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vMKilUt W AWm AmtzkitW Nr. 197. zu Nr. 273 des Hauptblattes. 1928. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtaftsverhandlungen. (Fortsetzung der 92. Sitzung von Donnerstag, den IS. November 1928.) Abg. Härtel (Volksr.): Zunächst muh ich zu einer Richtigstellung das Wort ergreifen, nämlich zu den Dingen, wie sie gestern im Rechtsausschuß gegangen sind. Die im Nechtsausschuß anstehenden Mieterfragen sind auf Antrag des Berichterstatters Roscher der Kom munistischen Partei und vom Herrn Präsidenten Hick mann vertagt worden, ohne Widerspruch der Sozial demokratischen Fraktion, sondern mit ihrem vollen Ein verständnis aus der Erkenntnis heraus, daß die Dinge hier eben doch erneut aufgerollt werden sollen und man gestern im Nechtsausschuß damit nur unnütze Zeit vertan hätte, denn die Frage wird ja letzten Endes wieder den Rechtsausschuß beschäftigen müssen. Hinsichtlich der hier aufgeführten Fälle über die Ausführung der Lockerungsverordnung sind unserer Auffassung nach doch wohl beabsichtigte Entstellungen und Verdrehungen vorgetragen worden. Wenn man von 20 Obdachlosen in Chemnitz spricht, so meinen Sie wohl WohnungSlose, die bis jetzt keine Wohnung hatten und die von Ihnen bewußterweise als obdachlos be- zeicknet werden. Dann zu dem Fall mit dem Gastwirt in Chemnitz. Haben Sie sich denn überzeugt, ob er überhaupt unter die WohnungLlockerungsverordnung fällt? Das ist doch ein Pachtverhältnis, kein Miet- Verhältnis! Hier liegt auch eine Verdrehung vor, denn, da es sich um ein Pachtverhältnis handelt, scheidet der Fall aus der Wohnungslockerungsverordnung aus. Alle diese Verdrehungen, die Sie heute wieder vorgetragen haben, müssen wir als nackte Demagogie brandmarken. Festzustellen ist als Ergebnis aus der Wohnungs- lolkerungsverordnuug, daß die Mietzinsgrenze, die für eine Wohnung zugrunde gelegt ist, keine Schädigung der sogenannten mittleren und unteren Bevölkerungs schichten gebracht hat, weil sie gar nicht in so teueren Wohnungen wohnen. Allerdings hinsichtlich der ge werblichen Räume ist diese Mietzinsgrenze nicht ganz ausreichend. Dafür ist aber wohl das Justizministerium in allen Fällen bemüht gewesen, gegen den Mietwucher mit allen Mitteln einzugreisen, und das ist ja wohl die Hauptsache, daß man alle diese Fälle strafrechtlich ver folgt und damit Exempel statuiert, die für die wuchern- den Hausbesitzer ein viel größerer Denkzettel sind, als wenn man mit anderen Mitteln vorgeht. Als ein Mangel in der Wohnungslockerungsverordnung ist aller dings die Nichtberücksichtigung der Privatkliniken und der Räume für die ärztliche Praxis festzustellen. Wir müssen der Negierung zur Erwägung geben, dafür zu sorgen, daß diese noch mit unter die Ausnahmebestim mungen fallen und einzubeziehen sind. Im übrigen muß ich aber bei dieser Gelegenheit noch einmal auf die Denkschrift des sozialdemokratischen preußischen Ministers Braun verweisen, die in der Mietcrzeitung in Zwickau abgedruckt ist, wo er sagt, dass die Auswirkung der Lockerungsverordnung in Preußen keine Schädigung der Mieterbelange gezeitigt hat und in Preußen infolgedessen gar keine Ursache sür die Aufhebung der Lockerungsverordnung bestehe. Warum hat sich dort erwiesen, daß keine Notwendigkeit sür die Aufhebung besteht? Was die Stundungsverordnung anlangt, so stehen wir auf dem Standpunkt, daß objektive Unterlagen für 29 Proz. Unterhaltskosten noch nicht vorliegen, und daß noch eine Nachprüfung auf Grund einwandfreier Unter- lagen erbracht werden muß. Aber in dieser Hinsicht ist die grundsätzliche Frage die, ob man nicht auch dem Grund- und Hausbesitzer auf dem flachen Lande, wie ich schon früher