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Dresdner Journal : 29.04.1890
- Erscheinungsdatum
- 1890-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189004294
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18900429
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18900429
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1890
-
Monat
1890-04
- Tag 1890-04-29
-
Monat
1890-04
-
Jahr
1890
- Titel
- Dresdner Journal : 29.04.1890
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97. Dienstag, den 29. April, abends. 1890. kür vr«»6»» v»«rt«(jLt»rIictl 4 SO ?L, d« 6eot«ei»«i> ko»t»»»t»lt«Q vivrtil- AdrUot» » IL»rk; »verl>»td ä«, äeutscde» Neici»«« tiitt k<mt- a»>1 8tewp«l»u»«U»8 bü»»L. Lwrvto» ttawroeru: 10 kk. L»KN»ai,»»U,ss«i»üI>re»r kür 6e» kaum »ioar x«,p»tt«l>ev 2«I» kteu»«r kckrik 40 Doter „kio^vuuult" äi« 2«il« L0 ?k. 8«» l^dsllev- iu>a 2iNerv»»tr «vt»pr. Aukickl»^. Lnekelue» r H^UcN mit Xu»o»dw« 6er 8oiu>- u. k«iert»^s »dsoä«. kanriprvcd-ALicülu»«: Ur. 1L8Ü. » n DresdnerÄMMal. Für die Gesamtleitung verantwortlich: ^ofrat (vtto Banck, Professor der (Literatur- und Kunstgeschichte. r»> L»KL»al^»»xei, »ai^Irt«: L«tp»iss: Fr Lran<i«tett«r, Lonuviiiiovkr äe« vre»ä»«r JouriuU«; K»»v»r» I«rU» V t« >»»«I Ir«,!»» rr»»U»rt ». »t ct t o-i«r, »«rlt» Vts» L»»d»r, er»E L«»P«tU -kr»»U»r» ». ». »ü»eL«>: .Vo««,- k»rt» Lo»6o» I«r!i» kr»»kk!lr1 ». N : Da«-« «s t>'o, I«rU»: ^«ra/»<ir««lia«t, Lr«»!»«: L»»«r«r: t,' üc-««/«r, L»U« «. > .: Larct F t-'o. Nrriusxeder» Nüajxl. krpeüitloa 6«, vrsiäoer ^oun»»1>. vro«aeo, ^Miozeritr. 40. k«ro»pr«ct>--o»cl»Iu»»: Ar. 1L8L. Nachbestellungen auf das „Dresdner Journal" für die Monate Mai und Juni werden zum Preise von 1 M. 70 Pf. angenommen für Dresden: bei der unter» zeichneten Expedition (Zwingerstraße Nr. 20), sürauSwartS: bei den betreffenden Postanstal ten zum Preise von 2 M. In Dresden - Nenstadt können Bestellungen abgegeben werden in der Hofmusikalienhandlung des Herrn Adolf Brauer (F. Plötner), Haupt straße 2 und bei Herrn Kaufmann C. Siegmeier (Albertplatz am Albertthcater), woselbst auch Ankündigungen zur Beförderung an unser Blatt angenommen werden, und bei welchen ebenso wie bei Herrn Kaufmann E. Eschler, in Firma Oskar Schröder Nachf., Pillnitzcr Straße, Ecke Ziegelstr., dem Bahnhofsbuchhändler Herrn Weigand (böhm. Bahnhof), Herrn ^Kaufmann Simon, Circusstraße 24, Ecke Plllnitzerstraße, Herrn Kaufmann August Bensch, Schmiede gäßchen 2, Ecke der Hauptstraße, und Herrn Kaufmann Lebr. Wesser, Prager Straße 50, einzelne Nummern des „Dresdner Journals" zu haben sind. König!. Expedition des Dresdner Journals. (Zwingerstraße Nr. 20, in der Nähe des neuen Postgebäudes.) Fernsprech-Anschluß Nr. 1295. Amtlicher Teil. Dresden» 29. April. Ihre Majestäten der König und die Königin sind, von Lugano kommend, heute Vormittag hier eingetroffen und haben Sich nach der Königlichen Villa zu Strehlen begeben. Nichtamtlicher Teil. Telegraphische Wachrichten. Zwickau, 29. April. (Tel. d. Dresdn. Journ) Eine stark besuchte, einen sozialdemokratischen Charakter tragende Bergarbeiterversammlung be schloß, die Verbindung aller Bergarbeiter anzu- streben, damit den späteren Forderungen Nachdruck verliehen werde. Außerdem beschloß die Ver sammlung. den internationalen Bergarbeiterkongreß in Brüssel durch drei Delegierte zu beschicken. Königsberg i. Pr., 29. April. (Tel. d