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Nr. 120. — 8. Jahrgang. «er jeden Wochentag Abend (mit Datum ht« folgenden Tage-) zur Versendung gelangende „Sächsische LandeS-Anzelgrr" «it täglich einem besonderen Unter« MungSblatte und mit dem Extrabeiblatt Sächsischer WIWMNWWWWWMWWM §lliides>Ailrelztr mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen nnd Thüringen. Sommbeud, SS. Mai BeiWIederholung großer Annoncen! Vei Bestellungen von AuSwärtS wolle uu» ßnlli«: MklOidn Wt, Buchvruckeret, Chemnitz. Theaterstraße 5 (Fernsprechstelle Nr. 186). Telegr.-Adr.: Lander-Anzeiger, Chemnitz. Mit täglich einen! besonderen Unterhaltungsblatt: i. Kleine Botschaft — 2. Sächsischer Erzähler — s. Sächsische Gerichts-Zeitnng 4 Sächsisches Allerlei — 5. Jllnsirirtes Unterbaltnngsblatt — 6. Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lnsiiges Bilderbuch. Für den Monat Juni nehme» die Ausgabestellen in Chemnitz und Um gegend zum Preise von 70 Psg. (die Postanstalten zu 75 Pfg.) Abonnements- Bestellungen auf den Sächsischen Landes-Anzeiger entgegen. Der Sächsische Landes-Anzeiger ist m der deutschen Post-ZeiiungS- PreiSliste unter Nr. 5035 (in der österreichischen unter Nr. 2307) eingetragen. Allen Abonnenten wird vollständig gratis als Extrabeigabe geliefert: Eisenbahn-Fahrplanhcst für Sachsen (Sommer-Halbjahr 1888). (Giltlg vom 1. Juni 1888 ab.) Dieses Eisenbahn-Fnhrplanhcst ist in Umschlag gehestet inid enthält in sauberem deutlichen Druck die Fahrpläne sämmtlicher Strecken des sächsischen Eisenbahn-Netzes nebst den Anschlüssen sowie mit Angabe der Entfernungen und der Fahrpreise. Preis dieses Heftes für Nicht-Abonnenten 20 Psg. Ferner erhält jeder »cnbcitretcnde Abonnent, welcher die Abonnements- Quittung (Post-Abonnenten wollen lO-Pfg.-Markc sür Porto beifügen) direct an die Verlags-Expedition cinsendct, vollständig gratis geliefert: 1. Jllnstrirter Kalender für Ililitt, 84 Seiten 4° mit Oeldrnckbild, Almanach, stalendarinni, Märkte-Vcrzcichniß: rcich-illnstrirtem umfangreichen humoristischen Thcil». fesselnden Erzählungen. (Preis s.Nicht-Abonncntc»40Pfg.) 2. Des Sächsischen Landes-Anzeigers Jllustrirtes Jayreöbnch für Iltlklk; 64 Seiten gr. 8" mit Almanach und vielen Erzählungen und Bildern. (Preis für Nicht-Abonnenten 40 Psg.) Abermalige» zahlreichen Beitritt »euer Abonnenten erbittet die Verlags-Expedition des Sächsischen Landes-Anzeigers. Um Verwechslungen zn vermeiden, werde» Post-Abonnenten ersucht, bei Bestellnng srenndlichst genan z» verlangen: de» in CheMItttz erscheinende» „Sächsischen Landes-ANZeigei'" (Nr. 5035 der Post-Zeitnngs-Preisliste). Telegraphische Nachrichten. Vom 24. Mai. Petersburg. Die „Moskowskija Wjedomosti" enthält die unsinnige Behauptung, eine kürzlich in der „Deutschen Petersburger Ztg." erschienene friedlich klingende Erklärung über deutsche Truppe»- verschiebungen an der Ostgrcnzc entstamme der Feder des deutschen Militärbcvollmächiigten Oberstleutnant v. Villaume, welcher damit nur telegraphische Instructionen aus Berlin befolgt habe (?!). Warschau. In den letzten Tagen wurden in Lublin nnd Jvangorod neu» Offiziere verhaftet und vor das Militärgericht ver wiesen. Tie Ursache ist unbekannt; gerüchtweise verlautet, die Ver hafteten stünden im Verdacht, sich an nihilistischen Verschwörungen bctheiligt zu habe». Sofia. In Palastkreisen verlautet, daß der Fürst sich geweigert hat, das ihm unterbreitete Urtheil gegen Popow nnd Genossen mit seiner Unterschrift zu versehen. Paris. Bonlanger erklärte einem Mitarbeiter 1>es „Figaro", daß er über die Beschlüsse der Rechten sehr erfreut sei. Die Haupt sache sei, zu siegen; mit wem man siege, sei gleichgiltig. Da er fern von jedem persönlichen Ehrgeiz sei, so könne er warten und wolle er auch warten, obgleich