einmal betont habe, dem minder bemittelten und entrechteten Hausbesitzer, der sein Spar kapital verloren hat und heute nicht in der Lage ist, aus ersparten Mieten sein Hausgrundstück — es sind gewöhnlich ältere Hausgrundstücke — zu erhalten, einen Schritt tun und ganz regional und individuell begrenzt einen wetteren Betrag für die Unterhaltungskosten gewähren muß. (Abg. Neu: Sind Sie bei der Wirt- schaftspartei!) Ich stelle mich hier auf den sozialen Standpunkt (Lachen b. d. Soz.) der entrechteten kleinen Hausbesitzer, soweit sie Sparkapital gehabt haben. Erkennen Sie doch einmal die Tatsachen: es handelt sich um den Hausbesitz, der eine niedrige Friedensmiete auf dem Lande hatte und heute von den 29 Proz. kein Haus mehr unterhalten kann, noch dazu ein altes Ge bäude. Wenn Sie als Sozialdemokraten diesen sozialen Standpunkt verlassen, so tun Sie es nur aus grund sätzlicher Einstellung zur Frage überhaupt. Daß selbst- verständlich den großen Geschäftshäusern, die in den Straßen der Großstädte liegen, irgendwelcher hoher Prozentsatz nicht gewährt werden kann, darüber ist wohl Übereinstimmung bei uns sowohl wie bei den anderen Parteien. Hinsichtlich der Siedelungsfrage will ich nur noch kurz sagen, daß man heute allerorts die Fehler erkennt, die gemacht worden sind, und zwar nicht bloß in den beiden Fällen, die hier vorltegen, sondern sie treten jetzt überall in Erscheinung; es tritt der Verfall vieler Siedlungen ein, die man leichtfertig hingesetzt hat. Wenn Sie heute bloß diesen einen Fall anzrehen, so ist das eine bestimmte Absicht. Eins steht fest: zu teuer ist überall gebaut worden. Warum will denn z. B. der sozialdemokratische Vorsitzende de- Stadtparla- ments in Zwickau au- feinem Siedlung-Hau- heraus? Weil er die Lasten nicht mehr ertragen kann, er kann die Verzinsung nicht aufbringen und muß jetzt einsehen, daß es ein falscher Grundsatz war, den Sie Ihrer Wählerschaft immer gepredigt haben. Jetzt rächt sich das, und nun wollen Sie die Schuld abschütteln. (Zuruf b. d. Soz.) Ich bin ein alter Anhänger des Damaschke-Gedankens, aber nur dort, wo die Voraus setzungen dafür gegeben sind; für ein Industrieland wie Sachsen ist aber eine Siedlung, wie Sie sie pre digen, praktisch nicht durchführbar. Der Abg. Geifer (Soz.) erhält wegen des Zurufs „Heuchelei", den er während der Rede des Abg. Härtel gemacht hat, einen Ordnungsruf. Abg. Schladebach (Dnat): Es entspricht nicht den Tatsachen, daß der Bezirkstag in Grimma und die Amtshauptmannschaft in dieser Angelegenheit eine Auskunft nicht erlangen konnten; vielmehr hat mir ein Mitglied des Bezirksausschusses, Kollege Bergmann, gesagt, daß die ganze Angelegenheit vor dem Grimmaer Bezirkstag verhandelt worden ist, und der Bezirks ausschuß Grimma hat einstimmig — dazu gehören auch die Herren von der Sozialdemokratie — die Planung beschlossen, bat beschlossen, wo die Siedlung errichtet werden soll. Die Kritik des Herrn Kollegen Mucker ist also nicht im Recht, denn seine eigenen Leute haben mitgemacht. Der Bezirksausschuß hat außerdem einstimmig beschlossen, daß die Ausschreibung erfolgt unter Einschluß der Landessiedlungsgesellschaft, und er hat einstimmig beschlossen, daß als Träger der Siedlung diese Genossenschaften gebildet werden. Im übrigen behalte ich mir vor, im Ausschuß bei der Prüfung dieser Angelegenheit noch zu sagen, was not- wendig ist. Nach dem Schlußwort des Abg. Gerlach (Soz.) wird die Aussprache dadurch, daß ein Negierungsvertreter noch eine Erklärung abgibt, wieder eröffnet. Ministerialratvr. Zieger: Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat soeben in seinem Schluß wort dem Oberlandesgericht Dresden den Vorwurf ge macht, es habe in einer von