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Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für dis nächster- scheinende Nummer bis nachmittags g Uhr des vorhergehenden Tages. Expedition: Waldenburg, Kirchgaffe 255. nnd Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 25 Pf. Einzelne Nummern 5 Pf Inserats pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Filial-Expedition in Altstadtwaldenburg: bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. ^274. Sonntag, den 23. November 1834. Das Leben gleichet einer Himmelsleiter Dem Einen lang, dem Andern kurz gestellt, Auf der die Menschenkinder steigen weiter Von diesem Erdenthal zur bessern Welt. Die schönen Tage süßer Ruh' und Frieden, Der stille Sabbath, heil'ae Tag des Herrn Sind goldne Himmelssprossen uns hienieden, — Ach wenn doch Viele sie beträten gern! — Drei Stationen winken uns entgegen Auf dieser Reise in das ferne Land: Die hohen Feste mit des Vaters Legen, — Ach wenn ihn Viele immer doch erkannt! Die letzte Sprosse aber in dem Jahre, Sie ist so dunkel, grauenhaft und kalt, Erinnert vorwurfsvoll an Grab und Bahre Und mahnt den frommen Wanderer zum „Halt"! — "Waldenburg, 22. November 1684. Die erste Session der neuen Legislaturperiode des ! Reichstages ist Donnerstag Mittag '/s2 Uyr im weißen Saale des königlichen Schlaffes zu Berlin durch unseren Kaiser in Person eröffnet worden. Etwa 200 Abgeordnete aus fast allen Fraclionen waren an wesend. Die Uniform herrschte überwiegend vor. Um 1'/r Uhr erschienen, geführt von dem Fürsten Bismarck und dem bairischen Bundesralhsbevollmäch- tiglen, Frbrn. von Lerchenfeld, die Mitglieder des Bundesratbes und nahmen zur Linken des Thron- sesiels Ausstellung. Fürst Bismarck benachrichtigte den Kaiser, daß Alles zu seinem Empfang bereit sei. Hinter dem Hosmarschall erschien darauf der Kaiser, gefolgt vom Kronprinzen, dem Prinzen Wilhelm, Prinzen Friedrich Karl, Albrecht und Georg und eincr zahlreichen Suite, begrüßt von einem dreifachen vom Grasen Moltke ausgebrachten Hoch. Mit erfreulicher Leichtigkeit erstieg der Kaiser die mit purpursammelnem Teppich belegten Stufen des Thrones, während die Prinzen und das Gefolge auf der Rechnen sich aufstellten. Dreimal verneigte sich der Kaiser vor der Versammlung, bedeckte dann sein Haupt mit dem Helm und verlas mit lauter vernehmlicher Stimme folgende aus den Händen des Reichskanzlers entgegengenommene Thronrede, deren Schluß mit sehr lebhaftem Beifall entgegengenommen wurde: Geehrte Herren! Ich freue Mich, daß es Mir vergönnt ist, Sie selbst zu begrüßen, und heiße Sie im Namen der verbündeten Regie rungen willkommen. Es gereicht Mir zu besonderer Gsnugthuung, daß die Wünsche, welche Ich in Meiner Botschaft vom 17. November 1881 an dieser Stelle kundgegeben, seitdem auf dem Wege zu ihrer Erfüllung wesentlich Fortschritte gemacht haben. Ich entnehme daraus am Abend Meines Lebens die Zuver sicht, daß der stufenweise Ausbau der begonnenen Reform schließlich gelingen und für den inneren Frieden im Reiche die Bürgschaften Herstellen werde, welche nach menschlicher Unvollkommenheit erreichbar sind. Unsere nächsten Schritte in dieser Richtung werden in der Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Arbeiter der Landwirthschaft oder des Transportwesens und in der Er weiterung der Sparkaffeneinrichtung bestehen, wofür die Vorlagen Ihnen zugehen werden. Der Entwurf des Reichshaushaltsetats für das nächste Jahr wird Ihnen unverweilt vorgelegt werden. Die Fort entwicklung der Einrichtungen des Reichs bedingt naturge mäß ein Anwachsen seiner Ausgaben. Sie werden hierin mit Mir eine Mahnung erkennen, neue Einnahmequellen für das Reich zu erschließen. Der Versuch, der