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Es folgt ein kurzes, kapriziöses Allegretto. In seiner Stimmung bildet es einen Kontrast zu dem elegischen Charakter des zweiten, aber auch zu dem dramati schen des ersten Satzes. Finale: nach einem erregten, figurenreichen Anfangsteil erklingt ein rascher, stürmischer und militanter Marsch als Hauptteil des Satzes. Zum Abschluß erscheint nochmals die rhythmische Hauptfigur des Eingangssatzes, vom gesam ten Orchester mit aller Kraft vorgetragen. Viel Schlagzeug und Pauken sind eingesetzt. Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beethoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie de en Werke gleichfalls zu den Glanzstücken der internationalen Konzertliteratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakteristische, eigenwüchsige Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und be reits Anfang April vollendet. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosen stück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der es aber zunächst als un spielbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Urauf führung wagte schließlich Adolf Brodski am 4. Dezember 1879 in Wien unter der Leitung Hans Richters. Unfaßbar will es uns heute erscheinen, daß das Werk vom Publikum ausgezischt wurde! Die Presse war geteilter Meinung. Der gefürchtete Wiener Kritiker Dr. Eduard Hanslick, Brahms-Verehrer und Wagner-Feind, be ging mit seiner Rezension des Tschaikowski-Konzertes wohl einen seiner kapital sten Irrtümer. Er schrieb u. a.: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Vio line gezaust, gerissen, gebleut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträu benden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst. . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken (!) hört." Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Komponist übrigens jederzeit auswendig aufsagen konnte, so sehr hatte er sich darüber geärgert, während das Konzert inzwischen längst zu den wenigen ganz großen Meisterwerken der konzertanten Violinliteratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik gekennzeichnet und ist betont musikantisch ohne Hintergründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier u. a. schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumen tation, die beispielsweise auf Posaunen verzichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Um spielungen der Solovioline, seine faszinierende Wirkung verleiht, während das zweite, lyrische Thema demgegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhepunkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstrumentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder, daß das Hauptthema innigen Liedcharakter besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Seitenthema größeren Raum zu ge ben. Unmittelbar daran schließt sich das Finale (Allegro vivacissimo) an, das vom So listen ein Höchstmaß an geigerischer Virtuosität in Kadenzen, Passagen, Flageo letts usw. verlangt. Das formale Schema des Satzes ist etwa mit ABABA zu um reißen. Beide Themen haben nationales russisches Profil. Das erste wächst aus der übermütigen Orchestereinleitung heraus, das zweite, tanzartige, wird von Baßquinten begleitet. Unaufhörlich stellt der Komponist die Themen vor, elegant und formgewandt variiert. Strahlend endet der temperamentgeladene Schlußsatz des Konzertes, das zweifellos eine der überragendsten Kompositionen Tschai kowskis ist. über die Entstehung seiner 1. Sinfonie B-Dur op. 38 berichtet uns Robert Schumann: „Ich schrieb die Sinfonie zu Ende des Winters 1841, wenn ich es sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinauf und in jedem Jahr von neuem überfällt. Schildern, malen wollte ich nicht; daß aber eben die Zeit, in der die Sinfonie entstand, auf ihre Gestaltung und daß sie gerade so geworden, wie sie ist, eingewirkt hat, glaube ich wohl." Diese erste, die „Frühlingssinfonie", entstand also in dem selben Sinfoniejahr 1841 wie die Erstfassung der späteren „Vierten" und die sogenannte Sinfonietta. Nach langen Kämpfen gegen seinen Schwiegervater hatte sich Schumann die Ehe mit Klara erkämpft, und das Glück ihrer Gemein samkeit spiegelte sich in den Kompositionen dieser Zeit wider. Aus diesem Glück heraus ist der Jubel, ist das Jauchzen dieser vorwärtsdrängenden, strahlenden Sinfonie vor allem auch zu verstehen. Obwohl Schumann nicht schildern, nicht malen wollte, hatte er doch ursprünglich den einzelnen Sätzen Überschriften gegeben, die er dann jedoch fortließ (Frühlingsbeginn — Abend — Frohe Gespie len — Voller Frühling). Der erste Satz besitzt eine langsame Einleitung (Andante un poco maestoso), die mit einem stolzen Ruf der Hörner und Trompeten sowie dessen Wiederho lung im Tuttiorchester eröffnet wird. Huschende, unruhige Floskeln schließen sich an, ehe zart das punktierte Kopfmotiv wieder in den Holzbläsern erklingt. Nach einer ritardierenden Flötenkadenz beginnen Trioien in den Streichern, das Tempo anzutreiben, über anschwellendem Paukenwirbel jagen diese Figuren dem Allegro molto vivave zu, dessen Hauptthema zwar genau aus dem anfäng lichen Hornruf aufgebaut ist, nun aber eine vitale, jubelnde Note erhält. Der rasche Nachsatz führt diese Energien nur noch weiter. In den Holzbläsern wird ein zweites Thema eingeführt, wiegend und schmeichelnd. Aus dem Anfangs thema wird schließlich gegen Ende der Exposition noch ein weiterer Gedanke entwickelt, der in strahlende Höhen führt. Die Durchführung wird wesentlich von dem drängenden Hauptthema bestritten, das in Teilmotivtechnik durch das ganze Orchester wandert und schließlich auf dem Höhepunkt hymnisch gesteigert in der Vergrößerung erscheint. An die Reprise schließt sich noch eine längere Coda an, die den Frühlingsjubel zu neuen Höhen führt. Warmherziger Ausdruck bestimmt den zweiten Satz, ein in Es-Dur stehendes Larghetto. Die tiefempfundene, liedhafte, weit ausgesponnene Weise wird erst von den Streichern vorgetragen, erscheint dann in den Holzbläsern, später besonders cantabel in den Violoncelli, zart von den übrigen Instrumenten um spielt. Nur kurz kann sich eine Verdüsterung der Stimmung halten. Kurz vor Schluß ertönen feierliche Posaunenklänge, ehe sich nahtlos der dritte Satz (Scherzo-Molto vivace) anschließt. In dessen Grundmotiv erkennen wir die gerade vernommenen Posaunenklänge wieder, nun allerdings energisch, leiden schaftlich gesteigert. Leichteres Spiel finden wir in dem tänzerisch konzipierten ersten Trio, dem wiederum das Scherzo folgt. Für das zweite Trio ist ein Ton leiteraufstieg bzw. -abstieg von thematischer Wichtigkeit. Nach einer verkürzten Wiederholung des Scherzos bringt die in D-Dur stehende Coda noch einmal helle Farben ins Spiel. Der letzte Satz (Allegro animato e grazioso) wird mit einem jubelnd aufsteigen den, einmal energisch synkopierten Thema eröffnet, das noch von Bedeutung sein wird. Erst einmal macht sich in rasch dahinhuschenden Figuren eine unbe schwerte Heiterkeit breit. Besonders keck beteiligen sich die Holzbläser an der ausgelassenen Stimmung. Dann jedoch taucht immer wieder das Kopfmotiv auf, dunkel zuerst, dann immer klarer und strahlender. In der Durchführung wird es vollkommen beherrschend, beharrend auf den wiedergewonnenen Kräften der frühlingshaften Natur. Eine Flötenkadenz gibt den Weg für die anfäng'iche Unbeschwertheit frei. In strahlender Lebensfreude endet dieses glückvolle Werk. Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit Vflftm — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 4,65 T. ItG 009-30-77 (•Inilbi acmonie 9. PHILHARMONISCHES KONZERT 1976/77