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Erscheint täglich mit Ausnahme der Lage »ach Tonn- mid Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis mittags 12 Uhr. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. S5 Ps. Einzelne Nrn. 5 Ps. Inserate pro Zeile 10 Pf., Einges. 20 Ps. Expedition: Waldenburg, Obergüsse 2S1 L. uud Walöeilbnrger Anzeiger. Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herm Kaufmann Otto Förster; in Kaufungen bei Herrn Fr. Janaschek; in Langenchurs dorf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Frau Kaufmann Max Härtig, Leipzigerstr. 163; in Rochsburg bei Herrn Paul Zehl; in Wolkenburg bei Herm Ernst Rösche; in Ziegelheim bei Herrn Eduard Kirsten Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg, und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. ^4« 272. Freitag de» 22. November 1895. Wltternngsbericht, ausgenommen am 21. November, nachm. 4 Uhr. Barometerstand 772 mm. reducirt aus den Meeresspiegel. Thermometerstand -i 2,s" 0. (Morgens 8 Uhr — 1''.) Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 59"/n. Thaupuukt — 5,; Grad. Windrichtung: Südost. Daher Witterungsanssichten für den 22. November: Heiter. "Waldenburg, 2l. November 1895. Die Zeiten ändern sich, auch wenn scheinbar nicht im Mindesten ein Wechsel sich vorzubereiten scheint, doch mehr oder minder. Wir erleben es alle Tage im bür gerlichen Leben, wie in der Politik, wir achten nur nicht immer darauf. Und so scheint auch nun eine Aenderung eintreten zu sollen, die vielleicht für Europa von großer Bedeutung werden kann. Es handelt sich um den zwei ten europäischen Dreibund, wie halb im Scherz humor volle Politiker die Beziehungen genannt haben, die sich zwischen dem Vatikan in Rom, der französischen Republik und Rußland herausgebildet hatten. Natürlich ist hier von keinem bestimmten Bündniß die Rede, sondern höch stens von den bekannten Hoffnungen des päpstlichen Stuhles, daß Rom doch noch einmal die wirkliche Resi denz des Papstes werden, das Oberhaupt der katholischen Kirche auch wieder Herr von Rom werden solle. Es gab eine Zeit, wo im Vatikan man die Erwartung hegte, das deutsche Reich werde sich in dieser römischen Frage auf die Seite des Papstes stellen; das Bundes- verhältniß zwischen Deutschland und dem Königreich Ita lien vereitelte die Erfüllung dieser Erwartung. Seitdem wurden die früher recht getrübten Beziehungen zwischen dem päpstlichen Stuhle und Frankreich wieder besser, und auch zwischen Petersburg und dem Vatikan ward ein regelrechter diplomatischer Verkehr nach langer Unter brechung wieder hergestellt. Es hat auch nicht an Stim men gefehlt, welche den Papst Leo Xtll. den Urheber des heutigen russisch-französischen Einvernehmens nannten, und auch darum hat man von dem zweiten europäischen Dreibund gesprochen. Wir wollen deshalb das Wort beibehalten, obwohl es den Kern der Sache nicht trifft, und man auch bezweifeln muß, daß der heutige Papst wirklich der Autor des russisch-französischen Einvernehmens gewesen ist, ein so guter Diplomat er auch sonst ist. Ziemlich deutlich scheint es aber, daß das gute Verhält- niß zwischen Frankreich und dem päpstlichen Stuhle sich vom Höhepunkt zur Tiefe wendet, und hierin eben liegt eine Bedeutung für den europäischen Frieden. Die französische Republik hat den weittragenden Ein- fluß des römischen Stuhles zur Zeit der Machtstellung Boulangers und seines Einverständnisses mit den Orleans sehr nöthig gebrauchen können. Hätte Boulanger die Kugel, welche er sich in Brüssel auf dem Kirchhofe in den Kopf schoß, schon in Frankreich riskirt, dann wäre wahrscheinlich der französischen Republik das Lebenslicht längst ausgeblasen. Damals konnte man von Paris aus im Vatikan sehr lebhaft bitten, und als der Papst in unzweideutiger Weise die Anerkennung