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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.08.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192308165
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230816
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230816
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-08
- Tag 1923-08-16
-
Monat
1923-08
-
Jahr
1923
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Nr. I SS Anzeigenpreis: M M,M aurw.Jnssrent «.ISlvo. «oaderßrr,,«: 8a»tl,rnaa».v. P,»v. WHU W U MW W M^^W U U W M WW M W mm-ZetleM.4000, ÄeleaenhetlSai^.ipnv.Naiur-u.Ttellcnanged.will. D / M ^-WZÜ Zeur M.5000. Diellenges mm Zeile M. 4000. amrl. Bekaxiim rc-ppel- dVV d V V- d mm-«l.MLOOva,s.au4w MLKOOO.RcN?2wwbr.»w-Zl.M.70000.t au»w M.10000ii.Aii»iandSc>Ni,u».Valutaaussal.DeirSiederd.NachIab Piav- u.Dmenvorschunverd<ndl.ErsÜll.-OttL«tp;ia- Postf«he<NLe<p?LÄ)4. »* r^- Durch die Post tn Deutschland monaNtch Veznnspreis. vr. Ä00V0; Ausland M. 120l>000 etnschl. Porto. Srscheiut tügltch morgen», autzer Liontag». HSHere ütewal» schtietzt Srsllllung au». Schrilltet».. GelchAIlssr.. Druckerei: Leivzta. yohanntsaaffe 8 «yernsvrecherOrr«gesprache Sammel-Nr.: 70611, Ferngespräch« 17089-17092); ebenda u.in allen Filialen Anzeigen» u. «bonnrment.Knnabme; auch nimmt jedes Postamt Bestellungen an. D«s Leinriaer r«a«M«tt --«»Stt di« amtlich«« «*ra«»t«ach«nae« de» V»>i^it»««i»i««» >t«iv»i« kinrs>«ummsr LSVOV vonoerslLg, ä«a 16. Luguet 1923 pd Vas Programm 1^ s. Leipzig, 15. August. Oie politische Betrachtung von Menschen und Dingen beruht wesentlich auf der Erfahrung und muß daher auf möglichste Vollständigkeit des Tat» saci)enmaterials bedacht sein, mit dem sie es je weils zu tun hat. Wenn man an der Hand dieser Regel ein Urteil über den neuen Reichs» kanzlerzu gewinnen sucht, darf man auch die Erinnerung an die Wahlen des Jahres 1921 nicht ganz übergehen, bei denen sich Herrn Stress» manns Eifer in außerordentlich starkem Maße gegen die Demokratie wandte. In den Kreisen dieser Partei hat man daher zunächst wenig Grund, sich durch die Bildung des Ministeriums Etresemcmn zu enthusiastischen Empfindungen angeregt zu fühlen. Doch ohne Zweifel wird man sich auch da an die Tatsache halten, daß sich Herr Stresemann von einer nach der demokratischen Seite neigenden Parteiengruppierung, wie die große Koalition es offenbar ist, zum Mann ihres Vertrauens erwählen und auf em ganz bestimm tes innerpolitisches Programm verpflichten ließ. Vielleicht hätte das Bekenntnis zu den Aufgaben, die der neue Kanzler auf diesem Gebiete auf sich zu nehmen hat und die sich in dem Begriff der Befestigung der Republik zusammen» ässen lassen, in der Regierungserklärung etwas chärfer hervortreten können. Nach dem Regime >er Untätigkeit, das wir zum Glück hinter :-s haben, ist man indessen viel mehr geneigt, kraft» volle Taten zu fordern, als Programmerklärun gen auszudeuten. Auch darf man in Herrn - Stresemann, wenn nicht den überzeugtesten Ne- vublikaner, so doch den einsichtigen Politiker er kennen, der nicht daran zweifeln kann, daß eine andere Staatsform als die in der Weimarer Ver- fassung festgelegte für das Deutsche Reich heute schlechterdings unmöglich ist und es daher zu den klarsten Pflichten eines deutschen Staatsmannes gehört, die demokratische