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Freitag. Rr. «8. 30. August 1872. WePerih-Zeitung. Amts-Matt für die Herichts-Aemter imd Stadträtye zu Dippoldiswalde und Krauenllein. Verantwortlicher Redakteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post-Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährl. 18'/- Ngr. Inserate, welche bei der bedeutmden Auflage des Blattes eine sehr wirksame Verbreitung finden, werden mit I Ngr. für die Spalten-Zeile berechnet. Das II. Gesangfest -es Glbgau-Sänger- burrdeS, am 2A. und SS. August in Dippoldiswalde. Als wir vor zehn Jahren über das hier stattgefundene Gesangfest berichteten und am Schluffe unserer Festbeschrei bung den Sängern ein herzliches „Auf Wiedersehen!" zuriefen: wie hätten wir da ahnen können, daß sich inzwischen so Großes und Gewaltiges vollziehen und dieses Wiedersehen geschehen werde im einigen deutschen Vaterlande, nach welchem damals Wort und Lied sehnend nur fragten? — Die schwüle Zeit vor den Kriegen und dann die Kriegsjahre selbst, ließen die Lust an allgemeinen Festen natürlich nicht aufkommen, und nur nach und nach, je allgemeiner das Bewußtsein der herrlichen Errungenschaften wurde, hat man wieder schüchterne Versuche gemacht, zunächst in kleineren Kreisen bescheidenere Turner-, Schützen- und Sängerfeste zu veranstalten. Der letzteren sind Heuer in Sachsen außerordentlich viel gefeiert worden und, soweit wir davon unterrichtet sind, zu großer Befriedigung der Theilnehmer. Man wird daher die Besorgniß unseres Gesangvereins (als vom Gauvorstande in Freiberg die Anfrage wegen Ab haltung eines Sängerfestes hierher gelangte), ob wir auch hinter anderen Festorten nicht zurückbleiben und auch unter den gegen damals mehrfach veränderten Verhältnissen das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen könnten, erklärlich finden. Doch, frisch gewagt, ist halb gewonnen I In dieser Zuversicht gab der Gesangverein, als er sich von dem Einverständniß der Behörden und der Bürgerschaft einigermaßen überzeugt hatte, ein freudiges „Ja" zur Antwort, und die Vorbereitungen begannen. Wir wollen unsere Leser nicht mit der Aufzählung der gehaltenen Sitzungen, der Comiteemitgliederrc. aufhalten; — wir freuen uns nur, mittheilen zu können, daß, trotz mancher Hindernisse und unerwarteter Störungen, doch zu rechter Zeit Alles so wohl bereitet war, daß wir dem Einzuge unserer lieben Sängergäste wohlgerüstet entgegensetzen konnten. Nur schüchtern wagte man in der letzten Ausschußversammlung, am Freitag Abend, die Frage anzuregen: „welches Programm im Falle schlechten Wetters durchzuführen sei?" — Das un verwüstliche Vertrauen der Dippoldiswaldaer auf ihr Wetter glück ließ es zu einer Debatte über die angeregte Frage nicht kommen, denn mit Einstimmigkeit wurde die Resolution an genommen: „Es muß gut Wetter sein!" Da Niemand wagte, sich diesem souveränen Dictum zu widersetzen, so blieb allerdings Nichts übrig, als es mußte gut Wetter werden. Und es ward! Das gab denn nun auch gleich von Anfang an die richtige Feststimmung. Die ersten Quartiermacher (aus dem Dresdner „Apollo") zeigten sich schon am Sonnabend, Mittags etwa 11 Uhr; ihnen folgten etwa 2 Uhr die „Liebstädter" und dann von 5 Uhr an die übrigen Vereine, meist mit Fahnen und anderm Schmuck versehen. So hatten die Lockwitzer riesige Basthüte aufgesetzt, die sie aus weiter Ferne in der Menge kenntlich machten. Die Freiberger Liedertafel, die in Gesellschaftswagen von Klingenberg herübergefahren war, hatte sich mit großen Plakaten versehen, die die Inschrift trugen: „Erste glückliche Liedertafelfahrt nach Untergang der Welt, den 24. August 1872 nach Dippoldiswalde." Der „Apollo" au« Dresden, der eine eigene, sehr wackere Kapelle, aus Vereinsmitgliedern gebildet, mitbrachte, zog, anstatt der Fahne eine riesige Stimmgabel mit sich führend, unter dem Gesänge folgenden Liedes ein: Gruß an Dippoldiswalde. Sei uns gegrüßt, du Städtlein traut, Das frohgemuth das Äug' erschaut Im Schmuck der Ehrenbogen! Wir kommen von cer Elbe Strand, Zu knüpfen neu das Freundschastsband, Vergnügt zu dir gezogen. Sei uns gegrüßt! Mit froher Lust Sei dir aus treuer Sängerbrust Ein Helles Lied gesungen! Wie blinkst du schön im Ehrenkleid! Wohin wir schauen, bist du heut' Von grünem Laub umschlungen! Dich, liedumrauschten Freudensaal, Dich grüßen wir heut' allzumal Im frohen Liederhalle! Ein frisches Hoch ans voller Brust Sei dir geweiht in Festeslust Mit Hellem Jubelschalle! Die zu Wagen ankommenden Vereine hatten dieselben meist lustig ausgeputzt. Unsere Comiteemitglieder und das Stadtmufikchor hatten manches gute Mal vom Oberthorplatz nach dem Rathhause zu marschiren, wo Hr. Adv. Leißring, als Mitglied des Fest komitee, die ankommenden Sänger mit einigen herzlichen Worten begrüßte. Durch ihre Vorstände erhielten sodann die Vereine die fertigen Quartierbillets, und schon standen Knaben bereit, die Sänger unter Dach und Fach zu bringen. Da 25 auswärtige Vereine mit 539 Mitgliedern vertreten waren, das Festcomitee aber nur über 320 Einzelquartiere verfügen konnte, so hatten natürlich Massenquartiere' eingerichtet werden müssen, und zwar im Gasthofe zum „Stern," im „Hirsch," im „Schießhause" und zuletzt auch noch beim Rathskeller pachter Wieder. Von der kgl. Intendantur in Dresden freund lichst erhaltene Militärdecken ermöglichten es dem Festcomitee, in diesen Massenquartieren ein ganz erträgliches Nachtlager zu gewähren. Daß man natürlich auf Roßhaarmatratzen und schwellenden Daunen einigermaßen weicher und angenehmer gebettet ist und Jeder deshalb lieber ein solches Lager zu er langen suchte, ist sehr begreiflich; aber ebenso begreiflich ist es, daß bei massenhaftem Besuch, auch von Nichtsängern, das Massenquartier eben so wenig entbehrt werden kann, als dem Festcomitee ein Vorwurf gemacht werden sollte von Denen, die das Schicksal betrifft, einmal mit Strohlager zufrieden