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er außer den üblichen Instrumenten Ratschen, Donnermaschinen, kleine und große Trommeln verwendete, um Gewehrfeuer und Kanonaden vorzutäuschen. Das Orchester ist in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine den Schlachtenlärm des französischen Heeres, die andere den des englischen Heeres wiederzugeben hat. Die Franzosen werden durch das Spottlied auf den englischen Heerführer Marlborough, die Engländer durch ihren Marsch „Rule Britania" charakterisiert. Wertvoller als dieses lärmende „Schlachtgemälde" ist die Siegessinfonie des zweiten Teils, ein rein instrumentaler Satz (ohne Donnermaschinen und Lärm instrumente), verstärkt durch „türkische Musik" (Piccoloflöte, Triangel, Becken und große Trommel). Das einsetzende „Allegro con brio", im rhythmischen Elan der „Siebenten" verwandt, hat echt Beethovenschen Glanz. Im „Andante grazioso" erklingt zart und leise die englische Volkshymne „God save the king". Dann ju belt wieder der Siegesmarsch. Eine eigentümliche Abwandlung erfährt die Hymne im Menuett-Tempo, das in eine mächtig gesteigerte Allegro-Fuge über das Thema übergeht. Mit einer Verschmelzung der Hymne und des Siegesmarsches wird die Sinfonie triumphal abgeschlossen. Am Vorabend der Französischen Revolution verleihen 1787 Schillers „Don Carlos" und Goethes „Egmont" Gedanken Ausdruck, die von brennender Aktuali tät erfüllt sind. Vor dem Hintergrund des niederländischen Befreiungskampfes gegen die spanische Unterdrückung scheitert Goethes Graf Egmont an dem für ihn unlösbaren Konflikt zwischen seinem persönlichen, gesellschaftlich isolierten Freiheitsbegriff und der ihm durch die geschichtliche Notwendigkeit gestellten Aufgabe. Während er auch nur den Anschein der Rebellion meiden möchte und sich nicht zu befreiender Handlung aufraffen kann, sucht Clärchen mutig ihre Landsleute mitzureißen. In Egmonts Traumvision von der bevorstehenden Hin richtung erscheint das einfache Bürgermädchen dem adligen Geliebten als Ver körperung der Freiheit. Seit seinen Bonner Jugendjahren bekennt sich Beethoven zu den Ideen der Aufklärung, aufgeschlossen steht er dem Gedankengut und der Musik der Französischen Revolution gegenüber. Das Mißlingen der Erhebung Österreichs gegen das napoleonische Joch 1809 bedrückt ihn tief, als Schmach empfindet er die französische Besetzung und Unterdrückung. In dieser Situation entspricht die Direktion des Wiener Hoftheaters dem allgemeinen patriotischen Verlangen, wenn sie Stücke wie Schillers „Wilhelm Teil" und „Don Carlos" und Goethes „Egmont“ aufführt. Wünscht sich Beethoven auch den „Teil", wird ihm, dem in höfischen Kreisen als ..Republikaner" scheel angesehenen Komponisten, nach etlichen Intrigen dennoch der nach damaliger Auffassung musikalisch minder geeignete „Eamont" zugewiesen: „Er bewies indessen, daß er auch zu diesem Drama eine Meistermusik machen konnte, und bot dazu alle Kraft seines Genies auf" (Karl Czerny). Im Winter 1809 10 hat er entsprechend den genauen Regie hinweisen des Dichters die Musik zu „Egmont" „bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben, nichts dafür von der Theaterdirektion genommen" (Beet hoven). Nach der von ihm selbst geleiteten ersten Aufführung am 15. Juni 1810 wird die Musik regelrecht totgeschwiegen, erst 1813, im Jahr der Befreiungskriege, erfährt sie durch E. Th. A. Hoffmann erste ausführliche Würdigung. Nur zwei Vokalstücke begegnen: Clärchens Lieder - das unternehmende „Sol datenliedchen" und das im wunderbaren Wechsel die Empfindung des liebenden Mädchens feinsinnig spiegelnde „Freudvoll und leidvoll" - singt in Wien Toni Adamberger, die Braut Theodor Körners; mitgerissen vom eigenen Gefühlsüber schwang, scheint Beethoven hier fast die gesanglichen Möglichkeiten einer Schau spielerin zu vergessen. Vier Zwischenaktmusiken ermöglichen eine pausenlose Aufführung: die erste leitet aus Brackenburgs Niedergeschlagenheit