es ihm möglich wäre, die Ereignisse zu über stürzen. Der Bvalnngisnins entwickele sich mit mathematischer Regel mäßigkeit, deshalb halte er seine allzu eifrigen Freunde zurück. Das Vertrauen sei seine Stärke, das Vertrauen seiner Freunde auf ihn, das begründet sei auf dem Vertrauen, das er selbst auf seinen Mnth, seine Macht nnd seinen Erfolg habe. London. Aus New-Aork wird gemeldet, daß die demokratische Convention von Pen»st)lvanien ihre Delegirten für die National convention in St. Louis instrnirt hat, für Cleveland zu stimmen. Die Commission billigte mich Mill's Tarifvill. — Aus Konstanti nopel wird geweidet, daß die Differenzen zwischen G icchenland und der Türkei nach gegenseitigen Erklärungen derartig ausgeglichen seien, daß außer der bereits gemeldeten Rückkehr des griechischen Consnls Panurias nach Monastir auch die Bischöfe von Serres und Castorin im Amt verbleiben. Berlin, den 25. Mai, Vormittags. Der Kaiser hatte eine recht befriedigende Nacht; jedoch nach der Anfregnttg des gestrigen Tages fühlt sich der Kaiser er müdet nnd verlässt daher ans Anrathen der Aerzle erst zn Mittag das Bett. Bulletins erscheinen künftig nur einmal wöchentlich, das nächste voraussichtlich am Mon tag. — Wenn die Besserung im Befinden des Kaisers anhält, soll die Abreise nach Friedrichskron in den ersten Junitagen stattfinden. Die Vermählungsfeierlichkeiten in Charlotte,iburg. Mit einem Hellen schönen Frühlingsmorgen begann der Tag, an welchem nun auch der letzte Sohn unseres erlauchten Kaiserpaares einen Herzensbnnd für das Leben schließen sollte. In Anbetracht des leidenden Zustandes unseres erlauchten Kaisers konnte von einer lauten Feier keine Rede sein; der feierliche Einzug und aller prunk volle Glanz fiel fort, cs war eine stille Hochzeit im Kreise der nächsten Verwandten. Darum nahm aber das Volk um so innigere» Antheil an dem frohe» Ereignisse und wer nicht persönlich hinauseilen konnte, der war doch sicher mit seine,» ganzen Herzen und mit seinen Gedanken bei der Hochzeitsfeier zugegen. Schon in aller Frühe zogen zahlreiche Menschenmassen die Berlin-Charlottenburger Chaussee entlang dem Charlottenburger Schlosse zu. Die Berliner Straße in Charlvttenburg Prangte in Flaggenschmnck, zahlreiche Privatgebäude hatten es sich nicht nehmen lassen, auf diese Weise den im Laufe dos Vormittags von Berlin nach dein Schlosse sich begebenden Bräutigam und das nach dem Hochzcitsdiucr abrciscude fürstliche Paar zu begrüßen, was auch in beiden Fällen Seitens des dichtgedrängten, Spalier bildenden Publi kums durch brausende Hochrufe geschah. Bei der Auffahrt der ge ladenen hohen Gäste fiel besonders der englische Botschafter in Berlin, Sir Malet, in seiner scharlachrothcn Galauniform, eine weiße Schleife auf der linken Schulter, auf. Die Kronprinzessin «öffnete die Reihe der Mitglieder der Königlichen Familie und wurde enthusiastisch von der inzwischen auf Tausende angcwachsenen Volksmenge begrüßt. Der zweite Galawagen führte die Prinzessin Friedrich Karl dem Schlosse zu. Dann nahten in Begleitung einer Hofdame die drei ältesten Söhne des Kronprinzlichcn Paares, ganz in Weiß gekleidet; ferner der Prinz von Wales in der Uniform seiner Blüchcr'schen Husaren mit den Abzeichen eines Fcldmarschalls, der Großfürst Sergius von Rußland in der Uniform des Brandciiburgischcn Ulanenregiments Nr. 3; der Erbprinz und die Erbprinzcssin von Meiningen mit der kleinen Prin zessin Fcodora. Endloser, stürmischer Jubel begrüßte den in einer sechsspännigen Hofequipage mit Spitzreiter nahenden Kronprinzen, welcher zu Ehren seines Bruders die Uniform des Seebataillons trug. Der greise Feldmarschall Graf Moltke erschien in eigener Equipage. Kaiser Friedrich wohnte, was wir besonders hervorheben wollen dem ganzen