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WlchiuMch erscheinen drei Nummern. PränumeraiwnS- Prcis 22; Sgr. THIr.) rierteljährlich, Z THIr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in aittn Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus dieser Beiblatt der Allg. Pu. Staats- A-ilung in Berlin in der Expedition (FricdrichS-Ttraßs Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände hei den Wohllöbl. Poji-Aenuern. Literatur des Auslandes. 66. - Berlin, Freitag den l. Juni 1838. Frankreich. Benscrade, das Glückskind. Es ist eine leidige hergebrachte Meinung unter den Leuten, und ich kann gar nicht sagen, wie es mich ärgert, wenn ich zu hören und zu lesen bekomme: daß es dein Genie auf Erden nicht zu wohl werden darf, ja daß es ihm ordentlicher Weise und von Rechts wegen ein bischen knapp und trübselig in der Welt gehen muß. Viele unserer gebräuchlichsten Redensarten beruhen auf diesem Vorurtheil, z. D- daß man „Künstlers Erdenwallen" sagt kür „Misüre", oder „Apollo's Lieblinge" für „arme Teufel". Es gilt für ausgemacht, Vas Genie müsse sich beim „Gastmahl des Lebens" mit dein untersten Platz an der Tafel und mit schmalen Brosamen begnügen, oder im Dachkämmerlcin am Hun- genuche iiagen. In Gedichten, in Schauspielen, in Romanen wird die abgeschmackte Lehre immer von neuem gepredigt. Gleich wie eine Mütze auf einer Stange Freiheit bedeutet, also bedeutet ein Lorbeerkranz auf einem Bettelstab Poesie. Eamoens, Correggio, Tasso, Spencer, Cervantes, Milton, Gilbert, Chatterton muffen zu der Demonstration herhatten, daß der Poet ein Unglückspairon ist zu Wasser und zu Lande, ein Unglückspatron in der absoluten und in der conftitutionnellen Monarchie, ein Unglückspalron in allen wirklichen, möglichen und unmöglichen Republiken- — Ich frage nun im Ramen aller Gcnic's: wozu sind wir Genie'«, wenn wir das leidens wenn wir ein solches Vorurihcil, eine solche üble Nachrede auf uns sitzen lassens Es bringt uns um den Respekt, es bringt uns in totalen Mißkredit bei allen ver nünftigen und respektabel» Leinen, wenn wir bei jeder Gelegen heit als die Ritter von der traurigen Gestalt abgeschilden wer den, als Kandidaten des Mißgeschicks, als Träumer und Phan tasten, als gemüthlichc und genügsame Hungerleider. Wofür Einer gilt, dafür wird er trakliri. Nein! wir muffen den Wahn mit allen Waffen bekäinpfen, die uns zu Gebote stehen. Die Welt muß sich überzeugen, daß unter den Genie's auch Leute comme il kaut anzulreffcn sind. Erzählen wir von Poeten und Künstlern, die sich aus der Dürftigkeit zum Glanze, aus der Niedrigkeit zu hohem Rang und Ansehen emporgcschwungcn; feiern wir die Namen derjenigen, die in ihrer Person das Genie zu Ehren gebracht, ihm die Pforten der Paläste geöffnet, von Schusters Rappen in die StaatSkaroffe geholfen haben. Ein Ge lehrter könnte sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er ein Buch schriebe: „Von den Genie's, so große Herren geworden sind." Die Geschichte ist reich genug an Beispielen; nur muß inan sie nach den verschiedenen Ländern und Zeitaltern verschie den wählen. Denn cs kann natürlich nicht allezeit und allcr- wans derselbe Waizen blühen. Vor zweihundert Jahren adelte der Pinsel — man denke an Rubens und Van Dyk —; heule thul's eine wohlgestimmte Kehle, — wofür Erempel aus dem Neutrum (Farinelli), Maskulinum und hauptsächlich aus dem Femininum die Hülle und Fülle vorhanden sind. Voltaire, das größte Genie unter den Franzosen, und Göthe, das grüßte unter den Deutschen, leuchten auf der Bahn des Dichters und Philo sophen sowohl als des Weltmannes durch Beispiel und Erfolg glänzend voran. Doch wäre es Unrecht, über ihnen andere große Manner zu vergessen. Wir wollen hier das Andenken an einen Französischen Dichter erneuern, der vor zweihundert Jahren ge lebt Hal, der am Eingang des goldenen,8i«clo äv I.nui-, XlV. steht, und an dessen Lebenslauf eben so lehrreich und herzerhebend als erfreulich zu sehen ist, wie das Genie de» Druck gemeiner und niedriger Verhältnisse überwindet, wie cs den Mächten des Lebens die schönsten Gaben spielend ablockt und sich in Reihe und Glied mit den Größten und Edelsten der Nation, mit den Trägern der höchsten Namen und Würden, vor den Thron des Monarchen stellt. Isaac Benscrade war aus Lions, einer kleinen Stadt in der Normandie, gebürtig- Sein Vater lebte kümmerlich von einem Aenncken bei der Domainen-Verwaltung und starb in so zerrüt teten Vermögens-Umständen, daß der junge Isaac die Erbschaft im Stiche ließ und nach Rouen ging, sein Fortkommen zu suchen. Zwölf Jahre war der Knabe glt und stand allein in der Welt- Da geschah cs, Golt weiß, durch welchen Zufall, daß