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Dr. Slrefemanns Aniwork an Pomcare. Der Aia«zler biekel einen Teil -es Privakbesitzes al» realisierbares Pfand an. — Wiederversiigung Deutschlands Uber das Rrrhr- gebiel und Miederherslellnng der Souveränität im Rheinland als Bedingungen. — Ein Privatissimum an PoinearS über Deutschlands Verhallen nach 1870. — Neues bemerkenswertes Anleiheprojekt amerikanischer Bankiers. Frankreich Hai öas Worl. Man kann der Rede, die der Reichskanzler gestern vor Vertretern der deutsch-.-» Presse gehalten hat und die, wie kaum eine andere seiner bisherigen Aenßernngcn, im Eir und Auslande mit nngehenrer Spannung erwartet wurde, mit verschiedenartigsten Gefühlen und Erwägunge», von wechselnden Standpunkten und mit ernstester Kritik entgegcn- trcten. in ihrem Kern wird man sic, gleichviel, wie man sich zu ihr entstellt, billigen müssen. Sic ist eine Tat. des süliren- den deutschen Politikers in schwerster Zeit würdig, eine Tat nationaler UeberzeugnngStrenc, eine Tat objektiver Be sonnenheit, eine Tat des auf unerschütterlichem Vertrauen in die deutsche Kraft gegründeten Willens, daS wirtschastlich und politisch zusammcngebrochene Land am Rande des Unterganges mit letzten Mitteln zn erretten, Gerade daS starke Anklingenlassen nationaler Gefühle ist es, das Strcse- manns Rede besonders in vaterländisch denkenden Kreisen Sympathien erwerben wird, und das gewisse Eindriicle, die seine außenpolitische Umstellung und einzelne Stellen seiner früheren Reden zu crwecten geeignet warm;, verwische» dürfte. In diesem Nahmen sind die Erinnerungen an Deutschlands grosse Zeit nach dem Kriege von 1^70 71, die Poincarö weckte nnd die ihm nun hoffentlich zu deuten geben werden, von hervorragender Bedeutung. Sie zeigen, das- der Kanzler die ehrenvolle Tradition DcmschlandS selbst in einem Moment, in dem dieses Tentschland getnechtet und zertreten am Boden liegt, dem AuSlandc gegenüber nicht nuler den Scheffel zu stellen gesonnen ist. Und in demselben Sinne wird die Berufung Stresemanns auf die bekannte Rede des ehemaligen bayrischen Kronprinzen breitesten Widerhall finden. An der unbedingt nationalen Einstellung des Kauz lers, an der Reinheit seines vaterländischen Wollen» wird also nach diesen Ausführungen schlechterdings auch nicht der leiseste Zweifel mehr möglich sein, freilich — und daS ist gut so — paart sich bei ihm mit diesen warme» Gefühlen für sein Land der Drang zu schonungsloser Wahrhastigteil, die alle Schleier zerrissen sehe» will, hinter denen sich »och so etwas wir unwirklicher Optimismus nnd illusionäre Selbst überschätzung verbergen könnten. „Offenheit ist besser als Illusion!" rust der Kanzler, Offenheit über Tculschlands Wirtschaftslage und vor allem über die sein Schicksal vor wiegend bestimmenden außenpolitischen Verhältnisse. Es kann sich für uns heute nicht mehr darum handeln, auch nur eine einzige auhenpolitische Frage machtpolitisch regeln zu wollen. Wir sind darauf angewiesen, unter bewusster Aufrechterhaltung unserer nationalen Würde diplomatisch die Fragen regeln zu müssen, die unsere Eristenz belasten, ilnter klarer Einschätzung dieser Tatsache rollt Tr. Stresemann das Programm seiner Ruhr- und Reparativnspvlitik auf. ES ist nicht die skrupellose Verschleuderung letzte» deutschen Besitzes, wie es vielleicht oberflächlichen Blicken erscheinen möchte, was er darin anbictct, es ist der mvhlabivvgcne Vorschlag