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Sächsische Volkszeitung : 13.03.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-03-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-191003135
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19100313
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19100313
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-03
- Tag 1910-03-13
-
Monat
1910-03
-
Jahr
1910
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Nr. 8V To«ntag, de« IS. März LVL0 v Jahrgang SchslscheUolkReitung scheint täglich »ach«. mtt >uSnah«e der Sonn- und Festtage. Unabhängiges Tageblatt Deutschland ^ct Hau» S.8S ^ ^ «e-- fiir Wahrheit, Recht nnb Freiheit Inserat« werden die 6gespaltene Petttzelle oder deren Raum mtt »8 4, Reklamen mtt SV ^ die geile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt, vnchdruärrei, Redaktion and Geschäftsstelle, Dresden, Pillaitzrr Ltrafte 4». — Fernsprecher 1SSS gürSrückgabe unverlangt. Echriftstück« keine Verbtudltchtett Redaktiond.Sprechstunde: II—l« Uhr. Rssts LsrnZtigusUs! „„ Vvr-ü«Il«;I»v Lsu« uvä Asdrarrekb«, «Ilo ttolr- uvä LlUortsn sovi« oaet» 2viokvuox von 60 Llark an Rissix« ^.ns^vadl, xüQslLxv 2k»t»1^«ise, tiokvi LssssQradatr l Nlst-l'lsoo» l ^odLLo-tisorxsv-ällss 18 k^üs- ^s-5il<OMmunil<Ziiien-. Vroscsiieii, Kolliers, l klinge, ketteo >-O I äie scsiäristen Neuheiten. Reelle Leeüenungl kiüige Ceeire! vs'LKcjesl, SotlÖ8S6s'§L8S6 4, neben fferrlelä. 8 6m 6>tmarlct. Äiutter Anna Blritr eittigungstcc -UtdevSkrtes Mittel rorLosfrltclillttl'äes vlote, o. Ilellilxovi äer 8Skte. psirel 1 S. kckt m. Scliutrm. .Mutter ^»n». OenerLlvertrieb: KüniL>- Nok /^potkelce, Oresclea. Große öffentliche Versammlung ^WW des Volksvereins für das kath. Deutschland zu Dresden im großen Saale des Keglerheims (Friedrichftratze) am Sonntag den 13. März 1910 abends V Uhr. Der Herr Reichstagsabg. Pauly-Cochem spricht über: Zeitgemäße Rückblicke. Einlaß: « Uhr. Anfang: 7 Uhr. Die Generalversammlung des Zentrumswahlvereins für das Königreich Sachsen findet heute Sonntag nachmittags 4 Uhr im katholischen Gesellenhause, Dresden-Altstadt, Käufferstraße 4, statt. Ruville! Der Uebertritt des Hallenser Professors Dr. von Ru- mlle schlug im protestantischen Lager wie eine Bombe ein. Alles war wie gelähmt vor Schrecken. Der ganze Chorus der evangelischen Bundesbrüder, die „Los von Nom!"- Schreier und -Meier, die doch sonst wahrhaftig nicht auf den Mund gefallen sind, wurden jählings stumm. Endlich wagt einer, vorsichtig den Kopf zu heben und aus die Schrift des Herrn Professors „eine evangelische Antwort" zu geben. H. Meinhof, Pastor an St. Lau rentius in Halle a. S., heißt der Kühne. Es ist derselbe Geistliche, zu dessen Gemeinde Prof. v. Ruville als „wert geschätztes Glied" gehört und mit dem er in näheren, sehr freundlichen Beziehungen gestanden hat. Herr Pastor Meinhof ist eine gute Seele. Er ver- sichert, dem Herrn Professor noch heute mit lebhafter Zu neigung und Wertschätzung und einer „grenzenlosen Teil nahme" gegenüberzustehen. Trotzdem wird er mit seinem „Kantzley-Stylo Luthers" so ausfallend und plump belei digend, daß wir Herrn Professor von Ruville raten möch ten, darauf tunlichst ebenso zu antworten, wie Stollberg auf die Attrempelungen seines