ihm namentlich bezeich neten Prozeßsache eine Rechtsbeugung begangen. Die Regierung weist diesen Vorwurf, der einer der schwersten Vorwürfe für ein Gericht überhaupt ist, hiermit ent- schieden zurück. Das Sachverhältnis ist folgendes. Heute vormittag nm 11 Uhr ist eine Abordnung der Chem nitzer Geschäftsraummieter im Arbeits- und Wohlfahrts- Ministerium erfchienen und hat dem Vertreter des Arbeits- und Wohlfahrtsministeriums und mir als Ver- treter des Justizministeriums Kenntnis gegeben von den Wünfchen und Beschwerden der Chemnitzer Ge- schäflsraummieter. Dabei ist anzweiter Stelle von einem Vertreter dieses Vereins Bezug genommen worden auf einen Prozeß, der gegenwärtig nach der Angabe dieses Vertreters noch nicht entschieden ist, sondern zurzeit beim Obcrlandesgericht Dresden schwebt. Es handelt sich um diesen vom Herrn Berichterstatter erwähnten Prozeß, in dem ein Gastwirt als angeblicher Mieter oder Pächter wohl auf Räumung verklagt ist. — Worum es sich handelt, kann ich jetzt nicht sagen, weil ich die Akten nicht kenne und in der Zeit von heute vormittag 11 Uhr keine Gelegenheit gehabt habe, die Akten bei zuziehen und zu studieren. (Sehr richtig! rechts.) — Also in diesem Prozeß wird behauptet, es hätten sich Un zuträglichkeiten herausgebildet, es hätte das Chemnitzer Gericht bereits in seiner ersten Entscheidung dahin er kannt, daß dem Mann ein Mieterschutz nicht zustehe, und ich muß wohl die Ausführungen des Herrn Be richterstatters dahin auffassen, daß auch dieser Chemnitzer Spruch, der sich ja mit dem angeblich bereits ergangenen Spruch des Oberlandesgerichts decken würde, als eine Rechtsbeugung aufzufassen wäre. Auch das muß mit aller Entschiedenheit zurückgewiefen werden. (Sehr richtig! rechts.) Meine Damen und Herren! Ich habe der erwähnten Abordnung sofort auf ihren Wunsch zugesagt, daß die Akten beigezogen und geprüft werden sollen. Mehr habe ich bei dieser Sachlage nicht tun können. Es kann aber in alle Wege keine Rede davon sein, daß eine Rechtsbeugung vorliegt. Wahrscheinlich wird der Sach verhalt der sein, und nach dieser Richtung habe ich auch die Chemnitzer Herren beschicken, daß es sich nicht um einen Mietvertrag handelt und nicht um die Frage, ob dann etwa auf Grund der Lockerungsverordnung der Mieterschutz gelte oder nicht, sondern daß das Vertragsverhältnis zwischen Hauswirt und Gastwirt voraussichtlich als Pachtvertrag anzusehen sein wird. (Sehr wahr! rechts.) Nach der ständigen Rechtsprechung, die auch der höchste Gerichtshof unverändert befolgt hat, ist es ganz offensichtlich, daß auf ein Pachtverhältnis die Mieterschutzgesetze keine Anwendung finden können. Ich muß also nochmals diesen hier meines Erachtens m außerordentlich leichtfertiger Weise gemachten Vor- murf des Berichterstatters zurückweisen. Abg. Gerlach (Soz.): Ich will nur das eine feststellen, daß ich durchaus durch die Belehrung nicht anderer Auffassung geworden bin. Der Mieterschutz ist in diesem Frlle ohne weiteres noch vorhanden, wenn Wohnungen für drei Familien in Frage kommen. Darüber hat man nicht gesprochen, aber ich habe gerade diesen Fall an geführt, um zu beweisen, wie ungeheuer verheerend die Lockerungsverordnung gewirkt hat. Von diesem Gesichtspunkte aus muß man die Dinge betrachten, und so muß auch gehandelt werden. Und wenn da erklärt wird, das ist kein Nechtsbruch oder keine falsche Ein stellung der Regierung, sie stellt sich auf den Boden der Gesetze, dann siüd die Gesetze eben wert, zum Teufel gejagt zu werden, wenn derartiges Unglück durch eine Auslegung von Paragraphen entstehen kann. (Zustimmung b. d. Soz.) 93. Sitzung. Donnerstag, den 22. November 1S28. Stellv. Präsident vr. Eckardt eröffnet die