Rübenzucker steuer im Wege der Reform höhere Reinerträge abzugewin nen, wird für jetzt durch dis Nothlage der betheiligten In dustrie und der in Mitleidenschaft stehenden Landwirthschaft erschwert. Die Herstellung des einheitlichen Zoll- und Handelsge bietes im Reich ist durch Verständigung mit der freien Hansestadt Bremen vorbereitet und wird die Bewilligung eines Beitrages hierzu Ihnen zur Beschlußnahme vorgelegt werden. Im Anschluß an den revidirten Gesetzentwurf wegen «Aur Todtenfeier. Am stillen Todtenfeste traurig wallen Viel Pilger mit mir zum Cypressenhain, Wenn von den Bäumen welke Blätter fallen, Bedenkend, 's könnt der letzte Herbst wohl sein. Wie bald deckt mit dem weißen Leichentuche Der Winter auch manch frühes grünes Grab! Wie bald steht mancher in dem großen Buche, Wenn plötzlich ihm entfällt des Lebens Stab! Da fragst Du: Was ist droben, was auf Erden? Wär' Eins vom Andern Abbild doch vielleicht? Ja könnte je aus Erde Himmel werden! Dann wäre unser höchstes Ziel erreicht. Nähm' Stolz und Haß, nähm' Neid und List ein Ende, Und würde Jeder gleich dem Gottessohn, Reicht, wie die Friedensengel euch die Hände, Dann wär' des ew'gen Glückes Anfang schon. Subvention unserer Dampfschifffahrt werden Ihnen Mitthei- lungen über die unter den Schutz des Reiches gestellten überseeischen Ansiedlungen und dis darüber gepflogenen aus wärtigen Verhandlungen zugehen. Wenn diese Anfänge colonialer Bestrebungen nicht alle Erwartungen, die sich daran knüpfen, erfüllen können, so werden sie doch dazu beitragen, durch Entwickelung der Handelsverbindungen und durch Belebung des Unternehmungsgeistes die Ausfuhr unserer Erzeugnisse dergestalt zu fördern, daß unsere In dustrie zu lohnender Beschäftigung ihrer Arbeiter befähigt bleibt. Im Einverständniß mit der französischen Regierung habe Ich Vertreter der meisten seefahrenden Nationen hierher be rufen, um über die Mittel zu berathen, durch welche der Handel mit Afrika gefördert und vor Störungen durch internationale Reibungen gesichert werden kann; die Bereit willigkeit der betheiligten Regierungen, Meiner Einladung zu entsprechen, ist ein Beweis der freundschaftlichen Ge sinnung und des Vertrauens, von welchem alle Staaten des Auslandes dem deutschen Reiche gegenüber erfüllt sind. Diesem Wohlwollen liegt die Anerkennung der Thatsache zu Grunde, daß die kriegerischen Erfolge, die Gott uns ver liehen hat, uns nicht verleiten, das Glück der Völker auf anderem Wege als durch Pflege des Friedens und seiner Wohlthaten zu suchen. Ich freue Mich dieser Anerkennung und besonders darüber, daß die Freundschaft mit den durch die Tradition der Väter, durch die Verwandtschaft der regie renden Häuser und durch die Nachbarschaft der Länder Mir besonders nahestehenden Monarchen von Oesterreich und Rußland durch Unsere Begegnung in Skierniewice derart hat besiegelt werden können, daß Ich ihre ungestörte Dauer für lange Zeit gesichert halten darf. Ich danke dem all mächtigen Gott für diese Gewißheit und für die darin be ruhende starke Bürgschaft des Friedens. Der Reichskanzler erkiärle darauf den Reichslag für eröffnet, und dann ertönte ein abermaliges be geistertes Hoch. Als der Kaiser die Stufen des Thrones hinabschritt, strauchelte er auf der unter sten, da sich der Teppich etwas verschoben hatte, hielt sich aber erfreulicherweise kräftig aufrecht. Einer augenblicklichen Bestürzung der Versammlung folgte tiefe, dankbare Freude. Mit freundlichem Lächeln verneigte sich der Kaiser abermals und verließ darauf mit den Prinzen den Saal, der sich nun langsam leerte. Bei der Thronrede wird es sichtlich bemerkt, daß daselbst von der Arbeileraltersversorgung ebenso wenig die Rede ist, wie von der Art und