Republik gegen jeden Angriff zu verteidigen. Wenn dabei die persön- lichen Neigungen des neuen Kanzlers ihn vor wiegend zur Wachsamkeit gegen links anreizen dürften, so berechtigt doch die Zusammensetzung des Kabinetts und namentlich auch die Besetzung Innenministeriums zu der Hoffnung, daß die Aufmerksamkeit der Neichsregierung den von rechts drohenden Gefahren mchr als in den letz ten neun Monaten zugewandt sein werde. Frei- lich wird in dieser Hinsicht nicht alles von der Negierung, sondern sehr viel auch von dem Ver halten des Linksradikalismus abhängen, dessen Betätigung in einem direkten Verhältnis zu den Fortschritten des Rechtsradikalismus steht. Auch im Hinblick auf die Außenpolitik der neuen Reichsregierung wäre es müßig, die Regierungserklärung mit der Lupe zu durch forschen. Denn hier vollends kommt alles darauf an, daß der jämmerlichen Tatenlosigkeit, durch dir sich die Aera Luno-Rosenberg kennzeichnete, ein Ende gesetzt werde und die ohnehin von so manchem Betätigungsfeld ausgeschlossene deutsche Diplomatie wenigstens auf den Gebieten, auf denen ihr der internationale Wettbewerb zugäng lich ist, ein Höchstmaß an Aktivität entfalte. Das Ziel ist klar. Es handelt sich darum, mit Frank reich zu einem mit der Würde und Wohlfahrt des Reiches annehmbaren Ausgleich zu kommen, bis dahin aber im Reden und Tun den Anschluß an jede Bewegung zu suchen, die sich in der Welt gegen die französischen Vorherrschaftsgelüste kundgibt. Das politische, wirtschaftliche, kulturelle Gewicht einer Ration von der Zahl und dem Mert der deutschen ist auch heute noch ein Faktor, mit dem zu rechnen ist. Ihn zur Geltung zu bringen, bedarf es nicht zum wenigsten der Fähigkeit, den Kampf mit der unermüdlichen Suada eines PoinearL aufzunehmen. Die Eigen- schäft des Kanzlers als eines der besten Redner des Reichstages ist daher an sich schon ein außen- politisches Programm, durch dessen Durch führung, so ist zu hoffen, alsbald das unerhörte Versäumnis nachgeholt sein wird, das dem fron- zöflschen Ministerpräsidenten geradezu ein Mono- pol der Erörterung der deutschen Angelegen- heften auf dem Bölkerforum überließ. Das Ministerium Stresemann beginnt seine Tätigkeit unter nicht ungünstigen Vorzeichen. Die englische Note an Frankreich ist, wenn man sie auch mit aller Vorsicht entgegenehmen muß, immerhin seit langer Zeit der erste Lichtblick in den weltpolitischen Schwierigkeiten, mit denn wir zu kämpfen haben. Sie schafft auf jeden Fall eine neue Lage, die bet verständiger Bearbeitung nicht ohne erfreuliche Aussichten für die fernere anßenvoNt'sche Entwicklung ist. Auf dem Ge biete der inneren Politik sind die Katastrophen, die manche für den Fall des Sturzes des Kabi netts Er no vorausgesagt hatten, nicht nur nicht eingetroffen, sondern die bloße Tatsache, daß der Reichstag sich auf seine Pflicht be, .nn und ein unfähiges Kabinett verabschiedete,hat genügt, um gewisse radikalistische Unternehmungen zum Schei tern zu verurteilen. Die Nation hat damit dem Ministerium Stresemann einen großen Kredit ge- währt. Es ist nötig, daß alles daran gesetzt werde, solches Vertrauen zu rechtfertigen. Das eben ist das unerläßliche Programm der neuen Reichsregierung. Blutige Ausschreitungen in Aachen IS Tot« — passives Verhalten »er DestchunsshehSrde Aachen, 15. August. (Eig. Del.) Im