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Wochen- und Kachrichtsblatt zugleich MW-ÄWM sir Höhndorf, Rödlih, Pernsdorf, RNors, Zt. KBit«, Heinrichsort, Miriemil m) MW. Amtsblatt für de« Stadtrat ;« Lichtenstein. — — ———— —-— — 4«. Jahrgang. — — — —-—— — — Nr. 166. Sonntag, den 20. Juli 1890. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Sonn- und Festtags) abends für den folgenden Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis 1 Mark 25 Pf. — Einzelne Nummer 10 Pfennige. — Bestellungen nehmen außer der Expedition in Lichtenstein, Markt 179, alle Kaiser!. Postanstalten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. — Inserate werden die viergespaltene Korpnszeile oder deren Raum mit 10 Pfennigen berechnet. — Annahme der Inserate täglich bis spätestens vormittag 10 Uhr. Nächsten Montag, den 21. Juli, abends « Uhr soll, so Gott will das Richt- und Hebefest der neue« Luther-Kirche zu Huhndorf stattfinden. Die Gemeinde Hohndorf wird zu dieser Feier mit der Bitte um zahlreiche Teilnahme hierdurch freundlichst eingeladen. Hohndorf, am 19. Juli 1890. Der Kirchenvorstand. Diak. Riedel. Wochenschau. Fürst Bismarck's letzten Worte beherrschten die Woche! Die Aufsehen erregenden Aeußerungen, welche der „Einsiedler von Friedrichsruhe" dem Vertreter eines Frankfurter Blattes gegenüber gethan, haben die öffentliche Meinung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beschäftigt. Daß sich der Fürst von dem Unmut, der ihn seit seinem Rücktritt aus dem öffentlichen Leben beherrschte, noch nicht hat befreien können, zeigen seine Ausführungen deutlich genug, und es ist ja auch erklärlich, daß einem Manne, der ein ganzes Menschenalter hindurch die leitende Persönlichkeit in Europa gewesen ist, die plötzliche Ver setzung in die Thateulosigkeit wenig behagen mag. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, lassen sich die bitteren Worte des Fürsten wohl begreifen, doch konnte natürlich die Kritik, welche der bisherige Reichs kanzler den kaiserlichen sozialpolitischen Erlassen an gedeihen ließ, nicht verfehlen, berechtigtes Aufsehen zu erregen. Fürst Bismarck will seinem Herzen Luft machen, und das wird ihm Niemand verwehren, und so lange er nicht selbst Konflikte hervorruft, wird von Seiten der Reichsregierung schwerlich eine Erwiderung erfolgen, allerdings praktische Erfolge erzielt er damit nicht. Kaiser Wilhelm II. besitzt keine geringere Energie, wie der bisherige Reichskanzler, der Monarch ist der Beeinflussung ebensowenig zugänglich, wie der Ein schüchterung; an ein neues Zusammenarbeiten des Kaisers mit dem Fürsten Bismarck ist unter den ob waltenden Verhältnissen aber in der That nicht mehr zu denken. Die Worte des größten Staatsmannes unseres Jahrhunderts werden immer mit Aufmerksam keit angehört werden; er weiß ebenso gut, wie sonst alle Welt, daß Deutschland sich nach Ruhe und Frieden im Innern sehnt, des Haders und des Streites reich lich überdrüssig ist. Wenn Fürst Bismarck fortan noch in diesem Sinne wirken wollte, man würde ihn gerne anhören. Ueber die Zurücksetzung sich zu be klagen, hat der Fürst heute kein Recht. Kaum ist einem Staatsmanne, der für sein Vaterland Großes geleistet hat, eine solche Dankbarkeit entgegengebracht worden, wie dem Fürsten Bismarck. Und diese Dank barkeit wird auch in Zukunft nicht erlöschen, davon kann er überzeugt sein! Kaiser Wilhelm hat bei seiner Nordlandreise in dieser Woche einige Tage unter ungünstigem Wetter zu leiden gehabt und deshalb einen längeren Auf enthalt im Nordfjord nehmen müssen. Jetzt ist eine Wendung zum Besseren eingetreten, und der Monarch hat seine Ausflüge in das Innere der norwegischen Gebirgswelt wieder ausgenommen. Die Heimkehr nach Wilhelmshaven wird am 27. d. M. erfolgen. In ausländischen Zeitungen