Volltext Seite (XML)
Verantwortlicher Ncdactcnr und Verleger r Ludwig Douath iu Schaudan. Motto: Wer immer Anspruch macht auf das, was nicht beschicde» 2hm ward, ist mit der Welt beständig unzufrieden. Rückert. Das steinerne Bild. Erzählung non Vietor Äuek. (Schluß.) In den ersten Nachmittagsstundcn besuchte mich her berühmte TheobalduS, mein ehemaliger Lehrmei ster, um Abschied von mir zu nehmen. Es war eine ehrwürdige Greisengestalt, über dessen schneeweißen Scheitel siebenzig Jahre gestrichen waren. Er hatte mich immer wie seinen Sohn geliebt, er war mein treuer Führer gewesen im Gebiete der Kunst. Als er mich jetzt wicdcrsah, da fing der alte Mann bit terlich zu weinen an; er versuchte zu sprechen, aber sein Schmerz überwältigte ihn. Seine Hand zitterte heftig, als ich sie mit Jnbrünst an meine Lippen drückte. — „Mein Sohn", stammelte er endlich, während Thrancn über seine gefurchten Wangen herabflossen, „mein Sohn, ich hatte bei dir meinen Grabstein be stellt, aber du hast deinem alten Meister nicht Wort gehalten. Ach, meine Werlstätte ist jetzt öde und verlassen, ich habe nichts mehr an meinen Modellen zu arbeiten. — * „Laut schluchzend stürzte ich vor dem ehrwür digen Greis nieder, indem ich mit den Händen mein glühendes Antlitz verhüllte. Da hörte ich, wie der alte Meister für mich betete; seine Hände san ken auf mein-Haupt, — er segnete mich. — ' Als mich TheobalduS. verlassen hatte, wurde meine Angst immer fürchterlicher, ein schmerzhaftes Sausen drang in meine Ohren, und der Boden unter meinen Füßen brannte' wie glühender Sand. Ich fiel auf die Knie nieder und wollte beten, aber ich konnte nicht, denn ich wußte nicht mehr was ich sprach. Während ich noch auf meinen Knien lag, öff nete sich die Thüre und ein weibliches Wesen, be gleitet von einem Knaben, trat herein. Ich sprang auf, es war meine Schwester mit ihrem Kind. Sie sahen sehr blaß und leid.nd ans; ach, wir hatten uns immer geliebt, mein entsetzliches Vcrhängnifi schien auch auf ihre Gesundheit zerstörend einge wirkt zu haben. Als sie mich erblickt hatte, stieß sic einen lauten Schrei aus, und sank unter einem Strom von Thrancn an meine Brust. Auch der Knabe fing nnn zu weinen an, indem er einen furcht samen Blick auf mich warf, als hätte ich seiner Mutter ein Leid zugefügt. — Als meine Schwester etwas ruhiger geworden war, zog sie einen kleinen Rosenkranz hervor, den ich ans Nom für meine Brigitte mitgcbracht hatte. „Siehst Du, lieber Bru der, ich trage dies Geschenk immer noch bei mir", sprach sic mit schwacher Stimme, „Deine Braut ist nun todt, darum will ich ihn in Dein Grab legen denn der heilige Vater hat ihn geweiht." „Warum kommst Du denn nicht mehr zu uns" fragte mich der Knabe in kindlicher Unschuld. „Du hattest mich sonst immer so lieb gehabt nnd mir viele schöne Bilder gezeigt? O komm bald wieder zu mir". Diese Worte des Knaben zermalmten mich, ich hatte Mühe, mich aufrecht zu erhalten. — Doch endlich auch diese schmerzvolle Abschieds-Scene vor über war, als ich allein in meinem Kerker zurück- blicb, hingegebcn den furchtbarsten Gewissensbissen, da erfaßte mich der. Wahnsinn mit seinen tausend fachen Schrecknissen, und die Furie der Verzweif lung klammerte sich an mein klopfendes Herz. Jch kann nicht mehr schreiben, meine Hand erstarri iip Todeskampfc, meine Sinne verlassen mich. Die Mauern meines Kerkers fangen an zu schwanken, knisternde Funken sprühen um mich, und das Jam mergeschrei der Verdammten dringt in mein Ohr, Allmächtiger Gott, rette mich, ich unterliege!' — Dem 10. früh nm 7 Ubr. Noch einmal sehe ich das schöne Licht der Aor.nc cs ist der letzte Morgen meines Lebens, bald wird die geheimnißvolle Pforte der Ewigkeit sich mir öff nen. Mein wüthendcr Schmerz hat nachgelassen, ich habe den himmlischen Trost der Religion em pfangen, und der Glaube an dir Barmherzigkeit Gottes stärkt meine Seele. — Als ich gestern aus meiner Ohnmacht erwachte stand ein ältlicher Mann neben mir, an dessen Klei dung ich den ehrwürdigen Diener Gottes erkannte.