Weise, auf welche das Deficit ersetzt werden soll. Ebenso wird beachtet, daß bei den Colonieen nicht vom Ackerbau geredet wird. In diesen drei Punkten legt sich das Schriftstück eine sichtliche Reserve auf. Volle Zustimmung findet der Passus, welcher sich auf die auswärtige Politik bezieht. Eine wesentliche Klärung zur Thronrede werden also erst die Reichs tagsverhandlungen geben. Ausgefallen ist, daß die Abgq. Windlhorst und von Schorlemer, die sonst nicht zu fehlen pflegten, diesmal der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnten. Doch Stückwerk nur ist unser alles Wissen, Der Menschen Weisheit führt zum Lichte nicht; Hier wandeln wir noch tief in Finsternissen, Wenn der Allwissende nicht in den Herzen spricht. Ach höre ihn, wenn Stürme Dich umtoben, Und wenn Dir Freude lächelt, höre ihn! Was in Dir spricht, das spricht Dein Gott von oben, Drum folge, ohne schwankend zu verstehn! Ja, Dein Gewissen ist der Sprecher; neige Nur lauschend hin zu ihm Dein offnes Ohr, Damit Dein Fuß von breiter Bahn abweiche, Denn diese führt nicht an des Himmels Thor. Die Seligkeit in Gottes Engelskreise Ist unsrer Pilgerschaft ersehnter Bord, Drum, Mensch, durchwandre Deine Laufbahn weise Und lebe fromm hier, daß Dir's wohlgeht dort! Ariedrich Hüudel. "Waldenburg, 22. November 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm nahm am Freilag Vormittag verschiedene Vorträge entgegen und stattete dann der Kronprinzessin einen längeren GeburtSiagS- Gralulationsbesuch ab. Nachmiltags 1 Uhr begab sich der Kaiser in die russische Botschaft, um die Großfürstin Wladimir von Rußland zu begrüßen. Nach der Rückkehr von einer Spazierfahrt erlheilte der Kaiser dem braunschweigischen Gesandten Or. von Liebe die nachgesuchte Audienz und wohnte dann der Familientafel im kronprinzlicheu Palais bei. Eine besonders sympathische Besprechung findet die Thronrede in den Wiener Blättern. Nament lich gilt sie als eminente Friedensbotschaft. Das Regierungsorgan, das „Wiener Fremdenbtatt", sagt: Ruhmreicher Sieger in weltbewegenden Kämpfen, Schöpfer eines dominirenden Reiches, hat Kaiser Wilhelm den schönsten Herrschertriumph darin ge funden, seiner Nation und dem Welttheil den Segen des Friedens zu bringen, diesen Frieden im Reiche und in Europa zu begründen und ihn gegen Stö rungen und Gefahren zu sichern. — Die „Neue Freie Presse" macht besonders auf das gute Ver- hältniß zwischen Deutschland und Frankreich auf merksam, während „Presse", „Wiener Allg. Ztg." und „Wiener Tgbl." aus die afrikanische Conferenz Hinweisen. Alles in Allem ist die Aufnahme der Thronrede eine sehr gute. Fürst Bismarck soll es, wie man der „Schief. Ztg." bestem Vernehmen nach aus Berlin meldet, abgelehnt haben, dem Reichstage eine Vorlage betr. die Errichtung der überseeischen Bank zu machen. Er will jedoch abwarlen, ob aus dem Reichstage heraus nicht eine Anregung hierzu oder ein selbständiger Antrag auf Errichtung einer solchen Bank an ihn gelangen wird. Der Vorstand deutscher Müller hat beim Reichsversicherungsamt einen Antrag auf Berufung einer Generalversammlung behufs Bildung einer freiwilligen Berufsgenoffenschaft für die Mehl-, Reis- und Oelmühlen de- ganzen deutschen Reiches gestellt. Unterstützt war dieser Antrag von 2599 Betriebs unternehmern mit 18,046 versicherungspflichtigen Personen. Dem Reichstag ist bereits eine mit zahlreichen Unterschriften versehene Petition um Erhöhung der Kornzölle zugcgangen. Der Satz von 1 M. pro Doppelcentner soll auf 3 M. erhöht und Oel- früchie, insbesondere Raps, ebenso besteuert werden. In den letzten Tagen hat sich eine größere Zahl angesehener deutscher Blätter mit einer kürzlich ge gebenen Anregung, die Stichwahlen abzuschaf-