ehemaligen Freundes Boß geantwortet hat — nämlich gar nicht. Wenn übrigens diese „evangelische Antwort" alles ist, was der Protestantismus Ruville zu sagen hat, dann — „Aufrichtiges Mitleid!" Hätte Herr Pastor Meinhof als „Chefredakteur" eines Sonntagsblättchens, etwa des „Nach barn", oder als Vroschürenfabrikant des Evangelischen Bundes seine Weisheit verkauft — nun ja, die Leutchen sind nichts Besseres gewöhnt, aber einem Ruville öffentlich also zu antworten — nein, mein Herr! Sie hätten wirk lich gescheiter getan, ihre Feder hinterm Ohr zu lassen! Wenn Herr Professor von Ruville noch einen Rest von Zweifeln gehabt hätte, ob der erwählte Glaube der wahre sei — nach diesen Rippenstößen seines ehemaligen Hirten dürfte auch der geschwunden sein. Man höre nur den Herrn Pastor: „Das freilich kann ich nicht ändern, daß das, was ich über die jesuitische Führung der römischen Kirche sagen muß, ihm (R.) wehe tun wird. Nicht die ehrlich christlich-frommen Katholiken wird, was ich sage, ver letzen . . . .," sondern — die unehrlichen, zu denen Ruville gehört, seit dem er bei den Jesuiten oder ihren Geistesverwandten in die Schule gegangen ist und „aus schwarz weiß zu machen" gelernt hat. Aber tun wir nicht dem Herrn Pastor Unrecht? Viel leicht meint er es gar nich so schlimm, wie er es bringt, und er hat nur Angst vor Ruville und seiner Intelligenz, die selbst hinter den düsteren Mauern der katholischen Kirche doch nicht so schrecklich „erwürgt" ist, wie er sich und an dere glauben machen möchte, vielmehr jenes Licht gefunden haben könnte, das einem Augustinus geleuchtet hat. Zittert nicht Angst bei allem, was Herr Pastor Meinhof sagt, fühl bar durch, und ist sein Poltern und Lärmen über Jesuiten und „jesuitische Führung der Kirche", über „heidnische Mystik", das Opfer, „das der Priester mit seinen Weih sprüchen darbringt, ein Opfer, wie es in dem sel ben Werte die sämtlichen nicht christlichen Religionen haben" (II), ferner der schmeichelhafte Vergleich mit „Bitschapur bei Bombay, wo 20 000 Menschen in schwärmerischer Verzückung knien, wenn das Kästchen gezeigt wird, in dem etliche Haare des Propheten aufbe wahrt sind", kurz, ist das ganze Raisonnement über Len „furchtbaren römischen Irrtum", dem sein lieber, guter Ruville (wahrscheinlich durch die Teufelskünste der Jesu iten) zum Opfer gefallen ist — nur das Bestreben, diese Schwäche zu verdecken? Jesuiten! Nun hat Herr Pastor Meinhof gewon nen. Wenn Protestanten von Jesuiten hören, wird ihnen ohne weiteres alles — scheußlich klar. Hieße es: „Bürger von Halle! Seid auf der Hut! Man hat gestern abend um die 12. Stunde in unserer liebe», treu evangelischen Stadt einen leibhaftigen Jesuiten am Lutherdenkmal sei nen Dolch wetzen sehen ." — Wer lacht da? Mit solchen Gegnern ist nicht zu spaßen! — Herr Pastor Meinhof bildet sich ein, die katholische Lehre vom Sakrament des Altars zu kennen. Seine Aus führungen aber sind so konfus und tendenziös entstellt — er spricht von „Stoffwerdung Gottes", vom Essen eines „materiellen Wunderbrotes" — daß er kaum den kleinen Katechismus absolviert haben dürfte. Ob ihm der Begriff „Unfehlbarkeit" klar geworden, ist fraglich, den Primat wähnt er mit Gal. 2, 11 bis 14 (Als aber KephaS nach Antiochien gekommen war, widerstand ich ihm ins An gesicht . . .), die ..Kelchentziehung" mit Matth. 