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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020322020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902032202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902032202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-03
- Tag 1902-03-22
-
Monat
1902-03
-
Jahr
1902
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Amtsblatt -es Königlichen Land- «n- Amtsgerichtes Leipzig, -es Nattjeo und Nottzei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeige« «Preis die 6gespaltene Prtitzeile 25 Lf. Reklamen unter dem RedacttonSstrich (4 gespalten) 75 L>, vor den Familicnnach« richten (6 gespalten) 50 Ls. Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 2S Ls (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung 60.—, mit Postbrsörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen uud Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig. Sonnabend den 22. März 1902. 96. Jahrgang. Ver Krieg in Südafrika. Eine Unterreimng mit -em Präsidenten Krüge?. HenridesHoux vom „Matin" ist am Montag in Utrecht von -em Präsidenten Krüger im Beisetn des Delegirten des Oranje-Freistaates, Fischer, und des Ur. Leyds empfangen worden. Die Auslastungen des Präsidenten, die von besten Sekretär v. Bveschoten ausge zeichnet und dann in's Französische übersetzt wurden, sind von diesem selbst durchgesehen und beglaubigt worden. Auf die Frage des Berichterstatters, was der Präsident von der jetzigen Lage tn Südafrika halte, bemerkte Krüger unter Anführung vieler Bibelsprüche etwa, wie wir schon auszugsweise mittheilten, Folgendes: „Meine Meinung, meine Hoffnungen sind die gleichen geblieben, wie vor dem Kriege, bet Beginn der Feindselig keiten, zu denen wir genöthigt waren. Ich habe stets im Worte Gottes das feste Vertrauen geschöpft, baß er sein Volk nicht verlassen wird, auch wenn er es zeitweilig straft und dcmüthigt Wehe uns, wenn wir nicht unsere Unabhängigkeit vertheidigen. Vergelten wir aber nicht Böses mit Bösem. Wenn unsere Kriegsge fangenen verbannt und sogar hingertchtet werden, so befolgen wtr nicht dieses schlechte Beispiel. Ich weiß wohl, daß die öffentliche Meinung manchmal die über triebene Großherzigkeit mißbilligt? allein, der Herr hat gesagt: „Mein ist die Rache!" Unsere Frauen und .Kinder werben gefangen, im tiefsten Elend gehalten, sogar dem Tode anSgeliefert. Man hofft so, unsere Raste auszurotten. Seien wir aber ohne Furcht. Gott hat uns bisher an der rechten Hand geführt. Er hat unter nns Männer entstehen lasten, die unter seiner Führung wahre Wunder, wie sic die biblische Geschichte erzählt, ver richten. Ich habe zu Beginn -es Krieges gesagt, dieser würde die Welt in Erstaunen setzen. Ich sagte -aS, nicht weil wir unseren eigenen Kräften vertrauten, nicht, weil ich prophezeien wollte, sondern weil ich unerschütterlich aus Gott vertraute. Man hat behauptet, unsere R e« publiken wären annecttrt, und wir hätten unser Land und unsere Nationalität eingebüßt. Vor Gott ist diese Annection aber nichtig, denn unsere freien Bürger erkennen keinen anderen Gebieter an, als ihn. Bon ihm haben sie ihre Rechte und ihre Freiheit. Man hat ver kündigt. der Krieg sei beendigt, der Friede in unseren Ge bieten wieder hergestellt, so daß von uns nur kleine Banden Rebellen und Räuber übrig blieben. Alle Welt weiß