Dresdn. Journ.) Die Hauptwerkstätten der König!. Eisenbahn in Königsberg, die städtische Gasanstalt, die Steinfurtsche Fabrik, die Uniongirßerei, die Südbahn und die Königsberger Maschinenfabrik haben ein Kartell geschlossen, keine Arbeiter an- zunehmen» welche am 1. Mai in einer anderen Fabrik die Arbeit eingestellt haben. Die Behörden haben umfassendste Maßregeln getroffen, um jede Störung der öffentlichen Ordnung mit Nachdruck zu beseitigen. Weimar, 29. April. (Tel. d. Dresdn. Journ.) Die Negierung verbot für den 39. April und den 1 Mai die Abhaltung öffentlicher Versammlungen, die Veranstaltung von Aufzügen und öffentlichen Tänzen. Paris, 29. April. (Tel. d Dresdn. Journ.) Gestern wurden von den 32 Lerhaftbefehlen gegen die Anarchisten 15 auSgeführt. Unter den Ler- hafteten befanden sich: Marquis MoreS, antise- mitischer Kandidat bei den Munizipalwahleu, Prevost, Sekretär der Arbeiterbörse, Cuiffe, Deel- gierter deö Exekutivkomitees der Arbeiterbörse. Die Anarchisten verteilten auch in Paris und in Saint Germain aufrührerische Aufrufe an die Soldaten. London, 29. April. (Tel. d. Dresdn. Journ.) Nach einer Meldung deö „Neuterschen BureauS" nahm Sir KravciS Winton den Posten deS Lei ters der „British East-Afrikacompany" an. Mr. Winton wird in einigcn Wochen nach Mombasa abreisen. Washington, 29. April. (Tel. d. Dresdn. Journ ) Die Vertreter der Vereinigten Staaten von Guatemala, Nicaragua, San Salvador, Honduras, Bolivia, Ecuador, Haiti und Brasi- Um unterzeichneten am 28. April daS durch den panamerikanischen Kongreß getroffene vbereinkom- mcn, welches empfiehlt, alle unter den amerikani schen Republiken entstehenden Zwistigkeiten dem Schiedsgerichte der europäischen Staaten zu unter breiten. DreSdm, 29. April. Die Lohnbewegung. ll. Die Wirkungen fortgesetzter Ausstände. Die Arbeitseinstellung als Mittel zu Verbesserung der Löhne kann unter gewissen Voraussetzungen zweck mäßig und statthaft sein. Nicht jeder, der sich dieses Mittels bedient, ist darum ohne weiteres für tadelns wert und straffällig anzusehen. Leider ist, besonders in früherer Zeit, auch von Arbeitgebern gefehlt worden. Es mag vorgekommen sein, daß mancher Arbeiter hoch mütig behandelt, seine Arbeitskraft rücksichtslos aus gebeutet, für den erwerbsunfähig Gewordenen zu wenig gesorgt und daß ein allzugeringer, mit dem Arbeits ertrag nicht in richtigem Verhältnis stehender Arbeits lohn gewährt wurde. Niemand wird dem Arbeiter das Recht bestreiten, in solchen Fällen das Arbeits- Verhältnis ordnungsmäßig zu lösen. Und alsdann hat auch die Arbeitseinstellung meistens ihren Zweck er reicht, zu einer Besserung der Lage des Arbeiters ver halfen. Aber was im einzelnen Falle nützlich und er laubt fein kann, muß es nicht in allen anderen Fällen sein. Tic Arbeitseinstellung ist eine zweischneidige Waffe, die ihre Schärfe auch nach der entgegengesetzten Seite kehren kann. Wer sie mit Unverstand führt, verletzt sich selbst. Gegenwärtig wird diese Waffe nnr zu oft ganz unüberlegt und mutwillig gebraucht. Schon an sich liegt ja ein Widerspruch, der zur Vorsicht mahnen sollte, darin, wenn der vom Arbeits lohn Lebende durch Nichtarbeiten seine Lage verbessern will. Unter besonderen Umständen kann dies wohl geschehen; aber daß dieser Erfolg nur die Ausnahme von der Regel fein könne, liegt auf der Hand. ,.Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert", sagt daS Sprichwort; daß aber derjenige, der nicht arbeitet, es dadurch zu höheren! Lohn bringen müsse, davon steht nichts ge schrieben. Bequem mag die Arbeitseinstellung für den ersten Augenblick erscheinen; sie wird darum wohl auch am häufigste» von unbesonnenen jungen Leuten ange wendet. Aber ein kostspieliges Mittel ist sic auch. Der feiernde Arbeiter verliert zunächst den geringeren Lohn, desfeu Verbesserung er gewünscht hat. Er be darf, wenn er von der Hand in den Mund lebt und dies wird in der Regel der Fall sein — zu sei nem Lebensunterhalte der Unterstützung; diese kann ihni nur von den nicht feiernden Berufsgenossen zu teil werden. Zn diesem Zweck sind besondere Kassen errichtet worden durch Beiträge vom Arbeitslohn. Schon die Steuer zu diesen Kassen bedeutet eine Ver Minderung des Arbeitslohnes aller beitragenden Kassen- mitglieder. Hat die Arbeitseinstellung nicht den ge wünschten Erfolg, fo hat der Arbeiter sein Arbeits lohn, die Kassengcsellschaft ihre Unterstützungsgelder unwiederbringlich verloren. Tas ist aber noch der günstigere Fall. Ungünstiger wird der AuSgang der Sache, wenn dcr AuSstand scheinbar gelungen ist, d H. wenn der Zweck der Arbeitseinstellung, die Lohn stcigerung erreicht wurde; der Unterschied ist nur der, daß in diesen! Falle die nachteilige Folge nicht so schnell eintritt und nicht so klar in die Augen springt. Erfahrungsmäßig findet ein gelungener Ausstand Nach ahmung. Tie nächste Folge der Lohnsteigerung ist Verteuerung der Waren Die Ausdehnung der Arbeits einstellung auf andere gewerbliche Gebiete führt auch auf diesen zu Preissteigerungen; je weiter sich die Arbeitseinstellungen ausdehnen, desto allgemeiner wird die Verteuerung; schließlich verliert der Arbeiter, was er durch Lohnerhöhung gewonnen hat, durch die Ver teuerung seines Lebensunterhalts. Dann steht er auf deni alten Flecke, ja er ist vielleicht noch schlechter daran als vorher. Darunter leidet jedoch nicht bloß er, sondern zugleich die Allgemeinheit Das führt wieder zu einem Rückschlag, nämlich zur Einschränkung des Verbrauchs der durch die Arbeit erzeugten und nun verteuerten Waren Aus dieser folgt ein Rück gang der gewerblichen Betriebe; daraus Verminderung des Bedarfs an Arbeitskräften und für den einzelnen Arbeiter eine Einbuße an Gelegenheit zn lohnender Arbeit. Dies erzeugt ein abermaliges Verlangen nach Erhöhung der Löhne. Wiederum wird zu dem Mittel dcr Arbeitseinstellung gegriffen. DaS vorige Schau spiel wiederholt sich. Nun solgt eine weitere Ver teuerung ; der ganze Hergang wirkt wie eine Schraube ohne Ende. Zuletzt aber wird durch die Verteuerung aller Löhne und Waren die einheimische gewerbliche Erzeugung unfähig gemacht, den Kampf mit derjenigen der anderen Länder auf dem Weltmärkte auszuhalten; dann folgt allgemeine Stockung und.Rückgang der Arbeit. Tie Arbeiter werden erwerbslos; die Arbeit geber, welche sonst wohl in der Lage gewesen wären, hilfsbedürftige Arbeiter zu unterstützen, müssen jetzt selbst Not leiden, und auf die Freude über gelungene Lohnsteigerung folgt das Elend allgemeiner Verarmung und Erwerbslosigkeit. Davon freilich haben die Führer ihren Anhängern vorher nichts gesagt. III. DaS Gegenspiel. Im vorgehenden Aufsatz wurden die Folgen einer sinnlos fortgesetzten Lohntreiberei gezeigt. Sic treffen nicht die arbeitenden Klassen allein. Die immer währende Beunruhigung entmutigt den Unternehm