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Unter Bezugnahme auf den an hiesiger Amtsstelle und im Rathskeller zu Waldenburg aushängenden Anschlag wird daher solches hierdurch be kannt gemacht. Waldenburg, am 26. Juni 1878. Fürstlich Schön burg'sches Gerichtsamt. Martini. Fdlr. Politische RuMmi. * Waldenburg, 6. September 1878. Der bevorstehenden außerordentlichen Ses sion des Reichstags widmet die „Provinzial- correspondenz" einen Artikel, dem wir Folgendes entnehmen: Der Reichstag hat eine außerordent liche Maßregel zu berathen, welche nothwendig geworden ist durch ein dem Leben unseres Volkes künstlich eingeträufeltes Gift. Eine Unwahrheit ist die Behauptung, daß in unserem Volke bereits ein naturgemäßer, nicht zu überbrückender Gegen satz gewisser Classen bestehe. Die Socialdemo kratie ist nicht entsprungen in der vorzugsweise durch körperliche Arbeit thätigen Volksclasse, die socialdemokratische Lehre ist vielmehr auf dem Boden einer künstlich verbildeten Wissenschaft er wachsen. Sie ist längst nicht mehr beschränkt auf die körperlich arbeitende Klasse, sie zählt zu ihren Anhängern alle Unzufriedenen, die das menschliche Loos der Entsagung nicht auf sich nehmen wollen, die zu neidisch sind, um die Güter, die sie entbehren, Anderen zu gönnen, und zu selbstsüchtig befangen, um zu begreifen, daß kein Besitz äußerer Güter die Besitzer glücklich macht. Daß das Glück des Menschen unabhängig von allen äußeren Gütern von ihm selbst, in dem Frieden mit Gott und in dem pflicht- mäßigen Verhalten zur Mitwelt liege, daß dem treuen und guten Herzen ein Quell der rein- Ftiiillctliil. Unpolitische Plauder-Ecke. Mit und ohne Hausschlüssel. Des Abends ausgehen und den Hausschlüssel vergessen, kann in Verlegenheit setzen, und Jedem ist's wohl schon in seinem Leben passirt, daß er ausgesperrt war und er seine getreue Ehehälfte aus dem Schlafe klopfen mußte, um in sein Heim zu kommen. Schlimmer ist es freilich, den Schlüssel wohl in der Tasche zu haben, aber im Stadium hoch gradiger Begeisterung erst eine Stunde in einem vergeblichen Kampfe mit dem Schlüsselloche zu liegen, und sich dann resignirt auf die Haus thürstufe zu setzen und Erlösung abzuwarten. Doch es kommen noch ganz andere Dinge vor, die je nach Lage der Sache anch wieder verzeih lich sind. Der Böttchermeister Spundenudel war da mit seinem hoffnungsvollen Söhnelein, das zu den Ferien bei ihm verweilte, schon des Mor gens zu einer kleinen Spritztour aufgebrochen. Spundenudel sonior wollte nämlich Spunde nudel Mnior das in der Nachbarstadt aufgestellte Orchestrion zeigen. Das war was Neues, selbst in großen Städten war's kaum zu finden. Der Besitzer des Orchestrions, ein freundlicher Wirth, ist selbst noch zu sehr für sein Schmerzens kind eingenommen, als daß er nicht sich hingestellt sten Freuden fließe, das war bis vor einiger Zeit die Lehre, die unserem Volk in allen Ständen als ein köstliches Gut uud als der ein zige Leitstern des Lebens eingeprägt wurde. Heute kommt die Socialdemokratie und will diesen Leitstern für ein künstlich ersonnenes Trugbild ausgeben. Dafür stellt sie das vielfache Trug bild auf: sie könne dem Menschen die Last der Pflicht abnehmen, sie könne ihm ein dem Wun sche eines Jeden entsprechendes und doch genau und gerecht bestimmtes Maß des Genusses ver bürgen, und sie könne die ungeheure Menge der Genußmittel, welche durch eine solche Befriedi gung erforderlich werden, herbeischaffen. Um eine solche Träumerei glaubhaft zu machen, wen det sich die Socialdemokratie an die schlimmste menschliche Leidenschaft, an den Haß. Sie be schäftigt sich weniger damit, ihr neues Paradies und namentlich seine Möglichkeit auszumalen, als damit, den bethörten Massen einzureden, es sei allein die Willkür, das Unrecht, der Betrug, der Raub von Seilen der Bevorrechteten, welche alles Leid über die Nothleidenden bringe. So lange es Staaten giebt, hat noch nie ein Volk die systematische Verhetzung der aus Mangel an Erfahrung und Scharfblick dem Betrug zugäng lichen Klaffen