aber, daß diese Proclamattonen den Thatsachen widersprechen. Man hat nns den Frieden mit Amnestien, Begnadigungen, finanziellen Unterstützungen zur Be seitigung unserer Verluste um den Preis unserer Unab hängigkeit angeboten, als ob diese ein Handelsobjcct wäre! Alle Schätze der Welt können unsere Freiheit nicht bezahlen, die uns Gott gegeben, und auf die wir nicht verzichten können, ohne Gott zu verleugnen. Wir haben uns an das internationale Schiedsgericht, an das Gewissen der Regierungen gewendet, sind aber bisher nicht erhört worden. Sind wir cntmuthigt? Keineswegs. So bald der Herr selbst den Regierungen befehlen wird, werden diese folgen wüsten, und selbst die englischeRegierung wird gehorchen müssen, wenn Gott ihr befiehlt, unser ehrliches Anerbieten -es Schieds gerichtes, des Friedens und der Freundschaft anzunehmen. Ich bete, auf daß Gott dies thue. Wir haben viel Unbill und Grausamkeiten ertragen. Mein christliches Gewissen gestattet mir nicht den Haß. Ich bedauere die Jrrthümer und Leiden des englischen Volkes, weil es in diesem Volke, Gott sei gelobt, viele Männer giebt, die, falls sie genau berichtet wären, mit uns die christliche Bähst verfolgen möchten. Ich bete, auf daß sich ihre Augen öffnen, denn man hintergeht sie. Man hat dem englischen Volke gesagt, wtr wären die Unterdrücker der Fre m den. Hat nicht die Erfahrung gezeigt, baß wir keine Unter drückungsgelüste haben, und daß die englischen Anklagen nur rin Vorwand zur Verschleierung der Habgier scrupelloserFinanzmänner waren, die sich nur unserer Goldfelder bemächtigen wollten? Man hat ferner gesagt, man kämpfe für die Gleichheit der Rechte und wolle weder eine Gebietsausdehnung, noch eine Annexion. War das nicht ein offenkundiges Hintergchen? Nur, um uns unserer Rechte und unseres Gebietes zu berauben, hat man das englische Volk in diesen verhängnißvollcn Krieg ge trieben, der Schätze von Menschenleben und Gelb kostet. Die Geschichte dieses ganzen Krieges war bisher nur eine Verschwörung gegen die Wahrheit. Wenn die Dinge am Hellen Tage dargelegt werden, dann wird England vor Scham erröthen, von seinen Leitern und Ministern so ge täuscht worden zu sein. Und dabei greift man noch zu allerlei Sophismen, um die Geduld des englischen Volkes zu verlängern. Man behauptet, unsere Unabhängigkeit sei unvereinbar mit dem Frieden in Südafrika. Das ist eine Verleumdung. Das Gcgcntheil ist wahr. Wenn man uns die Unabhängigkeit verweigert, dann ist cs der Krieg ohste Ende. Man redet der Leichtgläubigkeit des britischen Volkes noch ein, die Civil- und Militär behörden Englands wären die Herren der beiden Re publiken, die sie verwalten. Die Engländer sind nnr die Herren des Gebietes, wo sie ihre Truppen haben; überall anderwärts — und unser Land ist groß — sind wir die Herren. Die Eroberung schreitet nicht vor, sie geht zurück. Jeder Tag kostet England riesige Summen und eine Einbuße seines Ansehens, seiner Ehre, seines politischen Einflusses. Die Wahrheit meiner Worte wirb durch die Thatsachen bewiesen. Ein ehren voller Friede ist noch möglich, und an dem Tage, La die Regierung und -aS Volk Englands die Augen öffnen werden, wird dieser Friede geschlossen sein. Ich bete zu Gott, daß er noch das wettere Wunder thue, die Ver blendung der Engländer zu beseitigen. Er allein ist der Herr!" politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Mär,. Nach