waren Alarmgerüchte ver breitet, in welchen gesagt wurde, der Kaiser würde mit Rücksicht auf die allgemein politische Lage seine Erholungsreise abkürzen. Natürlich ist daran nichts wahr, denn wenn auch wohl deutsche Versuche zu be stehen scheinen, die bulgarische Frage aus der Welt zu bringen, so ist doch nicht der mindeste Anlaß zu irgend welchen Besorgnissen vorhanden. Im Gegen teil, in Europa kann es nicht ruhiger und friedlicher aussehen, wie es heute der Fall ist. Die im Frühjahr so stürmische Arbeiterbewegung in Deutschland gestaltet sich von Woche zu Woche ruhiger. Viel dazu tragen die Verbände der Arbeit geber bei, welche exzentrische Forderungen der Arbeiter mit Erfolg bekämpft haben, auf der anderen Seite mahnen aber auch bekannte sozialdemokratische Größen fortgesetzt vor dem unüberlegten Beginn der Streiks, die unter den heutigen Verhältnissen in keiner Weise angebracht seien. Wie die Dinge thatsächlich liegen, beweist die Entlassung einer Anzahl von rheinisch westfälischen Bergarbeitern wegen mangelnden Kohlen absatzes. Der Schaden, welcher der deutschen Industrie durch die infolge der früheren Streiks mit zu Stande gekommene allgemeine Verteuerung erwachsen ist, tritt nun deutlich zu Tage. Die Franzosen haben am 14. Juli ihr National- fest in gewohnter Weise begangen. Bemerkenswert ist indessen, daß jetzt zum erstevT'Male absolut keine Revanche-Aeußerungen vorgekommen sind. In den früheren Jahren hielt irgend ein Revanchemann stets eine Rede vor der Straßburg-Statue auf dem Ein trachtsplatze. In diesem Jahre nichts von alledem, auch von den Bvulangisten, welche im Vorjahre den PräsidentenCarnot auszupfeifen versuchten, war diesmal nicht die leiseste Spur zu entdecken. Der einzige, aber wenig belangreiche Zwischenfall war, daß ein geistes kranker Mensch einen blinden Pistolenschuß in die Luft abfeuerte. Nachdem sein Zustand erkannt war, wurde er einer Irren-Anstalt übergeben. Die Kolonial verhandlungen zwischen England und Frankreich dauern immer noch fort, gewähren indessen eine sichere Aus sicht auf Verständigung. Uebrigens haben die Franzosen mit ihrer Kolonialpolitik in Afrika auch eine bittere Erfahrung gemacht, denn in Senegambien ist ein Truppenkorps von den Eingeborenen empfindlich ge schlagen worden. Der Kolonialvertrag mit Deutschland und die Abtretung Helgolands ist vom britischen Oberhause definitiv angenommen worden. Die Vorlage geht nun mehr an das Unterhaus, und auch dort ist die Ge nehmigung sicher. Der Streik der Londoner Post beamten ist durch das Versprechen einer Gehalts aufbesserung, welches der Postminister gemacht hat, definitiv verhindert worden. Die Rädelsführer der Garde-Grenadiere, welche ihre Mannschaften zu der bekannten Meuterei und Gehorsam-Verweigerung ver leitet hatten/ werden vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Man hat doch erkannt, daß der Fall zu arg war, als daß er totgeschwiegen werden könnte. Ein sehr gereizter Notenwechsel hat zwischen der englischen Regierung und den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika wegen der Fischerei in der Behringstraße stattgefunden. Auf beiden Seiten sind sehr derbe Aus drücke gefallen, schließlich haben aber beide Teile nach gegeben. Stanley, der vorigen Sonnabend seine Hoch zeit gefeiert hat, ist fieberkrank und muß deshalb das Bett hüten. Allerlei unheimliche Geschichten werden wieder einmal aus Petersburg mitgeteilt. Nicht nur, daß wiederum mehrere Offiziere unter dem Verdachte, der Nihilistenpartei anzugehören, verhaftet worden find, soll auch im Arbeitszimmer des Czaren selbst eine Blechbüchse mit einem höchst gefährlichen Sprengstoff gefunden worden sein. Ob an allen diesen Schauer geschichten viel Wahrheit ist? Wer will das sagen? Daß der Czar einer gesicherten Erholung