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Sächsischer Landes-Anzeiger : 04.04.1886
- Erscheinungsdatum
- 1886-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188604045
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18860404
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18860404
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1886
-
Monat
1886-04
- Tag 1886-04-04
-
Monat
1886-04
-
Jahr
1886
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 04.04.1886
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^ 78. — «. 3ahrM». AbonuementSpreiS: Der unparteiische — jeden Wochentag Abend (mit dem Datum des folgenden Tages) zur Versendung gelangende — Landes-Anzeiger mit Beiblättern kostet monatlich 60 Pfg. bei de» Ausgabestellen in Chemnitz und den Vororten, sowie bei der Post. (Eingetragen unter Nr. 4V33.) Im 4. Quartal erscheint für Abonnenten Zahresbuch (Weihnachtsbeigabe) d, Anzeigers. Verlag: Alexander Wiede, Buchdruckcrei, Chemnitz. Sächsischer Sonntag, 4. April WS. Jnsertiouspreis: Raum einer schmalen KorpuSzeile 18 Pfg.; — ReName (Ispalüge Pctitzeile) SV Pfg. — BeiWiederholung großer AnnoncenRabatt. Bei Bestellungen von Auswärts wolle mm Jnsertionsbetrag (in Briefmarken) beifügen slevSilbe» Korpusschrift bilden ca. I Zeile). Annoncenannahme: nur bis Vormittag. Expedition und Redaktion: Chemnitz, Theaterftraße Rr. A. Telegramm-Adr.: Wiede'« Anzeiger, Chemnitz. Fernsprech st eile Nr. t36. mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". KeiMter: „Tägliches UnteryaltungMatt" »all humilstislh iWnrier ImiiMit „Lustiges Bilderbuchs Amtliche Bekanntmachungen sächsischer Behörden. Politische Rundschau Im Handelsregister für den Stadtbezirk des Unterzeichneten Amtsgericht» wurde heule aus Fvlium 14 verlauibart, daß Frau Henriette Friederike verw. Hahmann, geb. Junghan», in Chemnitz die Firma W. E. Hahmann daselbst aus dem Nachlasse de» verstorbenen Inhabers derselben, des Herrn Wilhelm Eduard Hahmann, zur Fortführung überlassen erhallen bat. Chemnitz, am 1. April 1886. Königliches Amtsgericht- Im Handelsregister für den Stadtbezirk des Unterzeichneten Amtsgerichts wurde heute aus Folium 679 verlautbart, daß die Kaufleute Herr Wilhelm Ludwig August Roth-Bernstein und Herr Johann Wilhelm Roih-Bernstein in Chemnitz die Firma LoutS Bernstein daselbst von dem bisherigen Inhaber derselben, Herrn Friedrich August Louis Bernstein, zur Vorführung überlasten «halten haben. Chemnitz, am 1. April 1836. Königliches Amtsgericht. Im Handelsregister sür den Stadtbezirk des Unterzeichneten Amtsgerichts wurde beute aus Folium 2868 die Firma Chemnitzer Flaschenbier-Handlung Louis Bernstein in Chemnitz und als deren Inhaber der Kaufmann Herr Friedrich August Louis Bernstein daselbst eingetragen. Chemnitz, am 1. April >886. , Königliches Amisgrricht. In dem Concursverfahren über das Vermögen 1. de» Kaufmanns Max Emil Rätzer in Firma Max Räder in Chemnitz, 2. de» Baumeisters Paul Robert Lembcke in Chemnitz und 3. des Maschinenfabrikanten August Ferdinand Licker in Firma Chemnitzer Webstuhl« und Maschinenfabrik Ferd Sick« vor mals A. Beutel Nachfolger in Chemnitz ist zur Prüfung der nachträglich an- gemeldete» Forderungen Termin auf den 9. April 1886, Vormittags 1V Uhr vor dem Königlichen Amtsgerichte Hierselbst anberaumt. Chemnitz, den 1. April 1886. Pötzsch, Gerichtsschreiber des Königlichen Amtsgerichts. Telegraphisch- Nachrichten. Vom 2. April. Berlin. S. M. Kreuzerfregaiten »Elisabeth*, Kommandant Kapitän zur See Schering, und „Molike", Kommandant Kapitän zur See Stubenravch, find am 