angesichts seiner vergeblichen Liebe zu Clärchen in die revolutionäre Volksszene der Vansenschen Reden über — die Wendung vom privaten zum allgemeinen Schicksal wird eindringlich voll zogen. Dem Charakter eines Trauermarsches nähert sich die zweite, Egmont sinnt Oraniens Warnung nach, ein gewisser heroisch-gelassener Grundton bleibt un überhörbar. In der dritten muß Clärchens Liebesglück dem Geschwindmarsch der anrückenden spanischen Truppen weichen, die die Bevölkerung Brüssels in Angst und Furcht versetzen. Die vierte endlich schildert Egmonts heimtückische Verhaf tung und stellt Clärchens innige Tapferkeit der Mutlosigkeit ihrer Mitbürger ge genüber. Im d-Moll-Larghetto rückt der ergreifende Klagegesang einer elegischen Oboen weise Clärchens Sterben in allmählichem Verlöschen in den milden Glanz einer sanften Verklärung. Das Melodram bannt Egmonts Kerker-Vision durch eindrucks volle Klänge — die dichterischen Bilder verlebendigen sich in differenzierter In strumentation und ausdrucksvoller Harmonik; Clärchens Erscheinung als „Frei heit im himmlischen Gewände" festigt sich marschartig, bis energische Streichel akzente Egmonts Tod künden. Aber dann klingen hell und zuversichtlich TronW peten auf, ihr Eintritt „deutet auf die für das Vaterland gewonnene Freiheit" (Beethoven): die Parallelität zwischen niederländischer und deutscher Freiheits sehnsucht und Siegeszuversicht drängt sich unmittelbar auf. So überhöht eine von Goethe ausdrücklich geforderte „Siegessymphonie" mit feuriger, stürmischer Kraft Egmonts Schlußworte: „Schützt eure Güter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe." Diese Siegessinfonie krönt auch die (von Beethoven zuletzt komponierte) Ouver türe. Als Sonatenhauptsatz mit langsamer Einleitung und Stretta-Coda entspricht die formale Anlage dem programmatischen Anliegen: Ideengehalt und Hand lungsverlauf des Trauerspiels werden in konziser Konzentration vorweggenom men. Eine herrische Sarabande charakterisiert als spanischer Tanz die Unter drücker, schmerzerfüllter Holzbläsersatz birgt das Leid der Unterdrückten. Verhal ten bahnt sich Aufbegehren an, in jäher Tempoverschärfung setzt der Kampf ein. Eine aufstrebende, weitgedehnte Melodie erfährt durch ein zugleich erklingendes gewaltig abstürzendes Gegenthema beziehungsreiche Deutung, weist es doch auf Mehuls Bläser-Ouvertüre, ein charakteristisches Werk französischer Revolutions musik; das in ihr gleichfalls häufig verwandte, aus Beethovens 5. Sinfonie nach drücklich bekannte „Schicksalsmotiv" treibt die Auseinandersetzung der „Egmont"- Ouvertüre energisch voran. Das zweite Thema gestaltet den simultanen Konflikt sukzessiv: auf das abrupt zugespitzte Tyrannenthema antwortet das sicherer ge wordene Volk, das in kühner enharmonischer Ausweichung gleichsam aus der Knechtschaft auszubrechen scheint. Knapper, schroffer Durchführung folgt nach veränderter Reprise eine brutale Komprimierung der Welt Albas im Kampf gegen die Niederländer, bis mit der schneidend niedersausenden Quarte der Violineji Egmonts Kopf fällt. Aber aus choralartiger Trauer bricht im überraschenc^B Übergang aus düsterem Moll in strahlendes Dur mit unwiderstehlicher Gewcff der revolutionäre „eclat triomphal" der Siegessinfonie. Hier geht Beethoven über den Dichter hinaus. Was bei Goethe als Traumvision erscheint - Schiller spricht von einem „Salto mortale in die Opernwelt" - ist in Beethovens Musik lebendige Wirklichkeit geworden. Goethe selbst erkannte un umwunden an: „Beethoven ist mit bewundernswertem Genie in meine Intentionen eingegangen.“ Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1969/70 — Chefdirigent: Kurt Nlasur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Die Einführungen in Beethovens „Schlacht- und Siegessinfonie" sowie in die „Egmont -Musik schrieben Dr. K. Schönewolf bzw. Dr. J. Beythien Druck veb polydruck, Werk 3 Pirna - 111-25-12 1,5 ItG 009-81-70 (•Hlharmnioni 10. ZYKLUS-KONZERT 1969/70