26, 27 (Trinket alle daraus . . .) widerlegt zu haben. Luthers Ausspruch: „Diejenigen, die nur unter einer Gestalt das Abendmahl empfangen, sündigen nicht, indem Christus nicht befohlen hat, beide zu genießen" kennt er nicht. Die dogmatische Begründung für die Erlaubtheit der „Kelch entziehung" vermutlich noch weniger, desto besser gewiß die alte Konfirmandensaal-Phrase: „Ich trinke für euch alle!' In das Allerheiligsre unserer heiligen Religion mit wütendem Fanatismus einbrechend, versucht er in empö render Weise den erhabensten Kult in den Staub des Heidentums zu zerren. Man ist versucht, auf diesen Helden das Wort Möhlers anzuwenden: „Ein Gegner der Messe muß jeder sein, der vom Ganzen nichts versteht, als daß der Priest er bald rechts, bald links geht und mit einem bunten Gewände bekleidet ist." Wir bitten, sein Elaborat, das an die widerlichen Ver höhnungen des Christentums in sozialistischen Blättern er innert, mit dem zu vergleichen, was Goethe in „Wahrheit und Dichtung" über den „glänzeirden Zirkel" der sieben. Sakramente geschrieben hat, und man wird über die Psyche eines Mannes, der mit solcher Methode Christen belehren, „Irrende" bekehren will, im Reinen sein. Herr Pastor Meinhof will Ruville widerlegen! Aber so widerlegt — nein, so belegt man nur mit neuen Argumenten des Geg ners Worte: „Ich erkannte, daß Lehrer, Pa stören, Theo logen . . . nichts vom Katholizismus ver standen, und sich doch nicht gescheut hatten, in ab- sprechendster Weise darüber zu urteilen, ja oft genug ihren Sarkasmus darüber zu ergießen ..." — „Ich be merkte, daß mir der Schritt von manchem weit mehr ver übelt wurde, als wenn ich liberaler Protestant, Frei denker, Gottesleugner und was sonst noch geworden wäre. Ich erkannte, die sogenannte Toleranz umfaßte alles, was man wollte, nur nicht die Wahrheit." (Ruville, „Zurück zur HI. Kirche." S. 24 und 34.) . „Es gibt." wie Albert Maria Weiß sagt, „nur eme Warnungstafel, auf der die Worte stehen: Hier ist Gefahr, katholisch zu werden. In diesem Stück ist die Schule Luthers dem negativen Charakter des Meisters treu ge blieben. Das Wort katholisch ist zum Schreckruf geworden, ärger als der Wauwau für die kleinen Kinder. Lieber Sozialdemokratie und Anarchismus, als ein Zusammen- gehen mit den Katholiken. Den Mohammedanismus kann man begreifen und den Buddhismus sogar liebgewinnen, aber bei dem Vorwurf des Katholisierens erbleicht der Mann . . ." (Lutherpsychologie S. 191.) An der Schrift Ruvilles überrascht Herrn Pastor Mein- Hof. wie leicht von Petrus auf seine Nachfolger übergesprun- gen wird. Er selb st aber überspringt alle Jahrhunderte von Christus bis Luther, um ganz naiv von der „evangelischen Kirche" zu reden, die dte Pforten der Hölle nicht besiegen werden, weil sie auf den Glauben an den Gottessohn gegründet sei, der — wie er zu bemerken vergaß, im modernen Protestantis mus mit der Laterne gesucht werden muß. „Luther hat das Evangelium aufgedeckt." Stimmt! Aber nur in dem Sinne, in dem er an Leo X. schrieb: „Gesetze für die Auslegung des Wortes Gottes lasse ich nicht gelten." Herr Pastor Meinhof hat viel zu wenig, um Ruville und seinen Uebertritt objektiv beurteilen zu können. Darum die vollkommen verfehlte Art seiner