Volltext Seite (XML)
möglich ist, diese haarsträubenden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst . . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum er stenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken (!) hört." Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Komponist übrigens jederzeit auswendig auf sagen konnte, so sehr hatte er sich darüber geärgert, während das Konzert in zwischen längst zu den wenigen ganz großen Meisterwerken der konzertanten Violiniiteratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik gekennzeichnet und ist betont musikantisch phne Hinter gründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier unter anderem schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumentation, die beispielsweise auf Posaunen ver zichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Haupt thema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Umspielungen der Solovioline, seine faszinierende Wirkung verleiht, wäh rend das zweite, lyrische Thema demgegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhepunkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstrumentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder dar um, daß das Hauptthema innigen Liedcharakter besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Seitenthema größeren Raum zu geben. Unmittelbar daran schließt sich das Finale (Allegro vivacissimo) an, das vom Solisten ein Höchstmaß an geigerischer Virtuosität in Kadenzen, Passa gen, Flageoletts usw. verlangt. Das formale Schema des Satzes ist etwa mit ABABA zu umreißen. Beide Themen haben nationales russisches Profil. Das erste wächst aus der übermütigen Orchestereinleitung heraus, das zweite, tanzartige, wird von Baßquinten begleitet. Unaufhörlich stellt der Komponist die Themen vor, elegant und formgewandt variiert. Strahlend endet der temperamentge ladene Schlußsatz des Konzertes, das zweifellos eine der überragendsten Kom positionen Tschaikowskis ist. Macbeth — die Tondichtung für großes Orchester (nach Shakespeares Drama) op. 23 steht eigentlich am Wegbeginn des jungen Programmusikers Richard Strauss. Schon vor dem „Don Juan“ hatte sich der zu jener Zeit in München wirkende Kapellmeister mit dem psycho logisch reizvollen Stoff beschäftigt und 1886 eine erste Fassung hervorgebracht. Hans von Bülow riet Strauss zu einer Umarbeitung, die außer instrumentatori schen Fragen vor allem die Schlußlösung betraf. Kühn hatte der unkonventionell denkende junge Komponist das düstere Gemälde mit einem Triumphmarsch des Macduff beendet, hatte in optimistischer Weise die Kräfte des Lebens über die des Todes und der Inhumanität hinwegsteigen lassen. Doch schien diese Version doch zu gewagt, dem Stoff nicht recht angemessen, und so kam das Werk erst nach erheblicher Überarbeitung im Oktober 1890 in Weimar zur ersten Aufführung. Gleich den anderen frühen programmatischen Kompositionen ging es Strauss bei der musikalischen Widerspiegelung des finsteren Shakespeare- stoffes um die kompositorische Umsetzung der zentralen Idee, um die Zeichnung großer — wenn auch negativer — Charaktere; Illustratives lag ihm — noch — fern. So kennzeichnet er mit begleitenden Worten auch nur zwei thematische Erfin dungen. „Macbeth" schreibt Strauss in den 6. Takt der Partitur, wo düstere, markante Sekundschritte der schaurig klingenden Baßtrompete und der Hörner mit wild zerklüfteten Streicherfiguren verbunden sind. Dennoch wohnt dieser finsteren Themenkombination auch Größe inne, entsprechend dem Charakter bildnis, das der große Brite darstellt. Zur Zeichnung der Lady Macbeth zitiert der Komponist einige Verse des machthungrigen Weibes: „O eile! Eile her. Damit ich meinen Geist in deinen gieße, Durch meine tapfere Zunge deine Zweifel Und Furchtgespenster aus dem Felde schlage, Die dich wegschrecken von dem goldenen Reif, Womit das Glück dich gern bekrönen möchte." Verführerisch taucht in den Holzbläsern in verwirrendem Wohlklang von Terz- und Sextgängen das Lady-Thema auf, um in der Folge immer mehr Einfluß auszuüben. Eine lyrische Weise gaukelt Liebesglück vor, charakteristischerweise stetig von den gleisnerischen Terzketten der Lady umwoben. Aus der Verführung ergeben sich neue Bilder, harte, wilde, brutale, die der Rache, des Krieges, des Mordes. Strauss malt mit den vielfältigen Farben seiner reichen Orchesterpalette das kompromißlos herbe Bild des dämonischen Paares und seiner Bluttaten, steigert in großen dramatischen Strichen das Geschehen bis zum Aufschrei des Orchesters, bis zur blutig-grausamen Konsequenz. Dann muß dem Verbrechen die Sühne folgen. In Düsternis und Nacht erscheint noch einige Male das Macbeth-Thema, auch jetzt noch der Größe nicht ganz entbehrend, und in das Grauen mischt sich der Schmerz der Tragödie. VORANKÜNDIGUNG: Mittwoch, den 20., und Donnerstag, den 21. Februar 1974, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur, Leipzig Solist: Jacques Klein, Brasilien, Klavier Werke von Liszt, Franck, Ravel und Mussorgski Freier Kartenverkauf (•hilhannnonii Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1973/74 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführungen in die Werke von Bizet und Strauss stammen von Serge Nigg und Reinhard Schau üTuckTPolydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-5-74 7. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1973/74