Trauungsaktc in großer Geiieralnnifvrm bei. Der Kaiser sah frisch und munter aus und nahm bei Beginn des Akts auf ei»em der Sessel rechts neben dem Altar in der Schloßkapelle Platz, und zwar neben der Kaiserin-Mutter Angusta, welche vor Beginn der Trauerfeierlichkeit im Schlosse eingetrvffen war und sofort nach der Beendigung nach Berlin zurückkehrte, während der Kaiser sich in seine Gemächer verfügte. Ein erhebender, zu Thräncn rührender Akt war es, als kurz vor der durch den Oberstkäinmerer Grafen Stolbcrg-Wernigerode vollzogenen standesamtlichen Eheschließung der Prinz Heinrich von seinem kaiserlichen Vater in die Arme geschlossen und gesegnet wurde. Nicht minder ergreifend war der Augenblick, als die Kaiserin auf dem Haupte der Braut die Prinzessinnen-Krone befestigte. Die standesamtliche Eheschließung, welche im Kreise der königlichen Familie und der höchsten Herrschaften stattfand, nahm nur kurze Zeit in Anspruch, und kurz vor zwölf Uhr setzte sich der Zug der fürstlichen Herrschaften unter Voranlritt der obersten Hofchargen, an der Spitze das Brautpaar, in Bewegung. Vorherrschend war bei den Damen der höchsten Herrschaften bezüglich der gewählten Toi letten das Weiß mit reicher Gold- und Silberstickerei. Prinz Hein rich trug Marineuniform, dazu die Kette des Schwarze» Aoler- Ordens und das Band seines hessischen Ordens. Seine Sicherheit Suzon's Ende. Von Emil Peschkau. - Fortsetzung. Nachdruck verboten. Aber das Thor war verschlossen, er rüttelte nnd rüttelte, und dann riß eran der Glocke, daß es drohend durch die Nacht klang und er, von wahnsinniger Angst gepeitscht, wieder weiter rannte. Es war zn spät — es war zu spät — und warum jammern darüber? Hatte er nicht Alles versucht? Warum war sie nicht zurück getreten, wer hakte ein größeres Recht auf Mathieu? Gift gegen Gift, Trotz gegen Trotz — und jetzt war es gut, jetzt war Alles gut, jetzt war Mathieu gerettet, und nie, nie konnte er es erfahren, wer Snzon's Mörder war. Er hatte ihn wieder — sein Kind — seinen Mathieu — und Alles wollte er thun, um ihm das Leben leicht und de» Schmerz vergessen zu machen. Alles — Alles! War das nicht Mathieu's Stimme, die so drohend klang? Und was für neue Schatten, sür neue Schreckge stalten? Das ganze Zimmer erfüllten sie — Alles wurde dunkel — war das der Tod? Er nahm den Rest seiner Kräfte zusammen — er lebre noch — Alles war wieder fort — das Zimmer wie sonst — da der Schreibtisch — der eiserne Schrank — das Tisch chen mit Flasche und Gläsern. Kein Schatten — kein Spuk — aber die Stimme Mathieu's — gewiß, es war Mathieu, der um Hilfe rief. Und drohend richtete sich eine neue Schreckgestalt vor seinen verwirrten Sinnen auf. Er sah Mathieu — todt — mit blutendem Gesicht. Warum war Mathieu so still und ruhig, als er nach Hause kam? Warum sprach er so gleichmüthig davon, daß sie ihn betrogen hatte — daß sie seiner nicht wcrlh war? Wie ein Blitz schoß es durch seine Seele, waS er ihm gesagt hatte: „Wenn sic auch todt ist, sie wird mein Leben erhellen, ihr Bild wird immer um mich fei». Für mich ist sie nicht todt — aber, wenn Du Recht hättest — Wenn ich mich täuschte in ihr — dann wäre sic todt — und dann wäre mein Lebe» so arni, daß ich nimmer leben könnte." Ja — so hatte er gesagt — und es war sein Sohn, der das gesagt hatte. Er verstand ihn ganz — er wußte, was es heißt, so ein Bild in seinem Hirn durch'« Leben zu tragen. Es war sein Blut, sein eigenes Blut, das so sprach, aber es durste nicht geschehen, nein, nein. „Er wird sich tödlen, Mathieu, thu' es nicht!" schrie er auf, „schone Deinen Vater!" Dann tastete er sich nach der Thür, öffnete sie und schlich hiuans auf den Gang. Es war lodlenstill und draußen regte sich kein Lüftchen. Der Mund warf sein Licht herein, daß es wie Silber