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Vaigtländislhtr Alytigcr. Äekenunstsechszigster Jahrgang. Veralt wörtliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Vits,» Blatt erscheint wöchentlich dreimal, und zwar Dienstag«. Donnerstag» und Sonnabends. Jährlicher AbonnementSpreiS, auch di« Post. 1 Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die bi« Mittag» 12 Nhr eingeben. werden in die Tag« darauf erscheinende Nummer ausgenommen, spater eingeye ' finden in der nächstfolgenden Nummer Ausnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene V.orpuS-Zeile berechnet. Dienstag. AAT. »- November 183«. » '«ML- -7. Zeitungen. Sachsen. Bad Elster. Noch vor wenig Tagen blühten zahlreiche Rosen in den Promenaden und beute zum 3. Nov. bolten wir noch herr lich duftende Veilchen auö dem Garten neben neu blühenden Erdbeerstau- dcn. — Es haben dies auch Privaten sorglich benutzt, theils im Ausbau ikrer neuen Gebäude, theils in Gartenanlagen, oder beim Planiren und Vorbereitcn künftiger Frühjahrsbauten. — Von nicht geringem Interesse ist eS, daß soeben die letzte Telegraphenstange in der Nahe dcS „Sachs. Hofes", wohin der Telegraph einmündct, befestigt wurde und wlr in wenig Wochen mit dem großen Telegraphen-Netze Deutschlands re. in vollkomme ner Verbindung stehen. Es wird dies namentlich von Solchen, die Bad Elfter für künftiges Frühjahr ihrer Gesundheit und Erholung halber im Auge haben, heute schon freudig begrüßt werden!— Der plötzliche Todes fall einer verchcl. Frauensperson aus dem eine Stunde von hier entfernten böhmischen Dorfe Thonbrunn, die, schon höchst schwach, um Nachtherbcrge im hiesigen Privatlogishanse zur „Linde" gebeten, in eben der Nacht aber verschieden war, hat, wegen sichtbarer Zeichen gewaltsamer Verletzung, zu gerichtlicher Untersuchung Veranlassung gegeben. Die Verstorbene wurde vor ihrer Beerdigung, nach erfolgter Vorerörterung von Seiten des Adorfer Justizamts, von Eger Aerzten, unter Assistenz unseres verehrten Badearztes vr Bechler, der Section unterworfen, wobei sich auf solche Gewaltthätig- keiten schließen ließ, daß ihr Ehemann vor wenigen Tagen durch österr. Gensd'armen in das Criminal-Gefängniß nach Eger abgeführt worden ist. — Vergangene Nacht ereignete sich der seltene Fall, daß eine Frau (die Gattin deS hiesigen Schneidermstrs. Zeidler) von gesunden Drillingen ent bunden wurde. Oesterreich. Wien, 4. Nov. Am vierten Tage der Jesniten-Mis- sion in Bad Ischl legte der Obcrsthofmeifter der Königin-Wittwe Marie von Sachsen (Oberkammcrherr von Langenn) in einer Seitenkapelle der dortigen Pfarrkirche das katholische Glaubenöbekenntniß in die Hände des P. Joseph Klinkowström ab, welcher nach vorgängiger telegraphischer An frage durch den apostolischen Vicar von Sachsen auf demselben Wege hierzu zuvor delcgirt worden war. Ein österreichischer Cavalier und ein Priester wohnten der Feierlichkeit als Zeugen bei. Hierauf empfing der Ncubc- kehrte öffentlich in der Kirche das heilige Sacramcnt des Altars. Baiern. Nürnberg, 3O.Oct. „Verwahrung von Mitgliedern der protestantischen Kirchengemeinde Nürnberg gegen Rückschritt ans religiösem Gebiete": Am 31. Oct. 1517 schlug Luther 95 Sätze gegen den Ablaß der Sünden an die Schloßkuche zu Wittenberg. Am 24. Oktober 1648 wurde der Friede zu Münster geschlossen, welcher dem dreißigjährigen Re ligionskriege ein Ende machte. Beinahe sünftehalb Menschenalter trennen diese Zeiten. Was war in diesen 131 Jahren aus der Reformation, was aus dem Volke geworden? Nach 30 Jahren voll Schlachten, Brand, Mord- Seuchen sah sich Deutschland nicht mehr ähnlich. Die stolze Na tion war in ein ärmliches Geschlecht von Bettlern und Räubern verwan delt. Dcr Soldat, durch die Art, wie er kämpfte, gleichgültig gegen Das, wofür er stritt, war weder katholisch noch lutherisch und sagte, wenn er beten sollte, das ABC her, „in dem steckten schon alle Gebete." Ver hungerte Bauern, feige, auSgezogene Bürger, liederliche Soldaten, streit süchtige Pfaffen, erbärmliche Höflinge, waren dcr Rest des