Sitzung um 13 Uhr 6 Min. Am Regierungstifche die Minister vr. Apelt, vr. v. Fumetti, vr. Kaiser, vr. Krug v. Nidda, und Weber, sowie Negicrungsvertreter. An Stelle des ansgeschiedenen Abg. Berg wird Abg. Fritsche (Dnat.) zum Beirat der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen und zum stellvertretenden Mitglied des Verwaltungsausschusses sür die Gebäude-und Mobiliar-Versicherung der Landes-Brandvcrsicherungs- anstalt ernannt. Die heutige Tagesordnung wird erweitert durch Punkt 6 a: Anfrage des Abg. Börner u. Gen. wegen Verbesserung der Verkchrsverbindung zwischen Dresden und Leipzig (Drucksache Nr. 994), Punkt 6b: Erste Beratung über den Antrag der Abgg. Röllig, vr.Bünger, v. Hickmann und Lippe u. Gen. wegen der Verbesserung des Leipziger Vorort- und Fernverkehrs (Drucksache Nr. 998) und Punkt 6e: Antrag der Abgg. vr. Blüher, Voigt u^ Gen., Nr. 1002. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetretenr 1. Vorschlag eines Mitgliedes und eines stellvertreten den Mitgliedes für die Wahl in den LandcScisen- bahnrat Dresden. Tie Wahl erfolgt durch Stimm zettel. 86 Stimmzettel wurden abgegeben. 40 Stimmen entfallen auf den Abg. Lippe (D. Bp.) und 40 Stimmen auf den Abg. Kautzsch (Soz.), 6 Stimmzettel sind un beschrieben. Daher muß das Los entscheiden. Es ent scheidet zugunsten des Abg. Kautzsch, der somit ge wählt ist. (Bravo! links.) Bei der Wahl des stellvertretenden Mitgliedes werden im 'ganzen 88 Stimmzettel abgegeben, davon entfallen auf den Abg. Wirth (Altsoz.) 48 Stimmen, auf den Abg. Siegel (Komm.) 40 Stimmen. Abg. Wirth ist dem nach gewählt. Punkt 2 der Tagesordnung: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Böchel u. Gen. auf Umbau der Tchmalfpurstrccke Wilkau Lanpersdorf in eine Normal fpurbahn. (Drucksache Nr 89l.) Der Antrag Nr. 891 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, bei der Reichsbahnver- waltung und beim Reichsverkehrsministerium für den baldigen Umbau der Schmalspurstrecke Wilkau-Sau- persdorf in eine Normalspurbahn nachdrücklichst ein zutreten. Abg. Kautzsch (Soz. — zur Begründung): Wir haben mit dem Antrag Nr. 891 einen Antrag, der schon oft im alten Landtage und in der Volkskammer gestellt worden ist, abermals aufgegriffen, weil in der Gegen wart die Verhältnisse immer mehr und mehr die im Antrag gewünschte Änderung fordern. Wir haben in den letzten Jahren eine außerordentliche Steigerung des Straßenverkehrs in allen Gebietsteilen des Lande- zu verzeichnen, und auch die Straße, die nach Kirchberg führt, wird derartig stark benützt, daß der vorhandene Straßenraum, der ungefähr 6 m breit ist, von dem aber ein Teil von der Bahn als Bahnkörper benützt wird, nicht mehr ausreicht, ganz abgesehen von den un geheueren Gefahren, die die doppelte Benutzung der Straße mit sich bringt. Die Sicherheit der Straße sowohl als auch des Eisenbahnverkehrs, zwingt uns, mit allem Nachdruck dahin zu wirken, daß die Reichsbahn verwaltung recht bald die bereits ausgearbeiteten Pläne, die fertigen Pläne über den Bau einer normalspurigen Bahn von Wilkau bis Saupersdorf auf eigenem Bahn körper endlich durchführt. Auch ist das Erwerbsleben der Stadt Kirchberg und des Hinterlandes dieser Stadt außerordentlich stark von dem gesamten Bahnverkehr abhängig, und eS leuchtet ohne weiteres ein, daß heute im Jahre 1928 mit feiner ungeheueren Entwicklung gegenüber dem Jahre 1881 die jetzige Verbindung unter kemen Umständen mehr dem genügt, was die Stadt, was die Industrie, was die Arbeiter von Kirchberg und das Wirtschafts gebiet von Kirchberg fordern können. (Sehr richtig l) Auch der Rollbockverkehr, der als Notbehelf etngeführt wurde, um den Wünfchen der Kirchberger in einer gewissen