vermeintlichen Widerlegung und jene Kollektion von tief verletzenden Worten. Er ahnt gar nicht, wie schwer er Ruville und alle Katholiken beleidigt hat, ohne seiner Sache im gering sten zu nutzen. Das hätte ein katholischer Geist licher von der prote st antischen Kirche sagen sollen, was dieser Diener am Wort uns ins Gesicht zu schleudern sich erkühnt! Ein charakteristischer Zug der protestantischen Kirche und ihrer Führer ist ein erstaunlicher Mangel an Welt- und Menschenkenntnis. Es ist, als ob mit dem Verluste der Privatbeichte — wie Hofprediger Ackermann schreibt — die Kenntnis und Leitung der Seelen unmöglich geworden sei. Herr Pastor Meinhof gibt sich Mühe, das zu beweisen durch salbungsvolle, vom blühenden Optimismus triefende Phra sen: „Es geht durch unsere Männerwelt ein neu erwachtes Verlangen . . . Wir haben vor Tausenden von Arbeitern in sozialdemokratischen Versammlungen unter lautloser Stille Christus verkünden dürfen . . ." usw. An diesen Strohhalmen klammern sich die Nufer im Streite an wie ! Ertrinkende inmitten eines tosenden Meeres. Wer hat dem atheistischen Sozialismus die Rekruten gestellt? Die katho lische Kirche? Nein! „Sie hat es meisterhaft verstanden, uns die katholischen Arbeiter fern zu halten," hat Bebel gesagt. Wer bleibt übrig? Und doch hätte die protestan tische Kirche im „protestantischen Kaiserreiche" zeigen kdn- nen, was sie leisten könnte. Sie war und ist frei, wäh rend die katholische Ketten trägt, vielfach auch in romani schen Ländern unter liberalem Regiments. „Wo ist der Zusammenschluß der Männer, die beten?" fragt sehr richtig Herr Pastor Meinhof. Aber in seiner psychologischen Unkenntnis sieht er nicht, daß das tiefste Prinzip des Luthertums, dieser Religion der Willkür, gerade diesen Zusammen schluß unmöglich macht — ein Prinzip, das auf das wirtschaftliche und alltägliche Leben angewandt, als Heller Wahnsinn angesprochen würde. Das hat Ruville gefühlt, erkannt und bekannt: „Zurück zur heiligen Kirche!" Thomas Carlyle teilt, wenn diese Zusammenstellung erlaubt ist, mit dem Herrn Pastor in Halle die gleiche Schwärmerei für Luther — beide stecken bis über die Ohren in den buntgeflickten Lutherlegenden. Dennoch hat jener Auge genug, um die geheimen Pfade wahrzunehmen, die von der sogenannten Reformation zur Revolution hinüber spielen. Dagegen ist Herr Pastor Mcinhof stockblind. Nur das eine fühlt er instinktiv heraus: Endweder — oder! Entweder: Zurück zur heiligen Kirche! oder: Vorwärts zum „Glauben"! Zu welchem Glauben? Zu jenem Glauben, von dem ein abgefallener katholischer Priester sagt, daß seine Bibel- kritik von der heiligen Schrift nichts übrig gelassen hat als den Einband mit dem ehrwürdigen Titel: „Die Bibel" — daß diejenigen seiner Theologen, die noch an die Gottheit Christi glauben, eine einflußlose Minderheit sind, daß aber dennoch die planmäßig betriebene Verlockung zu diesem Glauben „Evangelisation" genannt und obendrein über katholische Proselytenmacherei und Propa ganda gezetert wird, wodurch die vielgerühmte deutsche und evangelische Wahrhaftigkeit, die vor welscher und jesuitischer Verlogenheit geschützt werden soll, im wundersamsten Lichte strahlt. (Karl Jentsch. „Christentum und Kirche." S. 445.)
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