ungsgeist, lähmt den Gang der Geschäfte und schadet nach allen Seiten. Tie Verluste dcr Arbeitgeber sind bei solchen Zuständen ungleich größere, als die der Arbeitnehmer, und wenn die Einsichtsvolleren sich überzeugen, daß es schließlich zu einem allgemeinen Niedergang in Handel und Gewerbe und zum^Ruin aller kommen niuß, wird natürlich auf Abhilfe ge dacht. Man besinnt sich, daß die Arbeiter ja nicht die Einzigen fein können, denen es gestattet ist, sich znsammenzuthnn, uni durch gemeinsames Vorgehen ihre Lage zn bessern, „was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig." Werden die Vereinigungen der Arbeitnehmer durch ihren festen Zusammenschluß, durch die geschickte Führung und die vereinigten Geldmittel zu einer nicht unbedeutenden Macht, so bleibt den Arbeit gebern nichts übrig, als dieser Macht eine eben so festge schlossene Vereinigung der BerufSgenossen gegenüber zu stellen, und die Freiheiten, die gegen sie als Waffe benutzt werden, anch für sich zu ihrem Schutz gegen unberech tigte Ansprüche zu gebrauchen. Dies ist an verschie denen Lrten schon geschehen und wird immer allge meiner geübt werden. Nun wendet sich das Blatt. Ten Vereinigungen zum Erzwingen höhern Lohnes stehen gegenüber die Vereinigungen zur Verweigerung der höheren Lohnforderungen. Die Entscheidung in diesem Kampfe hängt davon ab, wer es länger a»S- halten kann. In der Regel werden die Arbeitgeber bei solchem Kampfe im Vorteil fein; zunächst schon dadurch, daß ihnen mehr Mittel zu Gebote stehen, während auf Seite der Arbeitnehmer bei öfterer Wie derholung und längerer Dauer der Ausstände zum Verlust deS täglichen Erwerbes auch noch die Schwäch ung der zur Ausgleichung dieses Verlustes bestimmten Streikunterstützungskassen hinzutritt und das allmäh- lige Versiechcn der Quellen, aus denen diese Kassen ihre Zuflüsse erhalten. Außerdem sind die Arbeitgeber in solcher Zeit auch durch die als Folge dcr Lohnbeweg ung gewöhnlich eintretende Flauheit des Geschäfts ganges im Vorteil. Vielen Arbeitgebern kommt die Arbeitsuntcrbrechung ganz gelegen, um die überfüllten Warenlager erst einmal räumen zu können, ehe wieder neue Waren gefertigt werden. Sic können also an Arbeitslöhnen sparen und die in ihrem Warenlager festgelegten Geldmittel schneller wieder flüssig machen. Zuni Äusharren im fest beschlossenen Widerstand gegen die Lohnbewegung drängt sie auch die Aussicht auf einen unanfhaltsamen Rückgang aller Erwerbsverhält- nissc im Falle ihres Unterliegens. So führt daS Mittel, mit dem die Arbeitnehmer ihre Lage zu ver- besfern gedenken, früher oder später znr Verschlech terung derselben. Am deutlichsten erweisen dies die Wirkungen der von den Sozialisten für den I. Mai geplanten Kund gebungen Während bisher in den meisten Fällen die Arbeitgeber den sestgegUederten und wohlgefchulten sozialistischen Verbänden ihrer Arbeiter vereinzelt gegen überstanden, von Arbeitsausständen nicht selten über rascht, bisweilen sogar zur Bewilligung unbilliger Forderungen genötigt wurden, haben sich jetzt in allen größeren Jndustriebczirken Vereinigungen der Arbeit geber gebildet, die angesichts der ihnen allen drohenden Gefahr entschlossen sind, den unaufhörlich sich erneuern den Anforderungen der Arbeitnehmer durch unbeug samen Widerstand Halt zn gebieten. Schon die an gekündigte Absicht, den 1. Mai als einen allgemeinen Feiertag durch Enthaltung von der