Volltext Seite (XML)
Unterhaltungs- und Ameigeblatt. — Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. 1847 98. Mittwoch, den 8. Deeember An meine liebe Kirchengemeinde. Vertrauend'auf viel bewährte Achtung und Liebe, darf ich wohl einmal das Ungewöhnliche mir erlauben. Ich thue dieß, indem ich hierdurch die herzliche Bitte an die ganze liebe Kirch- sahrt in Stadt und Dörfern richte, daß nächsten Sonntag ein Jedes, dem es nur irgend möglich wird, Mann und Weib, Herr und Diener, Jüngling und Jungfrau, an dem Früh- gottcsdienste Theil nehmen und der da von mir zu haltenden Predigt ein besonders williges Ohr leihen möge. Der Pastor und Superintendent 0. Hering. N e i n. (Fortsetzung und Schluß.) «Gnädige Gräfin», hörte ich sie oben auf dem Vorsaal aus Heller Kehle schreien: «Ums Himmels Willen bleiben sie in ihrem Zimmer! Es kommen Soldaten!» Die Gräfin mochte wahrscheinlicher Weise keine so fürchterliche Idee von einem Soldaten haben, als ihr Mädchen. Sie blieb nicht im Zimmer, sondern kam mir, ein Licht in der Hand haltend, entgegen. Wenn sie von meinem Anblick betroffen zu sein schien, so war ich's von dem ihrigen nicht minder. Stellen meine Herren und Damen sich eine reizende Agnese von 18 oder 19 Jahren in einem weißen Hauskleide vor — so sehen sie meine schöne Gräfin. Bei diesen Worten sah der Rittmeister von ungefähr seinen Nachbar, den fremden Herrn, an und fand sein Gesicht blaß über allen Aus druck. — Aber manche Leute werden das, wenn sie ein paar Flaschen mehr als gewöhnlich ge- rrunken haben, dachte der Rittmeister und nahm weiter keine Notiz davon. «Hören sie doch zu, meine Herrschaften!» rief der Minister. «Des Herrn Vetters Ge schichte fängt an interessant zu werden. Wollen sie nicht zuhören, dort oben?» Es ward eine allgemeine Stille und der Rittmeister knüpfte den abgerissenen Faden seiner Erzählung wieder an. Gnädige Gräfin, sagte ich, indem ich ihr die Hand küßte und sie nach ihrem Zimmer zu führte, ich habe die Ehre, sie in ihr Zimmer zu begleiten und ihnen daselbst die Veranlassung dieser meiner nächtlichen Erscheinung zu erzählen. Noch hatte ich kein Wort von ihren schönen Lippen vernommen. Jetzt in ihrem Zimmer, dachte ich, würden diese Rosen sich öffnen. — Aber nein, sie blieben verschlossen. Schweigend sah sie mich, schweigend sah ich sie an. Endlich unterbrach ich das mir so lästige Schweigen zuerst. Ich sagte ihr, wer ich wäre, woher ich käme, wohin ich wollte, warum ich in diesem Dorfe wäre, wie ungeschickt zum Ueber- nachten für mich ich das Wirthshaus gefunden hätte und wie sehr ich wünschte, nur bis zum künftigen Morgen ein Obdach in ihrem Edel hofe zu finden. Sie schien mich mit Güte zu betrachten, mit Wohlgefallen anzuhörcn und — schwieg. Darf ich mir wohl, fragte ich am Schluffe meiner Rede, eine günstige Erfüllung meines Wunsches versprechen, meine Gnädige? Der Bescheid hierauf war ein eiskaltes, gleich gültiges, wie auswendig gelerntes «Nein!» «Nein! sagte sie?» siel der alte fremde Herr dem Rittmeister hastig in die Rede und bekam auf einmal seine vorige von Wein erhöhte Ge- sichtsröthe wieder. Nein! — erwiderte der Rittmeister, so sagte sie. Und warum nicht? fragte ich weiter, wenn ich bitten darf, schöne Gräfin? Darf ich die Ursache ihrer abschlägigen Antwort nicht wissen? «Nein!» — Genau so, wie vorhin. Aber haben sie denn nicht ein Fünkchen Mit leid mit ihrem armen Mitchristen, der, durch eine weite Reise ermüdet, der Ruhe bedarf und sie in dem elenden Wirthshause in diesem Dorfe nicht findet? «Nein!» Das ist traurig! Also darf man von einer so himmlischen Sanftheit, wie auf ihrem Ge sicht gezeichnet ist, nicht auf ein mitleidiges Herz schließen? «Nein!»