der geltenden republikanischen Staatsform aussprach, da war in Paris die Freude groß. Seitdem ist erst so recht der Wider- stand der eingefleischten französischen Monarchisten gegen die Republik gebrochen, und die Machthaber in Paris konnten sich sicher fühlen. Die Gesinnung an der Seine wechselte indessen rasch, die gemäßigten, mehr conservativen Elemente, welche zuerst mit dem Papstthum ins Einver nehmen getreten waren, wurden zur Seite gedrängt und immer entschiedener wurde die radicale Richtung, welche vom römischen Stuhle wenig wissen will, die Beherrscherin der Situation. Streitigkeiten zwischen Staat und Kirche sind in Frankreich im letzten Jahre gerade nicht selten vorgekommen, eine weitere Zuspitzung könnte leicht einen Bruch herbeiführen, nachdem das frühere vortreffliche Einvernehmen schon längst nicht mehr in Wirklichkeit besteht. Frankreich hat heute seit 1871 zum ersten Male ein radicales Ministerium; bisher waren die Regierungen wohl mit radikalen Ministern durchsetzt, aber die gemä ßigte Richtung hatte doch die Oberhand und verstand es, die Anschauungen ihrer Partei geltend zu machen, so weit wenigstens, daß allgemeine Conflicte nach der kirchlichen Seite hin vermieden wurden. Was das heu tige Ministerium in seiner rein radicalen Zusammen setzung will, das ist nichts Geringeres, als die Lösung aller Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Entziehung aller staatlichen Zuwendungen an die Kirche u. s. w. Daß das heutige französische Ministerium Bourgeois diesen Plan noch nicht verwirklichen wird, ist ganz sicher, eine so lange Lebensdauer wird ihm gar nicht beschieden sein, aber der Zug in Frankreich heißt nun einmal „roth" und dem ersten radicalen Cabinet werden zwei felsohne fernere folgen, und hiermit rechnet auch der päpstliche Stuhl. Früher wich man in Paris einem staatlich-kirchlichen Conflict aus, heute sucht man ihn eher, als daß man ihn scheut. Die Tage des Dreibundes, des anderen, scheinen un widerruflich gezählt, es kommt diese Thatsache dem allge meinen europäischen Ruhebedürsniß zu Gute. Und wer weiß, ob bei der heute in Paris geltenden Strömung die russisch-französische Herzlichkeit in unveränderter Hitze noch lange andauert. Wir Deutsche sehnen uns ja nicht nach der russischen Freundschaft, lieber den Franzosen noch als offenen Gegner, denn den Moskowiter als sogenannten Freund. PoLM§che NnnsMau. Deutsches Reich. Der Kaiser arbeitete am Dienstag im Neuen Palais mit dem Chef des Militärcabinets, empfing den Gesand ten in Mexiko v. Winckler und nahm hierauf militärische Meldungen entgegen. Mittags betheiligte sich der Mon arch an der Parforcejagd im Grunewald und begab sich sodann nach Berlin, wo er beim österreichischen Botschaf ter speiste und später die Vorstellung im Schauspielhause besuchte. Nach derselben erfolgte die Rückkehr nach dem Neuen Palais. Am Bußtage wohnten die Majestäten dem Gottesdienste in der Friedenskirche bei. Wie ver lautet, wird der Kaiser am 5. December in Hannover eintreffen, um dort bis zum 7. Aufenthalt zu nehmen und sich alsdann zur Hofjagd nach Springe zu begeben. Eine Revision der Reichszollstellen in Hamburg und Bremen hat seitens des Geh. Raths Rauschning im Auftrage des Rsichsschatzamts stattgefunden. Die selbe hatte den Zweck, festzustellen, ob sich nicht, nachdem nunmehr der Zollanschluß vollständig durchgeführt ist, eine Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung herbeiführen lasse. Der Verein zur Förderung des Deutschthums in den Ostmarken fordert in einem Rundschreiben an die Ortsgruppen auf, sich in den vier Abtheilungen: Wer bung, Hebung der Ostmarken und Auskunsts- und Ver mittelungsstellen lebhaft an den Arbeiten des Vereins zu betheiligen. Die Berathung des bürgerlichen Gesetzbuchs wird Informationen der „Kreuz-Ztg." zufolge