durch alle Mittel der Lüge in seiner Mitte geduldet. Die Vaterlandsliebe und die Einsicht, welche so viele Mitglieder des sich versammelnden Reichstags, zum Theil in einem und eigenhändig die verschiedenen Walzen ge wechselt und ein Stück nach dem andern hätte herunterspielen lassen. Und so bewunderten denn die beiden Spundenudeln zuerst „starrend vor Frost", „die schöne blaue Donau", dann den Pilgerchor aus Tannhäuser, die Ouvertüre zum „Freischütz", die Geschichten aus dem Wiener Wald und zuletzt als Caprice vom Wirth „Du bist verrückt mein Kind." Durstig wie ein richtiger Spundenudel immer gewesen, untersuchten sie dann die Bierverhält- nisse und siehe da, sie fanden sie so vorzüglich, daß der alte Spundenudel dem jungen Spunde nudel mit einem guten Beispiel im Trinken vor anging, während letzterer ein gelehriger Schüler war. Wacker wurde gezecht, Bekanntschaften geschlos sen, bis sie sich in eine so vergnügte Stimmung hinein getrunken hatten, daß an ein Nachhause Reisen erst beim letzten Nachtzuge gedacht wurde. Unterwegs schliefen zwar Spundenudel zunioi- und senior im Coupee ein, aber da sie dem Schaffner schon beim Einsteigen nicht ganz koscher vorgekommen waren, sorgte Letzterer, daß sie zur gehörigen Zeit wieder aufwachten. Im Heimats städtchen konnte natürlich der alte Spundenudel an seiner Stammkneipe nicht vorübergehen, das brachte er nicht zu Wege, mußte er doch seinen Bekannten noch von dem neuen Wunderdinge erzählen, was er heute gesehen. langen öffentlichen Leben, bewährt haben, be gründen die Zuversicht, daß der Reichstag weder sich selbst und der Nation das Zeugniß der Rath- losigkeit ausstellen, noch weniger aber die letztere in eine Hilflosigkeit versetzen werde, die sich unter ohnmächtigen Scheinmitteln vergebens zu verber gen sucht. Die Eröffnung des Reichstages wird, wie nunmehr definitiv beschlossen worden ist, nicht durch den Kronprinzen, sondern durch den Stell vertreter des Fürsten Bismarck, Grafen Stolberg, erfolgen, obwohl eine neue Legislaturperiode in der Regel vom Throne aus eröffnet wurde. Man hatte umsomehr erwartet, daß der Kron prinz den feierlichen Act in Person vollziehen werde, als er von seiner Jnspectionsreise nach Bayern am Vorabend der Reichstagseröffnung nach Berlin zurückzukehren gedenkt. Vielleicht hat die Erwägung, daß die einzige Vorlage, welche den Reichstag in seiner ersten Session be schäftigen wird, mit einem die Mitglieder des kaiserlichen Hauses so überaus schmerzlich berüh renden Ereigniß in unmittelbarem Zusammen hangs steht, mit dazu beigetragen, den Kronprinzen zu veranlassen, von der persönlichen Vollziehung des Eröffnungsactes in Vertretung seines kaiser lichen Vaters in diesem Falle Abstand zu nehmen. Vielleicht mag auch die Thatsache zu dem Ent schluß bewogen haben, daß die Neuwahlen nicht Ja Stammkneipe. Das war eine von der Sorte, wo der Wirth die Stühle mit Pech ein zuschmieren pflegt, so daß, wer einmal saß, nicht eher aufstehen konnte, bis er denjenigen Wärme grad erreicht, der zum Erweichen des Peches nöthig ist. Spundenudel nebst Nüdelchen kamen zwar spät, aber sie kamen schon ziemlich erwärmt, so daß sie von ihrem Bann, nämlich vom Peche, bald wieder erlöst wurden; 's war auch die höchste Zeit, denn keiner von den beiden Nudeln wußte, ob er geführt werden oder er den andern führen sollte. Sie kommen glücklich in ihrer Straße an, und nachdem sie sich ein; Weile in der tanzenden Häusermasse umgesehen, finden sie richtig ihr Haus heraus, war's ja doch ein Eckhaus. Unglücklicherweise geriethen sie aber an die falsche Seite des Hauses und vergeblich suchten sie die Tyür. Beide griffen mit der Hand an der Wand herum und können sich die Sache nicht erklären. Da leuchtete aus einmal dem alten Spund nudel ein Gedanke ein. „Donnerwetter," meint er plötzlich, „hat der verfluchte Kerl von Haus wirth heute die Thüre zumauern lassen." Rathlos schauen sich die beiden Spundenudeln an, bis der Wächter dazu kommt, der sich ihrer erbarmt und sie auf den rechten Weg führt. E. K.