weiß? Fa. sicherlich, denn in ihre» Angen lag verborgener Kummer, der keinen anderen Grund haben kann. Ob sie mich wohl verachtet?" Dieser Gedanke war 'hm unerträglich, und er hätte ihn fortscheuchen mögen. Fedoch wenn er sich den Brief ins Gedächtnis ries, den die Ernkonunnnikanlin ihm ge schrieben, dann durfte er sich keiner Täuschung hingeben. „Was würde es ein sein, wenn ich sie der Mittler entrisie?" fragte er sich dann. „Mich verabscheuen würden sie alle drei . . . wie sie Gelände lieben." Der Erfolg, der ihm in jüngster Zeit so oft und leicht zu teil wurde, legte den Keim zu gefährlichen Plänen. Marzel klammerte sich an die mutmaßlichen nächsten Siege, als könnten ihm diese Trost bringen. Von ihnen erwartete er das Heilmittel seines Elends nnd schütz gegen jede Un annehmlichkeit. Deshalb wurde der Wunsch, schnell empor zu kommen, immer brennender: er durste nichts scheuen um zum Ziele zu gelangen. War er einmal mächtig, dann ! mußte ilnn alles gelingen, selbst das Unmögliche, dann ! mußte sein Herz wieder befriedigt, sein Gewissen beruhigt j werden. Dann waren alle .Hindernisse beseitigt, und sein > Leben konnte sanft dahinfließen in beständigem Genuß. Genuß! Materieller, niedriger Genus;! Fsl es nicht ^ das letzte Ziel derer, die ans ihrer Seele das Gedächtnis des Schöpfers und alle höheren edlenRegnngen entfernt ha tun? Als der Morgen anbrach. hatte Berliner äußerlich seine > Ruhe wiedergewonnen. Sein übernächtiges, blaues Aus sehen fand genügende Erklärung in der gestrigen über mäßigen Anstrengung. Seiner Gewohnheit gemäß suchte er in den Zeitungen nach Notizen über seine Person. Daran war heute erst recht kein Mangel. Die revolutionären Blätter erhoben ihn bis zu den Wolken, die Gegner brandmarkten seinen Verrat, wie er es verdiente. Alle zogen Vergleiche mit der Vergangenheit: diese um ihn wegen seiner Einsicht und Energie zu beglückwünschen, jene um ihn zu tadeln, daß er mit der Ehrenhaftigkeit gebrochen. Auch Regina bekam ihr Teil. Die Einen feierten die großen Verdienste der guten. ! schönen Fee, die es verstanden, dem brillanten Redner die j Angen zu öffne»; die Anderen deuteten an, wie schade es sei. daß ein so talentvoller Mensch durch eine Abentenerin sich habe umgarnen lauen. Herr Bertinet. fügten die Letzteren hinzu, könne keine Enlschnldignng finden. Mit Wissen und Willen täusche er die öffentliche Meinung; einzig und allein, um seine schlimmen Leidenschaften und seinen strafbaren Ehrgeiz zu befriedigen, mache er sich znm Anwälte ! einer Sache, die er früher selbst verurteilt nnd verworfen. , Alles, was er spräche, sei offenbare Lüge. Er wisse es auch, er lüge den Anderen nnd sich selbst! „Das wird auch Bolande lesen!" dachte er. „Und später wird sie es den Kündern zeigen. Aber nein, das darf, das soll nicht sein. Fch muß es verhindern!" IX. Die folgenden Wochen sahen Bertinet regelmäßig in den Kammersitznngen, wo er sich eisrigst an allen Debatten beteiligte; auch versorgte er sein Provinz-Blatt. wie die Pariser Zeitung, zu deren besten Mitarbeitern er gehörte, nach wie vor mit den wirksamsten Streit-Artikeln. Gegen Regina zeigte er sich wieder liebenswürdig, wie in der ersten Zeit seiner Ehe mit ihr. Aber ein anälender Gedanke verfolgte ihn Fag nnd Nacht. Stets mußte er sich cholande vergegenwärtigen, wie sie ihre Kinder lehrte, den Vater zu verachten. Und diele Furcht versetzte ihn in Aufregung und Wut. Er begann zu verlangen, daß sein Sohn, mehr noch als die Lächler, eine Erziehung bekäme, welche nicht den Lal.nl seiner Handlungsweise zeitigt; eine Erziehung, die nicht sein Be tragen als ein Unrecht gegen die Familie nnd gegen die Gesellschaft brandmarkte. Hh er iich wohl der Becweislich- keit eines solchen Wunsches bewußt winde? Er redete sich vor. die Erziehung müsse ans breiter Grundlage ruhen, sie müffe frei von Vorurteilen und Aberglauben sein, sie dürfe nicht die eigene Meinung des Einzelnen beengen und be schränken, und was dergleichen Spitzfindigkeiten mehr sind. (Fortsetzung folgt.)