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dem die tschechische Musikeremigration der sogenannten Mannheimer Schule die Grundsteine legte. Der Komponist Jan Cikker, geboren 1911 in Banskd Bystrica, gehört zu den bedeutendsten und profiliertesten Persönlichkeiten der slowakischen Musik der Gegenwart. Er ist — seit 1966 — Träger der höchsten tschechoslowakischen künstlerischen Auszeichnung, des Titels Nationalkünstler. Sein Schaffen, das viele Orchester- und Kammermusikwerke und vor allem mehrere Opern umfaßt, hat wesentlich zum Durchsetzen einer modernen Orientierung im slowakischen Kunstschaffen und zur Eingliederung der slowakischen Musik in die Strömungen der europäischen Musikentwicklung beigetragen. Im gleichen Sinne wirkt sich auch Cikkers pädagogische Tätigkeit aus. Als Professor für Komposition an der Hochschule für musische Künste in Bratislava (seit 1951) wurde er zum Lehrer der jungen slowakischen Komponistengeneration. Seine eigene schöpferische Entwicklung bestimmte das Studium am Prager Konservatorium (Komposition bei Jaroslav Kricka und Vitezslav Noväk) und an der Wiener Musikakademie (Dirigieren bei Felix Weingartner). Cikkers kraftvolles Talent und seine sprühende Lebensenergie vereinen völlig organisch einen starken Hang zum Lyrischen und Meditativen mit eruptivem Sensualismus und Expressivität. Völlig verständlich also, daß der junge Cikker die Ausgangspunkte seines Schaffens einerseits in der Spätromantik Richard Strauss'scher Prägung, andererseits im tschechischen Impressionismus Vitezslav Noväks fand, sich aber später immer mehr als eigenständiger Komponist mit persönlicher Musiksprache durchzusetzen vermochte. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte dabei die slowakische Musikfolklore, die sich aber mehr in der Vertiefung des slawischen Grupdtons in Cikkers Musiksprache als in direkten Verarbeitungen deutlich machte. Das Jahr 1950 bedeutete im Schaffen des Komponisten eine Wende, da er, nachdem er bis dahin überwiegend sinfonische und kammermusikalische Werke geschrieben hatte, in diesem Jahre seine erste Oper „Juro Janosik" zu komponieren begann. Mit den nachfolgenden Bühnen werken, dem auch in Dresden bekannten „Fürst Bajazid", mit „Mr. Scrooge ’ (nach Dickens), „Auferstehung" (nach Tolstoi) und dem „Spiel von Liebe und Tod" (nach R. Rolland), rückte er in die Reihe der namhaftesten Opernkompo nisten der Gegenwart. In unserem Zyklus hören wir je ein Beispiel aus dem frühen und späten Schaffen des slowakischen Meisters. Heute erklingt Cikkers bereits 1942 geschaffenes Concertino für Klavier und Orchester op. 2 0. Das am 13. Oktober 1943 mit Rudolf Macudzinski als Solisten in Bratislava uraufgeführte und mit dem Bella-Preis der slowakischen Metropole ausgezeichnete Werk wurde nicht nuf als erste konzertante Kompo sition dieser Art in der slowakischen Musikliteratur sehr positiv aufgenommen, sondern auch seiner originellen künstlerischen Qualität und seines entwicklungs fähigen Wertes wegen. Von der inhaltlichen Seite her ist das Concertino ein optimistisches, frohes und mit inneren Konflikten nicht überladenes Werk. Cikker konkretisierte die gedankliche Sphäre und die gefühlsmäßige Stimmung des Werkes mit folgenden, in die Partitur geschriebenen Worten: „Mit dieser Kom position rettete ich die Jugend meines Herzens vor dem Leben; empfangt sie mit der gleichen kindlichen Aufrichtigkeit und reinen Freude, mit der ich daran arbeitete." Das Concertino ist ein ausgesprochen nationales Werk mit vielen Anzeichen von Volksintonationen und Tanzrhythmen, aber das folkloristische Element ist hier von einer starken schöpferischen Persönlichkeit so umgewertet, daß es nicht in den Vordergrund tritt und nur als einer der genetischen Bestandteile der Partitur empfunden wird. Der