drangsaloollen Tagen und Abenden ist gestern auch daS prcntztfche Abgeordnetenhaus in die Osterferien ge gangen. Die weitaus größte Zahl der Herren Abgeordneten war freilich den Anstrengungen der letzten Wochen vorsichtig ausgewicken, war schon früher zu den heimischen Penaten geeilt und batte die Last der Parlamentsarbeit den fleißigeren und pflichtgrtreuen Collegen überlasten. Diesen ist cS aber trotz der aufgewandten Mühe und Zeit nicht gelungen, die erste und dringendste Aufgabe deö Hauses zu lösen: den Etat zur gesetzmäßigen Frist fertigzustellen. Ein Nothgesetz muß auS- belfen. Kostbare Tage gingen in endlosen Reden seit dem 23. Januar, wo die zweite Etatslesung begann, namentlich beim landwirthscbaftlichen, beim Etat des Ministeriums des Innern und beim CultuSetat verloren. Die Polen versuchten hier bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit, ausgedehnte Polentebatten zu insceniren, obwohl gleich zu Beginn der Session durch die nationalliberale Interpellation über den Schutz des Deutschthums in den östlichen Provinzen und durch die gleichzeitige Interpellation der Polen über die Wrescheuer Vorgänge daS Polen-Thema völlig erschöpft schien und die Regierung durch ihre festen und bestimmten Er klärungen der parlamentarischen polnischen Agitation einige taktische Zurückhaltung hätte auferlegen müssen. Abgesehen von den genannten Interpellationen, deren Erörterung drei Tage in Anspruch nahm, kam noch die Inter pellation über den Fall Kulenkampff und der Antrag Arnim über die Organisation und das Verfahren bei den Generalcommissionen zur Sprache. In dritter Lesung er ledigt sind eine Anzahl kleinerer Gesetzentwürfe, so über die Schonzeit des schottischen Moorhuhns, die Jagdordnung in den hohenzollernschen Landen, Verlegung deS Amtsgerichts von Tinnum nach Westerland, Aufhebung Les Amtsgerichts in Nordstrand, die Gesetze betr. die Landesbank in Wies baden, die LandeScredilcasse in Cassel, das Gemeindeforstgesetz für die hohenzollernschen Lande, dann die wichtigeren Gesetze über die Verbesserung der WohnungSverhältnisse der Arbeiter in staatlichen Betrieben und der gering besoldeten Staatsbeamten, über Heranziehung zu den Kreis abgaben und das Provinzialdotationsgesetz, sowie die Für sorgegesetze der evangelischen Pfarrer und deren Relicten in Frankfurt a. M. und endlich das Gesetz über den Erwerb von Bergwerken für den Staat im Bezirke Dortmund im Betrage von 58 Millionen. Ein großes Stück Arbeit bleibt also dem Plenum nach den Osterferien noch Vorbehalten, vor Allem die Erledigung des Etats, der sofort in der ersten Sitzung deS Aprils wieder in Angriff genommen wird. Obwohl die Commissionen sehr fleißige Arbeit geliefert haben, scheint doch die Voraussage zu Beginn der Session, eS würde sich in diesem Jahre nur um eine sehr kurze Tagung handeln, nicht in Erfüllung zu gehen. Bedeutende Schwierigkeiten wird u. A. auch der Gesetzentwurf über die juristische Prüfung und die Vorbereitung zum höheren Iustizdienst, über den die Ansichten in juristischen Kreisen weit auseinander geben, bereiten. An neuen Gesetzentwürfen sollen dem Landtag bald nach den Osterferien noch folgende zugehen: Eine Vorlage, betr. den höheren Verwaltungsdienst, «ine Materie, die ebenfalls schon seit längerer Zeit Gegenstand der öffentlichen DiScussion ge wesen ist, ferner