im Schooße des Bundesraths- voraussichtlich sehr glatt verlaufen. Be denken grundsätzlicher Natur werden vielleicht nur von den Mecklenburgischen Negierungen erwartet, welche von der Thatsache ausgehen, daß der gegenwärtige Zustand des bürgerlichen Rechtes in den beiden Großherzogthü- mern den Wunsch nach einer Aendrung nicht nahe gelegt hat. Im Reichstage wird der Entwurf, außer von den Mitgliedern des Bundesraths, dem Vernehmen nach auch von Mitgliedern der Commission vertheidigt werden. Zur Präsidentenwahl in der kommenden Reichs tagssession schreibt die „Schles. Ztg.": Die alten Car- tellparteien haben unsres Erachtens überhaupt keine Ver anlassung, von der durch ihren Schritt vom 23. März eingenommenen Stellung wieder abzugehen. Das kleri kal-freisinnige Präsidium kann unbesorgt sein; es wird ihm schwerlich jemand im Ernst den Platz streitig machen. Die Landwirthe gehen jetzt mit Energie daran, den Zwischenhandel nach Kräften zu vermeiden. Dem Vorgänge der Pommerschen Landwirthe, durch Er richtung genossenschaftlicher Dampsmühlen mit ihrem Mehl direct auf den großen Markt zu kommen, suchen jetzt auch die märkischen Landwirthe nachzueifern. Die große Drebkauer Dampfmühle, die bisher dem Vorschußverein in Kottbus gehörte, ist von einem Consortium von Land- wirthen angekauft worden, welche eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht zu dem Zwecke des Erwerbes der Mühle gebildet haben. Die Gesellschafter wollen ihren Roggen nicht nur selbst vermahlen, sondern auch auf drei neu anzulegenden Dampsöfen selbst verbacken. Die „Post" spricht sich anerkennend und zustimmend zu dem Margarinegesetzentwurf aus. Nirgends, sagt sie, handelt es sich darum, der Margarine den na türlichen Markt zu beschränken. Wer aber Naturbutter kaufen will, soll davon geschützt werden, daß er nicht mit Kunstbutter getäuscht wird. Das liegt gleichmäßig im Interesse des Consumenten wie des Producenten von Kunstbutter, sowie endlich im Interesse der öffentlichen Moral. Dem Reichstage wird in seiner nächsten Session auch eine Novelle zum Gesetz über die Erwerbs- und Wirth- schaftsgenossenschaften vom Jahre 1889 zugehen. Hauptsächlich soll dabei beabsichtigt sein, für diejenigen Genossenschaften, die offene Ladengeschäfte haben, eine schärfere Controle betreffs der Abgabe von Waaren an Mitglieder, sowie einige Erleichterungen für die land» wirthschastlichen Genossenschaften einzuführen. Die Deutsche Regierung hat, wie die „Köln. Ztg." er fährt, im Hinblick auf die bisherigen guten Beziehungen zum Sultan und zur Wahrung ihrer Verantwortlichkeit, etwa gleichzeitig mit den neuerdings an die Mächte ge richteten Vorschlägen des Grafen Goluchowski, noch in letzter Stunde dem Sultan den dringenden Rath ertheilt, den Forderungen der Großmächte Rechnung zu tragen und vor allen Dingen das äußerste zur Wieder herstellung drr Ordnung aufzubieten. Sie hat sich dabei nicht verhehlt, daß in Europa die Ansicht immer mehr Anhänger gewinne, welche eine Fortdauer der gegenwär tigen anarchischen Zustände in der Türkei mit den euro päischen Interessen für unvereinbar hält. Die darauf ergangne Antwort läßt erkennen, daß der Sultan den Ernst der Lage vollkommen würdigt. Frankreich. Das Cabinet Bourgeois hat seine Stellung in Frankreich dadurch offenbar gebessert, daß es rücksichts los die bestehende Corruption aufdeckt und damit beweist, daß es selbst an finanziellen Machenschaften un- betheiligt ist. Die Verhaftung Artons, eines bekannten Genossen des viel genannten Cornelius Herz, der in allen möglichen Schwindeleien seines Gleichen suchte, ist auf Bourgeois' Veranlassung erfolgt. Eine heilsame Panik hat sich infolge dieser energischen Maßnahme vieler andrer Männer in Paris bemächtigt, die ihre hohe Stellung zu allerlei schwindelhaften Geschäften benutzten.