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WiNmsserÄM« Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Da» »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei 'Zustellung durch die Boten 2,30 RM., bei PostbefteUung 2 «W. zuzüglich Abtrag. vebühr. Einzelnummern 15Bpfg.AUePoslanstalten Wochenb!<l1t süv 28ilsdruff u. Umqesteno Postboten und unsereAus. ttSgerundGeschLftsstelleu - nehmen zu >eder Zeit Be- stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Stücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Anzeigenpreis: die 8 gespaltene Raumzelle 20Rpfg., die 4 gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 4V Reichs. Pfennig, die 3 gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile 1 Reichsmark. Nachweisungsgebühr 20 Reichspfenuige. 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Juni krachten in Serajewo die Schüsse serbischer Attentäter; nicht nur die Leiber des österreichischen Erzhcrzogpaares wurden durch die Kugeln getroffen, sondern jenes Krachen der Pistolenschüsse wurde rasch überdröhnt von dem, was einen Monat später anhob und vernichtend über das zuckende Europa daherrollte: vom Weltkrieg. Und wieder kam, nach fünf Jahren fürchterlichsten Geschehens, ein 28. Juni. Kam der Frieden von Versailles, dessen Unterzeichnung der zum Einmarsch in Deutschland bereite Feindbund erzwungen hatte. Mit bewußter Demütigung war gerade dieser Tag gewählt worden, an dem die beiden deutschen Beauf tragten namens des am Boden liegenden Reiches ihre Ramen unter jenes Dokument zu setzen hatten, das uns mit drohenden Bajonetten als „Frieden" diktiert würde. * Gewalt erzwang diese Unterzeichnung. Nichts war von dem übriggeblieben, was in Wilsons vierzehn Punkten als Waffenstillstandsbedingungen niedergelegt war; nichts — oder nur das, was sich in diesen Punkten gegen Deutschland verwenden ließ. Jeder, der nur wollte, schnitt sich ein Stück Fleisch vom Leibe Deutschlands mit dem Messer der Gewalt. Aber man nannte diese Gewalt immer nur Recht, denn Deutschland habe als der Schuldige am Kriegsausbruch aufzukommen für all den Schaden, den der Weltkrieg verursacht habe. Mit dieser „moralischen" Recht fertigung umhüllte man, was nackte Gewalt war. Ließ diese historische Lüge der deutschen Alleinschuld am Weltkrieg durch die Unterschrift der beiden Deutschen in Versailles am 28. Juni zu einem Bekenntnis werden, das abzugcben aber ebenso wieder nur durch Gewalt erzwungen wurde. «- Ein von der Gewalt diktierter „Friede" — darum auch lein Vertrag, an den zu rühren moralisches Unrecht wäre. Selbst einer von den „großen Vier" — Wilson, Clömenceau, Lloyd George und Sonnino —, die vor zehn Jahren diese „Frie- dens"bestimmungen zusammengestellt hatten, konnte sich schließlich nicht mehr der Erkenntnis verschließen, daß nur der Wille die Geister beherrscht, die Federn geführt hatte, Deutschland auf unabsehbare Zeit hinaus in Ketten zu legen. Oder, wie dieser Lloyd George gesagt hat, den Krieg mit anderen Waffen gegen Deutschland wciterzu- sühren. Zu spät aber kam diese Erkenntnis; denn das ge samte Europa von heute und morgen ist aufgebaut aus das, was durch die Unterzeichnung vor zehn Jahren noch besonders feierlich sanktioniert wurde. Und darum erhalten werden fol! mit allen Mitteln, nicht zuletzt auch mit denen der Gewalt, denen man freilich auch wieder den heuchlerischen Namen der „Sanktionen" gab. Sechs Millionen Deutscher riß der 28. Juni vom Mutter lande ab, in Nord und Süd, Ost und West griffen gierige Hände zu breiten Strecken deutschen Landes. Machtlos würd' Deutschland und damit rechtlos, wie auch nach dem 28. Juni 1919 der Raub des Memellandes und Oberschlesiens zeigen sollte. Nichts hat sich daran geändert in