eines kühle» Rechners, der das Fazit seiner Rechnung nicht auS dem Auge leiht. Rhein und Ruhr, diese beiden Ur quellen deutscher Kraft, müssen frei werde», wenn wir poli tisch am Leben bleiben wollen: dafür soll ein gewisser Teil des deutschen Privatbesitzes mit einer Hypothek zugunsten des 'Reiches belastet werden, die die Aufnahme von Anleihen zu Reparativnsdicnsten ermöglichen soll. Die Höhe der hypothe karischen Belastung fleht noch nicht fest,- sic wird sich nach den Möglichkeiten der Wirtschaft zu richten haben, die ans den verschiedenen Wirtschaftsgebieten sehr unterschiedlich sind. Es wird darüber noch manches Wort zu sprechen nnd noch manche Untersuchung anznstellen sein. Das; aber der Kanzler schon heute versichern kann, das; dem Kabinett von vrioat- wirtschastlicher Seile Angebote gemacht worden sind, die ihm die Ausführung seiner Gedanken als gesichert erscheinen lassen, das ist ein Zeichen dafür, das; seine Pläne nichts Unmögliches oder Abenteuerliches an sich tragen, nnd das; man sich in führenden Wirtschaftskreisen mehr und mehr dem ursprünglich dentschnativnalcn Gedanken von einer grossen befreienden Opferlat für das Vaterland anpas;t Ein derartig weitgehendes Angebot, wie eS in dieser Präzision noch von keine»; deutschen Rachlriegskabinett ge macht worden ist, stellt selbstredend das Letzte dar, was wir überhaupt zu bieten haben. Abgesehen davon, da» zn diesem Angebot erst einmal in der innerdeutschen Wirtschaftspolitik die notwendigen Voraussetzungen und Begleiterscheinungen in Form von intensivsten Mastnahmen zur Steigerung der Produktion geschallen werden müssen, hängt seine reale Be deutung natürlich ganz von der Ausnahme ab, die eS in Frankreich finden wird. Geht cs den Franzosen in der Tat darum, wie Poincarst erst unlängst wieder versicherte, nur Zahlungen zn erlangen, so eröffnet sich hier ganz sicher zum allerletzte;; Mate ein Weg, den sie nur zu bejchreilen brauchen, »m zu ihrem angeblichen Hauptziele zu kommen. Sic würden dann auf dieses Anerbieten hin unverzüglich zu erklären haben, ob sic bereit sind, das Ruhr-Unternehmen zu liaui- Lieren und im Rhciniandc vcrtragSmästige Zustände wieder eiutreteu zn lasten. Jede Verzögerung dieser Erklärung aber würde uns allerdings in den; nach dem bisherigen Verhalten Frankreichs nur allzu berechtigten Verdachte bestärken müssen, das; die Vernunft nur Maske, der politische Wahnsinn da gegen der eigenliiche Kern der französischen Absichten ist. Für diesen Fall märe die Linie der deutschen Politik klar vorgeschriebe;;: Aushalten mit zusammengebisscnen Zähnen und sei cs auch bis zum bittersten Ende. Im Augenblick must diele Möglichkeit, an der Stresemann. nicht zuletzt im Hinblick auf d;e rcalpolitischerc Einstellung der übrigen Ententc- volter, vorbeiznkommen hasst, in den Hintergrund treten. Wir hassen noch einmal mit ihm „auf die Möglichkeit einer solchen Regelung". Frankreich hat das Wort. EL wird zeigen müssen, ob es sich dessen bewußt ist, daß heute mehr als das Geschick Frantrcicds allein in den Händen seiner führen den Männer liegt, nämlich die Ruhe und Befriedung Europas. Offenheit ist besser als Illusion. Die Kanzlerrede vor den Vertretern der öeuWen Presse. iD r a h t;;; e l i> u n g unsrer Berliner S ch r i s t l e i t n » g.) Berlin, 12. Sept. In der Pressabteilnng der ReichSregie- rung fand heute abend aus Einladung ihres Leiters, des Ministerialdirektors Kalle, ein Empfang der