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Freitag. 28. 7. April 1865. Preis pro Quartal 10 Ngr, Inserate die Spalten-Zeile 8 Psg. Amts- und Anzeigk-Klatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stndträthe Zu -ippoldismatdc, /ranenstein und Altenberg. Verantwortlicher Redakteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Erscheint Dienstags anstalten. I Soll man die Kinder in der Schule zwingen, das Turnen zu lernen? Jedermann weiß es, daß man die Kinder deshalb zur Schule schickt, damit die in ihnen schlummernden Kräfte geweckt, nach Möglichkeit gebildet und zur eige nen selbständigen Uebung angeleitet werden. Die Zahl Derer, die dies für überflüssig halten, ist eine sehr geringe geworden, und was den Eltern sonst als lästi ger Zwang erschien, daß der Staat den Schulbesuch bei Strafe androhte, wird jetzt ziemlich allgemein als Wohlthat anerkannt. Jedermann weiß ferner, daß er eine Seele oder einen Geist hat, und daß dieser in seinem Leibe so wohnt, daß Beide ein untrennbares Ganze ausmachen und nur im Tode von einander geschieden werden können. Es ist endlich auch Niemandem unbekannt, daß der Geist eigenthümliche Kräfte in sich hegt, daß aber das selbe auch bei dem Leibe der Fall ist, daß die Kräfte Beider so in einander eingreifen, daß die Uebung des einen nie ohne Theilnahme und Rückwirkung des andern bleibt oder bleiben soll. Man sollte nun denken, der Unterricht in der Schule, welcher die Weckung und Erziehung der mensch lichen Kräfte zur eigenen selbständigen Uebung beab sichtigt, werde sich Weckung und Erziehung der leibli chen Kräfte. eben so zur Aufgabe gestellt haben, wie die der geistigen, indem der eine der genannten Theile des Menschen gerade dasselbe und kein geringeres Recht als der andere hat. Dennoch ist es nicht der Fall gewesen und man hat sich in den Schulen vorzugsweise die Weckung der geistigen Kräfte zur Aufgabe gestellt, und man hat an genommen, daß die Weckung und Uebung der leiblichen Kräfte sich von selbst machen werde. Daraus sind sehr bedeutende Nachtheile für die allgemeine menschliche Bildung entstanden, die sich in verschiedenen Lebenserscheinungen mehr oder weniger stark abgespiegelt haben. Dahin gehört unter Anderm der sehr wandelbar gewordene allgemeine Gesundheits zustand des Volkes (wozu auch verderbliche Sitten das Ihrige beitragen mögen), im männlichen Geschlecht der von Jahr zu Jahr mehr hervortretende Mangel der Tüchtigkeit zum Militärdienst u. a. m. Die ziemlich weit verbreitete Einsicht in diese Uebelstände hat einen lebendigen Eifer für ihre Besei tigung erweckt, der in dem Tur «wesen offenbar wird, das man ohne Frage für eine der bedeutendsten Erscheinungen der Gegenwart, bei allen ihren Uebertrei- bungen und Einseitigkeiten, welche nach und nach besei tigt werden müssen, ansehen darf. Mit ihm und durch seine Verbindung mit der Volksschule und dem öffent lichen Leben wird die Bahn betreten, welche zur zu- sammenstimmenden Entwickelung der menschlichen Kräfte, in der allein das Wohl und Glück der Einzelnen, sowie der Gesammtheit liegt, führt. Deshalb wird es gewiß Jeden, dem der Sinn für solche Angelegenheiten noch nicht ganz abhanden gekom men ist, gefreut haben, als er vor Kurzem in diesem Blatte las, daß zwischen den städtischen Collegien in Dippoldiswalde die Frage über Einführung des zwangs mäßigen Turnunterrichts in der Volksschule verhandelt werde. Wie sich aus der desfallsigen gedruckten Mittheilung in Nr. 21 d. Bl. ergiebt, sind beide Collegien, Stadt rath sowohl, als Stadtverordnete, über Nützlichkeit und Nothwendigkeit der Einführung des Turnunterrichtes in der Volksschule einverstanden, doch weicht das Colle gium der Stadtverordneten darin von der Meinung des Stadtrathes ab, daß es den Turnunterricht nicht als obligatorisch, d. h. nicht zwangsweise, eingeführt wissen will. Wie die schon erwähnte Mittheilung an die Hand giebt, sind es zwei Gründe, welche die Stadtverordneten bestimmen, sich für die letztere Ansicht zu erklären, und zwar 1) die Besorgniß, daß bei Turnübungen Unglücksfälle nicht zu vermeiden sind und dann ein großer Theil der Bürger die Schuld auf die städtischen Collegien werfen werde, 2) daß viele Bürger ihre Kinder in ihren Freistunden zu ländlichen Arbeiten verwenden und für diese ein Zwang zur Theilnahme am Turnunterricht hart sei. Der Verfasser dieser Zeilen hält es bei seiner Ueberzeugung von der Bedeutung des Turnens der Mühe für werth, diese Gründe einer unpartheiischen kurzen Prüfung zu unterwerfen, in der Hoffnung, etwas beitragen zu können, daß man sie, bei emer eingehenden Würdigung ihres Werthes, wieder fallen läßt, weil sie es in der That verdienen. Allerdings ist es wahr, daß bei Turnübungen Unglücksfälle nicht ganz zu verhüten sind; aber wenn man der Möglichkeit der Unglücksfälle einen Einfluß auf die Frage der Menschenbildung überhaupt einräu men wollte, so müßte man diese geradezu als eine un lösbare Aufgabe bei Seite legen. Bei den einfachsten und unschuldigsten Hebungen unserer Kräfte, selbst soweit diese nur auf Fristung unseres Daseins gerichtet sind, bleiben wir von Gefah ren umgeben, welche zu Unglücksfällen Veranlassung geben können, die, wenn widrige Umstände Zusammen treffen, unvermeidlich sind. Wie oft haben sich Kinder