großen Ge schlechts, daö untergcgangen. Zwei Dritthcile der Bevölkerung waren ver schwunden. In Sachsen kamen in einem Jahre 900,000 um; Böhmen hatte vier Fünftel seiner Einwohner verloren; Augsburg statt 80,000 Seelen 18,000; um Nürnberg lagen 200 Dörfer in Asche. Aber war auch die nächste Frucht des menschenvertilgenden Kampfes nicht werth, ward der Glaube in neue enge Bande gefesselt, die protestantische Geist lichkeit in die Staatslivrce kleiner weltlicher Herren gesteckt, ja theilweise soweit erniedrigt, daß die Pfarreien unter der Schürze vergeben wurden: so ging doch auö so vielen Leiden eine bessere Zeit hervor. Die Gewalt, welche wie ein Alp auf den Völkern lastete, welche jeder freien Regung des Geistes mit Folterwerkzeugen oder Scheiterhaufen begegnet hatte, be stand nicht mehr. Fortan mußte kein großer Denker, der die Güte GotteS verkündete, im Kerker oder in den Flammen büßen, kein Forscher der Natur „kniend vor einer Schaar unwissender Mönche" den Umlaus der Erde ab schwören, und die Menschheit schritt vor, wenn auch die Formen mangel haft vnd einseitig blieben. Betrachten wir diesen langsamen, mit so vielen und theuern Opfern erkauften Fortschritt, so müssen wir um so ernstlicher bedacht sein, ihn festzuhaltcn, das mit so vielem Blut Erkaufte nicht durch einige Federstriche beseitigen zu lassen. Und diese Gefahr ist vorhanden, seitdem ein Theil der Geistlichen, welchen die Wahrung und Förderung dcr protestantischen Lehre anvertraut ist, einer abergläubigen, einseitigen, düstern, herrschsüchtigen Richtung huldigt und das 19. Jahrhundert in den Standpunkt des 15. zurückzuführcn versucht. Wir erkennen die Vergeb lichkeit dieser Bestrebungen bei der Ungeheuern Entwickelung des Menschen geistes, die die neuere Zeit hcrvorgcrufen hat, aber wir wissen auch auS der Geschichte, daß die kleinste falsche Richtung lange Leiden über die Völker bringen kann, daß die geringste Vergebung von Rechten oft schwer gebüßt werden muß. Ein anscheinend unschuldiges Gesetz, das dem russischen Bauer während einer Pest verbot, sich von seinem Hofe zu entfernen, brachte ihn, da cs nach Aufhörcn der Pest nicht aufgehoben ward, in Leibeigen schaft. Eine unserer Geistlichkeit eingeräumte Richter- und Strafgewalt kann uns Ketzcrvcrfolgnngcn und Krcuzbrüder wicderbringcn. Man darf der habsüchtigen, herrschsüchtigen Natur deS Menschengeistes nur Opfer be zeichnen, um Henker dafür zn finden. Selbst das, was wir seit 1815 er lebt haben, gibt hierfür Beweise genug. Ans diesem Grunde halten wir es für unsere Pflicht, uns gegen die der Freiheit des Geistes, der christ lichen Liebe und Duldung, der Würde der Gottheit, die ihre Schöpfung gutgcmacht hat und selbst in Ordnung zu halten versteht, dem Fortschritt der Wissenschaft und der Gesittung feindselige Richtung eines Theils der Geistlichkeit offen und unumwunden zu crkläreu und eS auszusprechen, daß wir die Grundsätze festhaltcn, welche dcr Protestantismus hervorrief und welche die edelsten Menschenfreunde, die größten Denker der letzten Jahr hunderte zur Geltung gebracht haben, und zwar: 1) daß der Glaube voll kommen frei sei, d. h. daß Jeder nur DaS für wahr zu halten hat, wa- er nach erhaltener Belehrung und eigener Einsicht für wahr halten kann; 2) daß keine Zwangsgewalt in GlaubenSsachen bestehen darf, d. h. daß Niemand berechtigt erscheint, einem Andern seine Meinungen als die allein richtigen aufzudringcn; 3) daß unsern Geistlichen blos das Prediqtamt obliegt, die Verkündigung der Größe dcr Schöpfung, dcr Lehren der Weis heit nnd Tilgens, der Liebe und Gerechtigkeit gegen alle Menschen, Lehren, welche die Kraft der Gesetze verstärkten, die Handlungen leiten, die dem Auge des Gesetzgebers, dem Arme deS Richters entgehen und Trost geben bei den Mühseligkeiten dcS Lebens, daß sie aber in keiner Art berechtigt sind, sich göttliche, richterliche oder strafende Gewalten anzumaßen; 4) daß die Neigungen, welche der Schöpfer in den Menschen, wie in alle Ge schöpfe der Erde gelegt hat und ohne welche die Schöpfung nicht bestehen