Stadt- und Landkreis Aachen ist eS gestern und heute wieder zu schweren Plünderungen gekommen. Schon feite Mitte voriger Woche halten die Un ruhen an, die einen immerhin ernstlichen Cha rakter angenommen haben. Sie sind auf die Er nährungslage Aachens zurückzusühren, die aller dings geradezu zum Verzweifeln ist. Durch den Verlust Eupen-MalmedhS fehlt der Stadt jedes landwirtschaftliche Hinterland. Aus dem Ausland können Lebensmittel infolge der Valuta kaum bezogen werden. Versuche, von jenseits des Rheins Lebensmittel mit Wagen heranzubekommen, sind gescheitert, da die Wagen von Arbeitslosen und Notstandsarbeitern ausgeplündert werden. Mitte voriger Woche zogen nun die Massen auf das Land in der Umgebung Aachens. Scharen von Hunderttairsenden ergossen sich über die Kartoffel- und Getreidefelder und plün derten sie vollständig ab. Das Vieh wurde auf den Weiden geschlachtet. Die Polizei war dem Treiben gegenüber vollständig machtlos. Bei dem Zusammenstoß zwischen Plünderern und Polizei wurden vier Plünderer schwer verletzt. Am folgenden Tage zog eine 30000köpfige Menschenmenge vor das Poli zeipräsidium und verlangte die Herausgabe der wegen Plünderns Verhafteten. Nach kurzem Ver handeln mit der Polizei, die die Herausgabe ver weigerte, versuchte die Menge das Gebäude zu stürmen. Die Polizei gab scharfe Schüsse ans die Menge ab, die sofort auseinander stob. Es wurden bi» jetzt 18 Tote und ungefähr 200 Ver wundete festgestellt. Gestern kam es in der Stadt Aachen wieder zu einer allgemeinen Plünderung. In fast sämt lichen Geschäftsvierteln wurden die Läden voll ständig auSgeraubt, Schuhe, Kleidungsstücke, Lebensmittel und sogar Luxusgegenstände und Möbel wurden weggeschafst. Die Zahl der ge schädigten Geschäfte beträgt weit über 100. Die Polizei, die auf Anordnung der Besatzungs behörde nicht verstärkt werden durfte, ist dem Treiben gegenüber vollständig machtlos, zumal da die Plünderungen gleichzeitig in allen Stadtteilen vorgenommen wurden. Die Plünderungen hielten die ganze Nacht durch an und setzten sich am heutigen vormittag fort. Proletarische Kontrollkommissionen versuchten zwar die Ordnung aufrecht zu erhalten und Waren zu verbilligten Preisen abzugeben; der Pöbel ist ihnen aber über den Kopf gewachsen, sie werden einfach beiseite geschoben und die Waren mit Gewalt herausgeholt. Die Plünderungen dauerten bis Mittag noch an. Die belgische Besatzungs.be Hörde hat e» abgelehnt, einzuschreiten oder den Belagerungszustand zu verhängen. VioHsrnrtfrrahrire der Kvde4t in Berlin Berlin, 15. August. (Eig. Tel.) Heute ist die Arbeit nach dem zusammengebrochenen Generalstreik der Kommunisten in allen indu striellen Bettieben voll wiederaufgenommen wor den. Auch in den städtischen Werken sind sämtliche Arbeiter zum Dienst erschienen. In der Nacht ist es abermals zwischen Tumultuanten und Schutzpolizei zu Zusammenstößen gekommen. In Schöneberg mußte die Polizei eine große Schar junger, lärmen- der Leute mit blanker Waffe auseinandcrtreiben. 