den zehn Jahren, die seit jenem 28. Juni verstrichen sind und in denen die damals unterschriebenen Bestimmungen bis zum letzten I-Punkt durchgeführt wurden. „Unverletzlichkeit des Ver sailler Vertrages" wurde jedem Protest, ja jedem Abände rungswunsch Deutschlands entgegengehatten, und es geradezu als „böser Wille" Deutschlands hingestellt, wenn aus deutschem Munde ein Wort der Kritik gegen Versailles laut wurde. Man verlangte von uns die „moralische Abrüstung", also eine auch innere Unterwerfung unter das, was äußerlich vor zehn Jahren von uns unterschrieben war. Innere Zustimmung auch dazu, daß man alles dies über uns bestimmt hätte und bestimmen dürfte, weil wir ja die Alleinschuldigen am Welt krieg und all seinem Unheil gewesen seien Ein neues Blatt in der Weltgeschichte ward am 28. Juni 1914 begonnen, als mit dem Attentat von Serajewo das erste Wetterleuchten des Weltkrieges am Horizont emporblitzte. Fünf Jahre hindurch wurde aus diesem Blatt nur mit Blut und Grauen, mit Tränen, Hunger und Tod geschrieben. Feierlich schlug man nach fünf Jahren dieses Blatt um, aber was auf dem neuen steht, ist seither nur anders geartete, anders gestaltete, aber nur noch deutsche Not. Freilich haben die Nutznießer dieser Not erkennen müssen, wie so manches, was am 28. Juni 1919 festgesetzt wurde, zu eigenem Nachteil ausschlug. Daß der Wahnsinn von damals „fort- zeugend Böses mutzt' gebären", daß die Gewalt, das Unrecht von damals nicht zu einem Frieden und einem Recht wurde, auf denen man ein wirklich befriedetes Europa ausbauen konnte. Weil ein Volk, das man in Ketten geschlagen hatte, an diesen Ketten rütteln muß, nie den Willen ver lieren kann, sie einmal wieder abzustreifen, solange es noch von dem Willen zum Leben erfüllt ist. * Schwer, unsagbar schwer ist, was ein historisches Schicksal über das deutsche Volk verhängt hat; immer wieder sah es in seiner Geschichte den tiefen Fall von stolzer Höhe zu traurigster Erniedrigung. Immer wieder mußte es wie kein Volk sonst sich den Weg zur Freiheit und Einigung im Ringen mit einer Umwelt von Gegnern erkämpfen. Unter einen solchen Sturz setzte der 28. Juni 1919, der Tag von Versailles, die Siegel gleich von fast drei Dutzend Staaten der Welt. Aber nicht sür alle Ewigkeit. Das heutige Mannesgeschlecht, das trotz eines vier jährigen Heldentums diesen Sturz Deutschlands nicht zu ver- Freiheit nach zehn Jahren! Kundgebung der Rheinlande Sofortige Räumung - aber nicht mit neuen Lasten erkanfen! Mainz, 26. Juni. Der Verband der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets, der Wirtschaftsausschuß für die besetzten Ge biete und der Gewerkschastsausschuß für die besetzten Gebiete ha ben in einer gemeinsamen Besprechung beschlossen, die folgende Er klärung zu veröffentlichen: Am 28. Ium jährt sich zum 10. Male der Tag, an dem sich das Deutsche Reich gezwungen sah, den Friedensvertrag von Ver sailles zu unterzeichnen. Der Vertrag legt dem deutschen Volk Op fer und Lasten auf, die in der Geschichte ohne Beispiel dastehen. Darüber hinaus brachte er für die deutschen rheinischen Gebiete eine Sonderbelastung durch die Besetzung, die die Ausführung des Vertrages durch Deutschland sicherstellen sollte. Der Vertrag selbst sieht vor, daß die Besatzungstruppen vor Ablauf der für die Besetzung vorgeschriebenen Zeit von 15 Jahren zurückgezogen werden, wenn Deutschland den Verpflichtungen des Verfqiller Vertrages Genüge leistet. Deutschland hat seine Ent waffnung anerkanntermaßen durchgeführt. Deutschland ist dem Völkerbund beigetreten. Deutschland hat im Locarnovertrag dem französischen Sicherheitsbedürfnis weitestgehend Rechnung getra gen. Deutschland hat seine finanziellen Verpflichtnugen bisher rest los