rin Entwurf, betr. die Vertretung auf den Kreistagen der Provinz Posen, und eine kleine Vorlage, betr. den Bau einer Hafenbahn in Meiderich bei Ruhrort. DaS preußische Herrenhaus, das heute noch eine Sitzung vor den Ferien abhält, ist gewöhnlich nicht der Ort, an dem hochwichtige politische Ereignisse sich abspielen. Die Rede aber, die der katholische Graf Hoensbroech am 20. d. M. kielt, darf wutatis mnt»ncki8 der großen Rede an die Seite gestellt werden, die Graf Bülow als preußischer Ministerpräsident am 13. Januar dieses Jahres im Ab geordnetenhaus« gehalten hat. Beide Reden haben das gemeinsam, daß sie einen vernichtenden Schlag gegen die Polenpolitik des CentrumS bedeuten. Der Unterschied zwischen beiden Reden aber besteht darin, daß daS Centrum als Schutzherr des Polenthums durch seinen Gesinnungsgenossen Grafen Hoensbroech politisch noch un gleich mehr blosgestellt wird, als durch den Ministerpräsidenten. Was Graf Hoensbroech sagte, ist von den „Hakatisten" unendlich oft gesagt worden; diese mußten cs jedoch erleben, wegen der jetzt auch von einem CentrumSmann vertretenen Anschauungen von führenden CentrumSpvlitikern als Böswillige oder als Thoren gebrandmarkt zu werden. „Den großpolnischen Bestrebungen liegt eine landcsseindliche, um nicht zu sagen landeSverrätherische Tendenz zu Grunde" — so sagt Graf Hoensbroech. Führende Centrums' Politiker bestreiten diesen Thatbestand nicht allein, sondern machen auch den lächerlich, der von seiner Existenz überzeugt ist. Insbesondere hat sich das Polenblatt am Rhein, die „Köln. Volksztz.", in der Ableugnung des landeSverrätherischen Charakters des PoloniSmuS stets hervorgethan. Um so tiefer muß sich die „Köln. VolkSztg." nun durch die Feststellung des Grasen Hoensbroech getroffen fühlen, daß die landes- verrätherische Tendenz der polnischen Agitation „auch im Westen deutlich zu Tage tritt". Graf Hoensbroech findet Las „um so bedauerlicher, als eine große Zahl katholischer Geistlicher sich in den Dien st dieser Tendenz stellt". Fast jeder solche Geistliche wird vom Ceutruni entschuldigt und in Schutz genommen! Uud wenn einmal ein Deutschzesinnter, wie der Propst v.KrzeSzinSki, offen kundig der deutschen Sacke sich annimmt, sieht er sich den schärfsten CentrumSangriffen ausgesetzt. Dabei steht daS Verhalten der nationalpolnischen Geistlichen, wie Graf Hoensbroech erklärt, „in stricktem Gegensatz zu den Grundsätzen der katholischen Kirche". — Gras Hoensbroech faßt seine Beurtheilung der national polnischen Agitation in den Satz zusammen: „Es werden unter dem Deckmantel der Confessio» einseitige nationale Ziele verfolgt". Das Centrum bat die Augen vor dieser Tbatsache stets verschlossen und unter Umkehrung aller realen Verhältnisse den „Hakatisten" vorgeworfen, daß sie unter nationalem Deckmantel confeisionrll-protestantische Ziele verfolgten. Nack der Rede deS Grasen Hoensbroech wird daS Centrum nicht nur im Allgemeinen seine Polenpolitik einer Revision unterziehen, sondern auch im Be sonderen seine Polemik gegen den HakatiSmus wesentlich ändern müssen: Die Schelle, die Graf Hoensbroech der polnischen Katze umgehängt hat, wird keine CeatrumSkunst geräuschlos zu machen vermögen. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, erfährt die „Nat.