anspruchsvolle Klavierpart ist brillant konzipieit. Klavier und Orchester sind gleichberechtigte Partner, die sich harmonisch aus gleichen und im gleichen Maße an der (vielfach polyphonen) Entfaltung des thematischen Materials beteiligen. Das Werk ist mono-thematisch aufgebaut; die einzelnen musikalischen Gedanken sind den Intonationselementen des Grund themas verpflichtet. Die einsätzige Form des Concertinos ist das Resultat einer Synthese der Sonatenform mit der dreiteiligen zyklischen Form. So lassen sich durchaus drei kontrastierende Abschnitte des Werkes erkennen: 1. die Exposition des thematischen Materials, 2. ein lyrisch-meditativer Mittelteil des Soloinstru mentes (quasi Durchführung) und 3. die Reprise der Sonatenform mit zwei Tanz themen, die mit dem zweiten upd dritten Gedanken der Exposition (quasi als Schlußrondo mit Tanzcharakter) kombiniert sind. Mit einer schnellen Koda verklingt das Stück. Die Slawischen Tänze von Anton in Dvorak verdanken ihre Entstehung den Anregungen des Berliner Verlegers Simrock, den Brahms aut Dvorak aufmerksam gemacht hatte. 1878 war Simrock mit der Bitte um Kom positionen in der Art der Ungarischen Tänze von Brahms an Dvorak herangetre ten. Und bereits wenige Monate später lieferte der Komponist „Acht Slawische Tänze" op. 46 in der vom Verleger gewünschten vierhändigen Klavierfassung. Kurze Zeit später instrumentierte Dvorak die ausgesprochen orchestral konzi pierten Tänze, die in dieser Fassung weltberühmt wurden. In den meisten Tänzen hat Dvorak keine originalen Volksmelodien verwendet, sondern eigenschöpferisch den Charakter der tschechischen Volksmusik erfaßt. Nur im 1. Tanz greift er auf eine um 1600 in den Kirchen gesungene Melodie zurück, und im 3. Tanz zitiert Dvorak ein tschechisches Volkslied. Der Begriff „Slawische Tänze" ist etwas allgemein gefaßt; denn mit Ausnahme des 2. Tanzes (hier diente eine ukrainische Dumka als Vorlage) werden nur böhmische Tanz typen als Muster verwendet. Mit seinen Slawischen Tänzen hat Dvorak innerhalb der Kupstmusik mit folkloristischen Mitteln ein Bild seines Volkes gezeichnet, das dessen Lebensfreude besonders betont. Die mitreißenden Melodien, die packenden Rhythmen, wechselnden Klangfarben wie auch die kunstvolle Ver arbeitung der Gedanken ließen die Slawischen Tänze — acht Jahre später folgte eine zweite Reihe als op. 72 — zu den beliebtesten Kompositionen Dvoraks werden. Begonnen wird der Zyklus op. 46 mit einem Furiant, der wie alle Tänze 3teilig angelegt ist und durch den Wechsel von Zweier- und Dreiertakt und seine feurige Melodie zündende Kraft hat. Charakteristisch für den 2. Tanz ist der schnelle Wechsel von träumerischen und leidenschaftlichen Stimmungen. Dem 3. Tanz, einer humorvollen Polka, folgt eine Sousedskä, eine Abart des Menuetts, mit festlichem Charakter. Der 5. Tanz ist ein fröhlicher Springtanz im 2 / 4 -Takt, dem eine Abwandlung der Sousedskä folgt. Der 7. Tanz erinnert an die mäh rische Tretka, und beschlossen wird der Zyklus, wie er begonnen, mit einem Furiant. VORANKÜNDIGUNG: Mittwoch, den 19., und Donnerstag, den 20. September 1973, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpaiast 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Solistin: Kaja Danczowska, VR Polen, Violine Werke von Mozart, Wagner und Mendelssohn Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1973/74 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Den Beiträgen über Mica und Cikker liegen Materialien von Jaroslav Buzga, Jan Racek, Ladislav Mokry und Ivan Hrusovsky zugrunde; die Einführung in die Slawischen Tänze von Dvorak schrieb unsere Praktikantin Marion Söhnel vom Fachbereich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-83-73 »hillnsimnoni 1. KONZERT IM ANRECHT C UND 1. ZYKLUS-KONZERT 1 973/74