2. April in Kiel eingetroffen. Heidelberg. Jos. Victor v. Scheff»l wurde heute Mittag in einem Salonwagen nach Karlsruhe übergeführt. Petersburg. Das »Journal de St Pötersbourg* bemerkt, Admiral KaSuakoff habe sich nach Syra und nicht nach Smyrna be- geben, nnd beabsichtige, wieder nach der Sudabai zurückzukehren; eS seien mithin alle an jene Fahrt geknüpften Commentare hinfällig. Petersburg. Durch ein heute veröffentlichtes Gesetz werden au» dem Reichsschatze für die Jahre 1886, 1887 und 1888 je 100,000 Rubel angewiesen zur Errichtung und Unterhaltung ortho doxer Kirchen, Pfarrhäuser und Parochialschuleu in den baltischen Provinzen, sowie zur eventuellen Erwerbung der hierfür erforderlichen Grundstücke. Belgrad. Der König übersandte dem Krirgsminister Franaffovie ein eigenhändige- Schreiben, worin demselben unter gleichzeitiger Br sörderung zum Obersten der Dank sür die von ihm bewiesene Auf opferung ausgesprochen wird. Konftautinopel. Die, wie es heißt, ablehnende Antwort de- Fürsten Alexander auf die Mittheilung der Pforte vom 30 März ist gestern überreicht worden. Der Miuisterrath trat zu einer Be- rathung zusammen, worauf Gadbau Essend, den Auftrag erhielt, nach Philippopel und Sofia abzureisen. Tournai. Hier und in der nächsten Umgegend herrscht heute vollkommene Ruhe, ebenso in Antoing am heutigen Morgen. Dort sind vorgestern bedauerliche Exzesse vorgesallen. Streikende hatten das Haus des Cementfabrikanten Brebart bedroht, worauf dieser, wie dem »Berl. Tageblatt" telegraphirt wird, aus die Auf rührer schoß und zwei derselben schwer verwundete. In der betr. Fabrik wurden alle Scheiben zertrümmert. Nach einer anderen Version soll Brebart auf die Arbeiter geschossen haben, ohne im Geringsten provozirt gewesen zu sein, erst nach dem Schießen seien dem hitzigen Fabrikanten die Fenster eingcworfen worden. Man scheint es jetzt mit dem Schießen überhaupt sehr leicht zu nehmen. Vier Arbeiter, die gestern plündernd in einige Läden in Antoing einbrachcn. wurden verhaftet. Der Streik im Banne von Tournai ist noch allgemein: in allen Marmorbrüchen, Cement- und Kalkfabriken wird gefeiert. Mehrere Industrielle haben sich zu Lohnerhöhungen bereit erklärt; man hofft deshalb auf eine baldige Wiederaufnahme der Arbeit. Bis jetzt sind die Streikenden ruhig, hier und da suchen sie die Arbeit Anderer gewaltsam zu verhindern; zwischen Crövecoeur und Main haben sie die Telegraphenlcitungen durchschnitten, man fürchtet darum noch täglich, von blutigen Zusammenstößen mit den Truppen zu hören Die Bürgergarde ist hier einbcrufen; genügende Truppen sind in der Umgegend, um alle ernstlichen Unruhen sofort zu unterdrücken. Vor gestern drang eine Truppe von 800 Arbeitern in die Stadt ein; sie verhielt sich ziemlich anständig, trug dem Bürgermeister ihre Klagen wegen schlechter Löhne vor und zog dann auf energisches Vorgehen der Bürgergarde und Gendarmerie wieder ab. Der Bürgermeister erließ hierauf eine Bekanntmachung, daß die Ansammlung von mehr als zehn Menschen zu einer Gruppe auf den Straßen verboten sei Auch bei Mons, wo jetzt das Hauptquartier des Commandirenden, des Generals van der Smissen, sich befindet, herrscht Ruhe, während hingegen im Süden von Namur und Charleroi der Streik ernster zu werden scheint. In Florennes haben am Sonntag Ausrührer eine Wohnung in Brand gesteckt und darauf mehrere Industrielle schwer gebrandschatzt; die Rädelsführer wurden gestern bereits in Dinant zu fünf Jahren Gesängniß verurtheilt. Aus dem Banne von Charleroi wird gemeldet, daß das Abschneiden der Telegraphendrähte immer häufiger wird; man