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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»- Preis 22 z Sgr. <; Thlr.t viertellährlich, Z Tblr. sür LaS ganze Iabr, ohne Er höhung, in allen Theilen Ler PreuSische» Monarchie. Magazin für Vie Man pränumeriri auf dieses Beiblatt ter AUg. Pr. Staais- Aeitung in Berlin in der Expedition «Mohren-CtraSc No. Z4l; in der Provinz so wie ini Auslände dei den Wol Ilöbl. Post - Aemtcrn. Literatur dks Auslandes. ^4/ Berlin, Mittwoch den 29. Juli 18»A Rußland. Die Russische Literatur zu Anfang des Jahres 183t. Bon N. I. Gretsch. An einen in Paris ledenden Russen. Sie lieben die vaterländische Literatur und beschäftigen sich eifrig mir derselben. Dies habe ich aus dem Französischen Journal ersehen, in weichem Ste eine „Ucbersichl der Russischen Literatur" miizulhciicu versprachen. Ich bin überzeugt, daß Sie Ihren Plan auf eine des Gegenstandes würdige Weise äussühren und zur Aufklärung der Fran zose» in Hinsicht der Kennluiß von unserem Balcrlande beilragen wer den. Da aber wahrscheinlich nicht alle Russischen Werte zu Ihnen ge langen, so denke ich mir, daß einige Details über den gegenwärtigen Stand unserer literarischen Welt Ihnen nicht ganz unnütz, vielleicht sogar angenehm scvu dürften, und ko sic. daß Sie nicht ermangeln wer den, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, indem Sic uns über den Kreis, in welchem Sic bereits mehrere Jahre leben, einige Auskunft ertheilcn. Besonders interessant würde es uns scv», einige Details über die gegenwärtigen Heroen der Franchsischrn Literatur zu erfahren. Schil dern Sic uns dadcr Lamartine, Delavigne, Hugo. Nadier, Dumas, die Herzogin von Abranles, Janin, Balsac; demäskiren Sie den Biblio philen Iacob mit Büchel Raimond. Meinerseits vermag ich freilich nicht, Ihnen einen solchen Uedcr- flnß an Materialien und Personen darzubielm; doch werden meine Nachrichten gewiß Ihrem Herzen mehr zusagcn: denn ich werde von Rußland und von de» Russen sprechen. Es ist rin irriger Glaube, daß die Liebe zum Baterlande sverstckt sich, bei dem erwachsenen Menschen) mit der Eulfccmmg von der Heimalb abnchme. Im Gcgenthcil, die Gegenstände, welche der Raum von uns trennt, wirken auf uns in dem Maaßc, als die Zeit vergebt; in ter Ferne verschwinden ibrc kleinen Mängel, sie erscheinen unserem Bersiande und unserer Pvantasic in ihrem ganzen Umfange in vollendeter Gestalt, sic machen aus unsere Seele nur einen guten, man Mächte sagen milde» Eindruck,-und dieses woblthucnde Gefühl wird in Ihre» Augen die Mängel meines Gegen standes ergänzen. In der Thal Kat unsere Literatur noch nicht die Stufe erreicht, auf welcher wobt jeder gute Patriot dieselbe zu sehen wünschte. Wir haben »och keine eigene literarische Well; »ne Wenige beschäftige» sich bei uns ausschließlich mit der Literatur, lcbrii gleichsam für die Litera tur. Junge Leute, der Fesseln der Schul-Weisheit und Schul-Pe danterie noch nicht ganz entledigt, versuchen wohl, bei ihrem Eintritte in dic Welt, ihre Kräfte, lassen aber, wenn der erste Bersuch nicht so gleich glänzenden Erfolg Hal, bald den Mutb sinken, beklagen sich über die Gleichgültigkeit und Geschmacklosigkeit des lesenden Russischen Pu blikums, und ein großer Theil derselben weihet sich daher dem Dienste, in welchem man einen reellere» Lob» schneller erlangen kann, während ein anderer Tbcil