ein hoch würdiger Domherr des Erzstifies, Monsignore Puget, Bischof von Dardania ui p-wtibus, unseres Isaac gewahr würde und sich seincr annahm. Daß der Junge ein kleiner Ketzer, ein Calvinist war, schlug ihm jetzt zum Glücke aus. Der fromme Herr eilte, die luugc Seele zu reuen, criheiltc ihm Unterricht in der katho lischen Religion, und Isaac schwur Wohlgemuth seinen „Irrglau ben" in die Hände seines geistlichen Vaters ab. Er war klug genug, seinön Borchcil bei der Sache zu begreift» und sich zu geirösten, daß bei der „Rechtgläubigkcil", will sagen bei der Religion des Bischofs und der vornehmen Herren, mehr Glück zu machen stehe, als bei der seiner Familie'. Als ihm jedoch der Prälat anmulhclc, seinen hugenottischen Taufnamen gegen einen stichhaltigeren aus dem Hciügcn-Kalcnder zu vertauschen, stutzte der Kleine und schien nicht recht zu trauen. „Hochwürdiger Herr", sagte er endlich und sah ihm mit de» Hellen, pfiffigen Augen ins Gesicht, „ich soll einen neuen Namen kriegen? wenn ich nur nicht schlechter dabei fahre." Seine Hochwürden lackten herzlich: „Na, so magst Du Deinen Rainen behalten, mein kleiner Pfiffikus; ich sehe schon, er bringt Dir Glück." — Kurz darauf bekam Monsignore Puget das Bisthum Beauvais und brachte den jungen Benscrade auf die Sorbonne, wo er de» rhetorischen und philosophischen Kursus vollständig durchwachte. Allein cr verspürte gar keine Lust zum geistlichen Stande; nicht einmal Abbö mochte er werden. Er war ein Weltkmd und träumte von keinem höheren Glück, als ein großer Herr zu wer den und zu Hofe zu fahren. Er schwänzte die theologischen Kon ferenzen, wurde Coulissengast im Theater des Hmel de Bourgogne und hatte eine Liebschaft mit der Belrosc, einer Actricc von Ruf. Die Liebhaber machten damals mehr tolle Streiche als heutzu tage, allein bei weitem nicht so viel Verse. Wer hätte zu jener Zeil eine Ahnung von den Erfindungen und Verbesserungen haben können, wodurch uns Neueren die poetische Production so leicht gemacht ist, daß jeder cinigermaße» Gebildete sich allenfalls seinen Hausbedarf an Versen selbst bereiten kaim? Die Schleuse» der poetischen Diction waren damals noch mcht geöffnet, das Material noch nicht flüssig gemacht. Heute gießt inan die Verse, damals mußte man sie drechseln. Ein Sonett, ei» Madrigal, ein Epi gramm gilt uns gleich einer Stecknadel, »ich, des Bückens wcrth, um es aufzuhcben, nicht des Dankes, wenn es Dir zugercichc wird. Für die Schöngeister jener Zeit war jedes Quawain eine Kostbarkeit, ein Kleinod, würde hcrümgewicscn, bekrittelt, bewun dert; man behing und putzte sich damit. Wöchentlich mit zwei, drei Sonetten an seine Geliebte hcrauszurückcn, wie der achtzehn jährige Benseradc thai, dazu gehörte für damals eine starke poetische Ader. Aber auch, welches Aufsehen in ganz Paris! was für. ein Fragen, Erkundigen früh bei der Toilette, Abends beim potil.-wupev! „Wer ist der neue Schöngeist? wie heißt er? wie sicht er aus? Wer hat ihn gesehen ? Ist er von Stande? kann man ihn cinladcn? warum brachten Sie ihn nicht mit? warum zieht cr sich zurück? Man sollte sich bei dein Herrn Kardinal') verwenden, daß Etwas für ihn geschieht. Wenn er kein Vermö gen hat, so muß man ihm zu einer Pension verhelfen." Also gingen die Rede» hi» u»d her- Der junge d'Armcntiöres, Ben- zerade'S Schulkamerad und Couliffcn-Gefährte, riech ihm: „Pro- duzirc Dich doch m der feinen Welt; mach' ein Gedicht an jemand Großes und präsemir' Dich damit." Allein Bcnserade war zu stolz und zu politisch, die Sache auf diese Weise anzu fangen. „Rein!" sagte cr —, „Schmeicheln erniedrigt! Soll ich mich so tief vor Dem da und Dem da bücken, um die Pro tection von Leuten betteln, die hcmc freilich große Herren gegen mich sind? aber ein großer Herr denk' ich auch z„ werden, und seines Gleichen darf man nichts verdanken; sic vergessen'» Eincm nicht. Ja wenn es der König wäre, oder ein Königlicher Prinz, oder der Premier-Minister, — die bleiben immer hoch genug über mir; da schadet cs nichts, wenn ich mich erniedrige. Bor Damen Hai cs auch nichts zu sagen; ich will Dir vor Jeder auf die Kniee fallen und mich prvsterniren, so viel man verlangt. Leg' ihr nur vorher recht viel Galanterie zu Füßen, so kniect sich's weich und staubt nickt ab. Sichst Du, der Herr von Voiiüre ist bei seinem vortrefflichen Genie doch ei» rechter Esel, daß cr die Hand aufihut und sich Geld hincinstccken läßt; und das von Per sonen, ich sage Dir, — wenn cr sich recht zu stellen gewußt hätte, dürfte er sic heute mir nichts dir nichts ganz vertraulich bei der Hand fassen und schütteln, und sie würde»'« hoch aufnchmen. . (Fortsetzung folg'.) »! NtweiikU ist gemeint