- Zig.", daß zum Leiter deS preutzischcu Bsttsfchultveseu» als Nachfolger dcS hochverdienten, zum Präsidenten de- preußstcken Oberverwaltungsgerichts ernannten bisherigen Mioisterial- directorS Or. Kügler der Director der kirchlichen Abtheilung im Cultusministerium Wirkt. Geh. Ober-Regieruug-rath l)r. Philipp Schwärtzkopff in Aussicht genommen sei. Auch die „Nat.-lib. Corr." bezeichnet diese Ernennung als bevorstehend und fügt hinzu: „vr. Schwartzkopff gehört dem Ministerium schon längere Zelt an und besitzt eine ebenso große dienstliche wie parlamentarische Erfahrung. Besondere Geschicklichkeit entwickelte er bei der Durch dringung des PsarrbesoldungsgesetzeS im Landtage, einer immerhin leidlich schwierigen Materie. Er hat damals gezeigt, daß er auch dann in der Form conciliant zu bleibea versieht, wenn er anderer Anschauung ist als der jeweilige Gegner. Während der anscheinend zunächst al- Nachfolger Kügler'- in Betracht gekommene Regierungs-Präsident Hegel al» ein Mann gilt, der nicht frei von pietistischen Neigungen sei, steht von Schwartzkopff fest, daß er vorwiegend maßvollen Anschauungen huldigt. Wir glauben des halb die Wahl, welche getroffen wurde, nicht al» «tn» uner wünschte bezeichnen zu sollen, wenn wir auch meinen, es seien zunächst einmal die Leistungen de« neuen Lhes» der Abtheilung Feuilleton. io, Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. . Naqtruck »erkolen. „Du bist ja -er reinste Prophet, Vater. Das weißt Duauch?" „Js nct schwer. So etwas siecht ein Vater." „Schön — also dann sollst Du Alles erfahren. Ich habe mich um eine feste Stellung beworben — bei einer Redaction." „Düs hast ja früher net mögen . . ." „Nein ... ich wollte frei sein und frei schaffen. Aber wenn man eine Frau und ein« Familie zu ernähren hat, muß man durchgedrungen sein oder was Festes haben. Ich dringe ja langsam durch, und vielleicht kommt's eines Tages mit einem Schlage, wie bet manchem Anderen . . . Aber solange kann ich nicht warten." „Und wirb's Dich net hindern, Bub'?" „Nun ja — freilich! . . . Die beste Zeit wird einem ge nommen; aber ich muß jetzt auch Vieles thun, was ich nicht möcht'... Und ich will auch einmal glücklich sein, wie andere Menschen . .. Und vielleicht giebt einem das Muth und Kraft und einen Ruck nach vorwärts, wenn man waS Liebes und ein Heim hat." „Recht hast!" „Nun ja — aber jetzt sitze ich da und warte. Vor meiner Abreise hab' ich mit dem Chefredakteur gesprochen . . . Der will mir wohl und hat's mir früher schon einmal an getragen, mit festem Gehalt bei dem „Morgenboten" cin- zntreten. Damals habe ich abgelehnt. Ob's jetzt noch möglich ist, hängt vom Verleger ab, der bis vor Kurzem verreist war. Auch wollte ich die Stellung nur, wenn ich die Braut kriege." „Aha — und da hast Du vorgestern telegraphirt an Deine Leut' in Berlin —" „Um Gotteswillen, Vater — woher weißt Du denn daS auch schon wieder?" „Wir sind halt tn Rohrbach, Franzl", schmunzelte der Vater verschmitzt. „Der Bricfbot' hat's mir gleich brüh heiß verzählt." Jetzt mußte Franz trotz seiner ernsten Stimmung wirk lich lachen. „Nun also — banst wird'- ja schon die ganze Stadt misten . . . Und jetzt lauere ich eben auf die Antwort. Wenn sie nun aber ungünstig ausfällt, was dann? Was soll ich dann dem Bürgermeister antworten, wenn er mich fragt: Womit wollen Sie Ihre Familie ernähren?" Der Alte erwiderte nichts, sondern hämmerte still vor sich hin, während Franz aufgeregt in