Presse statt, zn dem der Reichskanzler, der prenstischc Minister präsident Braun, ein.' Anzahl Mitglieder des RerchSlabinetts, darunter die Reichsminister Sv lim nun, Ge stier, Luther, v. R a u m e r. der Minister für die besetzten Gebiete, Fuchs, sowie eine graste Anzahl hervorragender Rcaierungspersöulichkeitcn erschienen waren. Nach einer kurzen Begrüßungsansprache des Ministerialdirektors Kalle ergriff der Reichskanzler Dr. Stresemann das Wort zu folgenden Aussührnngen: Was ich über den allgemeinen Stand der Dinge zu sagen habe, das habe ich vor kurzen; anläßlich eines Besuches in Stuttgart zum Ausdruck gebracht. Ich kann bezüglich der allgemeinen Richtlinien nur auf das damals Gesagte verweisen. Meine Herren! Wenn nur gegenwärtig die Lage betrachten, so bietet sic ein Bild änße-rstcr Spannung, auch in; Innern. Unsere Finanzen sind in einer schlimmen Vcrsasfiiiig. Die Wirtschaft spürt die Folgen der Abschneidung von der Ruhr und sic spürt die Folgen einer ii b e r st ii r z t e n P r c i s - n n d L c> h n - Politik. Die Preise liegen teilweise schon über dem Welt marktpreis. Die Löhne liege» vielfach über den Fricdens- löhncn. Ohne Opfer sind diese Fragen nicht zu lösen. Ei« Opfer für das Reich waren die Steuern, die unter der Regierung meines Amtsvorgängers vom Reichstag beinahe einmütig bewilligt worden sind. Tic Erhebung dieser Stenern fällt in schwierige Zeiten und bringt gewiß manche tlnzuträglichkciten mit sich. Tie bayrische Ltaatsregicrung hat an die Ncichsrcgiernng den Wunsch gerichtet, daß in eine Prüfung über die Er l c i ch t e r u ;; g c;;, die auf dem Ge biete zn gewähren seien, cingetreien werde. Diese;» Wunsche werden wir willfahren. Die Wirkung der Steuern wird dauernd überwacht. Wo Abhilfen unabweisbar, wird cingegrifsen werden. Aber wenn üaö auch geschehen kann, so mutz man sich darüber klar sein: Wir müssen dem Staate geben, was des Staates ist. Gewiß mutz, wenn ans diesem Gebiete stark cingegrifsen wird — und bei Regelung der außenpolitischen Fragen wird noch weit stärker in den Besitz nnd in die Wirtschaft cingegrifsen werden müssen —, auch gefordert werden, daß die Arbeitsleistung gesteigert wird. DaS betrifft sowohl die Frage der Arbcits intcnsität, wie auch die Frage der Arbeitszeit. Das Kabinett wird sich in den nächst-.;; Tagen mit der Frage beschäftigen, wie eine Erhöhung der bergbaulichen Produk tion im nichtbcsctzten Deutschland zu ermöglichen ist. Es ist nicht zu ertragen, wenn in siebzehn Schächten des Stein kohlenbergbaues im unbesetzten Gebiete die Förderung eminent zurürkgcht. anstatt der Mchrfürdrrung, die mir brauchen, und wenn wir durch dieses Zurückgchcn der Ar beitsintensität gezwungen sind, unser deutsches Geld lwrz»« geben, um mit fremden Devisen englische Kohle zu kaufen. Es ist setzt niemand berechtigt, den Staat durch Mind rleistnng in d;cscr, Weise zn schädigen. Tie Opfer, die das Reich vom außenpolitischen lNesichtspunkte aus von der Wirtschaft in der Zuknnft verlangen muß. können erst recht nicht ohne eine Voüsi' (Hmlliek): 96000000 Im ßrslvsrtzotze nbanck» e Ukr: SS002000 wesentliche P ; 0 d ;; k t i 0 u se r h ö h u n g geleistet wer den. Dazu gehört auch, wenn die Wirtschaft in Ordnung kommen soll, eine vernünftige Preispolitik. . Heine steht alles unter dem Drucke einseitiger Preisfestsetzung. Tie Ansrechtcrhaltung der Verbind- cichkeil solcher PrciSsestictzung ist schließlich davon abhängig, daß eine