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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Prii« 22j Silbergr. (t Tdlr.) vienclföhrllch, 3 LHIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Tbnlni der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden «an jeder Buchhandlung (in Berlin hei Veit u. Camp., Jägerllraie Nr. 2S), so wie von allen Itönigl. Post-Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. .-U 20 Berlin, Dienstag den 16. Februar 1847. Blicke auf den Zustand der Bewohner unserer Provinzen an den russischen und polnischen Gränzen. Von Eduard Pelz (Treumund Welp). Wie gch der Sonne Scheinbild in dem Dunstkrei« Malte, eh sie kommt, so schreiten auch den großen Geschicken ihre Geister schon voran, Und in dem Heute waltet schon da« Morgen. Schiller, Im ersten Bandt von Weil's constitutionellen Jahrbüchern für 1844 habe ich, die Gegenwart betrachtend, zu zeigen versucht: wie wenig wir Deutschen die Eventualität eines Krieges mit Rußland zu fürchten haben, wenn wir den Feind unter uns nur gehörig bekämpfen und besiegen. °) Weit minder beruhigend aber sind die Ergebnisse einer Betrachtung, die wir über jenes Land in Bezug auf eine Zukunft anstellen, wie sie, dem natür lichen Laufe der Dinge nach, sich gestalten kann, wird oder muß. Wir sehen seit Peter I. Rußland einen höchst bedrohlichen Weg einschlagen, der in den neuesten Zeiten schon bis aus die bedenklichste Höhe gesteigert worden ist. Ich meine die Verfolgung des Fabriken- und Manufaktur-Systems. Daß Rußland, in Folge seiner dünnen Bevölkerung und unzureichenden Bodcn- benutzung, namentlich in den nördlichen Gegenden, der Zufuhr von Lebens, mitteln bedurfte und bedarf, hat sich zu allen Zeiten dargethan. Daß es noch heute hiervon keine Ausnahme macht, thut sich in seinen Ausfuhr-Verboten kund. So lange die Bevölkerung eben, hauptsächlich mit der Bodenkultur sich beschäftigend, über das weite Land verbreitet war, gab dieser Umstand — verbunden mit der Leibeigenschaft — noch ziemliche Garantie gegen die Folgen großer Umwälzungen; denn ehe sich eine, Gefahr für uns abgebende, Menge zusammcnzuschaaren vermochte, ließen sich Mittel zur Dämpfung finden, zumal wenn eine kräftige Hand im Reiche das Ruder führt. So lange Polen, mit seiner leibeigenen, meist ackerbauenden, also auch zerstreut lebenden Bevölkerung, noch eine Vormauer bildete, lag für uns die Sorge um eine tüchtige Gränzwache immer noch ferner als dermalen, wo ohne be sondere Vorsichtsmaßregeln vom Hunger in Bewegung gesetzte Völkerschaften binnen wenigen Stunden vor den Thoren einer deutschen Hauptstadt stehen könnten. Der Hunger peitschte die Horden in der Völkerwanderung auch einst aus unkultivirten Gegenden und kann e» wieder thun-, wenigstens liegt nicht die geringste zuverlässige Sicherstellung dagegen vor. Allerdings ist der dritte Theil der zwanzigtausend Fabriken Rußlands in den Händen der Krone, und dem anderen Drilthcil fließen noch Staats- Unterstützungen zu; indessen schon jetzt fängt man an, mit diesen Unter stützungen einzuhalten, obschon die Menge der Fabriken in der jüngsten Zeit so im Steigen war, daß sie sich binnen drei Jahren verdoppelte. Dazu kömmt der Umstand, daß diese Fabriken sich hauptsächlich zu zwei Hauptknoten in und um Petersburg und Moskau zusammenballen, und daß der Russe, wenn er Fabrikarbeiter geworden ist, zum Ackerbau noch viel untauglicher er scheint, als selbst unsere Fabrikbevölkerung, so daß in Rußland die Hinleitung zum Fabrik.System geradezu das Grab der jetzt schon so oft unzuläng lichen Bodenkultur genannt werden muß. Kommt eine Eisenbahn-Verbin dung zu Stande, so können sich diese bedenklichen Zustände nur steigern. Jeder deutsche Patriot wird gewiß geneigt erscheinen, sich die Frage zu stellen: Wie steht eS unter solchen Umständen um die Bevölkerung unserer Gränz marken? Diese Frage drängt sich uns um so unabweisbarer auf, je mehr wir in letzterer Zeit Gelegenheit gehabt, die Unzuverlässigkeit der früheren Gränz- wächter Rußlands zu erkennen. Obschon durch meine Bestrebungen, mich selbst zu unterrichten und An deren die Ergebnisse mitzuthcilen, in den schimpflichen Verdacht der Theil« nähme an geheimen aufrührerischen Bestrebungen der Westslawcn gekommen oder böswillig gebracht, habe ich doch nie aufgehört, nach Kräften sortzu- streben, weil ich dies für eine Pflicht als Sohn deS deutschen Vaterlandes erkannte. Nicht als ob ich mir dazu einen besonderen Berus angemaßt, sondern weil mir in der That etliche Mittel zu Gebote standen, die nicht Jeder hat. Namentlich konnte und kann ich mich auf persönliche Bekannt schaften mancher Art stützen, so daß mein Sehen nicht blos auf