ans der Treppe lag und man alles scharf Umrissen sah, wie bei Tage. Dort oben — das war die Thür zn Mathieu's Zimmer. Die Auge» des Greises starrten nach dem weißen Schein, als müßten sie ihn durchdringen und Mathieu sehen können. War das nicht seine Stimme, war das nicht ein Hilferuf? Gerard fühlte plötzlich neue Kraft in seinen Gliedern, mit fast jugendlicher Hast — nur daß er sich an dem Geländer festhalten mußte — eilte er die zwei Treppenarme empor. Dann stand er wieder still und horchte, aber nichts regte sich — Mathieu muhte schlafen. Und doch schlief er nicht! Gerard halte jetzt das Ohr an die Thür gelegt und dabei hörte er deutlich das Geräusch einer über das Papier fliegenden Feder. Mathieu schrieb. Was konnte er schreiben, als einen Abschicdsbricf? Mit einem raschen Griff war die Thür aufgerisscn, und nun sah er Mathieu am Schreibtisch und neben ihm lag ein offenes Etui, das zwei Pistolen enthielt. „Du willst Dich schlagen, Mathieu?" schrie er auf. Mathieu sah sich erstaunt um und dann stand er auf nnd führte den Vater zu einem Stuhl. „Du hier, Vater — so spät in der Nacht —" „Du willst Dich schlagen?" „Nein." „Schwöre mir —" „Ich schwöre es." „Dann willst Du Dich tödlen, Mathieu l" „Warum sollte ich mich tödlen?" „Weil Dir die Welt verleidet ist. Weil Du sie nicht mehr 'ehen willst, die Betrügerin —" „Laß das, Vater!" „Nein, Mathieu, Du darfst nicht sterben, Du darfst so nicht enden. Denke, was ich ertrug, und Du — Du — dem das Leben blüht, der erreichen wird, was ich nicht erreichte — Mathieu, Du darfst nicht sterben. Ich weiß, ich weiß — Du kannst nicht leben mit diesem Bild vor Dir — aber inan hat Dich getäuscht — es ist nicht wahr — sie war rein, rei» wie ein Engel —" „Du selbst, Vater, hast erzählt —" „Daß ich Dcsaris sah — ja — aber ich übertrieb — er kam und ging sofort wieder — so schnell, wie kein Liebhaber geht —" im Auftreten, der wohlwollende Ernst in seinen Gesichtszügen fanden ihre Ergänzung in der jungfräulichen Befangenheit der Prinzessin Irene, in ihrem holden Lächeln. Die Braut erschien im bräutlichen Gewände von weißem Moir6 antique. Mieder und Rock waren be setzt mit edlem Geschmeide und alten Spitzen, besteckt mit Orange- blüthen und Myrthenzweigen; durch das Haar zog sich der Myrthen- kranz, welcher den lang herabwallenden Schleier hielt. Aus Orange- blüthen, weißen Rosen und Myrthen setzte sich auch der spitzenbe kränzte Brautstrauß zusammen, den die Prinzessin in der Rechte« trug. Die Kaiserin hatte eine kostbare Robe von perlgrauer schwerer Seide mit gleichfarbiger Schleppe gewählt und trug das große Band und den hohe» Orden vom Schwarzen Adler in Brillanten. Die volltönende Orgel der reichgeschmückten Kapelle hatte, als der fürstliche Zug nahte, ein Präludium angestimmt und beim Eintritt des hohen Brautpaares wurde dasselbe vom Oberhofprediger Or. Kögel und den beiden assistirenden Geistlichen, Obcrpfarrer Mül ler aus Charlvttenbnrg und Prediger Persius aus Potsdam, empfan gen und sodann zum Altäre geleitet. Nach dem Gesänge des „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren" folgte die Traurede. Der Bibeltcxt war: „Ev. Joh. Kap. 14, Vers 27. Den Frieden lasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch!" Oberhofprediger vr Kögel begann seine Rede mit den Worten: „Nach Tagen tiefer Trauer, banger Sorgen grüßt unser Königshaus einen Maientag voll Glück und Glanz, Ihre Herzen, innigster Neigung einander zugehörig, wer den vor Gottes Angesicht den Bund mit Trauring und Trauschwur besiegeln." Der Geistliche erinnerte dann an de» bedeutsamen Namen der hohen Braut, berührte den bevorstehenden Lebensweg des hohen Brautpaares, wiederholt in den Wendungen der Traurede auf den Beruf des Bräutigams hinweisend und schließlich auf die