dringend bedarf, scheint indessen die Ankündigung zu beweisen, daß die russische Kaiserfamilie nach den abgehaltenen großen Manövern auf längere Zeit nach dem Schlosse Fredensborg bei Kopenhagen reisen wird. Er bleibt auf seinem Throne, Fürst Ferdinand von Bulgarien nämlich, wenigstens vorläufig. Aus dem Besuche, welchen der Herzog von Koburg dem Fürsten, seinem Neffen, abgestattet hatte, war ver schiedentlich geschlossen worden, daß Fürst Ferdinand auf den Rat seines Oheims demnächst abdanken werde. Die Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme lag auf der Hand, so schnell steigt man denn doch nicht vom Fürsten throne herab, und sie hat sich auch richtig nicht be wahrheitet. Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, daß die bulgarische Frage demnächst wieder in's Rollen kommt, und wichtige Beschlüsse scheinen sich hier vor zubereiten. Sonst ist es im Balkan ruhig. Die Türkei hat von den Vertretern verschiedener Mächte wegen der blutigen Ruhestörungen in Armenien ernste Vorstellungen zu hören bekommen, und auch eine strcnge Untersuchung versprochen. Ob diese Untersuchung stattfinden und mehr noch, ob sie etwas helfen wird, steht aber noch sehr dahin. Im Sudan wird heftig gekämpft und es scheint, als ob das über der Leiche des Generals Gordon errichtete Reich des Mahdi zusammbrechen sollte. Eine Anzahl von Araberscheichs hat sich gegen den Mahdi erhoben, und die Scharen des Letzteren haben wiederholt schwere Niederlagen erlitten. Zu erheblichen Arbeiterunruhen ist es in Ober- Italien und Spanien gekommen. Die schnelle An wesenheit der Truppen dämpfte aber regelmäßig den Aufruhr sehr bald. In Spanien ist der Stand der Cholera unverändert. Viel Aufsehen machte die aus Rom gemeldete Nachricht, der Papst habe den Vatikan, seinen Palast, verlassen und eine Fahrt durch die angrenzenden Teile der Stadt Rom unternommen. Hinterher stellte sich aber die Unrichtigkeit der Meldung heraus, das Oberhaupt der katholischen Kirche hat nur das äußere vatikanische Gebiet betreten, aber nicht die Stadt Rom. Tagesgesch-chLe. *— Lichtenstein, 19. Juli. Es werden jetzt in der Blütezeit der Linden fortwährend durch Abpflücken von Blüten die an den fiskalischen Straßen anstehenden Linden mehr oder weniger beschädigt. Wir machen deshalb das Publikum und namentlich die Eltern auf das gesetzlich unzulässige Abnehmen dieser als Thee zu verwendenden Blüten aufmerksam. Alle Straßenbaubeamten haben Auftrag und strenge Weisung zur sortigen Pfändung als auch zur Anzeige erstattung über dergleichen Personen, welche Blüten entnehmen. — Die großen Ferien beginnen! Mit Ungeduld sehnen unsere Kleinen den Tag herbei, an dem sie die Fibel und die Schiefertafel in die Ecke werfen und in den vollen Genuß der geliebten, goldnen Freiheit treten können. Erwartungsvoll schauen die großen Kinderaugen den geheimnisvollen Freuden entgegen, die ihnen nunmehr winken. Die großen Schüler sind schon ernster. Erst wenn sie das Ränzel auf dem Rücken haben und, den Stock in der Hand, die Fußreise durch das Gebirge antreten, dann drängt sich aus den jugendlichen Kehlen das Lied von der Wanderlust und der Wanderseligkeit hervor, und wenn in dem nächsten Wirtshaus eingekehrt wird, so hebt sich die Brust doppelt glücklich, ganz ohne Kontrolle über die Reisekasse verfügen zu können. Was kümmert sie alle die Sorgen um die Zukunft, sie, die Ferien arbeiten wie ein Schreckensgespenst fürchten! Die werden schon fertig werden! Und sie werden auch immer fertig. Und wenn dann die Jugend gebräunt und gekräftigt zurückgekehrt in die Schulstuben, dann wird die Arbeit, sobald die ersten Nachwehen der Ferien aus den Gliedern entschwunden sind und die Köpfchen nicht mehr gefüllt sind mit den bunten Bildern der freien Tage, doppelt rüstig vorwärts gehen.