fürchtet auch Attentate gegen die Eisenbahnen. Immer noch haben die Bewohner außerhalb der Städte viel von dem bewaffneten Gesindel zu leiden, und von der Wiederkehr normaler Zustände sind wir noch weil ent fernt. Bewaffnete Haufen aus der Nähe von Charleroi dringen bereit- bis in die Gegend von MvnS vor, um die Arbeit gewaltsam zu verhindern und nebenbei zu plündern. Nachdem sich der Auf stand mit reißender Schnelligkeit von Osten nach Westen fortgepflanzt hat und an seinem EntstehungSort schon völlig gedämpft schien, bricht er dort Plötzlich wieder los. Die eben eintreffenden Nachrichten aus Herstal bei Lüttich und aus der Umgegend Lüttichs lauten recht drohend; eine Truppe von 400 Arbeitern suchte in VivegniS die die Arbeit zu verhindern. Der Streik ist auch in Fleron und in Herve bei Lüttich im Zunehmen. Man fürchtet, daß eS den Streiken den von Herstal gelingen werde, die Unzufriedenheit in Seraing wieder zu erregen. Auch bei VervierS stehen Unruhen bevor. Chemnitz, den 3. April. Deutsches Reich. Dar Socialistenges.tz ist in der gestrige» Sitzung de- Reich-tage- also doch wieder angenommen und zwar mit 169 gegen 137 Stimmen. Dagegen stimmten geschloffen: die Dentschfreifinmge«. die Socialdemokrateo. die Bolkrpartei und die Polen; dafür stimmten geschloffen: die C.onservative«, die Reichs- Partei und die Natlonalliberalc». DaS Ceutrum stimmte gespalten. Mit Nein stimmten a,S seiner Mitte «. A. dir Abgg. Or. Perger vr. Porst, Racke, Röckerath und vr. Wiudthorst, mit Ja die Abgg! Reichensperger nnd vr. v. Hertliug, der Stimme enthielten sich die Abgg. LnciuS, Haanen nnd Graf Hompesch. — Die Verhandlungen des preußischen StaatSrathes über die Instruction zur Ausführung de- polnischen ColouisationsgesetzeS. an welchen der Kronprinz sehr thätigen Authril genommen, sollen im Allgemeinen beendet fein. Die AussührungSvorschrisleu find sehr umfangreicher Statur. — Die neuen Branntweinstenervorlagen werden wahrscheinlich in der nächsten Woche an den Bundrsrath komme» und dort natürlich in de» Ausschüssen vorberathe» werden. Es ist richtig, daß e» sich im Prinzip um eine Verbrauchssteuer »ud eine Abänderung der bestehenden Maischraumsteuer behufs Herbeiführung höherer Exportprämien handelt — Herr von Schlözer, der preußische Gesandte beim Papst, der am Douneisiag zum Bericht über die kirchliche Lage in Berlin elu- -etroffeu ist, wird nur kurze Zeit dort verweilen, aber umfangreiche Instructionen mit sich nehmen, um eine Förderung der Verhandlungen herbeizuführen. Ls ist wenig wahrscheinlich, daß die Verhandlung über die Kirchenvorlage vor Oster« wieder ausgenommen wird. So lange keine bestimmte Verständigung mit Rom vorliegt, wäre sie auch zwecklos ^ — An» Brüssel wurde gemeldet, daß an der rheinisch, belgischen Grenze preußische Truppenaufstellungen erfolgt feien. Die Nachricht ist wohl unrichtig; so drohend lag für uu» die Gefahr nicht, und die Arbeiter hätten sicher mit de» dentschen Soldaten zuletzt angebunden, bei denen sie nicht im Geringsten auf Sympathien zu rechne« haben. Auf französischer Seite lag die Sache ernster. Schweiz. Die »Nene Züricher Zeitung", sonst ein ernsthaftes Blatt, erlaubt sich mit ihren Lesern folgenden Aprilscherz: »Kurz vor Schluß des Blatter vernehmen wir, daß mau den Papst mit dem heute Abend gegen 6 Uhr eiutreffrnden Gotthardtzuge hier erwartet. Bismarck wird eine halbe Stunde früher mit einem Extrazuge eintreffeu. In einem hiisige» Hotel ersten Ranges ist bereits eine ganze Etage gemiethrt worden. So dürfte sich, denn hier in Zürich, wo zwei der erleuchtetsten lebenden Häupter