die beschränk, ten eigenen Augen zurückgeführt ist. Demnächst will ich hier ein paar brief- -) D'r Aufsatz führte dm Tini: Rußland« Lag« »nd Deutschland« Gefahren. E. P. liche Mittheilungen der Oeffentlichkeit übergeben, die von einem Manne her- rühren, der unter tausend Anderen geschickt erscheint zu einem kompetenten, unparteiischen Urtheil in der Sache ; denn er ist selbst polnischen, altadeligen Stammes, bewohnt eine Gränzprovinz und hat als großer Grundbesitzer eine lange Lebenszeit hindurch die mannigfaltigsten Gelegenheiten gehabt, die Ver hältnisse ganz genau kennen zu lernen- Sein Name thut vor der Hand nichts zur Sache, darum will ich denselben noch weglaffen und nur die gehalt vollen Briese mittheilen; sie lauten wörtlich: I. Sehr verehrter Freund! Sie wünschen von mir eine genauere Schilde- rung der Lage und Stimmung des polnischen Volkes in den von Deutschen beherrschten polnischen Provinzen, insbesondere Oberschlesiens. Diesem Wunsche möglichst nachzukommen, schreibe ich Ihnen zuvörderst ein Urtheil eines hiesigen, sehr geachteten, eingeborenen Gutsbesitzers, des Herrn von Hochberg auf Mokrau bei Nikolai, über diese Zustände ab, welches sich gedruckt in den Verhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur 1843 findet; eS lautet folgendermaßen; „Der Oberschlcfier slawischer Abkunft unterscheidet sich in seiner Volks- thümlichkeit vor allen anderen benachbarten Völkern, besonders von den Deutschen, weil er sehr natürlich darin den Polen mehr gleicht. Alle Ver- hältniffe, die Jahrhunderte lang in ganz anderer Art, als in Polen, auf dieselbe einwirkten, haben endlich aus ihm einen Deutsch-Polen gebildet, der den Polen nicht liebt, aber auch dem Deutschen kein Vertrauen schenkt; der keine entschiedene Nationalität, wohl aber nationelles Naturell besitzt, bloS an seinen alten Gebräuchen hängt; der zwar nicht aus Grund- satz Alles verwirft, was ihn dem Deutschen näher bringt, der jedoch germa- nisirt, wenn er nicht fortwährend unter Deutschen lebt, sofort in seine Eigen- thümlichkctt zurückkehrt. So wird denn zwar deutsche Sprache mit Eiser ver breitet, deutsche Sitte seit langer Zeit eingesührt, die Fortschritte find indcß als wenig genügend zu bezeichnen. Der Schulknabe legt für immer sein deutsches Lehrbuch bei Seite, wenn er der Schule entgangen ist; der Soldat vergißt das wenige erlernte Deutsch und nimmt seine alte Sitte und Kleidung an, wenn er seine Dienstzeit beendet hat. Ausnahmen hiervon sind ziemlich selten. „Der Oberschlesier ist übrigens folgsam, seinen Vorgesetzten bei guter Behandlung innig ergeben und zugethan, und hat ein natürliches Rechts- gesühl, so daß er eine angemessene Strafe ohne Rachegcfühl als natürliche Folge seines Vergehens anfieht und empfängt. Leichtsinn ist dagegen sein Fehler. WaS er erworben, will er gewöhnlich auch verzehren. Daher ist Eigenthums.Erwerbung nicht seine Sache. „„Ich muß sehen, wie ich durch die Welt komme; meine Arltcrn haben mir nichts hinterlassen; mögen meine Kinder sich auch selbst das Brod verdienen!"" das ist eine sehr vielfältig ge hörte Ansicht der Leute, aus welcher dann wenig Achtung für fremdes Eigen- thum entspringt. „Alte Sitten und Gebräuche vererben sich, indcß mildert die Zeit das Schroffe derselben, und insbesondere ist bereits so mancher Gebrauch ver schwunden, sobald polizeiliche Maßregeln demselben entgegentretcn, denn der Oberschlefier beweist sich meist erst dann recht folgsam, wenn man ihm mit Ernst entgegentritt. Jede halbe Maßregel aber bleibt unbeachtet. So z. B. ist die Gewohnheit, aist ersten Mai vor den Hanöthüren junge Bäume aufzu stellen, verschwunden, als die Polizei dies zur Schonung der Wälder streng untersagte. Die Ankündigung, daß binnen sechs Jahren breite Wagenspur einzuführen sey, blieb gänzlich unbeachtet, als aber am Ausführungstage mit Strenge darauf gehalten wurde, war das breite Geleis in kürzester Zeit all gemein im Gange. „Der Enthaltsamkeits-Verein gegen das im Uebermaßc bestandene Brannt weintrinken hat unendlichen Segen gebracht, und obgleich Viele rückfällig ge worden sind und noch werden, so bleiben die Beffcrgcfinnten dem Ver sprechen der Enthaltsamkeit dennoch treu, sehen den überwiegenden Nutzen derselben ein und betrachten den Rausch als Schande, was früher gar nicht der Fall war." So von Hochberg, und ich kann meinerseits dieser Sittenschilderung unseres oberschlesischen Landvolks (in seinem polnischen Theile, denn mehrere Kreise find deutsch) in allen Stücken nur zustimmen; natürlich handelt es sich hier nur von dem eigentlichen Volke, wozu auch die meisten niederen Klaffen der Bewohner unserer Städte noch zu rechnen find, während all« übrige,