6 Rädelsführer wurden festgenommen. Im Osten Berlins wurden Polizeibeamte von den Demon stranten tätlich angegriffen. Die Polizei gab Schreck schüsse ab. 4 Personen wurden verhaftet. In Lichtenberg bombardierte eine etwa 1000 Per sonen zählende Menge den Sttaßenbahnhof mit Steinen aus Wut über die Wiederaufnahme der Arbeit durch die Straßenbahner. Die Polizei ver jagte schließlich die Angreifer, von denen 6 in einem benachbarten Laubengelände versteckt gesunden und verhaftet wurden. Gegen alle Bcrhaftetcn ist ein Strafverfahren wegen Landfricdensbruchs eingeleitet worden. Vie Zustände in Hamburg Hamburg, 15. August. (Eig. Tel.) Die Lage im Hamburger Hafen hat gegenüber dem gestrigen Tag insofern eine Verschärfung erfahren, al» jetzt auch die Schauerleute die Arbeit niedergclegt haben, um verschiedene Forderungen zu erzwingen. Sie verlangen u. a. sofortige Zurückziehung der Sicher heitspolizei au» dem Freihafen, sofortige Auszahlung einer Wirtschaft»beihilfe von 10 Millionen und Er höhung der Lchichtlöhne. Heute herrscht im Hafen vollständige Arbeitsruhe, die Schiffe werden weder gelöscht noch beladen. Hier- von wird auch die Brotversorgung betroffen, denn eine Anzahl von Getreideschiffen, deren Ladung heut« den Bäckern zugeführt werden sollte, bann nicht ge löscht werden, da Kräne nicht bedient werden. Zu neuen Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Auch die Barkassen und Schleppdampfer stellten heute mittag nach und nach ihren Betrieb ein. Die Arbeit der Elbe lotsen ist wieder ausgenommen worden, nur di« Lotsen im Nord-Ost-See-Kanal können ihren Dienst noch nicht antreten, da der Abschluß der Ver handlungen mit ihnen noch nicht möglich war, weil das Reichsvcrkehrsministerium seine Einwilligung zu dem Abschluß noch nicht gegeben hat. Infolgedessen wird in Kiel weiter verhandelt. Die Einigung mit den Elbe- und Nordseelotsen ist dagegen in vollem Umfange erzielt worden. DerLisenbahn-Indextaris Berlin, IS. August. Am LV. August werden die Personen- und die Gepiicktarise der Reichsbahn um VOOProz., die Gitter- tarise um rund 2000 Prozent gegenüber dem Tarise vom 8. August erhöht. Die wertbeständige« Tarise (Indextarise) werden im Personenver kehr zum 1. September eingeführt, im Güterverkehr jedoch bereits am 20. August. Die Schlüsselzahl für den Güterver kehr ist ans 1 200 000 festgesetzt. Deutscher Reichstag BerUa, 15. August. (Eig. Tel.) Der Antrag aller Parteien auf Erhöhung der Zulagen in der Unfallversicherung wird debattelo» in allen drei Lesungen angenommen. Es folgt die erste Beratung de» Gesetzes über wertbeständige Post-, Postscheck- und Telegraphengebühren. Nach der Vorlage sollen die Grundgebühren durch Vervielfältigung mit einer Schlüsselzahl berechnet werden, deren Grund lage die jeweilige Regelung der Bezüge des Per- sonals bilden soll im Vergleich zum 1. Juli 1914 oder eine allgemein gültige Reichsindexziffer. Auf dieser Grundlage soll der Postministcr am 1. oder 16. des Monats Gebühren festsetzen. Die Dor lage wird ohne Aussprache in allen drei Lesungen angenommen, ebenso das Fernsprech- gebührcngesetz. Es bringt unter Fortfall der Grund gebühren einen neuen GesLlächogebührentarif, bei dem aber monatlich eine Mindestzahl von Orts- gesprochen bezahlt werden muß. Auch die Fern- sprechgebühren sollen wertbeständig gemacht werden. Ein Antrag Esser (Ztr.) fordert mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, welche Handwerkern nnd kleineren Unternehmern durch die Geldentwertung erwachsen, die Regierung auf, die Dergebungsstellen ' öffentlicher Arbeiten anzurufen, erprobten Lieferan- <teu Abschlagszahlungen auf laufende Lieferungen zu aewähren. Zu