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erheblich älter waren als diese Zigeunermusik und die teilweise Verwandtschaft mit asiatischer Musik aufwiesen. Die Sammlungen dieser Lieder, aber auch der musikalischen Folklore der Slowakei, Rumäniens, der Ukraine, Bulgariens, der Türkei und verschiedener nordafrikanischcr Völker gehören zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen über das musikalische Volkstum. Sie wurden darüber hinaus aber für den Komponisten Bartök frucht barer Boden für seine Kompositionen. Wie diese Volksweisen in seinem Schaffen Niederschlag fanden, darüber berichtet der Komponist: „In unserem Falle ging es nicht nur darum, uns einzelne Melodien zu verschaffen und sic als Ganzes oder in Teilen in unsere Werke einzubauen und nach einem herkömmlichen Verfahren zu bearbeiten. Unsere Sache war es, den Geist dieser bisher unbekannten Musik zu erfassen und davon ausgehend einen Musikstil zu schaffen.“ Es ging ihm darum, daß „der Komponist sich die Musik der Bauern angeeignet hat und sie so voll kommen beherrscht wie seine Muttersprache“. Bartoks Schaffen ist der beste Beweis für die Ver wirklichung dieser Thesen. Die so ganz eigenartige melodische Struktur der aufgefundenen Bauernmusik Ungarns, ihre charakteristische Rhythmik sind die eine Grundlage für sein Schaffen, die Verwertung der Ergebnisse der westeuropäischen Moderne und deren eigenschöpfcrischc Weiterentwicklung eine andere. Beide aber werden filtriert durch die klare, nach Konzentration drängende und bei aller Vitalität vergeistigte Persönlichkeit des Komponisten. Diese Merkmale der Vergeistigung und Konzentration sind besonders bei den Werken der letzten Schaffensperiode zu spüren, dem Violinkonzert (1938), dem Divertimento für Streichorchester (1939), dem Konzert für Orchester (1943), dem dritten Klavierkonzert (1945) und seinem letzten Werk, dem Konzert für Bratsche und Orchester. Dieses Konzert konnte Bartök nicht mehr vollenden. Noch wenige Wochen vor seinem Tode schrieb er an den Bratschisten William Primrose, dem das Konzert zugedacht war, daß cs im Entwurf fcrtiggestellt sei, doch fehle noch die gesamte Instrumentation. Die skizzenhafte Ausführung, fehlende Numerierung der Seiten, Schwierigkeiten beim Lesen der Handschrift machten es dem Schüler Bartöks, Tibor Serly, nicht leicht, das Fehlende zu vervoll ständigen und den Intentionen seines Lehrers gerecht zu werden. Die Konzentration des Werkes zeigt sich bereits im thematischen Material des ersten Satzes (Moderato), der gleich am Anfang zwei rhythmische Versionen des Eingangsthemas vorstellt. Das - wie von Bartök vorgesehen - sehr durchsichtig instrumentierte Orchester beteiligt sich kontrapunktisch an der Verwertung des Themenmaterials. Ein zweites Thema hat tänzerischen Charakter, ist dem ersten jedoch ver wandt. Das Soloinstrument hat neben der Ausweitung der Themen reiche virtuose Entfaltungs möglichkeit. Ein mit Lento parlando überschriebener Abschnitt leitet nach kadenzierenden Läufen der Viola zum zweiten Satz über, dem Bartök - wie schon dem Mittelsatz seines letzten Klavierkonzertes - die Tempobezcichnung Adagio religioso gibt. Über Streicher- und Holz bläserakkorden erhebt sich die warme Melodik des Soloinstrumentes. Ein schneller Mittelteil unterbricht diese friedliche Stimmung, die bald aber wieder einkchrt. Ein unmittelbar sich an schließender Allcgretto-Abschnitt bildet den Auftakt für den attacca folgenden dritten Satz (Allegro vivace), eine vor allem rhythmisch bestimmte tänzerisch wirbelnde Musik. Über dudeln der Quintbegleitung trägt die Solo-Viola ein rasches Hauptthema vor, dem sich im Verlauf des Satzes ähnlich tänzerisch aktivierende, von den spezifischen Rhythmen Ungarns inspirierte Themen und Motive anschließcn. Im Verein mit dem Orchester ergibt sich überaus vitales, stets aber formal kunstvolles und geistig gebändigtes Musizieren, das charakteristisch für viele Werke des großen ungarischen Komponisten ist. Die Vierte Sinfonie e-Moll, op. 98, von Johannes Brahms steht heute als ein Gipfelwcrk nicht nur der romantischen Sinfonik, sondern der gesamten sinfonischen Entwicklung da. Weit über den Inhalt und die musikalische Gestaltung der romantischen Musikentwicklung hinausgreifend faßt Brahms in der ihm eigenen herben Sprache weite historische Räume zusammen und ver schmilzt sic mit der Ausdrucks- und Formkraft seiner Persönlichkeit zu einem geschlossenen Meisterwerk. Indem Brahms das wesentliche thematische Material für alle Sätze aus den Haupt gedanken des ersten Satzes entwickelt, erreicht er eine Konzentration bei großer