dieser verwunderen Kämpfer in dic Kohorte nicht der schreibenden, sondern ter redende» Ovvosilion cmtritt, welche Alles schmäht, Alles tadelt. Es.gekört eine ungewöknlichc Scelenstärke, glühende Leiden schaft sük dic schönen Wissenschaften, unverlöschliche Liebe für Kunst und Wissenschaft überbaust dazu, nm sich ans der mit Disteln und Dorne» bcsäcirn Lausbabn des Literaten sorljumüben. Dem Poeten, dem Literaten ist durchaus ein kräftiges Pflichtgefühl voupölben, um sich mit dem Lohne, welcher ihm für seine Aufopferungen und Leistun gen, wird, zu begnügen. Tretet mit Eurer Seele, Euren Werken hin aus in die Welt! — sic kennt Euch nicht! — Man sagt Euch zwei, auch drei Artigkeiten, aus denen Ihr bald entnehmt, daß der halb kul- tivirte Komklimentenschueider Eure Werke nicht gelesen hat und Euch nur nach Hörensagen lobt. Hort nur dic Urtheile und Lobeserhebung«, eine Stufe tiefer: man preist «Luch jus Gesicht die Stellen Eures Wer kes, welche Ihr am liebsten aus immer aus dem Buche und aus Eurem Gedächtniß vertilgen möchtet; — die Gedanken, die Bilder, die Em pfindungen aber, welche Ibr in lichten Momente» höherer Eingebung geschaffen, welche Ihr Euer ganzes Leben hindurch, wie die Muschel die kostbare Perle, änii Euch Kerum getragen habt — das sind Schätze, über die man binwegscblüpfl, wie über die glatte Außenseite eines la- kitten Ehincsischc» Monstrums! Selten und nnvermutbet hört der Rus sische Poet das Echo seiner Lieder! Aus irgend einem dunkle» und ent legenen Winkel erschallt allenfalls ein mattes: „Ich versiehe! ich fühle es!" — „nd diese einzelne Stimme, zuweilen auch wohl ei» Gedänkc, welchen vielleicht jene Stimme irgendwo laut gicdt, das ist Alles, was unser Gefühl, unsere Pbantasie und Talente als Nahrung erkalten. Soll mau hiernach nicht die Schriftsteller anderer Länder beneiden, de ren Werke das ganze Vaterland kennt, denen der Beifall aus den Lo gen, aus dem Parterre und — sogar aus dem Paradiese entgcgen schallt? Wer aber kennt hier die Richtung, welcher die wahre Kritik so wie das wahrc Talent folgen sollen? Man muß aber auch zu Gunsten jener gefährliche» Nebcnbuhlcr cingestehen, daß sic ihre Er folge, ihre Lorbeern mit schwerer Mühe, langjährigen Studie», unermüd lichem Ficiße, mit Aufopferung ihrer Gesundheit, ja, zuweilen sogar ihres Lebens erkaufen. Wir Sünder dagegen bemühen uns ungefähr so, wie die Klasse unserer Fabrikanten, die mit ihren leichten fragilen Erzeug nissen die Astatischen Märkte versorgt. Das entsteht iuid vergeht! Wir haben uns auch mit der Literatur »och nicht ernstlich, thätig, ausdauernd, wie mit einem für das Vaterland wichtige» Gegenstände beschäftigt, sondern bisher mit den schönen Wissenschaften nur wie mit Kegeln gespielt. Doch genug, kommen wir zur Sache selbst. Erst seit kurzer Zeit beachte die literarische Beschäftigung bei uns wesentliche Vorteile, d. b. Geld, und noch gar nicht lange ist cs her, daß ein Buch drucken oder ein Journal hcrausgcben des Druckers oder Buchhändler» Schuldner werden hieß. Heutzutage dringt doch dic ausdauernde Beschäftigung mit einem oder dem änderen Zweige der schönen Wissenschaften und Künste bleibenden und sicheren Gewinn, und das ist für das Forlschrcitcn der Literatur sehr wichtig. Man beurthcilt bei uns freilich Manches höchst sonderbar! — So hält man es nicht für unanständig oder unerlaubt, sondern