dem von dem Abg. Hertz (Soz.) eingebrachteu Gesetzentwurf über finanzpolitische Vollmachten der Reichsregierung, haben di« Regierungsparteien eine Entschließung vorgelegt, wonach die Regierung als bald Gesetzentwürfe einbringen soll, welche durch Belastung der Vermögenswerte und durch Ueber- gang nicht nur wertbeständiger Währung eine Sanie rung der Reichsfinanzen und eine Stützung der Ruhrkredite in die Wege zu leiten geeignet sind- Nachdem Reichsfinanzminister Dr. Hilferding auf eine Anregung des Abgeordneten Dr. Helsferütz (Dntl.) zugesagt hat, daß die Negierung in diesen Tagen mit den Berufsständen in steter Fühlung bleiben wird, wird die Entschließung angenommen. Der Besoldungs- und Reichsgehalts-Haushalt des Neichsbankdirektoriums wird debattelos genehmigt. Abg. Dr. Herzfeld (Komm.) begründet als- dann den kommunistischen Antrag auf Außerkraft setzung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 10. August, der sich auf die Beschlagnahme der »Roten Fahne* und anderer kommunistischer Blätter bezog. Abg. Müller-Franken (Soz.) beantragt, den Antrag dem Rechtsausschuß zu überweisen, Abg. Thomas (Komm.): Die Ueberweisung an den Nechtsausschnß ist heute, wo sich das Haus ver- tagen will, einem Begräbnis gleich zu achten. Der Antrag muß sofort zur Erledigung kommen. Die Verfassung gibt jedem Deutschen, auch dem Arbeiter, das Recht des freien Volkes, deshalb darf es ihm nicht durch eine Ausnahmeverordnung entzogen werde:,. Reichsinnenminister Sollmann erkennt an, daß der Vorredner sich auf den Stand der Verfassung stellt. Selbstverständlich stehe das neue Kabinett für die vom alten Kabinett erlassenen Verordnungen. (Abg. Höllein ruft: Ein schönes Debüt.) Die Verord nung richtet sich nicht gegen das frei« Wort oder gegen die Arbeiter, diese richte sich nur gegen gewaltsame Versuche, die neu» Verordnung umzustoßen. (Abg. Höllein ruft: Du hast schon von Stinne» gelernt.) Die neue Regierung hat noch kein Blatt verboten, trotzdem wird sie in der wüstesten Weise angegriffen. Die Regierung ist vom Volk und Parlament berufe«, decbalb fordert die kommunistische Press» ihre Be seitigung. (Die Sitzung dauert fort.) Die große Koalition Von Prof. Dr. VV«tt«r So«tr, M. d. R. Ueber Nacht ist plötzlich das Ziel so langen Sehnens, das dauernde Ziel der Demokratischen Partei, erreicht worden: die Koalition der gesamten Mitte des deutschen Reichstags von der Deutschen Volkspartei bis zur Sozial- »emokratie. Die Deutsche Republik hat endlich )ie breite Mehrheit im Reichstag gefunden, deren ie bedurfte, uns sie hat damit für ihren Bestand )ie denkbar größte Gewähr, die sie zurzeit be- itzen kann, erhalten. Wir wollen uns diesen entscheidenden Fortschritt nicht dadurch vergällen lassen, daß die große Koalition nicht so schr aus großzügiger politischer Einstellung als vielmehr aus taktischen Erwägungen des Augenblicks ge- kommen ist — das erreichte Ziel ist das Wesent liche, der dazu beschrittene Weg verhältnismäßig gleichgültig. Als der Reichstag am letzten Mittwoch zusam mentrat, schien alles einig zu sein, daß in der gegenwärtigen außenpolitischen Lage jeder Re gierungswechsel unmöglich sei. Eftie Minister- trise, wie unsere früheren, zwei oder drei Wochen dauernd, hätte das Reich jn den Abgrund stürzen können. Aber darüber durfte sich niemand tau schen, daß