der Stube umherltcf. „Mein lieber Franzl", sagte er plötzlich, „Du kennst den Bürgermeister schlecht. .. Der sagt net Ja und Amen, wenn Du auch in Gold schwimmst. Der hat einen harten Schädel." Mit blitzenden Augen blieb Fran- vor dem Vater stehen. „DaS kann er nicht... Dazu hat er kein Recht... sie ist eine Wittwe, eine selbstständige Person . . ." „Ach, die Wciberleut' — auf die iS kein Verlaß! — Na, was willst denn schon wieder?" fragte er plötzlich den alten Postboten, der sich langsam zur Thür hercinschob. „Entschuldigen vielmals, Herr Doctor, vergess'» hab' t 's halt . . . Der Herr Expeditor hat mir's geben, weil i doch den Weg mach'. A Depeschen is 's . . ." Verlegen drehte er das Telegramm in der Hand. „Und das geben Sic mir erst jetzt!" rief Franz wüthcnd, während er ihm das Papier entriß, eS schnell öffnete und überflog. — „Vater — gewonnen, gewonnen! Man willigt ein .. . fünftausend Mark . . . Hurrah!" Und ohne sich um die Gegenwart des erstaunten Post menschen zu kümmern, warf er sich in tollem, übermitthi- acm Jubel auf das alte, zerrissene Ledersopha, das in der Ecke stand, strampelte mit den Beinen in die Luft und schrie beständig: „Ich habe sie. .. ich habe sie . .. Hurah, ich habe sie!" Der Alte schob den Boten endlich zur Thür hinaus, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als in ganz Rohrbach zu berichten, der Schusterbub' hätte in Berlin das große Loos gewonnen und sei darüber „halb narret" geworden. Nachdem er seine Freude ausgctobt, griff Franz nach seinem Hut. Gleich wollte er mit dem Bürgermeister reden, ohne lange Umstände. Mit fünftausend Mark und mit dem, was er noch nebenbei verdiente, konnte er wohl eine Familie aus kömmlich ernähren, auch wenn keine besonderen Glücks fälle eintraten. Nun konnte man sie ihm einfach nicht mehr verweigern! Daß ihm der Bürgermeister nicht sehr gewogen war, wußte er freilich; und daß der Alte sic an -en Doctor Meingart verkuppeln wollte, auch. Aber Paula war doch Herrin ihres Willens und ihrer Hand; die konnte man doch nicht gegen diesen Willen zu etwas zwingen oder von etwas abhalten. Das sprudelte Franz Alles gegen den Alten heraus, der nur bedächtig den Kops schüttelte, während er mit Pfriem und Ahle ruhig an seinem Stiefel weiter hantirte. Und dann stürzte er ab, geradewegs nach dem Bürger meisterbaus. Und überall, wo der Berliner Zeituugö- schreibe! vvrbcikam, blicjten ihm die Leute auf der Straße nach, fuhren die Köpfe ans Feilster. Da er bereits ge wöhnt war, daß sic ihn hier wie ein Wunderthicr an gafften, stürmte er achtlos weiter. Paula sah ihn von ihrem Parterrczimmer aus durch den Garten kommen und eilte ihm tn den Flur entgegen. Er schwang jubelnd das Telegrannn in der Luft. „Ich habe sie, meine süße, einzige Paula ... ich habe sie und fünftausend Piark vom ersten Lctvbcr. " „Um Gvttcswillcn, schrei' doch nicht so laut!" flüsterte Paula ängstlich, mit einem scheuen Seitenblick nach der hinterwärts gelegenen Küche, in der Tante Theres hauste. — „Wenn man Dich hört!" „Das darf man jetzt, das soll man jetzt . . . Jetzt wird geheirathct! Augenblicklich gehe ich hinauf zu Deinem Schwiegervater." Er wollte sie an sich ziehen; sie wehrte ihn aber ängst lich ab. Und als sich gleich darauf richtig der spähende Kopf der Tante aus der Küchenthür hcraudschob, floh Paula ängstlich in ihr Zimmer zurück, ihm