gewissermaßen sür unbequem, sich des Geldes wegen mit den Künsten oder schönen Wissenschaften zu quälen! Aber wer in der Welt ihm etwas umsonst? Der Feldherr, der Minister, der Prälat, der Banquicr erhalten Besoldung, Geld sür ihre Anstrengungen, einen ehrenvollen und anständigen Sold, wenn derselbe durch wahre Verdienste erworben ist. Mit der Feststellung sicherer, den Anstrengungen angemessener Botthcile sür eine stätc Be schäftigung mit den schönen Wissenschaften bildet sich auch bei uns eine besondere Gesellschaft von Gelehrten und Litcratorcn, dic ibr ganzes Leden der Bearbeitung irgend eines für die Menschheit im Allgemeinen oder für das Vaterland insbesondere wichtigen Gegenstandes widmen wer den. Nach Maßgabe der wachsenden Liebe zur Lektüre und zu den Wissenschaften, wird auch die Achtung sür den Gelehrte» und Literalen, so wie für den Menschen und Bürger zuncbmcn, man wird nicht mehr sragen: „Ist er Kollegien- oder noch Hofrath" tc ? oder: „Wie kann man den Wladimir-Orden 4tcr Klaffe einem Beamten dcr litten Klasse gebe», dessen Talente die eines Eamuccini und Gerard übertreffen ?" — Unsere Regierung tkul wirklich alles Mögliche, uni den Sin» für Künste und Wissenschaften auf jede Weist zu bilden, zu befestigen und zu heben; wir aber 'müssen Liefe wohlwollenden Absichten erkennen und der Aus führung derselben auf halbem Wege eutgcgenkommc»! Sic sehe» hier, verekrtester Iakob Nikolajewitsch, unsere Mängel, unsere Klagt«, unsert Wünsche und unsere Hoffnungen. Dvch diese Mittbcilungm haben Sie von mir nicht verlangt. Sie wollen Rechenschaft von den neuesten Russische» Erzeugnisse», habe» und mit Ihrer Erlanbmß werde ich Ihnen, was ich weiß und was ich kann, schreiben Ich bitte nur, nach dem Obengesagicn nicht über die Arminh unseres Vaterlandes an Materialien zu klagen und von mir nicht die Schärst des Urthcils zu verlangen, au Lie Sie in Lem Pariser Treibe» gewöhnt sind. Die Dürftigkeit kann nicht zu großr Auswakl bieten! Wenn wir indessen nicht durch dic Quantität unserer Produkte den EourS der Russischen Bildung an der Europäischen Börse seststellcn könne», so dürsten doch cinigc derselbe» durch ihre Qualität den Nothschildcn Ihrer Literatur nicht viel nach- gebt». Den Reigen unserer lüchiigsicn Poeten führen Krüloff und Pusch kin. Nur Schade, daß ihnen Repttiloffs Rezept: „Schreiben! Schrei ben! Schreiben!" beizubringen unmöglich ist. Krüloff giebt selten seine neuen Fabeln heraus und nur fünf derselben sind in dcr Nowosselje") abgcdruckt worden. Krüloff bat, als Mann voll Verstand, zu wenig Selbstvertrauen und traut nament lich seinen vorgerückten Jahren »ich! mehr genug zu; doch scheint mir diese Aengstlichkeil sehr "unnütz. Seines poetischen Talentes gar nicht zu gedenken, muß jeder leicht erkennen, daß dic Art seiner Dichtung, weniger als jede andere, Lem Einsiuffe der Jahre unterworfen ist. Phantasie, Gesübl, die lvrischc Flamme können mit de» Jahre» erlöschen, aber Beobachtungs-Geist. Verstand, dcr Reiz der Erzählung altern nicht in deM talentvollen Manne. Puschkin, unser Proteus der schönen Wissenschaften, wunderlich. ') llnnneo-tt>e. «in fauch in Liesen Blättern zur gci» besprochenes) im Jahre lM iu St Petersburg erschienenes tetletregisches Werk, zu welchem mehrere der ausgezeichnetesten Schriftsteller Rustlands Aufsätze geliefert haben, im Genrb-cs l-irro <le, Cent et UN, ..