formaler Strenge, die dieses Werk als klassisch erscheinen läßt. Die andere Seite dieser Konzentration ist die Viel falt, die Brahms durch die kunstvollen Abwandlungen dieser Themen erhält, die aber, aus ein heitlichen Quellen strömend, niemals zerfällt. Diese beiden Hauptgedanken des ersten Satzes (Allegro non assai) sind einmal das sofort zu Beginn auftretende, weite Räume durchmessende, melodische, an- und abschwellende Geigenthema und zum anderen ein mittelalterlich wirkendes, stolz sich aufreckendes Thema, das von den Bläsern im Fortissimo vorgetragen wird. Dessen herbe Größe wird dann bald durch einen weichen Cellogedanken gemildert. Nach einer nicht sehr ausgedehnten Durchführung setzt die Reprise mit der monumentalen Verbreiterung des Eingangsthemas ein. Beide Hauptthemen und ihre Abwandlungen werden kontrapunktisch mit einander verwoben. Eine machtvolle Coda beschließt den Satz. Der zweite Satz - Andante mode rato - gehört zu den herrlichsten Eingebungen Brahms’. Er ist in einer Mischung zwischen der phrygischen Kirchentonart und reinem E-Dur gehalten und empfängt aus diesem Hell-Dunkel- Gegensatz wundervolle Stimmungen. Auch in ihm hat das Bläserthema aus dem ersten Satz - in gemäßer Abwandlung - seinen Platz, und auch hier wird ihm eine tröstliche Melodie der Celli zur Seite gegeben. Im Pianissimo verhaucht diese Elegie. Kraß gegensätzlich stürmt dann das Scherzo - Allegro giocoso - daher, hart zupackcnd, durch Pikkoloflöte, Kontrafagott, dritte Pauke und Triangel im Instrumentarium bereichert und daher teilweise seinen grell lärmenden Charakter beziehend. Das Bläserthema des ersten Satzes taucht hier graziös verwandelt in den Violinen auf und bringt eine neue Farbe herein, die aber bald wieder hinweggefegt wird. - Krönender Abschluß nicht nur dieses Werkes, sondern eines ganzen sinfonischen Abschnittes ist der letzte Satz. Hier greift Brahms auf die Form der Chaconne zurück, jene Variationsform über einem ostinaten Grundthema, die im Barock ihren Höhepunkt erlebte (Bach, Händel). Vereint mit dieser die Konzentration in sich bergenden barocken Form wird die herbe Musik sprache des Romantikers Brahms, und eine neue Einheit von imposanter Größe ergibt sich. Wir erinnern uns, daß auch Mozart sein sinfonisches Werk in der Jupitcrsinfonic mit der Verbindung von Sinfoniesatz und Fuge krönte. Ähnlich hier auf einer neuen Stufe bei Brahms, denn auch er vermag es, Sonatenhauptsatzform und die Variationsform der Chaconne zu koppeln. Und das - was das Wunderbare ist - auf natürliche Weise. Kraftvoll tragen die Bläser das achttaktigc Thema vor, und dann zieht es in dreißig Variationen an uns vorüber, deren einzelne Schönheiten hier nicht zu beschreiben sind. Stürmische Perioden wechseln mit elegischen ab, erregte mit ruhigen, dahinein tönen feierliche Posaunenakkordc - die ersten Variationen werden - in freier Reprise - wiederum abgewandclt wiederholt, und in einer machtvollen Steigerung findet dieser Satz, diese Sinfonie, das ganze sinfonische Werk von Johannes Brahms seinen grandiosen Abschluß. Reinhard Schau Literat urhinwcisc: R i naldi: Antonio Vivaldi (Mailand 1943) Kolncdcr: Die Aufführungspraxis bei Vivaldi (Leipzig 1954) Lesznai: Bela Bartök (Leipzig 1961) Burkhardt : Joh. Brahms, Führer durch seine Werke (Berlin) Vorankündigung: Nächste Konzerte im Anrecht A: 12., 13. und 14. Oktober 1962, jeweils 19.30 Uhr, Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr Mitteilungen Das Ehrenmitglied der Dresdner Philharmonie, Frau Prof. Elly Ney, feiert am 27. September 1962 ihren 80. Geburtstag. An diesem Tage finden in Tutzing zwei Konzerte mit der Meisterin am Flügel statt, die Willi van Hoogstraten leitet. Die Prager Philharmoniker unter Leitung von Karel Ancerl werden in den Außerordentlichen Konzerten am 29. und 30. September 1962 im Kongreßsaal des Deutschen Hygiene-Museums „Antigone“ von V. Sommer, die 8. Sinfonie von A. Dvorak und die 3. Sinfonie (Eroica) von Ludwig van Beethoven zur Aufführung bringen. Der Münchner Pianist Julian von Karolyi, der in den Außerordentlichen Konzerten am 27. und 28. Oktober 1962 mit der Dresdner Philharmonie konzertieren wird, hatte jetzt in Paris und Rom einen außergewöhnlichen Erfolg. Die Kantate der „Papagei aus Kuba“ von Heinrich Sutermeister hat den schweizerischen Rund funkpreis erhalten. Professor Bongartz plant für die Saison 1963/64 eine Aufführung dieses interessanten Werkes. Inserate bzw. Ankündigungen für die Philharmonische Reihe A 3, A 1 und A 2 erscheinen bereits immer freitags in allen Tageszeitungen. \ ! 1. Philharmonisches Konzert 1962/63