nvcmacc Preisbemessung erfolgt. Ich glanoe, an- nehnccn zn können, daß innerhalb der nächsten beiden Wcchcn die Frage des wertbeständigen Geldes gelöst sein mirö, womit wir in der Vage sind, namentlich der Landwirtschaft gegen über die sreic Bewegung, die Ausnahme, die Lieferung dcrEr- I nährnng sicherznsieilen. Man hat der Regierung Vorwürfe gemacht, baß sic diese Fraae nicht schneller gelöst hätte. Diese Kritik geht, glaube ich. vorbei au ocr großen Schwierigkeit des WährungsproblcmS überhaupt. Aus keinen; Gcbiece sind die Meinungen über die Wir kung irgendeiner Maßnahme so nu3eiiia;;dcrgehe;rd. wie auf dielen; Gebiete, und gerade in den Kreisen der Sachverstand; gen sind in; engsten Kreise der Befragten die Auffassungen darüber, was der richtige Weg ist, am meisten voneinander verschieden. Icb glaube, bet all der drängenden Not der «Gegenwart wollen wir doch an den; einen festhalten, daß nur nicht die Richtigkeit durch die Firigkcit leiden lasten. Wir dürfen nicht die Frage eines wertbeständigen Geldes, von der unendlich viel abhängt, z;,m Gegenstände eines unüberlegten Experiments machen. Die Frage der Errichtung einer Gvldnoten- sank, die Errichtung irgendeiner Währung au; der Basis der 'Berechnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse ist für nie mand von uns in; Kabinett Gegenstand parteipolitischer Ein stellung gewesen. Es gibt keine Parteipolitik in diesen Wäh- rungssragc». Es sollte überlmnpt keine Parteipolitik in Wirtschastsfragen geben. Diese Fragen, bei denen es sich um so unendlich bedentnngsvoltc Entscheidungen handelt, tonnen nur rein sachlich gelöst werden, sind von ui;S auch nur nach rein sächlichen Gesichtspunkte;; gelöst worden. Wir hvsfen, das; durch die Einrichtung von csoldkonrc;; bet der Reichsbank wertbeständigen Krediten auch dem Wunsche und dem Bedürfnis weiter Wirtschaststrcise nach Sicherheit ihrer Anlagen Rechnung getragen werden kann. Aber ich möchte das eine dabei betonen: Ganz falsch wäre cs, diese Maß nahmen so ausznfassen, als wenn die Rcichsrcgierung die Mark nun als solche ansgegcbcn hätte. Die Marl mns, Zah lungsmittel bleiben, nnd die ganzen Maßnahmen, die hier erfolge», gehen von dem chiesichtspunktc ans, dadurch anch eine Stabilisierung der Mark wiederherznstcllen, und sie aehen nicht eben davon ans, den einzelnen zu veranlaßen, nun seinerseits die Mark znrüikzuwcisen nnd sich nur aus neue Wertmittcl cinz» stellen. Aber aus; positive Mittel, wie die Errichtung einer Goldnotenbank, bringen diese Frage nicht zur Heilung. Offenheit ist besser als Illu sion. und deshalb wollen wir es vffen auösprechen: Ohne Lösung des anßcnpolitischcn Konfliktes ist die Finanzsrage nicht in Ordnung zu bringen, der Verfall der Mark nicht anszuhaltcn. eine wirtschaftliche Gesundung nicht hcrbeiznführcn. Die Regierung hat sich vom ersten Tage ihres Amts antritts an die Lösung des Ruhrkonflikks znr Aufgabe gestellt. Es war klar, daß diese Losung nicht allein durch die Fortsetzung des passiven Widerstandes erfolgen konnte. Machtp 0 litisch war dtese Frage nicht zu regeln. Auch der ehemalige Reichskanzler Dr. Enno hat, wie er wiederholt versicherte, niemals davon gesprochen, daß Verhandlungen über die Neparationsfrage erst nach Räu mung des NuhrgebietcS erfolgten sollten. Das Ziel des passiven Widerstandes konnte nur sein, das Rnhrgcbiet ,« be freien. Die bisherige Fühlungnahme zeigt zugleich die be stehenden Schwierigkeiten.