Arbeit zu kenn zeichnen, wird von ihnen entschieden bekämpft, weil sie sich sagen müssen, daß das durch Gelingen dieser Kund gebung gesteigerte Selbstgefühl der Arbeiter nicht ohne weitere nachteilige Folgen für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bleiben könne, und daß sie durch Nachgiebigkeit, die ihnen als Schwäche ausgclegt werden würde, sich neuen und erhöhten Anforderungen ihrer Arbeitnehmer ausfetzen werden. Hören wir doch bereits von Geld- sammlungen der Sozialisten zu dem Zwecke, die Feier des ! Mai zu einer ständigen Einrichtung zu machen. Tie bei einzelnen dieser Vereinigungen der Arbeit geber für das Festhalten ihres Standpunktes ange nommenen Strafbestimmungen gegen die der Verab redung untreu Werdenden lassen erkennen, wie ernst es den Arbeitgebern nm die Aufrechthaltung der von ihnen eingenommenen Stelluny zu thun ist. Lassen sich die Arbeitnehmer durch die Haltung der Arbeit geber am I. Mai nicht warnen, so steht einer sehr bedeutenden Anzahl die Entlassung aus der Arbeit, also die Erwerbslosigkeit bevor. Werden dagegen die Arbeitgeber durch die Wirkung ihrer Vereinigung sich der in derselben liegenden Macht bewußt, so werden Feuilleton. Die wilde Rose. Eine Erzählung. (Fortsetzung.) Frau Babette war ein mutiges Weib, sie hatte nie geglaubt, vor dem Müller Furcht haben zu kön nen; aber als sie ihn so dicht an sich herankommen sah, als seine Augen sie funkelnd ansahen, da trat sie doch einige Schritte von ihm zurück und sagte leiser: „Nun, zerreiße mich nur nicht. Ich habe Deine Frau nicht Aekannt, was ich weiß, erzählte mir die Schulmeistenn. Geh doch zu ihr hin und frag' sie felbst danach." Des Müllers Aufregung schwand allmählich und machte einer Mattigkeit Platz, sodaß er sich zurück nach seinem Sitz am Fenster begeben mußte. „Mit Weiberklatschereien giebt sich kein vcrnünf tiger Mann ab," sagte er nach einer Pause. „Als ich Dich freite, sprach die Welt Dir auch viel übles nach, und ich habe mich nicht darum ge kümmert" „Hans sagte mir, Du seiest ein treuloses Weib und ich trieb ihn aus dem Hause; aber auch Tu darfst mir die Fran nicht verleumden, der ich noch jetzt manches abzubitten habe, und an welche ich mein Leben lang als ein braves Weib gern zurückdeuken werde Geh jetzt hinaus; — geh, laß mich allein und tritt mir nicht wieder so entgegen, sonst hätten wir die längste Zeit friedlich zusammengelebt" Der Müller hatte das alles langsam und schon um vieles ruhiger gesprochen, aber Frau Babette wagte doch nicht, seinem Willen ungehorsam zu sein, sie hielt es vielmehr für ratsam, eiligst hinauszugehen und noch eiliger sich ein Tuch umzunehmen, um der Frau Schulmeisterin, die seit einiger Zeit ihre sehr vertrante Freundin geworden, einen Besuch zu machen. Inzwischen hatte dcr Müller seinen Platz am Fen ster wieder verlassen und schritt, so hinfällig er sich auch fühlte, einige Male im Zimmer auf und nieder. Endlich öffnete er die Thür und rief: ,Fiese!" Die Magd kam auf seinen Ruf schnell herbei. „Liese, wann willst Du heute nach M?" „Die Fran erlaubt mir erst um vier Uhr zu gehen." „Nun, dann mach Dich sofort bereit, fuchc Deine Habseligkeiten zusammen und lasse anspannen; Du fährst mit mir gleich nach M. ab." Liese glaubte den Müller nicht recht verstanden zu haben, sie starrte ihn fast mit offenem Munde an „Herr, weiß denn die Frau davon?" fragte sic verwirrt. „Unsinn, was