erfüllt. Die Bevölkerung des besetzten Gebietes fordert, daß ihr nun mehr unverzüglich ihre volle Freiheit zurückgegeben wird. Die un terzeichneten Spitzenverbände erwarten von der Reichsregieruug, daß sie die alsbaldige Räumung des besetzten Gebietes nachdrück lich verlangt, ohne daß dafür neue Opfer irgendwelcher Art ge bracht werden dürfen. Insbesondere lehnt die Bevölkerung des besetzten Gebietes den Vorschlag einer über den Fiedensvertrag hinausgehenden besonderen Ueberwachung des entmilitarisierten Gebietes rundweg ab. Die Bevölkerung des besetzten Gebietes würde eher noch weiter den schweren Druck der Besetzung auf sich nehmen, als zugeben, daß ihre Freiheit mit derartigen Bedingun gen erkauft werde. Unterzeichnet ist die Erklärung im Namen der genannten Or ganisationen durch den Oberbürgermeister von Mainz Dr. Kark KW, den Reichstagsabgeorbneten Dr. D. h. c. Kalle und Wil helm Thomas. Gewerkschaften und Houng-Plan. Ein Schreiben an den Reichskanzler. Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerk schaftsbundes hat an den Reichskanzler und an den Reichssinanzminister ein Schreiben gerichtet, in dem es u. a. heißt: „Zu den Perhandlungen in Paris sind Gewerk schaftsvertreter trotz unseres ausdrücklichen Wunsches nicht hinzugezogen worden. Es konnten deshalb in den Doung- Plan Bestimmungen ausgenommen werden, die für die Arbeitnehmerschaft besonders abträglich sind. Um so dringlicher ist bei dem bevorstehenden Zusammentritt des im Uoung-Plan vorgeschlagenen Organisatiouskomitees die Hinzuziehung von Gewerkschaftsvertretern, damit bei der Abfassung der Ausführungsbestimmungen wenigstens diese Fehler soweit möglich, wieder ausgeglichen werden können. Wir müssen um so mehr auf Berücksichtigung unserer Forderung bestehen, als der Arbeitnehmerschaft jetzt anscheinend auf anderen Gebieten Opfer zugemutet werden sollen, die tiefe Erregung in ihren Kreisen auslösen." hindern vermochte, hat diesen Kamps um die Freiheit unver drossen wiederaufgenommen. Aufgabe der Geschlechter, die heranwachsen, wird es sein, diesen Kamps weiterzuführen bis zum siegreichen Ende und nie zu vergessen den Tag von Ver sailles, den 28. Juni 1919. Dr. Pr. Zwischenspiele. In einem alten Kommerslied heißt's: „Da streiten sich die Leut' herum . . ." Und in der hohen Politik — wo ja dieses Streiten liebe Gewohnheit ist und sozusagen zum Geschäft gehört — zankt man sich bisweilen auch um recht gleichgültige Dinge. Uns Deutschen jedenfalls ist's höchst gleichgültig, ob die kommende internationale Kon ferenz in London stattfindet — wie der englische Minister präsident es als Wunsch zum Ausdruck brachte — oder ob man nach Paris oder einer Stadt in der Schweiz geht, wie Poincarö es dringlichst verlangt. Poincare wäre mit Lausanne einverstanden, aber die anderen wollen dann lieber Bern oder Zürich. Natürlich steht die Streitfrage dahinter, wer Präsi dent der Konferenz werden wird. Ein Amerikaner wie in Paris kommt ja nicht in Frage, denn Washington entsendet nur einen „Beobachter", zur Konferenz. Mac donald würde präsidieren, wenn die Parteien wieder nach London kämen wie einst im Sommer 1924. Aber wenn man sich auf dem Festlande zusammenfindet, wird Poincarö die Leitung haben. Und das will er sich denn doch nicht entgehen lassen. Sein Kabinett hat darum die unverbindliche Anfrage der englischen Regierung, ob London als Konferenzort genehm wäre, mit einem aus drücklichen Nein beantwortet und als Gegenvorschlag empfohlen, in ein neutrales Land zu gehen, also ver mutlich die Schweiz. Aber nicht London. Uns Deutschen, wie gesagt, soll es herzlich egal sein, denn unser Vorschlag, nach dem schönen deutschen Welt kurort Baden-Baden zu pilgern, ist leider in der Ver senkung