damit dem Kabinett Cuno nur eine Schonzeit gegeben war — in normaler Zeit hätte sich niemand für die Fortdauer eines Ministe- riums eingesetzt, das jede sichtbare Führung der Nation so völlig vermissen ließ. Niemand konnte zwar dem Reichskanzler persönliche Achtung ver- sagen, niemand konnte unterschätzen, daß er in wertvollen Kreisen Deutschlands und auch des Auslands sich eines aufrichtigen Vertrauens er freue, daß es ihm vor allem in Süddeutschland gelungen war, manche Mißstimmung aus dem Wege zu räumen, und daß mit seinem Namen der nationale Kampf gegen fremde Gewaltherrschaft ich verbunden hatte. Aber diesen positiven Seiten tand gegenüber, daß von diesem Kanzler und einer Regierung kein Schwung in diesem Kampf ausging, und daß wir in dem Redekampf der europäischen Staatsmänner eine Zurückhaltung ausübten, die fast wie ein Ma ngel au Ver teidigungskraft aussah. Ob Kanzler und Außenminister diplomattsche Versäumnisse began gen haben, wie von mancher Seite behauptet wird, ist schwer festzustellen, solange man nicht weiß, was wirklich geschehen ist; aber wenn der deutsche Außenminister sein hartnäckiges Schwei- gen damit zu rechtfertigen suchte, daß man über Werdendes und Versuchtes schweigen müsse, so zeigt das Beispiel der englischen und französi schen Staatsmänner sehr wohl, daß man Schwei- gen über diplomatische Geheimnisse und Reden über große politische Fragen sehr wohl mitein ander verbinden kann. Wer sie Reden des Reichskanzlers und des Außenministers im Reichstag vorlesen hörte, glaubte den Grund des Schweigens vielmehr darin sehen zu müssen, daß wer nicht reden kann, auch nicht reden will. Aber Staatsmänner an leiten der Stelle, die nicht reden können, sind heute eine Unmöglichkeit. Wodurch anders hat sich Frank reich trotz seiner Gewaltpolitik noch immer ein gutes Stück Anhang in der Welt erhalten, als weil Poincar6 immer von neuem das Vorgehen Frankreichs mit gleißenden Reden zu rechtfertigen ' uchte und weil jede deutsche Gegenwirkung ehlte. Liegt dec Witz aller Reklame in der stän- rigen Wiederholung, so darf Poincarö für sich in Anspruch nehmen, den Wert der politischen Reklame früher als andere begriffen zu haben. Aber in Deutschland glaubt man noch immer, wir brauchten uns neuen politischen Gewohnheiten (die doch ebensogut dem Rechte dienen können > wie jetzt vor allem den Lügen Poincarss) uicht anzupassen. Wie aber kam es, daß die Stimmung be-r Parteien, jetzt keinen Regierungswechsel vor- zunehmen, so rasch umschlug? Zunächst fühlte ein jeder, daß bei aller Schonung dennoch dieser Regierung kein langes Leben mehr beschioden sei. Eine derartige Stimmung ist allein schon für ein Ministerium die schwerste Gefahr — wie soll es mit Derantwortungsfreude handeln, wenn es den Boden unter sich wanken fühlt? Die Reden des Kanzlers und des Außenministers konnten diese Stimmung nicht l-eben — kein fortreißender Schwung, keine Tatkraft, keine Persönlichkeiten treten aus ihnen hervor, sondern es klang nur nach fleißig - ehrlicher Bureaukratenarbeit, die dem deutschen Volke vorgelesen wurde. Es gab im Reichstag solche, die von diesen Reden befrie digt waren; der Schreiber dieser Zeilen konnte Dollar in Serlln »nlU.lUitteUlurs: 2 7000002LK. Lmeritttuünüer Kttämoilü * I». ? verU» l.oncion «-»et»
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