noch von der Thür her eine verstohlene Kußhand zuwerfcnd. Franz eilte die Treppe hinauf, mit beflügeltem Schritt. Ihr Anblick hatte ihm neuen Ntuth gegeben. Das Tele gramm schwang er in der Luft wie einen Zauberschlüssel, der ihm jede Pforte, auch die zu verschlossenen Herzen und Köpfen, öffnen könne. Eine Art Philisterstolz auf seine Brodstcllung und seine sicheren Einnahmen, den er früher nicht gekannt, ja bei Anderen oft bespöttelt hatte, überkam ihn jetzt. Ein Mann mit fünf- oder gar sechstausend Mark im Jahr — un gerechnet seine groben Hoffnungen und Aussichten — Donnerwetter, der konnte doch heirathen, dem konnte man doch eine arme Wittwe nicht abschlagen! Wer konnte überhaupt -wischen zwei erwachsene Licbcsleutc treten, die den ernstlmften Willen zu ihrer Vereinigung hatten?! Jetzt stand er vor der Thür des Alten. Er kannte sich hier aus. Als Knabe hatte er tn diesen Räumen oft mit Bruno gespielt und gearbeitet. Kurz bevor Franz die Münchener Hochschule bezog, machte er noch seinen Ab- fchicdSbesuch bei seinem damaligen Wohlthätcr, der ihn zu Fleiß und chrtstlich-dcmüthigcm Betragen ermahnte, wie es sich ziemte für so einen armen Schlucker, den reiche Gönner studiren ließen. Das war sein letzter Besuch hier im Hause. Das AlleS fiel ihm jetzt plötzlich wieder ein. Unmög lich konnte ihm der Alte gewogen sein, wie sie Beide nun einmal waren, jeder fest und trotzig in seiner Welt wur zelnd. Und die alte, kindische Furcht, wie sie der arme Schulknabe einst vor dem strengen Stadtoberhaupt und Protektor empfunden, überkam ihn einen Augenblick aufs Neue. Aber dann spürte er das Papier in seiner Hand, den Talisman einer festen, besoldeten Anstellung, und er gab sich einen Ruck. Zum Teufel, dazwischen gähnte eine wette Kluft, eine ganze Welt. Er, der der modernen Literatur einen Stoß nach vorwärts geben wollte — er, der Doctor der Philo sophie, der Dichter, der Literaturhistoriker und Mit arbeiter verschiedener Blätter, ein Künstler und zugleich ein Jünger der modernen Wissenschaft, er fürchtete sich vor diesem alten, zurückgebliebenen Bauern, diesem „Tyrannen von Mottcnburg"?! — Lächerlich! Mit diesem Bewußtsein klopfte er an und trat ein. Erstaunt sah der Bürgermeister von seinem Pulte auf, vor dem er schreibend saß. Er warf dem kühnen Eindring ling, der ihn mit einer leichten Verbeugung begrüßte, einen strengen Blick zu. „Tie wünschen —?" „Ich komme, Herr Bürgermeister . . . «Wieder dies Zagen!) — „Ich komme in einer — privaten Angelegen heit." „So sprechen Sie . . . aber, bitte, schnell! — Ich habe nicht viel Zeit." Der Alte 'blieb ruhig sitzen, ohne -cm Gast einen Stuhl anzubicten. Das gab Franz plötzlich feine ganze Sicher heit wieder. Glaubte dieser Bauer, ihm durch Grobheit und barsches Benehmen zn imponircn, wie einst vor fünf zehn und zwanzig Jahren? Sollte er vielleicht wie ehe dem demiitbig vor ihm stehen bleiben, um seine Bitte vor zutragen? Das Blnt schoß ihm zu Kopf und mit einer schnellen Bewegung ergriff er einen Stuhl, den er neben das Schreibpult stellte. „Sie erlauben? So geht's bester!" Ganz erstaunt blickte der Bürgermeister diesen jungen Menschen an, der sich so keck vor ihn hinpflanzte, entgeg nete aber nichts. „SS handelt sich also um. . . Sehen Sie dies Tele gramm? SS kommt von -em Chefredakteur einer der
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