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DRESDNER 6. ZYKLUS-KONZERT 1965/66 Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1965/66 - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Förster Redaktion: Dr. Dieter Hartwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 39/23 III 9 5 1,3 266 It G 009/5/66 schlafen, und träumerisch findet er sein Liebchen nicht; endlich klagend kehrt er selber um. Finale: Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Zaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; wie bei ,Tannhäuser 4 im zweiten Akt der König kommend, so als der Deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist alles schon im Glanze. Im Finale ist auch der Totenmarsch und dann (im Blech) die Verklärung.“ Das solchermaßen in Worten fast unbeholfen Gestammelte erhebt sich in der Musik weit über die naive Bildhaftigkeit der Erklärungen hinaus. Der erste Satz (Allegro moderato) wird mit dem sogleich einsetzenden, sich aufreckenden Thema ausdrucksmäßig umrissen: eine düstere, unheimliche Gespanntheit wird wach. Das motivische Material dieses ersten Themas hat in der ganzen Sinfonie tragende Bedeutung. Ein trostvoller Gedanke im Streicherpiano bildet das zweite Thema, während sich das dritte aus Elementen des ersten und zweiten zusammensetzt. Der musikalische Verlauf des ersten Satzes ersteht aus mystischem Dämmern und versinkt nach wildem Aufbegehren wieder in die resignierende Anfangsstimmung (Coda), in das gespensterhafte Klopfen der „Totenuhr“ (nach Bruck ner), realistisch dargestcllt von Pauken und gezupften tiefen Streichern. Der erste Satz - bei Bruckner eine Besonderheit - verklingt im Piano. Erstmalig hat der Komponist in der „Achten“ das Scherzo (Allegro moderato) an die zweite Stelle des sinfonischen Zyklus gerückt (wie auch in seiner „Neunten“ wiederum). Sicherlich wollte Bruckner damit die tragische Grundstimmung des ersten Satzes auf lockern. Doch auch das Scherzo wird weithin von düsteren Partien getragen, kein Bcct- hovenscher Kampfgeist kommt auf. Bruckners „deutscher Michel“ scheint sich mit manchen teuflischen Anfechtungen herumzuschlagen. Das ihm zugeschriebene Thema, von den Hörnern angekündigt, von den Bratschen und Celli ausgeführt, hat etwas behäbig Schwer fälliges, zugleich aber auch etwas trotzig Eigensinniges. Im Trioteil waltet idyllisch melodienselige Romantik. Mit kraftvoller Selbstbehauptung schließt der wiederholte Scherzohauptteil. Nach dem urwüchsigen Scherzo bringt die ruhevolle, feierliche Weihe und Weite des Adagios einen wunderbaren Gegensatz. Dieses Adagio, das Bruckner selbst für seinen bedeutsamsten sinfonischen Satz gehalten hat, ist die eigentliche geistige Mitte der ganzen Sinfonie und umschließt ihr tieferes Anliegen. Über Streichertrioien erklingt das Haupt thema in sanfter Gelassenheit und schmerzlicher Bewegung. In aller Breite werden natur- haftc und religiöse Stimmungen mit geradezu inbrünstiger Ausdruckskraft, ja Versunken heit gestaltet. Seelische Spannungen und Entspannungen gleichen sich glücklich mit einander aus. Einen tragischen Grundton bringt das Hauptthema des ersten Satzes. In Bruckners letztem Finale sind alle sinfonischen Kräfte nochmals aufgeboten. Kunst vollster Aufbau (Themenverknüpfung!) verbindet sich mit differenzierter Erlebnisfähig keit und bezwingendem Gcfühlsrcichtum. Kraftvoll stimmen Hörner und Posaunen das Hauptthema an, aus dem sich die anderen thematischen Gruppen herauslösen, choral artige Festlichkeit und Andacht zugleich schaffend. In der Coda erscheinen, auf der Kraft des Final-Hauptthemas beruhend, die Hauptthemen des ersten, zweiten und dritten Satzes mit dem des vierten kühn übcreinandergeschichtct. Das Michel-Thema überstrahlt alles sieghaft. In strahlendem, machtvollem C-Dur verklingt die Sinfonie, in ihrer humanisti schen Endlösung und’ Sinngebung weit über Bruckners Anmerkungen über den Ent- stchungsanlaß des Finales (Kaiserzusammenkunft) hinausreichend zur Botschaft vom Siege des Lichts über die Nacht. Dr. Dieter Härtwig aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren. Kurz, cs war ein Triumph, wie ihn ein römischer Imperator nicht schöner wünschen konnte.“ Man hat die 8. Sinfonie Bruckners die „Krone der Musik des 19. Jahrhunderts genannt. Tatsächlich ist das Werk mit seiner ungewöhnlichen Spieldauer von 80 Minuten, der ver stärkten Instrumentalbesetzung (acht Hörner, vier Tuben, dreifaches Holz und im Trio sowie im Adagio Harfe „womöglich dreifach“) eine der gewaltigsten Sinfonien, die je geschrieben wurde. In Bruckners sinfonischem Schaffen nimmt die „Achte“ eine Aus nahmestellung ein: die Architektur ist ins Riesenhafte gesteigert, der Stil wahrhaft monu mental und der Aufbau schwer zu überblicken. An die Aufnahme- und Konzentrations fähigkeit des Hörers werden höchste Anforderungen gestellt. Selbstverständlich ist bei einem Meister wie Bruckner die souveräne Beherrschung des gewaltigen Klangkörpers, mit dem sowohl geballte, massive Wirkungen wie auch zarteste Stimmungen und Farbtöne erzeugt werden. Mit der ihm eigenen liebenswerten Naivität gab der Komponist (in einem Brief an Felix Weingartner) kurze Erläuterungen zum Inhalt seines Werkes, die durchaus einen Weg zum Verständnis der Ricsensinfonie weisen: „Im ersten Satz ist der Trompeten- und Cornisatz aus dem Rhythmus des Themas, die ,Todesverkündigung 4 , die immer sporadisch stärker, endlich sehr stark auftritt, am Schluß ,die Ergebung 4 . Scherzo: Hauptthema, Deut scher Michel genannt; in der zweiten Abteilung (NB das Trio ist gemeint) will der Kerl ANTON BRUCKNER