zusau m»ntnffen, ein denkwürdiges Stück Weltgeschichte absptrlen. Der Bahnhosplatz wird wahrscheinlich sür das Publikum, da» nicht nothwendigerwrise dort passireu muß, abgesperrt werden* Belgien. Augenblicklich herrscht wieder Ruhe. Nach den in Brüssel vorliegenden Nachrichten ist der Frieden im Lande überall wieder hergestellt worden. Die Arbeiter haben die Arbeit entweder schon wieder ausgenommen, oder sie stehen im Begriff, dieselbe wieder auszuvehmen I So läßt die belgische Regierung verkünde». Die Nachricht ist aber nicht gar zu wörtlich zu nehme«, ruhig sind die belgischen Arbeiter noch lange nicht, ist doch eben erst wieder gegen das Haus des Bergwerkdirektors in dem Hüttenort Mariemout ein Dynamit-Attentat versucht, wobei Holztäfelung, Hausthüren und Fenster des Gebäudes zerstört wurden. ES finden fortgesetzt noch Arbeiterversommlnugen statt, und die Anarchisteuführer drohe» sehr uogenirt mit einer allgemeinen Revolution, wenn die Regierung keine Refoimen bewillige. — In Charleroi haben die Prozesse gegen die Arbeiter begonnen und werden ziemlich schnell geführt Das Ge- fävgniß ist überfüllt. — Die ersten Berichte über die Zerstörungen in ver Umgebung von Charleroi find übertrieben. Der Schade ist nicht so groß, wie avgroommen. Nuhlarid. Ans Warschau wird unterm 1. April gemeldet, daß die bisher nur iu beschränktem Maße auf Gruud einer ver alteten Verordnung geübte Ausweisung fremdländischer Inden aus den russischen Gicnzbezirkeo iw Monate April in umfassenderer Weise zur Durchführung gebracht werbe» soll. In einzelnen Städten de» Grenze wurden bereit» zahlreiche jüdische Familien hiervon unterrichtet. Orient. In Serbien regiert jetzt das neue Ministerium Ristics I Nach Wien wird gemeldet, die Finanzpolitik de» neuen Labinet» werde dieselbe, wie die seiner Vorgängers sein, also eine Oesterreich freund liche. Dan» wird aber die ganze serbische Politik im Fahrwasser Oesterreichs bleiben Alle Ermahnungen und Vorstellungen haben Fürst Alexander von Bulgarien bisher nicht bewegen können, dem Verlangen der Mächte, sich nur auf 6 Jahre zum Geueralgouverneur von Rumelten ernenne» zu kaffen, »achzugeben. Nunmehr wird gegen ihn ein etwas ernsterer Tv» angeschlagen. Die Londoner .Times* sagt in einer Besprechung der rumelilchen Frage, wenn die Einwilligung des Fürsten Alexander zu der von den Mächten vorgeschlageneu Lösung nicht erlangt werden könne, müßten diese sich bestreben, die Angelegenheit ohne seine Einwilligung zu ordnen und e» ihm über laste», die Folgen zu tragen. Gedroht haben die Gr oßw ächte im Orient nur schon zu viel, deshalb ist nicht recht zu glauben, daß in Sofia neue Drohungen großen Eindruck machen werden. — Was Griechenland onbetrifit. so sind die Großmächte »och immer einig, einen Seekrieg mit der Türkei zu verhindern. Da» englische Geschwader iw Miiielmeere hat die bestimmtesten Ordre», jede» kriegerische« Schritt Griechenlands uöthigenfall» mit Gewalt zu verhindern. dem Reichstag. —VN. Berlin, den 2. April. Am BundeSrathstische: von Bötticher, von Puttkamer. Auf der Tagesordnung steht: Dritte Berathung des Gesetzentwurfs betr. die Verlängerung des Sozialistengesetzes. Abg. Kroeber (Volkspartei) erklärt sich gegen das Gesetz, unter dem nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch die Vvlkspariei zu leiden habe. Es handle sich hier um ein Ausnahmegesetz und doch stimme das Centrum dafür. Herr Stöcker hat die Sozialreform gerühmt. Was ist denn aber so Großes geschaffen? Warten wir doch erst die Folgen der Unfallversicherung ab. Dagegen hat die Demokratie Großes geleistet. Sie