brauchen die Frauen von allem zu wissen. Geh, packe Deine Sachen!" „Aber, Herr, Sie sehen so kümmerlich, so kränklich aus. Das Wetter ist gut, aber Sie können sich dock) erkälten." „Liese, geh nnd packe Deine Sachen und kümmere Dich nicht um mein Aussehen!" Zögernd ging die Magd hinaus, war aber nach kurzer Zeit wieder zurück. „Herr, ich kann's nicht übers Herz bringen, — ich fahre nicht mit Ihnen, ja ich rnfe noch die Frau, wenn Sie nicht wenigstens diesen warmen Rock ans der Reise anziehen!" So aufgeregt der Müller war, er mußte jetzt doch lächeln. „Wie kommst Du zu diesem altmodischen Flausch rock, dcr noch aus meines Vaters Zeit stammt, und den ich nur bei Sturm und Regen anzuziehen pflegte, mit dem kann ich doch nicht nach M. fahren?" „In der Stadt brauchen Sie ihn nicht anzube halten; aber auf dem Wagen ist es zugig. Es sieht nur in der Stube so sonnig aus, draußen weht dcr Wind." „Warum bist Tu noch so um mich besorgt, da Tu doch nicht bei uns bleiben willst?" „Meister, Sie wissen nicht, wie s hier in meinen! Innern auSsieht, aber in der Mühle kann ich nicht bleiben; denn die Fran — ich will nichts sagen, ich meine nur, in der Stadt sehe ich die Regina öfter. Und da ich dem Kinde so gut bin, so dürfen Sie nicht kränker werden, vielleicht gar sterben; daS arme Mädchen stände dann ganz allein auf Gottes weiter Erde!" — Die Magd hatte diese Worte mit rauher Stimme hcrausgebracht; aber dem Müller waren sie so nahe gegangen, daß er sich die Hand auf die Augen legte, nm der Alten zu verbergen, daß ihm die Thränen über die Wangen rollten „Hast Recht, Liese, für mein Kind muß ich mich erhalten. Ich ziehe den Rock an. Meine Frau ist nicht da und wird wohl sobald nicht kommen. Geh' und packe ein Schock Eier ein, suche die beste Butter auS, kannst auch die beiden weißen Hühner zusammen- dinden, ich muß der gnädigen Frau, bei der die Re gina ist, etwas mitbringen. Geh', ich werde jetzt nach dem Wagen sehen." Eine halbe Stunde später rollte des Müllers ein spännige Chaise mit ihm und Liese zum Dorfe hin aus, am Sckulhaufe vorüber, wo Frau Babette, mit ihrer Freundin am Fenster sitzend, laut aufschrie. Der Müller indes knallte mit der Peitsche und schien sie nicht zu sehen; nur Liese sah voll Schaden- ftrude nach ihr zurück. Was zwischen den Gatten vorgefallen, von dem wußte die Magd nichts; aber so viel fand sie heraus, BöseS mußte geschehen sein; denn so aufgeregt und so wenig aufmerksam gegen seine Frau hatte sie den Müller noch nicht gesehen Das Dorf lag hinter den Fahrenden. Seitwärts führte ein Steg für Fußgänger zum Kirchhofe. Liefe, ich werde einmal nach dem Kirchhofe hinüber gehen und zusehen, wie es mit dem Grabe steht, ob die Blumen schon hübsch grünen. Da halte die Leine, aber mache mir das Pferd nicht unruhig!" Der Müller stieg vom Wagen und ging so schnell cs seine Kräfte erlaubten, dem Kirchhofe zu; daS Thor war offen und bald stand er vor dem Grabe seiner Frau, das wie ein kleines, zierliches Blumenbeet vor ihm lag. Er kniete am Grabe nieder und beugte sich mit dcn Lippen auf die Blumen herab. Wohl fehlte feiner Seele die Weihe dcr höheren Empfindung, die oft auch über den fchwersten Verlust den lindernden Balsam legt; aber er gedachte doch der Toten mit dcn Gefühlen eines Manne-, der das Weib, das ihm teuer qewefen, auch noch im Grabe rein wissen will
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