verschwunden, offenbar weil die Liebe der anderen zu uns doch noch nicht so groß ist, daß man auch einmal in Deutschland zu Gaste sein will. Die Weigerung Poincares, nach London zu gehen, war nicht bloß sehr deutlich, fast brüsk ausgesprochen, sondern wurde von ihm noch in einer ganz besonderen Weise unterstrichen. In einer Kommissionssitzung der Kammer hat er nämlich soeben erklärt, er habe dem fran zösischen Ministerpräsidenten von 1924, seinem jetzigen Ministerkollegen Herriot, damals schwer Unrecht getan. Durch die Behauptung, Herriot habe 1924 unmittelbar vor der Londoner Konferenz in einer Unterredung mit demselben Macdonald, der ja damals englischer Minister präsident war, nicht genügend die Interessen Frankreichs vertreten. Inzwischen sei ein Protokoll dieser Unter redung in Chequers veröffentlicht worden und nun müsse er die Herriot gemachten Vorwürfe zurücknehmen. Herriot habe nicht den geringsten Fehler gemacht, sei aber ans eine .unerklärliche Haltnng Englands" gestoßen — oder, in ein klares Deutsch übersetzt: Macdonald ist den fran zösischen Forderungen — vorläufige Beibehaltung der Be setzung im Ruhrgebiet, Einfügung von Sanktionsan drohungen in den Dawes-Plan usw. — nicht sofort und unbedingt nachgekommen. Hat vielmehr Bedenken ge äußert, Nachgiebigkeit auch aus Rücksicht auf Amerika ver langt, so daß Herriot erst allerhand Manöver machen mußte, um den englischen Ministerpräsidenten schließlich doch noch Herumzukriegen. Herriot ist damals z. B. nach Paris geflogen und kam tags darauf mit der Nachricht zurück, er würde politisch von einer Kammermehrheit seiner Freunde auf der Linken und der gesamten Nechts- opposition sofort aus dem Sattel geworfen werden, wenn er die alsbaldige Räumung des Ruhrgebiets zugestehen Würde. Da gab England nach. Nun ist die Veröffentlichung dieses Protokolls nicht etwa jüngsten Datums, sondern liegt schon ein Jahr zurück; daß Poincare gerade jetzt darauf zurückkommt — „das läßt tief blicken," sagt Sabor. Illustriert recht deutlich, in welchem Geiste Poincarö zur Konferenz gehen wird. Und bedeutet eine Mahnung an Macdonald, er solle sich auf dieser Konferenz gar nicht erst die Mühe machen, Frankreichs Vertreter zu irgendwelchem Entgegenkommen deutschen Wünschen gegenüber zu veranlassen. Einiges Aufsehen in London wird ja dieses eigen artige, aber natürlich wohlerwogene politische Manöver Poincarös wohl machen, besonders, da der sogenannte Grund, die Entschuldigungsgeste an Herriot, mehr als nur fadenscheinig ist, weil eben das Protokoll von Chequers seit langem bekannt ist und Poincars mit Herriot zusammen schon seit zwei Jahren in demselben Ministerium sitzt. Die Freundschaft zwischen England und Frankreich freilich wird dieses politische Intermezzo nicht gerade stärken. In Deutschland wird man diesem Zwischenspiel zu sehen; denn schließlich ist uns die Einstellung Poincares keine unbekannte Größe mehr. Kündigung des deuisch-schwedischen Handelsvertrages. Hoffnung auf Einleitung neuer Verhandlungen. Im Auftrag der deutschen Regierung kündigte der Vertreter Deutschland zu Stockholm den deutsch-schwedi schen Handelsvertrag, wodurch dieser am 15. Februar 1930 außer Kraft gesetzt wird. Der Schritt wurde von der deutschen Regierung mit dem Wunsche begründet, in Anbetracht der schweren Lage der deutschen Landwirtschaft freie Hand hinsichtlich bestimmter durch den Vertrag festgesetzter Zollsätze für landwirtschaftliche Produkte zu bekommen. Gleichzeitig mit der Kündigung gab die deutsche Regierung der Hoffnung Ausdruck, daß Ver handlungen über einen neuen Handelsvertrag bald möglichst eingeleitet werden können, damit ein vertrag loser Zustand zwischen den beiden Reichen auf diese Weise vermieden werde.