hat die Hörigkeit, die Negersclaverei, den Verkauf der deutschen Soldaten nach dem Auslände vernichtet. Ich bitte namentlich meine baierischen College» im Tentmm, die Vorlage abzulehnen. Geh. Rath Hermann erwidert, daß die vom Vor redner gerügten Verbote von Bolksparleiversammlungen gerechtfertigt gewesen wären, da in den Versammlungen viele Sozialdemokraten anwesend gewesen. Abg. Kalle (natlib.): In zweiter Lesung hat der Abg. Bebel bestritten, daß die Sozialdemokratie die Ehe beseitige» will. Sie finden dieses Princip aber in zahlreichen sozialistischen Schriften ausgesprochen, ebenso das Verlangen nach Kommunismus. Die Sozialdemokratie will die Ordnung und Gesellschaft Umstürzen; Abg. Bebel sagt ja deutlich in einer Schrift, die jetzige Herrschaft muß gebrochen werden durch den Willen des Volkes, den man Revolution nennt. Abg. Bamberger (freis.): Wir diskutiren heute hier nicht, um die Abstimmung zu beeinflussen, denn Niemand wird seine Ansicht mehr ändern, sondern um die Abstimmung zu begründen. In der zweiten Berathung ist großer Werth auf die bägischen Vor gänge gelegt worden. Es liegt mir fern, zu behaupten, daß Herr von Pultkamer bei Darstellung der belgischen Verhältnisse hat über treiben wollen, aber das ist doch inzwischen klar geworden, daß die Verhältnisse nicht so gefährlich waren, wie er sie dargestellt hat. Die Nachrichten über den Streik find von sensationSlustigen Journalen übertrieben, es ist nicht eine Reihe von Schlössern, sondern nur eins abgebrannt. Es ist eine Empörung, ein Arbeiteraufstand, der sich besonders heftig in Charleroi kundgegeben, weil dort den Arbeitern die Löhne herabgesetzt werden sollten. Daß sozialistische Einflüsse mit^nr- Spiele gewesen, will ich nicht leugnen, aber zweifellos ist in Belgien di, Sozialdemokratie weniger verbreitet, als in Deutschland. Unter dem Druck dieser Unruhen hat Herr von Helldorf an uns die Frage gerichtet, ob wir glaubten, die Sozialdemokratie durch die freie Discussion bekämpfen M können. Solche Arbeiterbewegungen wie die in Belgien, können wir durch die freie Agitation nicht bekämpfen, darum handelt es sich aber auch nicht, sondern um die Bekämpfung der socialdemokratischen Idee, und diese ist nicht möglich durch ein Ausnahmegesetz, sondern durch die freie Discussion. Nach meiner Ansicht ist die Aera der Barri kadenkämpfe vorüber, überhaupt ist die Unzufriedenheit auf dem platten Lande weit gefährlicher, als die revolutionäre Strömung in den Städten. Ich habe 1878 für das Gesetz gestimmt, weil ich be sorgt war um die Zukunft dcS Vaterlandes, diese Sorge ist heute noch vermehrt durch die Verkehrung der Ideen in den Köpfen Vieler über die Socialdemokratie, befördert durch daS Auftreten der Regier ung. Wir find ganz entschieden Gegner der Socialdemokratie und ihres PrincipS, wir bekämpfen dies Princip auch bei der Regierung. Daß wir bei den Wahlen mitunter mit den Socialisten Zusammen gehen, daraus kann uns jedenfalls Niemand einen Vorwurf machen. DaS thun Sie auch, und bei den Wahlen nimmt Jeder wa» er bekommen kann. Was bedeutet denn das, daß mau unS Herrn von Rothschild zum Vorwurf macht? Weder Herr von Roth schild, noch andere große Börsenmänner gehören unserer Partei an. Das Socialjstengesetz nützt nichts und ebensowenig haben die Social gesetze der Socialdemokratie geschadet. Durch Gesetze läßt sich da- Elend überhaupt nicht aus der Welt schaffen. Der Staatssocialismu» ist dem Deutschen gerade so gegen die Natur, wie der Socialis mus überhaupt. Die Socialdemokratie hat seit Bestehen des Gesetze- zugenommen und sie wird weiter zunehmen. Es