Volltext Seite (XML)
Redigin und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Liebe und Treue bis zum Grabe. (Fortsetzung) Auf der offenen Heerstraße, die nach Petersburg führt, jagte unter heftigem Schneegestöber und scharfem, schneidendem Winde, in seinem Schlitte» fitzend, von vier raschen Pferden gezogen, der fleißige Schüler des AeSculap dahin. Mit schwe rem Herzen gedachte er der Vergangenheit, mit feurig ^re- bendem Sinn blickte er in die Zukunft und rief sich durch sei nen regen Geist ein kräftiges muthiges „Vorwärts" znt Aus diesen Gedanken weckte ihn sein Schlittenfuhrmann; ein Schrei traf sein Ohr, es war nicht die gewöhnliche Sprache, welche die russischen Fuhrleute mit ihren sie genau verstehenden Pfer den zu reden pflegen; darum blickte Seraphim auch schnell empor und zum Schlitten hinaus. Ein sonderbarer Anblick bot sich seinen erstaunten Augen dar; es waren mehrere Schlitten, die, von Kosaken umgeben, die Straße versperrten. Der erstere der Schlitten war es, der den ganzen Zug hemmte. Die in demselben sich befindenden Personen schienen schneller Hülfe bedürftig zu sein. Wer aber konnte von allen den Unglücklichen, deren fernes Ziel Sibirien sein sollte, hier hel fen? Sammtlich waren es Polen, die dahin verwiesen wur den, und deren Anblick um so erschütternder auf des edlen Seraphim'S Herz wirkte, als er unter ihnen Jugendbckannte erblickte. Schmerzlich bewegt stieg er aus seinem Schlitten und eilte zu den Hilfsbedürftigen. Allerbarmer! wer beschreibt den furchtbaren Ausdruck seines Schrecks und Entsetzens, als er im ersten Schlitten den alten Schilkovsky, einen jungen schönen Polen, und in dessen Arinen die einer Leiche ähnliche Isidora erblickte.' Hier war es nicht Zeit zu fragen, sondern nur zu helfen. Seraphim winkte seinem Schlittenführer; dieser flog ei lends herbei; denn die hohen militärischen Abzeichen, die der gebietende Fremde trug, verschaffte ihm bei Allen Achtung und zwar so, daß selbst der Kosakenführer ihm Gehorsam zeigte. Aus seiner Reiseapotheke ergriff Seraphim unter Zittern und Angst den stärksten Acther, und hielt ihn der Unglücklichen zur Besinnung vor; doch vergebens! die Lethar gie war zu groß, um dnrch dieses Mittel gehoben zu werben. Leben' oder Tod hieß hier die Loosung. Doch so weit der Blick auch schweifen konnte, nirgend sah man eine Hütte, wo die zarte Hülle dieser schönen Seele hätte untergebracht wer den können. Verzweiflung kämpfte zwischen Barmherzigkeit, Haß und Liebe. Welche Qual für Seraphim, glückte das in seinem Geiste zur Rettung der ihm so Themen sich., zeigende Mittel nicht. — Mit inniger Theilnahme flehte er um Rettung. Sera phim, erhaben über jede Leidenschaft, gebot seinem Diener schnell in der im Schlitten sich befindenden Maschine heißes Wasser zu bereiten; er selber nahm hierauf in dem Schlitten der Erkrankten Platz, rieb ihr mit balsamischen Salben und Essenzen die Schläfe und Pulsadern ein. Bet dieser Gele genheit erblickte er ein kleines Amulet mit kleGem goldenen Herz und Schlüssel; — Wonne dnrchbebte seine Glieder, was er sah, war «in Geschenk aus den seligen Stunden der ersten Liebe. Der junge Pole, nicht ahnend, wer der hier Hülfe brin gende Schutzgeist sei, verfolgte mit schmerzlich bewegten Zügen tue schnellen und gefühlvollen Handlungen des Arztes. Er blickte mit thränenden Augen, mit gefalteten Händen bald aus Isidora, bald nach dem Himmel. Schweigend und düster saß der greise Schilkovsky im Schlitten und schien für Schmerz und Freude empfindungslos; aber des alten Geiers lebhaft funkelnde Augen, fein stechender Blick widersprachen der äuße ren Haltung; sie zeigten an, daß er im Innern jenen afiati- schen Bergen gleiche, die vom Scheitel bis zum Fuße mit Eisesmaffen geschmückt, deren Eingeweide aber das glühende Erz ist. Seraphim'S Bemühen wurde durch die Allmacht des Höchsten gesegnet; di» Kranke schien sich zu erholen. Aus einer Büchse seiner kleinen Apotheke mußte der junge Pole nach Angabe zwei Sensttreifen bereiten, und diese dem Arzte reichen, der sie dann Isidoren auflegte. Bei dieser Zuberei tung erblickte Seraphim zwei Trauringe an des Polen Hand; seufzend muthmaßte er Entsetzliches. Die Kranke schlug die halb erloschenen Augen auf; es wird ihr Arznei gereicht, schwach sank sie indessen zurück. DgS heiße Wasser war fertig, schnell bereitete Seraphim ein Me dikament aus Eisen, Kampfer und einem Oele; erweckte die jetzt Schlafende, reichte eS ihr unter Zuflüsterung einiger Worte in die Ohren) bepackte dann die Gestärkte mit allen Decken aus seinem Schlitten, gebot dem Polen sich in dem selben zu setzen, tndeß er Platz neben der Erweckten nahm; und indem er reiches Trinkgeld versprach, befahl er dem Kutscher zu fahren, was Pferde und Stränge aushiclten. Einen scharfen Blick that Isidora auf den Retter ihres Lebens; nach diesem Blick sank sie in einen Schlaf, der die beruhigendsten Anzeigen zu einer Erhaltung ihres Lebens bot. Sorgsam zählte Seraphim die PulSfchläge der Geliebten und trocknete von Zeit zu Zeit die Tropfen des Schweißes von ihrer Stirne, ihm waren diese Perlen herbe Thränen. Nach mehrstündiger Fahrt war endlich ein Dors erreicht; zu ermü det waren Menschen und Pferde, an eine Weiterreise konnte heute nicht gedacht werden und eS ward im Ort gerastet. Wie ost auch in jenen Zeiten sich das traurige Schau spiel für eie russischen Stadt- und Landleute darbot, unglück lich bektagenSwerthe Verwiesene nach Sibirien tranSportireNH- zu sehen, so sind dennoch die Herzen jener Bewohner nicht empfindungslos, denn außerdem, daß dem Russen von Natur Gefühl und Herz geschenkt ward, fühlt er das furchtbar Schreckliche solcher Verbannung! der Tod ist meistens der rettende Engel, der diese Ketten früh oder spät erst zerbricht. War es daher zu verwundern, daß die gutmüthigen Bewoh- ner dieser Schenke bet aller Sorgfalt, di« sie für die Unglück lichen und insbesondere für die Kranke zeigten, ihnen dennoch ! lieber das Jenseits wünschten. WaS nur an Bequemlichkeiten, Speisen und Getränken j anzuschaffcn gewesen, war allen zu gleichen Theilen geworden; Isidora hott« auf Bitten Seraphim» in der Kammer der Wirthin ein gut bereitetes Lager erhalten; weder Geld noch Versprechungen wurde» gespart, um das Leiden wenigsten» i für Stunden vergessen zu machen, zu lindern.