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Wochenblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt -es Königliche» Verichtsamtes und -es Sta-trathes z» Kifchofswer-a. Diese Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwoch« und Sonnabends, und kostet vierteljährlich 121 Rgr. , Inserate werden nur bis Dienstag und Freitag früh 8 Uhr angenommen. Zur Situation. Die Bewegung in Sachse» für die Wahlen zum Reichs tage, sagt der „V. A.", hat allmälig begonnen, ist aber immer noch schwach genug, um mit einem Sturme in einem Glase Wasser verglichen werden zu können. Am rührigsten sind noch die National-Vereinler oder Fortschrittler oder National-Liberalcn, oder wie sie sich gegenwärtig nennen mögen. Sie halten in ihrer Partei strenge Zucht, geben vom Mittelpunkte aus ihre Tagesbefehle, veranstalten Volksversammlungen und sind im Redchalten nicht sparsam und ungeschickt, benützen ihre zahlreichen Zei tungen eifrig, um die Gegen-Candivaten in Mißkredit zu bringen rc. Im Ganzen aber sind sie doch nicht einig. ES giebt unter ihnen Männer, welche auf den Einheitsstaat für Deutschland lossteuern, d. h. alle einzelnen Staaten, die in Deutschland noch bestehen, in Preußen einverleibt wissen wollen, wie es mit Hannovir, Lurhessen rc. geschehen, damit ganz Deutschland ein einziger, großer Staat werde, wie etwa Frankreich, der König von Preußen aber König oder Kaiser von ganz Deutschland. Mit den Bestrebungen dieser Männer können wur uns durchaus nicht befreunden. Würde ganz Deutschland unter einen einzigen Staats- oder Fürstenhut gebracht, so steht uns die Centralisakion, d. h. die Regierung deS ganzen großen deutschen Valer- landeS von einem Mittelpunkte aus bevor, ein Zustand, wie er in Frankreich herrsch', wo vom Centrum, Paris, auS jeder Kreis, jede Gemeinde regiert wird und Be fehle und Beamte erhält, wo kein Baum ohne Erlaub- mß des Ministers auf Gemeindeboden gefällt, kein Nachtwächter ohne Regierungs-Erlaubniß angestellt werden darf und kann. Ans dieser Centralisation muß dann der CäsariSmuS d. h. die unumschränkte Herrschaft eines Einzelnen über das Ganze naturgemäß hervor wachsen, wenn gleich diese Herrschaft sich angeblich und der äußern Form nach auf allgemeines Stimmrecht be gründet und beruft, auch den Schein einer Volksver tretung bestehen läßt. Solche EinheitSstaatler können wir demnach mit gutem Gewissen als Wahl-Candidaten nicht empfehlen. Der andere Theil der National- Liberalen oder Deutsch-Freisinnigen will nicht den Einheitsstaat, sondern den Bundesstaat, d. h. das Fort- testehen der einzelnen noch in Deutschland bestehenden Stveiundzwanzigster Jahrgang. Staaten unter einheitlicher preußischer Oberleitung der gesammten Wehrkraft rc., aber die Selbstständigkeit der Einzelstarten soll möglichst erhalten und geschont werden, soweit diese mit dem Bundesstaate verträglich ist. Und hierin sind ri« freisinnigen Anhänger des Bundesstaates mit den sächsischen „Patrioten" oder „Conservativen" einig, die auch die Einheit in der Freiheit, d. h. Ein heit in gemeinsamen Angelegenheiten und Freiheit in der Entwicklung der Einzelstaaten, persönliche Freiheit, Selbstständigkeit und Selbstverwaltung der Gemeinden, möglichst wenig abhängig vom Staate, anstreben. Zu dieser Richtung gehen unsere sächsischen „Patrioten" oder „Conservativen" nicht mit den preußischen Conservativen, die durchweg Annerionisten sind, zusammen, sondern eher mit einer Anzahl preußischer Freisinnigen, die, wie Jacoby, Duncker rc., ebenfalls wohl die Einheit in ge meinsamen Angelegenheiten, aber die Freiheit in der Entwickelung Les Einzelstaates befürworten. Die Partei- bezeichnnng: „Conservativer" und „Liberaler" reicht hierin also nicht aus, um den Wähler zu bestimmen, wem er seine Stimme geben soll und will. Es fragt sich, ob der Liberale oder Conservative ein Annerionist oder ein Anhänger des Bundesstaates ist. Wie schon erwähnt, darf von den sächsischen Conservativen das Letztere durchgehends vorausgesetzt werden, von den preußischen daS Gegentheil, während wiederum von den sächsischen Liberalen erst das Eine oder Andere mit Sicherheit in Erfahrung zu bringen ist. Daß überdies bei den Wahlen zum Reichstage eine Quantität sogenannte» Liberalismus mehr oder minder allein eben so wenig auSreiche, wie eine dergleichen conservative Gesinnung, versteht sich von selbst. DaS Festhalten an dem poli tischen Standpunkte, das Farbehalten, der Character, der auch dem überlegenen Gegner muthig in'S Auge schaut und Stand hält, ist natürlich vorzuziehen; aber mit riesen Gemüths-Eigenschaften allein wird es noch nicht gethan sein. Die geistige Befähigung ist eS, die hier besonders in's Auge zu fassen ist. Mit gutem Willen, mit bestimmter, politischer Gesinnung, mit Zungen- und Redegewandtheit allein dringt man eben so wenig in die Tiefen der Slaatskunst, als sich damit schwere, staatsrechtliche Fragen lösen lassen. Altpreußen hat die Auswahl unter zahlreichen, in Parlamentarischen Kämpfen ergraueten und erprobten Männern und sendet^