hat zu jeder Zeit Parteien gegeben, die sich zum politischen Morde, zur Revolution be kannten, das Recht der Revolution wird auch von großen Staats männern gebilligt. Das spricht also nicht für das Socialistengesetz. Wir haben neben dem Recht der Freiheit auch die Pflicht der Frei heit und müssen daher auch die Unbequemlichkeiten des Rechts der Freiheit uns gefallen lassen. (Beifall links). Minister von Putt kamer: Der Vorredner hat sehr geistreich, aber wenig beweiskräftig gesprochen. Sein Optimismus ist so groß, daß es unbegreiflich er scheint, wie er jemals für das Gesetz hat stimmen können. Damals halte er nur die Alternative, entweder die Welt geht unter, oder wir müssen das Gesetz haben. Der Vorredner hat heute gesagt, die Vor gänge in Belgien seien ja vielfach übertrieben. Muß der Abg. Bam berger denn erst ein ganzes Land vernichtet sehen, bevor er die Ge fahr anerkennt? Abg. Bamberger meint, die Aera der Barrikaden kämpfe sei vorüber. Ja, freilich, aber das ist das Verdienst der Regierungen. Die Lust ist schon noch vorhanden, aber jede Aussicht auf Erfolg fehlt. Daß es bei uns verhältnißmäßig ruhig ist, verdanken wir diesem Gesetze. Die neuliche Ab stimmung hat gezeigt, daß die Mehrheit des hohen Hauses, also die Mehrheit der deutschen Nation, diese Bedeutung des Gesetze- anerkannt. (Beifall rechts.) Abg. v. Kardorff (ireicons.): Die Freisinnigen sind in der angenehmen Lage, gegen das Gesetz sprechen und stimme» zu können, während sie doch wissen, daß es angenommen wird. Wohin man mit den Grundsätzen de» Abg. Bamberger kommt, das zeige ja Belgien. Redner wendet sich dann gegen die Social- demokraten. Abg. Bebel macht es sich sehr bequem, er schiebt Alles auf Agents provocateurs. Das ist denn doch etwas komisch. Die Socialdemokratie findet bei uns soviel Anhang, weil die Noth so groß ist, und diese ist so groß, weil wir noch immer nicht die Doppel währung haben Abg Liebknecht (Soc.) bestreitet, daß die Citate, welche Abg. Kalle angeführt, aus der Feder von Socialdemokratcn herrühren. Sie sind aus dem Buche eines Pastor Schuster über die Socialdemokratie. Die Socialrrform wäre kinderleicht, wenn wir Staatsmänner hätten, welche die sociale Frage überhaupt verstehen. Statt dessen erklärt hier der Reichskanzler, die Socialdemokratie hat kein anderes Programm, als das des Fürstenmordes. Für daS Socialistengesktz ist in der ganzen Debatte nichts vorgebracht, die Rede des Ministers wußten wir schon im Voran-, als im Februar von London eine große socialistischc Bewegung telegraphirt wurde. Der Londoner Arbeiteraufstand ist vom Wolff'schcn Telegraphenburea« erfunden, es war gar keiner. Auch von den Berichten aus Belgien sind neun Zehntel erlogrn. Was die Behauptung vom Fürstenmord anbetrifit. so hat Bebel nur von russischen Zuständen gesprochen. Die Jesuiten haben ja übrigens auch zu Gunsten deS Fürstenmordes unter gewissen Verhältnissen gesprochen. Wir halten den Fürsten Bismarck nicht sür den Schöpfer unserer Verhältnisse, sondern für ihr Geschöpf, und wäre Fürst Bismarck nicht mehr da, so wäre es eben ein Anderer. Fürst Bismarck wirft uns vor, wir hätten kein Programm, ich könnte ihm unser Gothaer Programm vorlesen, welche- Programm hat denn aber Fürst BiSmarck? Gar keins. Er ist Frei händler, Agrarier, Schutzzöllner, Socialreformer, Alles durcheinander. Fürst Bismarck ist vollständig ein Staatsmann der alten Schule, um die Neugestaltung der Gesellschaft durchzuführen, muß man ein großer Staatsmann von socialer Bildung sein. DaS Socialistengesetz
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