Hoffnungen des ganzen Volkes aufmerksam machend. Nach einem Gesänge des Domchores erfolgte das Wechseln der Ringe; der dienstthuende Flügel adjutant gab der in der Umgebung des Schlosses aufgestellten Artil lerie das Zeichen und diese feuerte in drei kurzen Zwischenpausen je 12 Kanonen-Salutschüsse ab. Nach dem Wechseln der Ringe seg nete Oberhofprediger vr. Kögel den Ehcbund ein und crthellte zum Schluffe den Segen. Mit dem Gesang des „Ach bleib' mit Deinem Segen" und des „Hallelujah" von Händel schloß die Feier. Während die Gemeinde den ersten Gesang anstimmte, öffnete sich lautlos die Thür der Kapelle und herein trat der Kaiser. Sein Antlitz war begreiflicherweise etwas bleich, doch schaute er frisch und munter drein. Seine Bewegungen zeigten keine wesentliche Ver änderung gegen das frühere Auftreten. Der Kaiser trug die gestickte Generalsuniform, das Band des hessischen Ludwigs-Ordens, die Ketten des Schwarzen Adler-Ordens, Hoscnband-Ordens und Hohen- zollern'schen Hausvrdcns. Als der Kaiser eintrat, beugte er sich vor seiner Mutter nieder und küßte deren Hand. Dann ließ er sich mit freundlichem Lächeln an der Seite seiner Gemahlin nieder und lauschte aufmerksam der Tranrcde. Als der Moment des Ningewechselns ge kommen .war, machte er mit einer kurzen Handbewcgung den Bräutigam darauf aufmerksam, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, niederzuknicen. Hinter dem Kaiser stand ein Kammerdiener, der ihm Luft zufächelte. Der Kaiser umarmte dann nochmals de» Prinzen und zog sich hierauf zurück. Der Zug kehrte »ach beendeter Ccrcinonie in seiner bisherigen Ordnung in den sogenannten blauen Salon zurück, wo zuerst die fürstlichen Herrschaften dem Neuvermählten Ehepaare ihre Glückwünsche darbrachtcn, und dasselbe eine Defilier-Cour der übrigen cingeladenen Gesellschaft entgcgcnnahm. Sodann folgte die Galatafel in dem prachtvollen Speiscsaale des Schlosses. Im Aufträge des Kaisers brachte Kronprinz Wilhelm, nachdem die Suppe gereicht worden war, den üblichen Toast auf das Neuvermählte Paar aus. Nachdem so dann von der Oberhofmeisterin Freifrau von Seckendorf das „Strumpf band" (mit dem Monogramm des Ehepaares und dem Datum, ver sehene Seidenstrcifcheii) vertheilt worden war, zog sich das hohe Neuvermählte Paar in seine Gemächer zurück, um Reisetoilette zu Mathieu lächelte traurig. „Bemühe Dich nicht, Vater — es ist doch vergebens." „Warum sollte es vergebens sein?" „Weil mir der Polizeipräfekt einen Brief zeigte." „Von Suzanne?" „Von ihr. Es war ein angefangener Brief, den sie nicht ab- sendcte." „An Desaris?" „Ja, an Desaris. Sie zerriß ihn und man fand die Stücke in dem Ofen." „Und dieser Brief?" „Herr Favarolles las ihn mir vor." „Du sahst ihn mit eigenen Augen?" „Und es ist ein Liebesbrief?" „Ja — und nein. Sie schrieb ihn in der Nacht — vor ihrem Tod." „Vor ihrem Tode — und was steht in dem Brief — schnell, Mathieu, sprich." „Sie schreibt von einem Zwiespalt, in dem sie keine Ruhe findet. Sie kann nicht schlafen vor Erregung — sie ist rathlos — weiß nicht, was sie thun soll." „Und nichts von Liebe?" „Eigentlich nicht. Aber das Alles ist ja so deutlich — der Zwiespalt zwischen Herz nnd Gewissen —" „Zwischen Herz und Gewissen — ja, ja — zwischen mir und Dir." „Was soll das, Vater?" „Du glaubst, daß sic zwischen Dir und Desaris schwankte?" „Natürlich. Und D» selbst erzähltest von dem Besuche Desaris' kurz vorher — das Alles stimmt zusammen." „Wenn es aber doch anders wäre?" „Es ist unmöglich." Der Alte sank plötzlich in die Knie und faltete die zitternden Hände wie zum Gebet. „Schwöre mir, Mathieu, daß Du leben wirst, wenn Suzanne schuldlos ist." „Ich schwöre es, Vater." „Tu wirst nicht sterben — was auch sonst über Dich komme?" »Ich schwöre es. Aber wozu das Alles?"